Montag, 14. Oktober 2024

3817 Die kleine Ameise

 



16:02. Ich sitze zu ungewöhnlicher Stunde im Esbege (auch ich kann Abkürzungen! (Achtung! Leicht irreführend!)), am Zweierplatz direkt links vom viersitzigen Fensterplatz. Cappuccino numero II. Die Stimmung ist irgendwie anders, ohne das mystifizieren zu wollen (was heißt das jetzt genau? - der innere Spötter). Naja, dass die andere Stimmung mit der Tageszeit, mit mir zu dieser anderen Tageszeit, mit den gleichartigen Gästen vom Vormittag zu dieser anderen Tageszeit, mit anderen Gästen zu dieser Tageszeit zu tun haben kann oder auch nicht, und dass ich daraus nicht allzuviel ableiten kann. Ein Nachmittag ist ein Nachmittag ist ein Nachmittag. Eine winzig kleine Ameise krabbelt über mein Notizbuchblatt, recht flott eigentlich. Hat sie Angst, weil sie ihre Herde verloren hat? Wo kommt sie überhaupt her? Was hat sie für Überlebenschancen, auch wenn ich sie vorm Zuklappen des Notizbuches entferne? Wo kann ich sie sinnvollerweise hin tun? Ihr enormes Tempo deute ich als Panik, ebenso ihr unsinniges (?) Hin und Her. Ich brauch mich wirklich nicht zu beklagen! 70 Jahre nicht zu Tode zerquetscht worden zu sein, das ist schon sehr, sehr viel. Jetzt ist die Ameise verschwunden. Irgendwo zwischen die Blätter gekrabbelt? Jetzt ist sie wieder da. Nun ist sie wieder verschwunden (ich verliere sie ständig aus den Augen, so rast sie herum). Jetzt ist sie wieder da. Ihr Lauf behindert mich beim Schreiben: ständig muß ich mit dem Pilotstift, mit meiner Schreibhand, mit der linken Hand, die das Notizbuch – tendenziell immer zu fest – festhält, ausweichen. Jetzt läuft sie quer über die leere rechte Seite. Eine liniengraphische Anregung für den Parcour meiner Schrift kann ich nicht erkennen (ich hoffe halt immer, dass das Universum zu mir spricht). Jetzt hat sie meinen linken Daumenstumpf erklettert. Nun ist sie auf dem beigen Pulloverärmel. Vielleicht ist es so am besten. Aber wenn ich sie so nach Hause trage, werden sie die dort heimischen Ameisen töten? Ich glaub schon. Nein, ich brauch mich über mein Leben wirklich nicht beklagen! Außer ich hätte die Ameise schon von zu Hause mitgebracht - was mir unwahrscheinlich vorkommt – hätte sie dann eine Überlebenschance? Wenn doch: in welchen Stamm gehört sie? Zu denen im Wohnzimmer unten? Oder zu denen im Atelier heroben? Oder zu denen im Musikzimmer? Und zwischen denen vermute ich auch Kriegszustand. Ich habe sie schon ein paar Minuten nicht gesehen. Ich beginne schon, meine Aufmerksamkeit von ihr abzuziehen und sie weiter dann zu vergessen. Tatsächlich: man muss glauben, dass jedes Lebewesen … seinen Tod … nein, das ist in dieser Welt nicht haltbar! Ein paar Musikstücke jetzt – freilich sind die Boxen auf geringe Lautstärke gestellt - klingen wie von Captain Beefheart, können es jedoch nicht sein, denn sonst würde ich sie kennen (seht ihr?! Die Ameise ist schon vergessen). Nach Hause? (mit oder ohne Ameise, tot oder lebendig). Geschirr ist schon im Spüler, die meiste Arbeit ist getan. Es juckt mich hinterm rechten Ohr; ist da die Ameise hinaufgeklettert? Vielleicht habe ich jetzt beim Versuch – falls sie wirklich dort war – sie herunterzunehmen, zerdrückt? Sie ist so klein und ich sehe nichts. Habe ich mir etwas vorzuwerfen? Ich glaube nicht. Und wenn ich der Zerquetschte wäre? Würdest du dann auch so denken? Besser nach Hause. Zu Fuß? Mit Bus? Gemischt?


(14.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3816 Der freistehende Steinquader

 



13:20. Ich sitze auf einem freistehenden Steinquader, der mehr so in der Wiese liegt, direkt gegenüber dem josephinischen Narrenturm, direkt vor mir ist der Eingang zur pathologisch-anatomischen Sammlung, die ich sicher nicht anschauen will. So halb schaut es hier nach Baustelle aus. Die windgetriebenen Blätter rascheln am Asphalt; ein Blechtor schlägt überlaut zu und vibriert lärmend ein paar Sekunden nach. Ich befinde mich schon in der Sonne; die abgestellten Autos mag ich nicht.

Mich krümmt es recht zusammen. Die FußgängerInnen gehen mir zu nah vorbei, aber so sind die Wege und Steinquader halt angelegt. „Way to success“ steht auf dem Fahrradständer. Für mich nicht mehr, ich bin schon abgesackt. Die Linde, unter der ich sitze, scheint krank zu sein; ich glaube nicht, dass das der Herbst ist. Ist das überhaupt eine Linde? Mein Gott, ich kenn mich mit Bäumen immer noch nicht aus! (er weiß schon, dass das eine Linde ist, er läßt sich nur ständig verunsichern – von innen und von außen – der innere Korrektor). Manche Leute schleichen vorbei, wie ohne sich zu bewegen; andere erzeugen viele Luftwirbel bei jedem kleinen Schritt. Auch ein großes Roßkastanienblatt mit langem Stiel zuckt am Boden in der Windböe, während die kleinen Lindenblätter sich überschlagend nur so vorbeisausen und am Asphalt kratzen. Ich hocke so verdammt verkrümmt da. Ich bin so ein eingeschüchteter Mensch. Der Wind bläst mir unter die offene Jacke. Mir wird kalt; ich muß herumgehen.


(14.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3815 Wie auch immer

 



Ich sitze in der Arztordination, und weil ich das Handy ausgeschaltet habe, habe ich keine Uhrzeit. Ein paar Sterne tanzen plötzlich vor meinen Augen, der Bildschirm an der Wand ist gottseidank schwarz und stumm. Rechts schaut von einem gerahmten Werbeplakat eine junge Frau künstlich empört und zornig drein (schlecht schaugespielt), die Musik aus den Boxen ist nicht unangenehm, das Gerede vom Empfangsbereich im anderen Raum drüben ist laut und ein wenig, wirklich nur ein wenig unangenehm, wie auch das ständige Surren vermutlich des Druckers und das ständige Zuschlagen von Türen. Eine hohe Glasvase mit weiß und einige auch rosa gemachten blattlosen Zweigen und Stengeln steht in der Ecke vor mir, irgendwie zwischen Elegance und Lächerlichkeit. Die Zeitschriften am Zeitschriftentisch interessieren mich überhaupt nicht; dieses Gesundheits- Fitness- Arzt- und Wellnesszeugs bereitet mir Übelkeit. Ich lebe in einer völlig anderen Welt. Mich interessieren Auferstehung von den Toten, sogenannte Himmelfahrten, Geistreisen etcetera und das anders als ihr denkt. Was mache ich hier eigentlich? Lieber Gott! Hol mich hier raus!

Es gibt natürlich keinen Erlöser; das sage ich, obwohl es gerade an der Ordinationstür klingelt. Vielleicht kommt er doch? (dein Erlöser wird schon irgendwann kommen, aber er wird dich ins Nichts hinein erlösen – der innere Spötter). Der Mann, der angeläutet hat, kommt herein; ich sehe ihn nicht, aber die Stimme reicht mir schon. Den weise ich als Erlöser zurück! Ich mein' – wo sind wir denn! Ich bin auch nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen! (wer weiß! - der innere Spötter) Natürlich, so toll scheinen meine von den Vorfahren ererbten Erfahrungen auch nicht zu sein, und ich fühle mich von jenen auch nicht sehr unterstützt (die Suppe ist zu dünn, oder versalzen, die Nudeln sind verschimmelt oder sonstwie ungenießbar). Wie auch immer.

