Montag, 14. Oktober 2024

3817 Die kleine Ameise

 



16:02. Ich sitze zu ungewöhnlicher Stunde im Esbege (auch ich kann Abkürzungen! (Achtung! Leicht irreführend!)), am Zweierplatz direkt links vom viersitzigen Fensterplatz. Cappuccino numero II. Die Stimmung ist irgendwie anders, ohne das mystifizieren zu wollen (was heißt das jetzt genau? - der innere Spötter). Naja, dass die andere Stimmung mit der Tageszeit, mit mir zu dieser anderen Tageszeit, mit den gleichartigen Gästen vom Vormittag zu dieser anderen Tageszeit, mit anderen Gästen zu dieser Tageszeit zu tun haben kann oder auch nicht, und dass ich daraus nicht allzuviel ableiten kann. Ein Nachmittag ist ein Nachmittag ist ein Nachmittag. Eine winzig kleine Ameise krabbelt über mein Notizbuchblatt, recht flott eigentlich. Hat sie Angst, weil sie ihre Herde verloren hat? Wo kommt sie überhaupt her? Was hat sie für Überlebenschancen, auch wenn ich sie vorm Zuklappen des Notizbuches entferne? Wo kann ich sie sinnvollerweise hin tun? Ihr enormes Tempo deute ich als Panik, ebenso ihr unsinniges (?) Hin und Her. Ich brauch mich wirklich nicht zu beklagen! 70 Jahre nicht zu Tode zerquetscht worden zu sein, das ist schon sehr, sehr viel. Jetzt ist die Ameise verschwunden. Irgendwo zwischen die Blätter gekrabbelt? Jetzt ist sie wieder da. Nun ist sie wieder verschwunden (ich verliere sie ständig aus den Augen, so rast sie herum). Jetzt ist sie wieder da. Ihr Lauf behindert mich beim Schreiben: ständig muß ich mit dem Pilotstift, mit meiner Schreibhand, mit der linken Hand, die das Notizbuch – tendenziell immer zu fest – festhält, ausweichen. Jetzt läuft sie quer über die leere rechte Seite. Eine liniengraphische Anregung für den Parcour meiner Schrift kann ich nicht erkennen (ich hoffe halt immer, dass das Universum zu mir spricht). Jetzt hat sie meinen linken Daumenstumpf erklettert. Nun ist sie auf dem beigen Pulloverärmel. Vielleicht ist es so am besten. Aber wenn ich sie so nach Hause trage, werden sie die dort heimischen Ameisen töten? Ich glaub schon. Nein, ich brauch mich über mein Leben wirklich nicht beklagen! Außer ich hätte die Ameise schon von zu Hause mitgebracht - was mir unwahrscheinlich vorkommt – hätte sie dann eine Überlebenschance? Wenn doch: in welchen Stamm gehört sie? Zu denen im Wohnzimmer unten? Oder zu denen im Atelier heroben? Oder zu denen im Musikzimmer? Und zwischen denen vermute ich auch Kriegszustand. Ich habe sie schon ein paar Minuten nicht gesehen. Ich beginne schon, meine Aufmerksamkeit von ihr abzuziehen und sie weiter dann zu vergessen. Tatsächlich: man muss glauben, dass jedes Lebewesen … seinen Tod … nein, das ist in dieser Welt nicht haltbar! Ein paar Musikstücke jetzt – freilich sind die Boxen auf geringe Lautstärke gestellt - klingen wie von Captain Beefheart, können es jedoch nicht sein, denn sonst würde ich sie kennen (seht ihr?! Die Ameise ist schon vergessen). Nach Hause? (mit oder ohne Ameise, tot oder lebendig). Geschirr ist schon im Spüler, die meiste Arbeit ist getan. Es juckt mich hinterm rechten Ohr; ist da die Ameise hinaufgeklettert? Vielleicht habe ich jetzt beim Versuch – falls sie wirklich dort war – sie herunterzunehmen, zerdrückt? Sie ist so klein und ich sehe nichts. Habe ich mir etwas vorzuwerfen? Ich glaube nicht. Und wenn ich der Zerquetschte wäre? Würdest du dann auch so denken? Besser nach Hause. Zu Fuß? Mit Bus? Gemischt?


(14.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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