Mittwoch, 2. Oktober 2024

3798 Ite missa est

 



11:13 a.m. Hier und jetzt bin ich milieuglücklich – hier, das ist das Espresso Burggasse, jetzt, das könnt ihr an Datum und Uhrzeit ablesen. Ich habe nämlich im Lokal zufällig Freunde aus dem Westen getroffen. Ärgern tu ich mich nur, weil der hellblaue, fast türkise Pilotstift schon wieder spinnt, aber ich habe ihn kurzerhand ausgetauscht (dunkelblau) und somit ist mir das schon wieder egal (fürchtest du nicht politische Missinterpretationen? - der innere Misstrauer). Die Musik ist angenehm, hat die richtige Lautstärke und lockert die herbstliche Düsternis auf. Die Schallwellen der Tischgespräche rundherum branden übereinandergelagert sanft an mein Gehör. Der Spiegel an der Wand spiegelt das Selbe wie gestern, nur die Kleidungsstücke an der Garderobe könnten andere sein. Ich schaue auf mein Handy, ob es neue Nachrichten gibt (ja). Einem Kellner fällt ein Glas hinunter und zerbricht am Fußboden; schon kehrt er die Scherben auf. Eine junge Frau zeigt die nackte Rückseite ihres Bauches zwischen Hose und Weste (kompliziert genug ausgedrückt? - der innere Spötter); ich mach mir Sorgen um ihr Kreuz und ihre Nieren (ha, ha, im Ernst? - der innere Spötter). Wie geht es weiter? Ich weiß es nicht. Die Kellnerin photographiert eine servierfertige Tasse Kaffee bevor sie serviert wird. Platane, Platane! dein Stamm ist so schön und deine Blätter tanzen so lieb im sanften Wind. Melancholische Musik, die ich überhaupt nicht kenne, wo ein junger Mann so richtig schön heult, bevor der Rapsingsang kommt (der selbe Sänger? Ein anderer?) - auf alle Fälle ein schöner Song, der mit einem wunderbar traurigen Chor ausklingt (traurig auf die Musik bezogen, nicht auf den Chor als solchem).

Ich blicke wieder zum Spiegel und ein Schauder durchläuft meinen Leib von oben nach unten. Vermutlich wartet schon ein anorganisches Lebewesen hinter dem Spiegel, dass es hervorkommen kann und hat mich seine Anwesenheit fühlen lassen, damit ich ihm helfe. Aber leider bin ich in solchen Techniken zu schlecht und unerfahren. Jetzt stellt sich heraus: was ich bei der jungen Frau als nackte Haut am unteren Rücken gesehen habe, war ein beiges Leiberl unter der Weste, und was ich für die hervorlugende Unterhose (muß man da nicht Höschen schreiben? – der innere Spötter) gehalten habe, war ein Stück nackte Haut. Ich weiß auch nicht, was diese Lichtstrahlen respektive Korpuskeln im Raum und beim Passieren meines Brillenglases so alles aufführen. Ich kann diese Sinnestäuschung fast nicht glauben. Die Kellnerin steigt auf die Sitzbank links um die Ecke und nimmt die Photos von der Tafel und löscht die alte Kreideschrift und wird sie wohl zum vom Universum freigegebenen Zeitpunkt mit den heutigen Menüvorschlägen beschriften. Meine Schreibhand will ständig an der von meinem Frühstück bekleckerten Tischplatte festpicken, aber ich bin stärker! Das mit dem Rücken der jungen Frau könnte doch ganz anders gewesen sein – wie mir jetzt vorkommt – aber ich forsche da nicht mehr nach. Die Lokaltür wird zum Lüften aufgemacht und sofort muß ich immer wieder niesen und rinnt mir die Nase. Ich ziehe meinen schönen, warmen kürbisorangen Pullover an. Übrigens: das rote Notizbuchbandl lasse ich auf der roten Tischplatte ausgestreckt liegen. Beim nervösen Herumtun (Kaffee!) fällt mir meine schöne Strohschirmmütze von der Sitzbank zu Boden.

13:06. Ich habe vergessen zu notieren, dass ich die Kappe sofort aufgehoben und auf die Sitzbank gelegt habe. Und jetzt? Keine Ahnung! Ich öffne die Verpackung der zum Kaffee mitgelieferten kleinen Schnitte und mache dabei ein verzerrtes Gesicht, als würde ich Schwerarbeit verrichten. Dann stecke ich mir das Schnittenstücklein – nur von Daumen und Zeigefinger gehalten – die anderen Finger abgespreizt – in klerikaler Gestierung mit leicht vorgebeugtem Haupt langsam und konzentriert in den Mund. Mit Kaffee nachgespült. Schon wieder will mir ein Name nicht einfallen! Dessen Träger hat soeben das Lokal betreten. Hubert! Aber der Nachname will nicht auftauchen. … Scheibl! (Dein Prominentendings ist peinlich! Lass ihn hier doch unbehelligt essen! - der innere Kritiker.) Nun kommt ein Schluck Wasser dran. Mein Aufenthalt hier neigt sich dem Ende zu. Ite missa est. Das giltet auch für euch, liebe LeserInnen.


(2.10.2024)

©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite