Ich will erzählen, was sich so „backstage“ abgespielt hat,
während ich den „Bus nach Sievering“ in die Endfassung gebracht und eingetippt
habe. Dazu muß ich etwas ausholen.
Ich bin schon irgendwie ein vom Leben, oder besser: von
meinem Leben und was ich darin erreicht habe, enttäuschter Mensch; ob zu recht
oder unrecht ist in diesem Zusammenhang völlig wurscht: ich empfinde mich am
gesellschaftlichen Abstellgeleise und habe mich dort gemütlich eingerichtet.
Das heißt, so leicht bringt man, frau oder ich mich selber nicht aus meinem
Zimmer. Wenn ich tagelang die Wohnung nicht verlasse – was öfters vorkommt –
geht mir – wohlgemerkt vor resignativem Hintergrund! - nichts ab, wenn ich nur
Internet, Musik und zu lesen habe. Solange ich auf Facebook meine mehr oder
weniger witzigen Wortmeldungen, meine mehr oder weniger g'scheiten Beiträge,
und meine mehr oder weniger schlüpfrigen Anmerkungen posten kann, und auf
meiner Schublade meine mehr oder weniger genialen Texte, so will ich's
zufrieden sein. Meine prekäre finanzielle Situation tut ihr Übriges – warum
hinausgehen, wenn ich mir eh nichts leisten kann? - mit Wohnen und Essen bin
ich von meiner Frau versorgt – sonst wäre ich obdachlos. So lebe ich gar nicht
so schlecht, aber mit der Welt direkt habe ich – mehr oder weniger –
abgeschlossen.
Meine liebe Frau ist im Gegensatz zu mir sehr tüchtig und
aktiv; dauernd entwickelt sie Pläne, was sie in ihrer spärlichen Freizeit
unternehmen könnte und unternimmt sehr gerne mit mir. Ich aber leiste meistens
mehr oder weniger passiven Widerstand; ich höre nicht richtig hin, vergesse die
Pläne, bin wegen jeder geplanten Ortsveränderung gleich aus dem Häuschen und
die harmloseste Zugreise zum Beispiel nach Peyerbach-Reichenau kann mir
schlaflose Nächte, Magengrimmen und alle Zustände bereiten (mehr oder weniger).
Aber sie läßt nicht locker und wenn sie es schafft, mich trotz meines Dramas
und mein Geschimpfe aus dem Haus zu bringen, bin ich nachher schon oft froh und
dankbar gewesen (und sage das auch – manchmal).
Ihr neuester Plan, den sie schon seit Wochen ausheckt und
verfolgt, ist, am kommenden Samstag von Peyerbach-Reichenau zur
Waldburg-Anger-Hütte aufzusteigen, wo wir früher schon zweimal übernachtet
hatten, als unsere Kinder noch Kinder waren und wo es auch mir sehr, sehr
gefallen hat. Dort hätte ich gerne einmal eine Woche verbracht, um oben
herumzuhängen, auf dieser herrlichen Wiese spazieren zu gehen, zu schreiben oder
so ähnlich. Als ich es mir leisten hätte können und ich angefragt habe, hat
sich herausgestellt, dass es auf dieser Hütte keine Übernachtungsmöglichkeit
mehr gibt und somit mußte ich diesen Plan aufgeben. Meine liebe Frau weiß das
natürlich, dass ich diese Hochebene liebe und dass die Waldburg-Anger-Hütte
keine Übernachtung mehr anbietet, darum geht dieses kommende Samstagprojekt
weiter zur Knofeleben und in die dortige Naturfreundehütte zum Übernachten. Ich
kenne den Weg zur Waldburg-Anger-Hütte und habe die größten Bedenken: ich fühle
mich nicht fit, stelle an mir alle möglichen Schwächen fest, fürchte, dass ich
es nicht mehr schaffe, weil das so eine elender Hatscher ist (vor meinem
Zusammenbruch vor vier Jahren habe ich regelmäßig Übungen gemacht und bin
früher auch wie ein Wahnsinniger herumgerannt). Aber ihr kennt mein Weib nicht!
Sie hat im Internet die Hütte gesucht und gleich ein Zimmer gebucht. Es kommt
ja auch dazu, dass sie das Ganze bezahlen muß – solche Unternehmungen sind
jetzt jenseits meiner finanziellen Möglichkeiten. Das schränkt meinen
Reaktions- und Handlungsspielraum ein; letzteres habe ich gar nicht. Also kann
ich nur ja oder nein sagen. Das mache ich meistens nicht, sondern meckere
herum, äußere Bedenken und Vorbehalte und habe ein furchtbar schlechtes
Gewissen, weil ich eingeladen werden muß, wenn sie mich dabei haben will.
Eine Unsicherheit war die ganze Zeit das Wetter. Im Regen
wollen wir nicht gehen. Seit Wochen geht schon die Frage um: wie wird das
Wetter? „Hast du schon den Wetterbericht gelesen?“ fragt sie mich. Ich gebe
ausweichende Antworten oder tendiere zu den pessimistischeren Prognosen, was
das Wetter betrifft. Zwischendurch freunde ich mich mit ihrem Plan jedoch an,
denke „vielleicht schaffe ich das schon“ oder „es ist wirklich ganz toll oben“.