Der zweite, etwas abgelegene Warteraum (für auf (sic!) den Erlöser – der innere Spötter), in dem ich sitze, füllt sich jetzt; die lokalregionale Stille hier ist vorbei. Aber das kriege ich schon hin; meine Stillen sind sowieso sehr laut. Ich möchte bald drankommen, deshalb lege ich das Schreibzeug weg und tue so, als wäre ich als nächster dran. Ich seufze. Mir ist zum Heulen, aber ich heule nicht. Das hat – soweit ich weiß – nichts damit zu tun, weswegen ich hier bin, denn das ist eine Lappalie. Weil ich nicht drangekommen bin, gehe ich auf und ab.


(14.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3814 Kompakte gelbe Wand

 



1:09 a.m. Ich zupfe am bekannten roten Banderl herum. 5:1 heute (13.10.) - wirklich nicht schlecht! Ich sollte schlafen, denn ich sollte morgen (14.10.) einigermaßen zeitig aufstehen. Aber ich bin noch aufgewühlt. Ich schaue zur schlummernden Frau hin und drehe die Leselampe, um auf diese Kunstkarte hinzuleuchten (wer dieses Bild kennt, wird schon wissen, warum - der innere Spötter). Mehr fällt mir nicht ein. Ich neige den Kopf zur Seite und mein CD-Turm scheint sich zu biegen. Wenn die Dinge gar nicht so fest sind, wie sie scheinen?! (Tu nicht so blöd und scheinheilig! Du weißt genau, dass die Dinge nicht so fest sind – der innere Korrektor.) Holzrabe und Holzmöwe hängen unbewegt da. Geräusche unten schrecken mich auf – ich gehe nachschauen.


7:30 a.m. Wie wacht sich’s auf? Naja, eh nicht so schlecht. Der CD-Turm hängt immer noch schief und auch mit den CDs scheint etwas nicht in Ordnung zu sein: sie wölben sich so komisch. Es ist noch kalt in der Wohnung und ich bin wieder unter die Deck geschlüpft. Ich warte, bis es 8 Uhr ist (da ist dann die Küche frei). Eine Krähe ruft mich aus dem Schlaf. Als die Augen wieder zufallen, habe ich eine kompakte gelbe Wand vor mir. Immer wieder tauchen verschwommene Erinnerungsfetzen aus meiner Kindheit und Jugend auf. Ich sollte jetzt aufstehen, aber es ist gerade so schön hier und ich bin sicher noch nicht ausgeschlafen. Und außerdem: muß ich wirklich schon jetzt zum Arzt? Um 11 Uhr geht doch auch, oder?

(aufgestanden ist er um 8:30 – der innere Verräter)


(14.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 11. Oktober 2024

3813 Kräftesammeln

 



7:57 a.m. Mein Geist taumelt und saust nur so durch die Gegend: von meiner aufgeplatzten Wunde am Oberarm zum gestrigen Sieg der Fußballnationalmannschaft, von der Planung und Zurechtlegung des heutigen Arbeitstages zu Frank Zappas Zoot Allures und meinen Hörfehlern, was die Texte betrifft, vor mehr als 47 Jahren, und viele andere Stationen, die ich schon wieder vergessen habe. Und das ohne erkennbaren logischen Zusammenhang (von welcher Logik auch immer). Mein Körper zittert noch ein wenig unter der Bettdecke und wie der zu diesem Gedankenkarussell steht und ob er was damit zu tun hat, ist mir unklar. Ein so schönes weißes Strahlen kommt beim Fenster herein, denn ich habe das Rollo vorhin schon hochgezogen. Jetzt war ich kurz bei dem, was ich vor 25, 30 Jahren verzapft habe und mir heute noch peinlich und unangenehm im Magen liegt. Ich werde heute alle angestauten Texte abarbeiten und eintippen, was ich schon seit ein paar Tagen vor mir herschiebe. Das wird sehr anstrengend, aber ich bin fest entschlossen. Ich sammle nur noch meine Kräfte.


(11.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3812 Winnerphantasien

 



1:13 a.m. Von den Zahlen her Uranus und Neptun, würde ich sagen: die versunkene Wahrheit. Mein Gähnen zerreißt die äußere Stille, kommt jedoch gegen mein inneres Surren akustisch kaum auf. Ja, die österreichische Fußballnationalmannschaft hat 4:0 gewonnen, somit sind wir fürs erste gerettet. Irgendwelche Winnerphantasien ziehen und zucken über mein Gesicht. Als es mir bewußt wird, stoppe ich das. Mein Auge fällt auf eine kleine Zeichnung am Kasten am Fußende, auf der ich mich als Lehrenden vor einer Schar Hörer dargestellt habe. Das sollte damals Geist und Willen auf dieses Ziel fokussieren. Hat aber nicht funktioniert. Die Zeichnung gefällt mir trotzdem. Es ist ein optimistisches Bild. Die nackte Prostituierte gleich darunter, von Modigliani, ist im Gegensatz dazu sehr traurig (sowohl das Bild als auch die Frau). Nun blicke ich in das vergleichsweise größere Pastellkreidenbild rechts daneben, das ich mein Kratzelbild nenne. Dessen kleine, hellblauen fleckenhaften Flächen im linken oberen Bereich des von einem hauptsächlich grünen Kranz von kräftigen Kreidestrichen umschlossenen Strichchaos faszinieren mich immer wieder und hellen mich auf. Es wirkt so, als gäbe dieses Bild einen Durchblick aus einem Tunnel heraus ins Freie, Offene, wenn nicht zum Himmel hin, wobei der imaginäre Betrachter im Bild schon nahe am Ende des Tunnels steht, wo es schon etwas heller ist, allerdings von dunklen Strichen durchzogen, als wäre der Tunnel zumindest in seinem Randbereich von braunem, wuchernden Gewächs durchsetzt. Trotzdem ist auch dieses Bild wegen diesem hellen Durchblick, der fast über das Bild hinaus geht, optimistisch. Ich lenke meinen Blick wieder zur kleinen Zeichnung zurück und wehmütig verweile dort noch ein wenig.


(11.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3811 Der Fensterplatz

 



11:29 a.m. Whow! Mein Stammplatz ist besetzt, nur mehr der Vierertisch am Fenster ist frei. Ich frage, ob der reserviert ist und weil nicht, setze ich mich hin. Da hätte ich mich sonst nie hinsetzen getraut, weil das die vier schönsten Plätze sind und das meiner angeborenen (?) Bescheidenheit nicht passt (Nur die Lumpe sind bescheiden – der alte Kotzbrocken und Dieb Goethe; stimmt zwar so nicht, denn es gibt auch echte Bescheidenheit, aber hier könnte es passen). Was für ein schöner, direkter Blick auf den Gehsteig und den Schanigarten! Hier werde ich wegen dem größeren Blickfeld, der geringeren Distanz und der schönen Aussicht besser schreiben können. Ein Fensterplatz! Ein wenig zieht es hier, vor allem wenn die Lokaltür geöffnet wird. Ich bin noch völlig ohne Kaffee, aber der Cappuccino wird schon zubereitet. Es hat gerade geregnet, aber jetzt ist die Sonne durchgekommen und beleuchtet sogar über ein Fenster an der gegenüber liegenden Häuserfront meinen Tisch. Ein Fensterplatz an der Sonne (wenn auch auf Umwegen), der reine Luxus! Der Cappuccino ist da. Der erste Schluck (erst der zweite Schluck wird voll gut schmecken).

