Bei den Nackten im Gänsehäufel ist es so schön! Nur das
Sitzen und Liegen ist unbequem. Wo lassen anlehnen? Schreiben und freiluft
gehen schwer zusammen. Schau ma mal! Die Flausen der Pappeln fliegen hoch,
hoch, hoch; ganz hoch oben bei der zunehmenden Mondsichel am hellichten Tag.
Und Bequemlichkeit ist in meinem Alter schon ein wichtiges Kriterium. Um die
Bobosprüche von nebenan zu übertönen: Musikstöpsel in die Ohren! Wo ist meine
Frau? Warum ist sie nicht da? Sie hätte sich etwas einfallen lassen, um es mir
bequem zu machen. Na gut - ich rücke mit meinem Zeugs an einen Baum heran
(Hunde sind hier nicht erlaubt! Spricht auch für eine gewisse Infrastruktur)
und installiere Liegedecke, Handtücher, Rucksack & Co so, dass ich halbwegs
bequem am Baum gelehnt sitzen kann (warten wir ab, was die Ameisen machen
werden). Mein Johnny spielt dissolve und vor Glück schaudert's mich über den
Rücken. Ich bin ein stiller König, der still, unerkannt und unbemerkt über sein
Land und seine Leute schaut, die er nicht anzugehen hat. Der König muß wirken,
nicht handeln – sagt der bajuwarische Affenarsch. Und recht hat er, darum fährt
der König beim Schach handlungseingeschränkt auch nur jeweils einen Schritt
nach vor, einen Schritt zurück, einen Schritt hin, einen Schritt her – Das wars
dann (nicht dass es wichtig ist, dass ich dem Döbereiner recht gebe; das hat er
nicht notwendig). So sollte der König auch keine Mißverständnisse auslösen und
auf keine hereinfallen.
Die Stehpaddler ziehen so still, aufrecht, sanft und schön
am Wasser dahin, das mir zum Weinen wird. John Frusciante bedankt sich mit
„love you so much!“ Schauder. Es stimmt schon: Schwermut kündigt das Andere an:
sie ist ein toller Seismograph. Ich Trottel habe kein Bargeld abgehoben, jetzt
kann ich hier nicht prassen; nichteinmal Eis kaufen. Ins Wasser gehen wäre
auch eine Option. Ich warte ab, bis
Ximena Sariñana zu Ende gesungen hat. Ein sanfter Wind (wer sonst, wenn nicht
ein sanfter) liebkost meine eingeschmierte Haut. Eine Ameise versucht, meiner
Schreibe auszukommen. Und jetzt die Andachtsmusik (wir sind immer noch bei der
Omar-Rodriguez-Lopez-Group mit Ximena), meine liebste Andachtsmusik, daaa daaa
da da da – und wie ich mich beuge und verneige vor den Göttinnen!
Ich bin ein König – mein Volk weiß nichts von mir und auch
nicht, dass ich ihr König bin. Und ich weiß nicht, ob ich überhaupt Volk und
Land habe. Die Ameisen – offensichtlich – sind ein eigenes Volk; ich glaub, die
gehören nicht in meinen Herrschaftsbereich. Wenn ich den John Frusciante und
seine Musik nicht hätte! „All we have“, nur ein Demoband eines nie
veröffentlichten Songs, aber was für eine zarte Intensität und kosmisch
angemessene Trauer! (Ich analysiere nicht – ich schwinge mit und nehme die
Wellen und Intensitäten auf.)
Oder ist das doch eine ameisige Gesandte, die da an mir
herumkrabbelt? Kommt sie doch zu mir als ihrem zuständigen König, oder zu dem
bei ihnen im Exil wegen der Verhandlungen bezüglich Aufenthaltserlaubnis,
Aufenthaltsdauer und Apanage – mit so einem König, dem man Asyl gewährt, kann
man ja nicht umspringen wie mit gewöhnlichen Flüchtlingen! Den Krähen und allen
möglichen Gänsen ist es nicht so recht, dass hier so viele Menschen herumliegen
und umherwandeln; sie zeigen schon, dass sie das Terrain beanspruchen.
