Dienstag, 8. Oktober 2024

3808 Ein wenig sekkieren

 



10:49 a.m. Ahhh! Der erste Schluck vom Cappuccino. Den Standard habe ich schon am Tisch liegen und ein paar Zeilen gelesen. Beim Herfahren ins Espresso Burggasse hatte ich großen Spaß, den Ministerialrat Secky (zufällige Begegnung; mir scheint, er kennt mich nicht mehr – verständlicherweise!) ein wenig zu sekkieren (allein schon des Wortspiels wegen) – (ich hatte mich in sein Gespräch mit einer Frau, das er in der U-Bahn angezettelt hat, frech eingemischt). Aber jetzt: Zeitung und Kaffee!

Nach der Lektüre ist vor der Schreiberei. Ich horche in mich hinein und ermahne mich, das Genießen nicht zu vergessen. Ich schaue durch meine Augen draußen herum, und das ist zunächst einmal drinnen im Lokal. Als ich mich nach rechts beuge, um mein linkes Bein über das rechte zu schlagen, schiebt die Dame am übernächsten Tisch rechts ihre links neben ihr abgelegte Handtasche näher zu sich, als fürchtete sie, ich würde sie ihr rauben. Meinem kurz nach rechts gebeugtem Oberkörper genügend Platz zu verschaffen, kann nicht der Grund gewesen sein, weil da - sagen wir – zwei Meter Abstand sind. Ich schwanke zwischen Ärger über ihre Unterstellung, ein Dieb zu sein, und heimlicher Freude und Genugtuung darüber, dass sie mir lebensuntüchtigen, dualitätsschwachen und harmlosen Trottel so eine Tat, so eine Vorteils- und Gelegenheitnutzungskompentenz zutraut, aber auch der Warnung des inneren Aufsehers, keine voreiligen Schlüsse aus dem Verhalten der Frau zu ziehen. Ich betrachte seit langem zum ersten Mal wieder das Hirschgeweih rechts hoch oben in der rechtesten Nische der blauen Wand. Es ist immerhin ohne Taferl und anderem jägerischen Schnickschnack einfach der Totenschädel des Hirschen mit seinem Geweih. Das reine Faktum, sozusagen, ohne festgeschriebene Legende. In der Nische links daneben sitzen fünf Projektoren aufgereiht wie Spatzen auf dem Dach und in der dritten links befindet sich die Soundanlage. Jetzt muß ich aufs Klo, der Kaffee treibt (auch das ist einfach ein Faktum).

Ich komme mit der Kleinen Zeitung zum Platz zurück und werde sie gleich durchblättern, nachdem ich mein links von mir abgelegtes Zeugs (Jacke, Notizbuchtasche, Kappe) näher an mich herangeschoben habe. Vorher bestelle ich beim zufällig vorbeigekommenen Kellner den zweiten Cappuccino, was ich vor seinem Auftauchen in der Nähe noch gar nicht wußte, dass ich das tun werde. (Übrigens: für die Produktplatzierungen in meinen Texten werde ich nicht bezahlt!) (Würde ja auch nichts bringen, da sie nur vereinzelt gelesen werden – der innere Spötter.) Nun aber ist es höchste Zeit, beim Fenster hinaus zu schauen und was ich da sehe ist der Frühherbst als Ambiente und einige wenige Personen darin (Schanigarten). Ungewöhnliche Niesanfälle – einer nach dem andern – überfallen mich und treiben mir die Tränen in die Augen – womit habe ich das verdient? (weil du den Secky sekkiert hast – der innere Spötter). Ich nehme die Brille ab, lege sie auf das Kaffeehaustischchen und schneuze mich gründlich. Dann blicke ich zum Spiegel: Weinregal, Fensterausschnitt, und der Kopf der davor sitzenden Frau mit erschrockenem Gesicht, weil an der benachbarten Theke gerade Geschirr laut aufgeschlagen wurde oder ist (je nachdem, ob es der Kellner hingeschleudert hat, oder ob er es ihm aus der Hand gefallen ist). Ich glaube, ich bin nun am Zenit meiner Kaffeeeuphorie, am Höhepunkt der Glückseligkeit, von nun an geht’s bergab. Das zweite zum Cappuccino servierte Schnittchen esse ich nicht. Die zweibirnige Lampe in der Fensternische hinten strahlt so schön und sichtbar, und wenn ich länger hinschaue – so bilde ich mir ein – kann ich die Korpuskel herumsprühen sehen (Mein Gott!! Oida!!! - der innere Spötter). Mein Gott! Macht mir die Formulierei Spaß! Ich muß innerlich lachen über das, was ich machen könnte. Ich schaue wieder Richtung Spiegel und denke mir, die Verdoppelung der Welt darin ist lediglich Platzhalter für beziehungsweise Schutz vor dem, was wirklich dahinter ist – die Lücke in der Wahrnehmung muß abgedeckt werden; die Lichtstrahlen werden zurückgeworfen, weil sie der Spiegel nicht mag; er will lieber das Fenster zur anderen Welt sein. Anscheinend hat er noch nicht verstanden, dass er mit der Zurückwerferei genau das verhindert. „Ach was! Trink aus und geh heim!“ - der innere Regisseur.