Das Fensterplatzglück war nur von kurzer Dauer. Jetzt ist eines der kleinen Tischchen frei geworden und der Kellner bittet mich, den Platz zu wechseln. „Selbstverständlich!“ sage ich und räume zuerst den Stoß mit der abgelegten Jacke, mein Notizbuchtascherl, meine Kappe (ich bin zur Zeit elegant unterwegs: dunkle Anzughose, schöne schwarze Lederjacke, leichte Sommerkappe) an den neuen alten Platz, trage dann Notizbuch und Stift von der einen Tischfläche zur anderen, zuletzt trage ich das Tablett mit dem Kaffee und dem Glas Wasser zum anderen Tisch. Ich hatte selber daran gedacht, den Platz zu wechseln, als ich mitbekommen habe, das ein Platz an einem kleineren Tisch frei geworden ist, aber dann habe ich mir gedacht: Ach was! Heute bleibe ich am Luxusplatz, am Fensterplatz, am Platz an der Sonne sitzen und nehme auch einmal viel Raum ein!

Und dann: okay! Ich sehe das ja voll ein und wenigstens zieht es hier nicht. Okay! Ich werfe das rote Bändchen vom Notizbuch auf den wieder roten Kaffeehaustisch und muß mich doch bemühen, nicht gekränkt zu sein (Oida! - der innere Spötter). Darum schaue ich in den Spiegel: Garderobe mit ein paar Jacken, der Kopf eines vorbeieilenden Kellners, die blaue Wand, teilweise über das dortige Fenster aufgehellt. Nun richte ich meinen Blick auf die Bar, die vielen glitzernden Flaschen und Gläser verwirren meine Wahrnehmung, aber ich gewöhne mich daran. Übrigens: die Musik aus den Boxen ist richtiger Barjazz, so mit Saxophon, dezentem Piano und noch dezenterem Schlagzeug.

Ich wundere mich, wie sehr mich die „Vertreibung“ vom Fensterplatz beschäftigt. Zunächst ist mir ja alles ganz normal und selbstverständlich vorgekommen – was es ja auch ist – aber jetzt arbeitet meine innere Mythenproduktion auf Hochtouren. Naja, kurz war ich in einem euphorischen Zustand da am Fensterplatz in der indirekten Sonne und regelrecht high: ich am besten Platz im ganzen Lokal! Und: heute nehme ich das an und halte meinen Anspruch auf das Beste aus! Heute erlauben es mir die Götter! Heute muß ich kein Paria sein!

Ich bin wirklich weg vom Fenster! (so! Jetzt ist Schluß mit dem Gejammer! Warum soll ein einzelner Gast, der nur Kaffee trinkt und nicht speist, einen Vierertisch besetzen, und sich ein Paar, das speisen wird, auf einen kleinen Tisch quetschen? Sei froh, dass du auf einem Zweiertisch allein sitzen darfst! So ein blöder, überheblicher, ungerechter und lumpiger Eigendünkel! Schluß damit! - der innere … was? … Korrektor? … Aufpasser? … Inquisitor? …).

Pause. Zeitung lesen. (Erstens habe ich ja zunächst gefragt, ob ich an den Fenstertisch setzen kann.) (und zweitens werden sie ein paar Jahre nach deinem Tod an deinem Stammplatz eine Tafel anbringen: hier saß der berühmte Schriftsteller blablabla stundenlang bei einem Kaffee und hat herumgeschaut und geschrieben, und am Fensterplatz: hier ist der berühmte Schriftsteller blablabla einmal zwei Minuten lang gesessen und wollte gerne länger sitzen, mußte dann aber den Platz freigeben – der innere Spötter.) (Eine andere Lösung wäre: ganz reich werden und den Vierertisch am Fenster besetzen, frühstücken und dem Lokal zusagen, die Konsumation vierfach zu bezahlen – also los! Werde reich! - der innere Spötter.) Schluß! Zeitung!

So! Ich habe mich einigermaßen durchgefaltert und bin jetzt auf andere Gedanken gekommen. Auf welche weiß ich noch nicht so genau.

13:23. Ich drehe mich auf meinem Platz (rechts von meinem Stammplatz) nach rechts und schau von da zum Fenster hinaus. Der Wind beugt die Platanenzweige auch nach rechts, er kommt aus dem wirtschaftsliberaleren Westen. Sitze ich gerade und normal ausgerichtet, schaue ich nach 270°W. Jetzt will ich mich einfach zurücklehnen. Die verschiedenen Geräusche interferieren und lassen in ihrem Chaos meine Gehörrationalität kollabieren. Dabei bin ich recht gut im Zusammenhalten respektive Zusammenspannen von akustischer Diversität (früher, bei manchen noch mit Kassetten vom Radio aufgenommenen Musikstücken habe ich die Störgeräusche, Dreinredereien und die durch wie auch immer zustande gekommenen Abbrüche entstandenen abrupten Schnittstellen (Song 1 springt auf Song 2) gut als musikalisches Gesamtkunstwerk integrieren können). Trotzdem: mir ist zum Heulen, dass ich von den Göttern (von niemand anderem) vom Fensterplatz zurückgepfiffen wurde (das gibt eine gelbe Karte! - der innere Korrektor). Gelbe Karte! Hoffentlich gewinnt heute wenigstens unsere Fußballnationalmannschaft ordentlich, deutlich und überlegen (Ja. 4:0 – der Tipper.)

Was kann ich hier noch tun? Nichts! Gar nichts!


(10.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3810 Nur ein paar Nähte

 



9:15 a.m. Mein strahlendes Zimmer! Im Traum vorhin wurde ich gekündigt, weil ich – angeblich! - minderwertige Schokolademedaillons bestellt hatte. Natürlich zu unrecht, denn ich hatte nach Rücksprache mit meiner Vorgesetzten so gehandelt. Sei’s drum! Was habe ich überhaupt mit Schokolade zu tun? Trotzdem zittere ich noch. Ganz klar ist mir der Fall nicht, ich kann die Geschichte nicht vollständig rekonstruieren. Warum aber noch das Unbehagen hier in der Alltagswelt? Das Licht in meinem Zimmer ist stumpfer geworden. Das Zittern nimmt in der Leibesmitte zu. Weil mir der heutige Arzttermin eingefallen ist? Der ist harmlos, da werden nur ein paar Nähte gezogen. Ich denke nach: solche „offiziellen“ Termine machen mir immer Stress. Ich habe Angst, einen Fehler gemacht zu haben, zum Beispiel die falsche Zeit notiert oder dass ich die richtige Zeit oder sonst etwas vergessen habe. Es ist die Angst, vor einer Autorität nicht bestehen zu können. Diese Angst versaut mir schon die ganze Zeit mein Leben. Warum haben die so viel Macht über mich?

Ich ruhe mich jetzt einfach aus, bis sich mein inneres Zittern gelegt hat. Ich lasse meiner Seele diese Zeit und lege das Schreibzeug weg.