Eine große Sorge hat meine Frau aber schon: es war auf der
Hütte kein Zimmer mit Doppelbett frei, sondern nur eines mit zwei getrennten
Betten. Heute Morgen – wie schon oft erwähnt gehe ich so gegen 3 oder 4 Uhr
schlafen, während sie um 5 zum Yoga aufsteht – wälzt sie nach einer Stunde Yoga
– aus ihrer Sicht mit mir – aus meiner Sicht: laß mich mitten in der Nacht
schlafen – Pläne, wie wir – das heißt sie – das ändern könnten. Vorallem weil
sie gestern oder heute herausgefunden hat, dass man die Betten nicht umstellen
oder verrücken kann. „Verrückt“ denke ich „entweder werde ich eh so fertig
sein, dass ich nur mehr einschlafen kann, oder...“. Sie hat die Idee, die
Matratzen heraus zu nehmen und neben einander zu legen. Ich mag das Herumschieben
von Möbeln oder Matratzen in fremden Häusern nicht und versuche den Einwand
auszusprechen: „Wenn wir vorm Einschlafen noch kuscheln wollen, dann kommst
halt zu mir ins Bett, und dann ...“ sie: „...dann ist mir in meinem Bett kalt!“
Ich: „Gut, dann komme ich zu dir und gehe dann ...“ Sie: „Nein, das ist nicht
kuschelig“ …
Ja, sie ist dann aufgestanden, hat ihren Enkel abgeholt und
ist mit ihm zu ihrem Vater gefahren (39A). Ich habe noch eine halbe Stunde im
Bett verbracht, bin dann auch auf und habe begonnen, den „Bus nach Sievering“
Text für die Schublade fertig zu machen. Mein Schreiben geht fast immer so:
zuerst handschriftlich ins Notizbuch und dann – nach einer kleinen oder
größeren Pause – wird das Ganze in den Computer getippt, wobei ich korrigiere,
umformuliere ergänze, sehr sehr selten streiche. Zuerst einmal kommt eine SMS
„bin am Rückweg!“ Ich weiß schon was sie denkt: rücksichtsvoll kündige ich mein
Kommen an, dass er vorgewarnt ist und nicht erschrickt und grantig wird;
während ich denke – ich trau mich nicht, es hinzuschreiben: „Na und?!“
Ich mache meine Schreibarbeit weiter, dazwischen eine
Waschmaschine, eine Mahlzeit inklusive Zubereitung und den Geschirrspüler. Dann
sitze ich wieder oben am Computer, meine Angetraute ist zurückgekommen. Eine
Frage schwebt schon den ganzen Tag im Raum: wird es am Wochenende regnen? Wir
neigen dazu, es zu riskieren. Natürlich ist es ein Risiko: abgesehen von meiner
Fitness: ich kenne meine Frau: wenn es regnet und ihr kalt ist, wird sie sehr
unleidlich. Es ist nicht nur einmal vorgekommen, dass sie mich zu einem
Spaziergang hinausgejagt hat, und wir dann, als es angefangen hat mir zu
gefallen, umdrehen mußten, weil ihr kalt geworden ist. Die Vorstellung, bei
Kälte und auch nur leichten Regen – wie es laut Wetterbericht nicht
ausgeschlossen ist - mit ihr irgendwo da oben herumzuirren und ihr –
Verzeihung! - Gejammer anzuhören, ist nicht so anziehend. Denn ich solchen
Situationen kann ich mich meistens ins Unvermeidliche schicken und setze dann
einfach einen Fuß vor den andern – das ist die andere Seite meiner Passivität –
obwohl ich ansonsten aufs Jammern abonniert bin. Und ich kann ihr dann auch
nicht helfen. Aber wir bleiben beide dabei: wir gehen. Ich sitze wieder oben am
Computer und arbeite weiter am Bus-Text. Da kommt von unten der Ruf „Peter! Der
Wetterbericht sagt, es regnet den ganzen Tag!“ Ich unterbreche meine
Schreiberei und gehe hinunter, um mit meiner lieben Frau die Situation zu
besprechen. Ich schlage vor, selbst einen Wetterbericht zu konsultieren. Ich
gehe wieder hinauf an mein Laptop und bei meinem Wetterbericht schaut es nicht
so dramatisch aus: kalt, aber Niederschlagswahrscheinlichkeit 20%. Ich gehe
wieder hinunter und wir sind unschlüssig. Ich gehe wieder hinauf und rufe einen
anderen Wetterbericht auf: Regen. Ich gehe wieder hinunter. Meine Frau ist
jetzt für absagen. Ich will ihr gar nicht gleich offen zustimmen, weil ich
befürchte, ich habe ihr mit meiner Bedenkerei den Spaß verdorben. Sie scheint
jetzt entschlossen zu sein zu stornieren, aber hat auch Bedenken, dass sie mich
dabei overrollt und ich enttäuscht bin. Als das so halbwegs geklärt ist,
entscheiden wir uns fürs Absagen. Ich gehe rauf und an den Computer und arbeite
weiter. Ich bin wieder am Formulieren, Nachdenken, Schreiben … da werde ich
unten wieder gerufen. Der Hüttenwirt schreibt in seiner Antwort, dass wir wegen
der knappen Absage den halben Preis aufs Konto sowieso zahlen mögen – damit
habe ich gerechnet – und dass es am Wochenende nicht regnen wird; sein
Wetterbericht prognostiziert Bewölkung, aber trocken. Wieder Aufregung, wieder
Diskussion: meine Angetraute will jetzt doch gehen. Ich stimme zu und gehe
wieder hinauf und schreibe den Bustext fertig. Fertig!
(26.5.2022)
©Peter Alois Rumpf
Mai 2022 peteraloisrumpf@gmail.com