Vermutlich sind sie aber bei den Nackten lieber als bei denen in Badekleidung,
weil es dort viel dichter ist und lauter zugeht.
Jetzt werde ich unruhig da an meinem Asylbaum im Reich der Ameisen:
mir wird fad und ich werde frech und beginne planlos herumzugehen. Freilich
denke ich mir aus: zuerst gehe ich Wasser trinken, vielleicht sehe ich dieses
Ehepaar, diesmal werde ich sie ansprechen, dann gehe ich in die rauchfreie Zone
im abgelegeneren Teil, wo das Gras saftiger und nicht so niedergetreten ist,
dann gehe ich auf einem Umweg zurück an der Halbinsel vorbei und so weiter.
Aber das ist kein Plan, weil keine Strategie dahinter ist und ich nicht weiß,
was ich dort will, außer selbstverordneter Beschäftigungstherapie, um nicht zu
sagen: um Zeit tot zu schlagen (als hätte ich davon noch im Überfluß!). Gut,
dass ich meine einzige Feindin, die ich mir gar nicht so hart erarbeitet habe
und auf die ich richtig stolz bin, wie meistens auf diesem Rundgang da hinten
begegnet bin, und wir beide tun, als würden wir uns nicht kennen, notiere ich
noch, aber dann ist mir schon wieder fad. Wasser? Wasser!
Ich war im Wasser und bin mindestens eine halbe Stunde zur
Abkühlung im Wasser gestanden. Das Wasser ist mir bis zum Hals gestanden und
das war sehr angenehm.
Jetzt beginnt die optische Windmusik in den Pappelzweigen.
Leider akustisch gestört vom unmusikalischen Gedröhne aus diesen Partybooten –
tsiiiiiju! Versenkt! - und von Autos mit Kraftboxen am anderen Ufer drüben –
die gehörten sowieso aus der ganzen Stadt verjagt. Wieder kämpft eine Ameise
gegen meine Schrift, indem sie blitzschnell (übertriiiieben!) meiner
schreibenden Hand entlang der Schrift folgt, als würde sie sie wenigstens für
ungültig erklären wollen, wenn schon aufschlecken nicht gelingt.
In der Ferne brummt eine Bassgitarre ihre schönen Töne. Die
Krähen melden wieder ihre Ansprüche an. Und nun wieder so richtig die Windorgel
in den Pappeln. Es wird Abend des 14. Sonntags im Jahreskreis, Tagesevangelium:
Aussendung der zweiundsiebzig Jünger (Lk 10, 1-12, 17-20 lasse ich aus):
„Danach suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte zu zweit voraus in
alle Städte und Ortschaften […] Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe.
Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt
niemand unterwegs! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede
diesem Haus! Und wenn dort dort ein Mann des Friedens wohnt [Gente de Paz],
wird der Frieden, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu
euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, eßt und trinkt, was man euch anbietet
[also nicht: ist das bio? Glutenfrei? Vegan? Fair getradet? Makrobiotisch
zubereitet? Mit Ama-Gütesiegel? (hahaha!)] […] Heilt die Kranken, die dort
sind, und sagt den Leuten: Das Reich des Nagual [äh! Sorry!] das Reich Gottes
ist nah. Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, die euch nicht aufnimmt, dann
stellt euch auf die Straße und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an
unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch sollt ihr wissen: Das Reich
Gottes ist nahe. Ich sage euch: Sodom wird es an jenem Tag nicht so schlimm
ergehen wie dieser Stadt.“ Was für eine Ansage!
Und akurat: das Angelus-Läuten.
(3.7.2022)
©Peter Alois Rumpf Juli 2022
peteraloisrumpf@gmail.c