(9.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3809 Geniekult

 



2:06 a.m. Ich bin nicht so müde, wie ich sein sollte. Um meinem Herzen zieht es ein wenig, mein Bauch gluckert, mein Kreuz gibt Ruh und meine Augen sind offen. Ein paar lichtbeschienene Staubflanken sehe ich vor meinem Gesicht schweben (ist Flanke die richtige entdiminutivierte Form von Flankerl?). Mein umadum irrender Blick saugt sich an der Schlummernden Frau von Johann Baptist Reiter fest, was eine mittlere elegische Stimmung auslöst. Das Raubtier vom Kokoschka daneben scheucht meinen Blick wieder zurück aus dieser Gegend. Ich versuche nochmals auf die schlummernde Frau zu schauen, aber der Blick wird abgelenkt und landet oben bei den zwei Visionären von Neuvalis, die mich mit ihren riesigen Augen anglurren. Ich werde also beobachtet, oder sehen die ganz was anderes? Übrigens: Geniekult geht mir inzwischen total auf den Wecker (für dich besteht da keine Gefahr; verstehst du, wie ich das meine? - der innere Spötter). Das Bettzeug der Schlummernden ist sehr schön gemalt: realistisch und ausgesprochen malerisch (wiewohl ich nicht unbedingt ein Anhänger des Realismus bin). Nun kratze ich mir den Hinterkopf und gähne. Ein wenig drehe ich den Kopf hin und her, um mit meinen Augen auch blicktechnisch schwerer zu erreichende Bilder zu betrachten. Manche Bilder meiner Blickperipherie sind mir ganz fremd und ich habe keine Ahnung, von wem sie sind. Ich werde jetzt auch nicht die Kunstkarten, die ich so mühsam an die spröde und widerständige Wand getackert habe, umdrehen, um Künstler und Titel rauszubekommen, und dabei riskieren, dass die Klammern herausfallen. Nein, das mache ich nicht; ich werde mich flach legen.

Ich habe es doch gemacht: der mit der Schlummernden heißt nicht Richter, wie ich angenommen habe, sondern Reiter. Einer heißt Wukounig, eines – erstaunlich! - ist ein untypischer Miro, und ein anderes ein Nolde – was ich auch nicht mehr wußte. Nur das Linz von Kokoschka hatte ich gekannt. Dabei habe ich alle Karten selbst gekauft und angetackert!

Das genügt für heute.


(9.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 8. Oktober 2024

3808 Ein wenig sekkieren

 



10:49 a.m. Ahhh! Der erste Schluck vom Cappuccino. Den Standard habe ich schon am Tisch liegen und ein paar Zeilen gelesen. Beim Herfahren ins Espresso Burggasse hatte ich großen Spaß, den Ministerialrat Secky (zufällige Begegnung; mir scheint, er kennt mich nicht mehr – verständlicherweise!) ein wenig zu sekkieren (allein schon des Wortspiels wegen) – (ich hatte mich in sein Gespräch mit einer Frau, das er in der U-Bahn angezettelt hat, frech eingemischt). Aber jetzt: Zeitung und Kaffee!

Nach der Lektüre ist vor der Schreiberei. Ich horche in mich hinein und ermahne mich, das Genießen nicht zu vergessen. Ich schaue durch meine Augen draußen herum, und das ist zunächst einmal drinnen im Lokal. Als ich mich nach rechts beuge, um mein linkes Bein über das rechte zu schlagen, schiebt die Dame am übernächsten Tisch rechts ihre links neben ihr abgelegte Handtasche näher zu sich, als fürchtete sie, ich würde sie ihr rauben. Meinem kurz nach rechts gebeugtem Oberkörper genügend Platz zu verschaffen, kann nicht der Grund gewesen sein, weil da - sagen wir – zwei Meter Abstand sind. Ich schwanke zwischen Ärger über ihre Unterstellung, ein Dieb zu sein, und heimlicher Freude und Genugtuung darüber, dass sie mir lebensuntüchtigen, dualitätsschwachen und harmlosen Trottel so eine Tat, so eine Vorteils- und Gelegenheitnutzungskompentenz zutraut, aber auch der Warnung des inneren Aufsehers, keine voreiligen Schlüsse aus dem Verhalten der Frau zu ziehen. Ich betrachte seit langem zum ersten Mal wieder das Hirschgeweih rechts hoch oben in der rechtesten Nische der blauen Wand. Es ist immerhin ohne Taferl und anderem jägerischen Schnickschnack einfach der Totenschädel des Hirschen mit seinem Geweih. Das reine Faktum, sozusagen, ohne festgeschriebene Legende. In der Nische links daneben sitzen fünf Projektoren aufgereiht wie Spatzen auf dem Dach und in der dritten links befindet sich die Soundanlage. Jetzt muß ich aufs Klo, der Kaffee treibt (auch das ist einfach ein Faktum).

Ich komme mit der Kleinen Zeitung zum Platz zurück und werde sie gleich durchblättern, nachdem ich mein links von mir abgelegtes Zeugs (Jacke, Notizbuchtasche, Kappe) näher an mich herangeschoben habe. Vorher bestelle ich beim zufällig vorbeigekommenen Kellner den zweiten Cappuccino, was ich vor seinem Auftauchen in der Nähe noch gar nicht wußte, dass ich das tun werde. (Übrigens: für die Produktplatzierungen in meinen Texten werde ich nicht bezahlt!) (Würde ja auch nichts bringen, da sie nur vereinzelt gelesen werden – der innere Spötter.) Nun aber ist es höchste Zeit, beim Fenster hinaus zu schauen und was ich da sehe ist der Frühherbst als Ambiente und einige wenige Personen darin (Schanigarten). Ungewöhnliche Niesanfälle – einer nach dem andern – überfallen mich und treiben mir die Tränen in die Augen – womit habe ich das verdient? (weil du den Secky sekkiert hast – der innere Spötter). Ich nehme die Brille ab, lege sie auf das Kaffeehaustischchen und schneuze mich gründlich. Dann blicke ich zum Spiegel: Weinregal, Fensterausschnitt, und der Kopf der davor sitzenden Frau mit erschrockenem Gesicht, weil an der benachbarten Theke gerade Geschirr laut aufgeschlagen wurde oder ist (je nachdem, ob es der Kellner hingeschleudert hat, oder ob er es ihm aus der Hand gefallen ist). Ich glaube, ich bin nun am Zenit meiner Kaffeeeuphorie, am Höhepunkt der Glückseligkeit, von nun an geht’s bergab. Das zweite zum Cappuccino servierte Schnittchen esse ich nicht. Die zweibirnige Lampe in der Fensternische hinten strahlt so schön und sichtbar, und wenn ich länger hinschaue – so bilde ich mir ein – kann ich die Korpuskel herumsprühen sehen (Mein Gott!! Oida!!! - der innere Spötter). Mein Gott! Macht mir die Formulierei Spaß! Ich muß innerlich lachen über das, was ich machen könnte. Ich schaue wieder Richtung Spiegel und denke mir, die Verdoppelung der Welt darin ist lediglich Platzhalter für beziehungsweise Schutz vor dem, was wirklich dahinter ist – die Lücke in der Wahrnehmung muß abgedeckt werden; die Lichtstrahlen werden zurückgeworfen, weil sie der Spiegel nicht mag; er will lieber das Fenster zur anderen Welt sein. Anscheinend hat er noch nicht verstanden, dass er mit der Zurückwerferei genau das verhindert. „Ach was! Trink aus und geh heim!“ - der innere Regisseur.

Auffällig ist, dass mit mir auch eine Dreiergruppe und eine Zweiergruppe das Lokal verlässt – obwohl vorher diesbezüglich längere Zeit nichts geschehen ist. Wäre interessant, welche Bilder die Zeit gerade auswirft, auf die offensichtlich fast die Hälfte der Lokalbesucher reagiert. Und Entscheidungen werden im Unbewußten getroffen.

12:57. auf der Wanderung nach Hause – es ist ein schöner, warmer Herbsttag – raste ich – wie so oft und gerne – Am Gestade und betrachte die schönen alten frühneuzeitlichen Häuser (wie dort an der Tafel steht), die wahrlich eine Augenweide sind – zumindest für meine Augen – während der Mistkübel links von mir fürchterlich nach Zigarettenstummel stinkt und mein blau-metallisé-Pilotstift wie fast immer spinnt und ich durch auf die Spitze vorne und ins geöffnete Farbbehälterröhrchen spucken Farbabgabe und Schreibfähigkeit nicht wirklich verbessere. Auf der Bank gegenüber ißt ein Paar versonnen und schweigsam ihre – vermutlich – Schnitzelsemmel oder einen Dönersandwich, während die junge Frau daneben in ihr – vermutlich – Smartphone starrt. Es ist das wirklich ein schöner Platz mit einem Brunnen, der an einen betrügerischen Bader erinnern soll. Würde ich gerne in diesen alten Häuser wohnen? Käme darauf an, wie groß die Wohnung wäre und wie gut die Beleuchtung. Was soll jedoch diese müßige Spekulation? Ich sollte froh sein, dass ich nicht obdachlos bin und meine Kemenate und ihr Rundherum zur Verfügung habe! Der Mistkübel links von mir wird soeben ausgeleert; bin neugierig, ob das den Gestank verringert. Ja, mir kommt vor, er ist schwächer geworden, fast weg. Ein Hoch auf die Wiener MA 48!

