Freitag, 11. Oktober 2024

3811 Der Fensterplatz

 



11:29 a.m. Whow! Mein Stammplatz ist besetzt, nur mehr der Vierertisch am Fenster ist frei. Ich frage, ob der reserviert ist und weil nicht, setze ich mich hin. Da hätte ich mich sonst nie hinsetzen getraut, weil das die vier schönsten Plätze sind und das meiner angeborenen (?) Bescheidenheit nicht passt (Nur die Lumpe sind bescheiden – der alte Kotzbrocken und Dieb Goethe; stimmt zwar so nicht, denn es gibt auch echte Bescheidenheit, aber hier könnte es passen). Was für ein schöner, direkter Blick auf den Gehsteig und den Schanigarten! Hier werde ich wegen dem größeren Blickfeld, der geringeren Distanz und der schönen Aussicht besser schreiben können. Ein Fensterplatz! Ein wenig zieht es hier, vor allem wenn die Lokaltür geöffnet wird. Ich bin noch völlig ohne Kaffee, aber der Cappuccino wird schon zubereitet. Es hat gerade geregnet, aber jetzt ist die Sonne durchgekommen und beleuchtet sogar über ein Fenster an der gegenüber liegenden Häuserfront meinen Tisch. Ein Fensterplatz an der Sonne (wenn auch auf Umwegen), der reine Luxus! Der Cappuccino ist da. Der erste Schluck (erst der zweite Schluck wird voll gut schmecken).

Das Fensterplatzglück war nur von kurzer Dauer. Jetzt ist eines der kleinen Tischchen frei geworden und der Kellner bittet mich, den Platz zu wechseln. „Selbstverständlich!“ sage ich und räume zuerst den Stoß mit der abgelegten Jacke, mein Notizbuchtascherl, meine Kappe (ich bin zur Zeit elegant unterwegs: dunkle Anzughose, schöne schwarze Lederjacke, leichte Sommerkappe) an den neuen alten Platz, trage dann Notizbuch und Stift von der einen Tischfläche zur anderen, zuletzt trage ich das Tablett mit dem Kaffee und dem Glas Wasser zum anderen Tisch. Ich hatte selber daran gedacht, den Platz zu wechseln, als ich mitbekommen habe, das ein Platz an einem kleineren Tisch frei geworden ist, aber dann habe ich mir gedacht: Ach was! Heute bleibe ich am Luxusplatz, am Fensterplatz, am Platz an der Sonne sitzen und nehme auch einmal viel Raum ein!

Und dann: okay! Ich sehe das ja voll ein und wenigstens zieht es hier nicht. Okay! Ich werfe das rote Bändchen vom Notizbuch auf den wieder roten Kaffeehaustisch und muß mich doch bemühen, nicht gekränkt zu sein (Oida! - der innere Spötter). Darum schaue ich in den Spiegel: Garderobe mit ein paar Jacken, der Kopf eines vorbeieilenden Kellners, die blaue Wand, teilweise über das dortige Fenster aufgehellt. Nun richte ich meinen Blick auf die Bar, die vielen glitzernden Flaschen und Gläser verwirren meine Wahrnehmung, aber ich gewöhne mich daran. Übrigens: die Musik aus den Boxen ist richtiger Barjazz, so mit Saxophon, dezentem Piano und noch dezenterem Schlagzeug.

Ich wundere mich, wie sehr mich die „Vertreibung“ vom Fensterplatz beschäftigt. Zunächst ist mir ja alles ganz normal und selbstverständlich vorgekommen – was es ja auch ist – aber jetzt arbeitet meine innere Mythenproduktion auf Hochtouren. Naja, kurz war ich in einem euphorischen Zustand da am Fensterplatz in der indirekten Sonne und regelrecht high: ich am besten Platz im ganzen Lokal! Und: heute nehme ich das an und halte meinen Anspruch auf das Beste aus! Heute erlauben es mir die Götter! Heute muß ich kein Paria sein!

Ich bin wirklich weg vom Fenster! (so! Jetzt ist Schluß mit dem Gejammer! Warum soll ein einzelner Gast, der nur Kaffee trinkt und nicht speist, einen Vierertisch besetzen, und sich ein Paar, das speisen wird, auf einen kleinen Tisch quetschen? Sei froh, dass du auf einem Zweiertisch allein sitzen darfst! So ein blöder, überheblicher, ungerechter und lumpiger Eigendünkel! Schluß damit! - der innere … was? … Korrektor? … Aufpasser? … Inquisitor? …).

Pause. Zeitung lesen. (Erstens habe ich ja zunächst gefragt, ob ich an den Fenstertisch setzen kann.) (und zweitens werden sie ein paar Jahre nach deinem Tod an deinem Stammplatz eine Tafel anbringen: hier saß der berühmte Schriftsteller blablabla stundenlang bei einem Kaffee und hat herumgeschaut und geschrieben, und am Fensterplatz: hier ist der berühmte Schriftsteller blablabla einmal zwei Minuten lang gesessen und wollte gerne länger sitzen, mußte dann aber den Platz freigeben – der innere Spötter.) (Eine andere Lösung wäre: ganz reich werden und den Vierertisch am Fenster besetzen, frühstücken und dem Lokal zusagen, die Konsumation vierfach zu bezahlen – also los! Werde reich! - der innere Spötter.) Schluß! Zeitung!

So! Ich habe mich einigermaßen durchgefaltert und bin jetzt auf andere Gedanken gekommen. Auf welche weiß ich noch nicht so genau.

13:23. Ich drehe mich auf meinem Platz (rechts von meinem Stammplatz) nach rechts und schau von da zum Fenster hinaus. Der Wind beugt die Platanenzweige auch nach rechts, er kommt aus dem wirtschaftsliberaleren Westen. Sitze ich gerade und normal ausgerichtet, schaue ich nach 270°W. Jetzt will ich mich einfach zurücklehnen. Die verschiedenen Geräusche interferieren und lassen in ihrem Chaos meine Gehörrationalität kollabieren. Dabei bin ich recht gut im Zusammenhalten respektive Zusammenspannen von akustischer Diversität (früher, bei manchen noch mit Kassetten vom Radio aufgenommenen Musikstücken habe ich die Störgeräusche, Dreinredereien und die durch wie auch immer zustande gekommenen Abbrüche entstandenen abrupten Schnittstellen (Song 1 springt auf Song 2) gut als musikalisches Gesamtkunstwerk integrieren können). Trotzdem: mir ist zum Heulen, dass ich von den Göttern (von niemand anderem) vom Fensterplatz zurückgepfiffen wurde (das gibt eine gelbe Karte! - der innere Korrektor). Gelbe Karte! Hoffentlich gewinnt heute wenigstens unsere Fußballnationalmannschaft ordentlich, deutlich und überlegen (Ja. 4:0 – der Tipper.)

Was kann ich hier noch tun? Nichts! Gar nichts!


(10.10.2024)


©Peter Alois Rumpf Oktober 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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