Auffällig ist, dass mit mir auch eine Dreiergruppe und eine Zweiergruppe das Lokal verlässt – obwohl vorher diesbezüglich längere Zeit nichts geschehen ist. Wäre interessant, welche Bilder die Zeit gerade auswirft, auf die offensichtlich fast die Hälfte der Lokalbesucher reagiert. Und Entscheidungen werden im Unbewußten getroffen.

12:57. auf der Wanderung nach Hause – es ist ein schöner, warmer Herbsttag – raste ich – wie so oft und gerne – Am Gestade und betrachte die schönen alten frühneuzeitlichen Häuser (wie dort an der Tafel steht), die wahrlich eine Augenweide sind – zumindest für meine Augen – während der Mistkübel links von mir fürchterlich nach Zigarettenstummel stinkt und mein blau-metallisé-Pilotstift wie fast immer spinnt und ich durch auf die Spitze vorne und ins geöffnete Farbbehälterröhrchen spucken Farbabgabe und Schreibfähigkeit nicht wirklich verbessere. Auf der Bank gegenüber ißt ein Paar versonnen und schweigsam ihre – vermutlich – Schnitzelsemmel oder einen Dönersandwich, während die junge Frau daneben in ihr – vermutlich – Smartphone starrt. Es ist das wirklich ein schöner Platz mit einem Brunnen, der an einen betrügerischen Bader erinnern soll. Würde ich gerne in diesen alten Häuser wohnen? Käme darauf an, wie groß die Wohnung wäre und wie gut die Beleuchtung. Was soll jedoch diese müßige Spekulation? Ich sollte froh sein, dass ich nicht obdachlos bin und meine Kemenate und ihr Rundherum zur Verfügung habe! Der Mistkübel links von mir wird soeben ausgeleert; bin neugierig, ob das den Gestank verringert. Ja, mir kommt vor, er ist schwächer geworden, fast weg. Ein Hoch auf die Wiener MA 48!

Mir gefällt heute auch die mit Platten ausgelegte, großzügige Fläche vor mir und wie sie – wirklich großzügig und einladend – in die Stiege zur Maria am Gestade hinauf übergeht. Ich würde hier an diesem für meine seine Romantisierung anfälligen Ort länger sitzen, wenn ich nicht pinkeln und damit weitergehen müßte [ich würde ja des geliebte Wort brunzen, als Intensivform zum leider ausgestorbenen Verbum brunnen bevorzugen (wie fliehen – flitzen, schneiden – schnitzen, sprühen – spritzen etc.), aber ich lasse davon ab, weil ich nicht gar so pubertär rüberkommen möchte, obwohl meine Liebe zu diesem Wort zu 80% sprachlich bedingt ist!]. Der Mistkübel stinkt doch noch nach Zigarettenkippen (für meine deutschen LeserInnen) und erst jetzt bemerke ich, dass an der Hauswand links hinter mir ein rauchender junger Mann herumsteht. Gleich melden sich Mißtrauen, Unsicherheit und ein wenig Angst, dass hier irgendein fragwürdiger Treffpunkt ist, den ich in meiner Weltfremdheit und Naivität als solchen nicht mitbekommen habe. Meine Ratio sagt mir, dass das vermutlich falsch ist, aber ich muß wegen meinen Harndrang sowieso weitergehen. Ein kleines, gelbes Lindenblatt segelt vor meinem Gesicht zu Boden, aber jetzt wirklich Aufbruch!

Die Benützung der öffentlichen Toilettenanlagen in der U-Bahnstation Schottenring – und solche Anlagen betrete ich immer mit ungutem Gefühl – funktioniert klaglos (abgesehen davon, dass der Gebläsetrockner fürn Hugo – um nicht Arsch zu sagen – ist) und erleichtert, übermütig und gegen jede Romantik habe ich für den Weg über die Augartenbrücke – ich bin vom Wandern schon müde – den Einunddreißiger genommen und bin dann zur Augartenapotheke vor gegangen, um mir Wärmepflaster für den Rücken und Spray für den Nagelpilz zu besorgen. Auf den letzten Metern nach Hause merke ich: ich schwitze schon ungut vom Föhn und vom übergekippten Kaffeerausch, richtiger: von der Überdosis Koffein.


(8.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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