Mir gefällt heute auch die mit Platten ausgelegte, großzügige Fläche vor mir und wie sie – wirklich großzügig und einladend – in die Stiege zur Maria am Gestade hinauf übergeht. Ich würde hier an diesem für meine seine Romantisierung anfälligen Ort länger sitzen, wenn ich nicht pinkeln und damit weitergehen müßte [ich würde ja des geliebte Wort brunzen, als Intensivform zum leider ausgestorbenen Verbum brunnen bevorzugen (wie fliehen – flitzen, schneiden – schnitzen, sprühen – spritzen etc.), aber ich lasse davon ab, weil ich nicht gar so pubertär rüberkommen möchte, obwohl meine Liebe zu diesem Wort zu 80% sprachlich bedingt ist!]. Der Mistkübel stinkt doch noch nach Zigarettenkippen (für meine deutschen LeserInnen) und erst jetzt bemerke ich, dass an der Hauswand links hinter mir ein rauchender junger Mann herumsteht. Gleich melden sich Mißtrauen, Unsicherheit und ein wenig Angst, dass hier irgendein fragwürdiger Treffpunkt ist, den ich in meiner Weltfremdheit und Naivität als solchen nicht mitbekommen habe. Meine Ratio sagt mir, dass das vermutlich falsch ist, aber ich muß wegen meinen Harndrang sowieso weitergehen. Ein kleines, gelbes Lindenblatt segelt vor meinem Gesicht zu Boden, aber jetzt wirklich Aufbruch!

Die Benützung der öffentlichen Toilettenanlagen in der U-Bahnstation Schottenring – und solche Anlagen betrete ich immer mit ungutem Gefühl – funktioniert klaglos (abgesehen davon, dass der Gebläsetrockner fürn Hugo – um nicht Arsch zu sagen – ist) und erleichtert, übermütig und gegen jede Romantik habe ich für den Weg über die Augartenbrücke – ich bin vom Wandern schon müde – den Einunddreißiger genommen und bin dann zur Augartenapotheke vor gegangen, um mir Wärmepflaster für den Rücken und Spray für den Nagelpilz zu besorgen. Auf den letzten Metern nach Hause merke ich: ich schwitze schon ungut vom Föhn und vom übergekippten Kaffeerausch, richtiger: von der Überdosis Koffein.


(8.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3807 Bereit für die Außenwelt

 



8:08 a.m. der Fensterrabe schaukelt, weil ich das Rollo hochgezogen habe, um das hellgraue Morgenlicht in mein Zimmer zu lassen. Ich selber zittere noch von den Traumreisen in unbekannte Welten, an die ich mich jedoch nicht erinnern kann, und muß mich erst erfangen. Langsam beruhigt sich auch die am stärksten aufgewühlte Körpermitte. Aber immer noch spüre ich dort die Wellen aus dem Unendlichen anrollen und auftreffen. Die tiefen Atemzüge, die den Schutzschild dort stärken, kommen ganz von allein, ohne bewußtes Zutun.

Das rote Notizbuchbändchen mit seinem herausgezogenen Zickzackfaden kommt recht gut auf meinem weißen, mit blauer Graphik bedruckten Bettzeug (was kann das schon bezeugen? Den nächtlichen Angstschweiß vielleicht?). Ein paar Bücher drüben im Regal glänzen im Leselampenlicht. Meine Ohren surren laut wie immer in der Stille. Ich befehle meiner linken Hand, die sich an das Notizbuch klammert, loszulassen, die Finger zu strecken und zu bewegen. Es gibt auch undefinierbare Geräusche im ganzen inneren und äußeren Akustikkonglomerat. Ich glaube, jetzt bin ich bald bereit für die Außenwelt.


(8.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3806 Augen schließen und schlafen

 



0:17 a.m. Müde geworden habe ich mich nach all den mühsamen, aber notwendigen Verrichtungen zu Bett gelegt und gelesen. Und nun bin ich ganz müde (die rote Farbe meiner Schrift, die mir immer noch braun vorkommt, ist ganz fremd in ihrer blaugeschriebenen Umgebung und sticht fast unangenehm hervor). Ich bin so müde, dass ich gleich Notizbuch und Schreibzeug weglegen werde, mich flach legen, die Augen schließen und schlafen.


(8.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3805 Frösteln

 



13:15. Im Hof 5. Schöne sonnenbeschienene Hausfront; und da das Licht seitlich einfällt: wunderschöne Schatten der dezent gestalteten Barock(?)fassaden. Ein völlig leerer Fahrradabstellplatz. Kastanien, so weit ich sehen kann, die dort im diagonal anderen Eck könnten Linden sein. Ich weiß nicht, ob das hier eine Idylle ist: das Leid der hier über die Jahrhunderte behandelten Kranken – behandelt so oder so – die Krankheit oder die Patienten - müßte hier überall gespeichert sein. Die Wiese ist von erstaunlich jungem Grün; die schattigen Bereiche wirken herbstlich. Der Himmel ist komplett blau, auch das recht hell. Meine Blickrichtung ist 128° SO. Oh! Jetzt ist ein Fahrrad ganz am Rad abgestellt. Eine Brise bewegt die Zweige der Kastanien und bearbeitet meinen Nacken. Zwei Läuferinnen: die eine läuft, stoppt, läuft wieder; die andere geht. Die Schatten der Fassade bilden wirklich scharfe, interessante Formen. Plaudernde, lachende Studierende. Dröhnende Flugzeuge, heulende Polizeisirenen und ein bißchen Baustelle und Autoverkehr. Aber optisch ist es hier ruhig.

Beim Weggehen durch das Tor zu den Stiegen hinunter wärmt mir zunächst die Sonne den Rücken, unten im Schatten jedoch liefert die Bestattung Wien die Toten an. Mich fröstelt und ich will nicht meinen Leichnam der Universität zur Verfügung stellen. Ich gehe schnell durch und steige geschwind die Stiege hinauf in den sonnigen Bereich und dem Ausgang zu.


(Wichtige Anmerkung des Tippers: der Titel ist keine Anspielung auf Th. B.!)


(7.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3804 Training des Sicherheitsgefühls

 



0:38 a.m. Die Leselampe will nicht nach oben gerichtet bleiben. Oh! Jetzt hat sie fünf Sekunden die Position Lichtstrahl nach oben auf die gegenüber liegende Wand gehalten, dann hat sie sich wieder in einer erschöpften Drehung herunter fallen lassen. Na gut, dann net, sie draht si um und … man schreibt bei nach unten gerichtetem Lichtstrahl. Das läßt mir jedoch keine Ruh, ich dreh und schraub immer noch an der Lampe herum; dabei habe ich bei den fünf Sekunden Ausleuchtung der Bücherregalwand mit den vielen Kunstkarten gegenüber und die drei Bilder oben und die eine schöne Photographie von der winterlichen Riesneralmwaldabfahrt schon bemerkt, dass das, was die nächtliche Schreibanregung betrifft - zumindest in der kurzen Zeit - gar nichts gebracht hat. Nein, ich bekomme das nicht hin: die Lampe hält nicht in der gewünschten Position. Ah! Ich müßte die Gegenschraube mit einem Schraubenzieher fixieren. Dazu stehe ich jetzt aber nicht vom Bett auf und krame in den Werkzeugladen herum (herum: ich kramete schließlich einmal dort und einmal da, weil ich doch gar nicht weiß, wo genau das passende Werkzeug ist); das lasse ich heute sein.

So horche ich in die nächtliche Stille und schaue die reichlich bebilderte Seitenwand des Holzkastens am Fußende des Bettes an. Ich höre gedämpfte Schritte, aber es ist unklar, aus welcher Richtung sie kommen. Meine Ohren dröhnen fast so laut wie nach einem extrem lauten Popkonzert. In diesem … komplex zusammengesetzten … wie kann ich sagen? … Klang meine ich eine Grundschwingung herauszuhören. Eine Komponente klingt wie ein ferner, laufender Motor, aber das wird es wohl nicht sein (weil dieser Ton ständig da ist, egal zu welcher Zeit ich lausche).

Meine Augen sind mir jetzt zugefallen und ich sehe etwas wie eine graue bis braune schwitzende Hausfassade.

Mein Zimmer wirkt immer noch recht sauber. Als mir die Augen wiederum zugefallen sind, sehe ich meine Eltern sich mit einem Hund abgeben; das passt überhaupt nicht zu ihnen. Jetzt klingt in meiner Geräuschkulisse etwas recht deutlich nach rotierenden Motoren, eine Expertin scheint mir das erklären und erläutern zu wollen, aber sie ist gleich wieder verschwunden. Einer – es könnte ein Bekannter sein – erklärt, dass das zum Training des Sicherheitsgefühls geschieht. Ich suche nochmals die Augen offen zu halten und die Bilder an den Wänden anzuschauen. Als wieder in der inneren, eher dunklen Szenerie ein paar Leute vorbeispazieren, gebe ich auf und lege mich schlafen (1:22 a.m.).


(7.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 4. Oktober 2024

3803 Regengeprassel

 



7:07 a.m. Ich liege in der dunklen Kammer, nur am Rande der Rollo (sic!) steht ein bläulicher Lichtstreifen, und ich höre den Regen prasseln. Wie froh ich bin, im Trockenen zu sitzen! Angenommen, ich wäre obdachlos. Düstere Gedanken suchen mich heim, vor denen ich im Bett verkrochen bleibe (die seelischen und geistigen Abläufe sind nicht immer rational; zurückhaltend ausgedrückt). Vom Sound her würde ich sagen: da hat sich irgendwo am Dach oder an der Wand draußen – auf einem Fensterbrett zum Beispiel – Wasser angesammelt, ist dann übergelaufen, sodann laut und schnell tropfend abgeronnen, dass sich das Geräusch deutlich vom normalen Regengeprassel abgehoben hat, und hat sich schlußendlich immer langsamer und spärlicher werdend ausgetropft.

Im Wegsinken in die Traumwelt haben wir (Ö!) Deutschland besetzt und müssen uns jetzt mit den Folgen des Überfalls herumschlagen. Und L. schaut aus dem Fenster – mehr weiß ich dazu auch nicht. Wieder zurück stelle ich erneut fest, dass ich das Geräusch der Regentropfen gern habe. Inzwischen fährt der Zug durch einen Tunnel (drüben!). Ich interviewe den Romanautor und stelle ihm eine Frage (drüben!).


(4.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3802 Der Tipper

 



0:33 a.m. Der Holzrabe hat sich wieder umgedreht und schaut jetzt wieder ins Zimmer! Ich habe nichts gemacht, nur an seinem Schnürl gezogen, um seine Flügel anzuheben, damit ich beim Öffnen der Fenster mit den Fensterflügeln an ihm vorbeikomme. Der Rabe hängt nämlich immer beim Fenster herum und dort ist es ein wenig beengt.

Ich will jetzt das Leselampenlicht hinauf zu Mali Lošinj, Rettenschoess und Veli Lošinj richten, damit die ein wenig beleuchtet werden, aber das funktioniert nicht, weil die Lampe diese Stellung nicht halten kann und sich immer wieder zurück zum Boden dreht. Gut, dann beschreibe ich halt diese drei Bilder nicht zum fünfhunderteinundsechzigsten Mal! Ich drehe meinen Kopf nach rechts zur redlich beleuchteten Wand und erwische optisch das tigerartige Raubtier von Kokoschka und die nackte Frau im Bett vom … Dings – verdammt! Ich merke mir keine Namen mehr. Heute habe ich in meinem Bücherstapel (die Bücher, für die kein Platz mehr in den Regalen ist) einen Roman gefunden, von dem ich nicht nur vergessen hatte, dass ich ihn besitze, sondern auch, dass es diesen Roman und seinen Autor gibt – der war mir völlig unbekannt – und nicht nur das: ich hatte auch vergessen, dass ich ihn vor nicht allzu langer Zeit gelesen hatte, aber als ich jetzt den Roman zu lesen begonnen hatte, kam mir die Szene mit dem Mordversuch am Icherzähler inmitten von Seerosen bekannt vor, aber sonst ist vom Inhalt überhaupt nichts mehr da, gar nichts. Nada. Niente.


(Das Bild: Johann Baptist Reiter, Schlummernde Frau; der Roman: Stefan Schwarz, Die Großrussin – der Tipper).


(4.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 3. Oktober 2024

3801 Fffhhhmmm

 



12:42. An meinem Arbeitsplatz im Espresso Burggasse. Rundherum für mich gemütliche Geschäftigkeit und sonst Lesen und Reden. Der Blick im Spiegel zeigt mir wieder das an die Wand gestellte Weinregal und wenn die Lokaltür geöffnet wird, auch diese selbst im geöffneten Zustand. Warum das interessant und überlieferungswürdig ist? Keine Ahnung! Die Wege Gottes sind unergründlich. Denn: warum geschieht alles so, wie es geschieht, inklusive der Tatsache, dass ich das aufschreibe? Die zweibirnige Lampe in der Fensternische drüben ist sehr schön; ich mag meistens die alte Modernität. Übrigens: die Tafel an der Wand wurde offensichtlich nicht mit Kreide beschriftet, sondern mit einem Ankündigungsplakat behängt (mittels Tixo). (Ankündigung zu einer Sauerbierverkostung.) Ich mag diesen Raum – ich sitze im ersten – mit seinen großen, Auslagenfenstern zur Straße hin und dort mit der geschickt der stark befahrenen Burggasse abgeluchsten Grünfläche mit Schanigarten, den ich jedoch nie benütze, weil ich lesen und schreiben in geschlossenen (nicht verschlossenen) Räumen in Analogie zur Sprache bevorzuge. Das alles ändert nichts daran, dass ich völlig aus der Zeit gefallen bin und hier so eine Art Asyl gefunden habe, die Illusion von Öffentlichkeit und Resonanz. In Wirklichkeit verstehe ich auch hier wie überall sonst nicht, was geschieht. Aber fürchten tu ich mich hier nicht! Und das ist schon was!

Das Lokal ist heute recht voll. Im Spiegel erscheint nun ein Kopf, aber der ist wohl nicht von einem Scout eines anorganischen Lebewesens, sondern der der Frau, die vor dem Spiegel sitzt. Ein Hund ist auch in die Schenke (pardon!) gekommen. Die Menschen hier sind alle lebenstüchtiger als ich, aber ich lese besser wieder in einer Zeitung, als da weiterzumachen. Ablenkung ist alles.

13:43. Fffhhhmmm! Ein Schnaufer! Die kleine Schnittenpackung (als Beigabe zum Cappuccino) halte ich beim Öffnen über den Abgrund zwischen den Tischchen, auf dass die Brösel zu Boden fallen und nicht auf meinen Tisch. Im Spiegel – das sehe ich erst jetzt – bemerke ich etwas, das ich überhaupt nicht zuordnen kann. Nach längerer optischer Analyse und gedanklicher Anstrengung komme ich zum Schluß, dass das die Rückseiten von auf die drübere Fensterscheibe aufgeklebten Pickerl sein könnten – eine Vermutung, auf die ich über die Betrachtung der nun geöffneten Eingangstür, die auch mit Aufklebern bepickt ist, gekommen bin. Soweit zum permanenten Erkenntnisfortschritt im Universum und in der menschlichen Geisteswelt. Beim Versuch, vom roten Notizbuchbandl einen abstehenden Faden abzuzupfen – was natürlich nicht gelingt, weil der in selbigen eingewebt ist – habe ich das schöne Bandl aufgesplisst, in gewisser Weise verlängert, weil jetzt dieser Faden, an den ich gezogen habe, in einem an sich schönen roten Zickzack weit über das vorgesehene Ende des Bändchens hinaushängt. Als Wiedergutmachung ans Universum habe ich dem Augustinverkäufer ein Exemplar der Zeitung abgekauft. Dann bin ich auf die Toilette gegangen und jetzt nach der Rückkehr bin ich ratlos und werde heimgehen, denke ich.


(3.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3800 Ego te absolvo

 



9:17 a.m. Der CD-Turm wackelt und das macht mich nervös. Aber die frisch geweißten Hauswände im Lichtschacht strahlen herein, dass es eine Freude ist. Übrigens: der häufigste Familienname in Österreich ist Gruber. Meine Augen weiden sich an den Farben und Formen der Bücher, Bilder und Kunstkarten und speziell an denen der frankophonen Schweizerin (sie lehnt, wenn ich so wie jetzt im Bett hocke, ziemlich genau in der Mitte meines Gesichtsfeldes). Aber mein Blick bleibt letztlich dezentral; er saugt sich doch nicht an einzelnen Bildern fest, sondern genießt das Gesamtambiente, die farbliche und förmliche Gesamtsituation, dieses vertraute, jetzt aber aufgefrischte Setting mit Bett. So ermuntert und aufgeladen werde ich nun zum Frühstück aufstehen und in die Küche hinunter gehen. (In Wirklichkeit hat er vorher noch die Blumen gegossen und ein paar Rückenübungen absolviert – der Korrektor.)


(3.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3799 Schwefelgelb

 



0:48 a.m. Jetzt hat sich der Holzrabe von mir weggedreht und will zum Fenster hinaus fliegen, aber das kann er nicht, weil ich das Fenster geschlossen und die Rollo (die Rollo – ich rede wie es mir passt! Ich lasse mir doch von denen da oben nichts vorschreiben!) heruntergelassen habe. Somit kann er gegen das gelbe Plastikmaterial gaffen. Anscheinend jedoch denkt er nicht daran, sich wieder herzudrehen. (Das Rot der Tinte meines Pilotstiftes kommt mir seit zwei, drei Tagen eher braun vor; in etwa wie geronnenes Blut (auch lustig, dass das geronnene Blut nicht mehr rinnt, aber gut: Vergangenheit und Gegenwart – der innere Übertreiber.) Zuerst war ich sehr müde, nun bin ich es nicht mehr. Meine Augen gleiten sanft (schon wieder! - der innere Spötter) über die bebilderten Wände und starren dann in den dunkleren Bereich des Zimmers weiter bis zur Bücherwand. Töne dringen an meine besurrten Ohren, die könnten von Musik aus dem Nachbarhaus stammen, aber sind so leise und undeutlich, dass ich es nicht klar erkennen kann. „Poch! Poch!“ ist lautmalerischer als „klopf! Klopf!“ - zumindest wenn man es mit hohlen Körpern zu tun hat. Meine Beine sind so unruhig und für einen Moment habe ich aus den Augenwinkeln einen großen, schwefelgelben Flecken auf meiner linken Hand gesehen.


(3.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 2. Oktober 2024

3798 Ite missa est

 



11:13 a.m. Hier und jetzt bin ich milieuglücklich – hier, das ist das Espresso Burggasse, jetzt, das könnt ihr an Datum und Uhrzeit ablesen. Ich habe nämlich im Lokal zufällig Freunde aus dem Westen getroffen. Ärgern tu ich mich nur, weil der hellblaue, fast türkise Pilotstift schon wieder spinnt, aber ich habe ihn kurzerhand ausgetauscht (dunkelblau) und somit ist mir das schon wieder egal (fürchtest du nicht politische Missinterpretationen? - der innere Misstrauer). Die Musik ist angenehm, hat die richtige Lautstärke und lockert die herbstliche Düsternis auf. Die Schallwellen der Tischgespräche rundherum branden übereinandergelagert sanft an mein Gehör. Der Spiegel an der Wand spiegelt das Selbe wie gestern, nur die Kleidungsstücke an der Garderobe könnten andere sein. Ich schaue auf mein Handy, ob es neue Nachrichten gibt (ja). Einem Kellner fällt ein Glas hinunter und zerbricht am Fußboden; schon kehrt er die Scherben auf. Eine junge Frau zeigt die nackte Rückseite ihres Bauches zwischen Hose und Weste (kompliziert genug ausgedrückt? - der innere Spötter); ich mach mir Sorgen um ihr Kreuz und ihre Nieren (ha, ha, im Ernst? - der innere Spötter). Wie geht es weiter? Ich weiß es nicht. Die Kellnerin photographiert eine servierfertige Tasse Kaffee bevor sie serviert wird. Platane, Platane! dein Stamm ist so schön und deine Blätter tanzen so lieb im sanften Wind. Melancholische Musik, die ich überhaupt nicht kenne, wo ein junger Mann so richtig schön heult, bevor der Rapsingsang kommt (der selbe Sänger? Ein anderer?) - auf alle Fälle ein schöner Song, der mit einem wunderbar traurigen Chor ausklingt (traurig auf die Musik bezogen, nicht auf den Chor als solchem).

Ich blicke wieder zum Spiegel und ein Schauder durchläuft meinen Leib von oben nach unten. Vermutlich wartet schon ein anorganisches Lebewesen hinter dem Spiegel, dass es hervorkommen kann und hat mich seine Anwesenheit fühlen lassen, damit ich ihm helfe. Aber leider bin ich in solchen Techniken zu schlecht und unerfahren. Jetzt stellt sich heraus: was ich bei der jungen Frau als nackte Haut am unteren Rücken gesehen habe, war ein beiges Leiberl unter der Weste, und was ich für die hervorlugende Unterhose (muß man da nicht Höschen schreiben? – der innere Spötter) gehalten habe, war ein Stück nackte Haut. Ich weiß auch nicht, was diese Lichtstrahlen respektive Korpuskeln im Raum und beim Passieren meines Brillenglases so alles aufführen. Ich kann diese Sinnestäuschung fast nicht glauben. Die Kellnerin steigt auf die Sitzbank links um die Ecke und nimmt die Photos von der Tafel und löscht die alte Kreideschrift und wird sie wohl zum vom Universum freigegebenen Zeitpunkt mit den heutigen Menüvorschlägen beschriften. Meine Schreibhand will ständig an der von meinem Frühstück bekleckerten Tischplatte festpicken, aber ich bin stärker! Das mit dem Rücken der jungen Frau könnte doch ganz anders gewesen sein – wie mir jetzt vorkommt – aber ich forsche da nicht mehr nach. Die Lokaltür wird zum Lüften aufgemacht und sofort muß ich immer wieder niesen und rinnt mir die Nase. Ich ziehe meinen schönen, warmen kürbisorangen Pullover an. Übrigens: das rote Notizbuchbandl lasse ich auf der roten Tischplatte ausgestreckt liegen. Beim nervösen Herumtun (Kaffee!) fällt mir meine schöne Strohschirmmütze von der Sitzbank zu Boden.

13:06. Ich habe vergessen zu notieren, dass ich die Kappe sofort aufgehoben und auf die Sitzbank gelegt habe. Und jetzt? Keine Ahnung! Ich öffne die Verpackung der zum Kaffee mitgelieferten kleinen Schnitte und mache dabei ein verzerrtes Gesicht, als würde ich Schwerarbeit verrichten. Dann stecke ich mir das Schnittenstücklein – nur von Daumen und Zeigefinger gehalten – die anderen Finger abgespreizt – in klerikaler Gestierung mit leicht vorgebeugtem Haupt langsam und konzentriert in den Mund. Mit Kaffee nachgespült. Schon wieder will mir ein Name nicht einfallen! Dessen Träger hat soeben das Lokal betreten. Hubert! Aber der Nachname will nicht auftauchen. … Scheibl! (Dein Prominentendings ist peinlich! Lass ihn hier doch unbehelligt essen! - der innere Kritiker.) Nun kommt ein Schluck Wasser dran. Mein Aufenthalt hier neigt sich dem Ende zu. Ite missa est. Das giltet auch für euch, liebe LeserInnen.


(2.10.2024)

©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3797 Das Gehölz vom Mosbacher

 



0:31 a.m. Das Gehölz vom Mosbacher sticht mir in Form einer Kunstkarte in die Augen (schrecklich diese Redewendung, wenn sie eines wörtlich nähme) und mein Holzrabe hat heute vorm gelben Rollo so schön und bereitwillig die Flügel ausgebreitet (er hat sich an seinen durchsichtigen Plastikschnüren hängend ein wenig in meine Richtung gedreht – was er sonst nicht macht – und in dieser frontalen Ansicht wirken seine Flügel besonders groß und lang).

Der Wille zum Schreiben erschlafft gerade, aber das geht nicht! Das lasse ich nicht zu!


(2.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 1. Oktober 2024

3796 Abgespachtelt

 



11:54 a.m. 11: Zahl des Uranus; 54: mein Geburtsjahr – wird jetzt meine Geburt aufgehoben? Im Ernst: ich sitze wieder im Espresso Burggasse – inzwischen glaube ich, dass mir der werktägliche Cafébesuch zusteht – schaumamal ob mich die GöttInnen dabei so weit unterstützen, dass ich mir das leisten kann. Die Musik ist angenehm (ich schiebe das rote als Lesezeichen einlegbare Bandl meines Notizbuches, das sich mit dem Rot der Resopal(?)tischplatte unangenehm schlägt, unter das Notizbuch, damit ich diesen farblichen Zusammenstoß nicht anschauen muß). (Um dieses Phänomen besser beschreiben zu können, hole ich das Bandl wieder unterm Notizbuch hervor und lasse es wie vorhin am Tisch liegen und jetzt beginnt mir diese Kombination der zwei Rots zu gefallen: wie das hellere Rot des Bändchens aus der dunkler roten Tischfläche hervorleuchtet und so als ein Versprechen der Möglichkeit einer frischeren, jüngeren, erneuerten Lebendigkeit erscheint – darum lasse ich es jetzt so liegen.)

Ich drehe mich nach rechts indem ich das andere Bein überschlage und blicke so zum Fenster hinaus auf den farblich so schönen Stamm der Platane, deren trotz leicht gelblichem Einschlag noch grüne Blätter an ihren Zweigen im leichten, ganz leichten Wind schaukeln.

Nun blicke ich im Lokal herum und ein trauerunterlegtes Glück (Cappuccino 1) erfüllt mein Inneres und treibt mich in eine ein wenig lächerliche Rührung – aber das macht nichts! Das ist ok! Schließlich läßt man mich hier leben und ich fürchte mich nicht, hier attackiert, geschlagen oder angezündet zu werden. Hier darf ich sein. Hier kann ich schreiben, wenn auch diese Texte untergehen werden (das zum Beispiel ist auch eine Komponente der unterlegten Trauer – dass sie keine öffentliche Resonanz finden werden – ich mach aber auch nichts um das zu ändern, dafür fehlen mir Energie und Selbstverständlichkeit). Da ich heute am Tisch rechts meines Stammplatzes sitze, sehe ich im Spiegel an der Wand gegenüber einen anderen, verschobenen Ausschnitt der Wirklichkeit als letztens: das Garderobengestell mit ein paar Jacken, das Fenster sehe ich nicht, aber sein hereingelassenes Tageslicht auf der hellblauen Wand leuchten, das ungefähr halbrunde Gestell zur Aufhängung des Türvorhangs, der im Winter (oder schon im Herbst oder noch im Frühjahr) die Kälte beim Öffnen der Lokaltür abfängt. Rechts vom Spiegel, vor fünf gerahmten Photos, steht eine Flasche mit brennender Kerze. Ich hebe den Kopf in den Nacken und betrachte die Pracht der abgespachtelten, aber nicht mehr übermalten Decke, sodass die alten Farbschichten ihre Schönheit in beeindruckender, fleckiger Kombination zeigen können. Dann trinke ich meinen Kaffee aus und mache mich auf den Heimweg.


(1.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3795 Vorm Frühstück

 



7:06 a.m. In meinem Zimmer ist es noch finster, weil ich wegen des Baugerüstes im Lichtschacht – das zur Zeit zwar verwaist ist, aber man kann ja nie wissen – die Jalousie nicht hochgezogen habe; solange ich im Pyjama bin will ich nicht gesehen werden. So trudelt der Morgen bloß akustisch ein, indem Radiogeräusche und vereinzelt das von Geschirr aus der Küche ganz gedämpft durch die offene Tür hereinkommen, denn aus der Stadt höre ich nichts. Ich genieße diese Stille und atme tief durch. Aber jetzt wird irgendwo vielleicht geschliffen oder doch eher laubgeblasen und das nervige Gejaule wird zur Herausforderung für meine Morgenbetrachtung. Ich lege meinen Kopf leicht seitlich auf den Polster zurück und schließe die Augen. Mein Kreuz scheint heute relativ friedlich zu sein.

Ich bin kurz eingenickt und bereite mich innerlich aufs Aufstehen und Weiterkäm … - äh – Frühstücken vor.


(1.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3794 Meine Montagstexte

 



13:36. Meine Montagstexte kommen fast immer aus einem der Höfe des Alten AKH, wobei ich den größten Hof 1 vermeide, weil ich dieses Gau-geile Gebräu, wo auch gestern die Nazis waren, nicht einmal sehen will, mit ihren idiotischen Tafeln auf Stangen (schon die hässliche Ästhetik von Hinrichtungsstätten mit den Tafeln mit den Aufschriften der angeblichen, aber in Wahrheit unterstellten Verbrechen? Zumindest jedoch Prangerstangen zur Demütigung der „Anderen“!). So bin ich heute wieder in Hof 3 und es ist ein schöner Herbsttag. Der Wind streicht sanft durch grünes, gelbes, braunes Laub; es säuselt in den Bäumen und am Boden rascheln die abgestorbenen, abgefallenen Blätter. Irgendein Maschinensingsang kombiniert mit dem Rauschen eines Flugzeugs. Der Himmel ist unpolitisch blau. Eigentlich wäre das meine Zeit, der Herbst, aber ich glaube an keine Zeit mehr, die mit mir noch etwas vorhat. Es geht nur um Ausharren und Aushalten. Wie schön die Sonne herscheint! Ein einzelnes Blatt da drüben im Gebüsch wird vom Wind unaufhörlich und viel mehr als die anderen herumgeschüttelt und herumgedreht, als würde er es permanent ohrfeigen und dann ausreißen wollen. Der Schotter knirscht unter den Schritten der Passanten. Aufbruch zum Therapietermin.


(30.9.2024)


©Peter Alois Rumpf September 2024 peteraloisrumpf@gmail.com