Freitag, 27. Mai 2022

2713 Backstage Busgeschichte

 

Ich will erzählen, was sich so „backstage“ abgespielt hat, während ich den „Bus nach Sievering“ in die Endfassung gebracht und eingetippt habe. Dazu muß ich etwas ausholen.

Ich bin schon irgendwie ein vom Leben, oder besser: von meinem Leben und was ich darin erreicht habe, enttäuschter Mensch; ob zu recht oder unrecht ist in diesem Zusammenhang völlig wurscht: ich empfinde mich am gesellschaftlichen Abstellgeleise und habe mich dort gemütlich eingerichtet. Das heißt, so leicht bringt man, frau oder ich mich selber nicht aus meinem Zimmer. Wenn ich tagelang die Wohnung nicht verlasse – was öfters vorkommt – geht mir – wohlgemerkt vor resignativem Hintergrund! - nichts ab, wenn ich nur Internet, Musik und zu lesen habe. Solange ich auf Facebook meine mehr oder weniger witzigen Wortmeldungen, meine mehr oder weniger g'scheiten Beiträge, und meine mehr oder weniger schlüpfrigen Anmerkungen posten kann, und auf meiner Schublade meine mehr oder weniger genialen Texte, so will ich's zufrieden sein. Meine prekäre finanzielle Situation tut ihr Übriges – warum hinausgehen, wenn ich mir eh nichts leisten kann? - mit Wohnen und Essen bin ich von meiner Frau versorgt – sonst wäre ich obdachlos. So lebe ich gar nicht so schlecht, aber mit der Welt direkt habe ich – mehr oder weniger – abgeschlossen.

Meine liebe Frau ist im Gegensatz zu mir sehr tüchtig und aktiv; dauernd entwickelt sie Pläne, was sie in ihrer spärlichen Freizeit unternehmen könnte und unternimmt sehr gerne mit mir. Ich aber leiste meistens mehr oder weniger passiven Widerstand; ich höre nicht richtig hin, vergesse die Pläne, bin wegen jeder geplanten Ortsveränderung gleich aus dem Häuschen und die harmloseste Zugreise zum Beispiel nach Peyerbach-Reichenau kann mir schlaflose Nächte, Magengrimmen und alle Zustände bereiten (mehr oder weniger). Aber sie läßt nicht locker und wenn sie es schafft, mich trotz meines Dramas und mein Geschimpfe aus dem Haus zu bringen, bin ich nachher schon oft froh und dankbar gewesen (und sage das auch – manchmal).

Ihr neuester Plan, den sie schon seit Wochen ausheckt und verfolgt, ist, am kommenden Samstag von Peyerbach-Reichenau zur Waldburg-Anger-Hütte aufzusteigen, wo wir früher schon zweimal übernachtet hatten, als unsere Kinder noch Kinder waren und wo es auch mir sehr, sehr gefallen hat. Dort hätte ich gerne einmal eine Woche verbracht, um oben herumzuhängen, auf dieser herrlichen Wiese spazieren zu gehen, zu schreiben oder so ähnlich. Als ich es mir leisten hätte können und ich angefragt habe, hat sich herausgestellt, dass es auf dieser Hütte keine Übernachtungsmöglichkeit mehr gibt und somit mußte ich diesen Plan aufgeben. Meine liebe Frau weiß das natürlich, dass ich diese Hochebene liebe und dass die Waldburg-Anger-Hütte keine Übernachtung mehr anbietet, darum geht dieses kommende Samstagprojekt weiter zur Knofeleben und in die dortige Naturfreundehütte zum Übernachten. Ich kenne den Weg zur Waldburg-Anger-Hütte und habe die größten Bedenken: ich fühle mich nicht fit, stelle an mir alle möglichen Schwächen fest, fürchte, dass ich es nicht mehr schaffe, weil das so eine elender Hatscher ist (vor meinem Zusammenbruch vor vier Jahren habe ich regelmäßig Übungen gemacht und bin früher auch wie ein Wahnsinniger herumgerannt). Aber ihr kennt mein Weib nicht! Sie hat im Internet die Hütte gesucht und gleich ein Zimmer gebucht. Es kommt ja auch dazu, dass sie das Ganze bezahlen muß – solche Unternehmungen sind jetzt jenseits meiner finanziellen Möglichkeiten. Das schränkt meinen Reaktions- und Handlungsspielraum ein; letzteres habe ich gar nicht. Also kann ich nur ja oder nein sagen. Das mache ich meistens nicht, sondern meckere herum, äußere Bedenken und Vorbehalte und habe ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich eingeladen werden muß, wenn sie mich dabei haben will.

Eine Unsicherheit war die ganze Zeit das Wetter. Im Regen wollen wir nicht gehen. Seit Wochen geht schon die Frage um: wie wird das Wetter? „Hast du schon den Wetterbericht gelesen?“ fragt sie mich. Ich gebe ausweichende Antworten oder tendiere zu den pessimistischeren Prognosen, was das Wetter betrifft. Zwischendurch freunde ich mich mit ihrem Plan jedoch an, denke „vielleicht schaffe ich das schon“ oder „es ist wirklich ganz toll oben“.

Eine große Sorge hat meine Frau aber schon: es war auf der Hütte kein Zimmer mit Doppelbett frei, sondern nur eines mit zwei getrennten Betten. Heute Morgen – wie schon oft erwähnt gehe ich so gegen 3 oder 4 Uhr schlafen, während sie um 5 zum Yoga aufsteht – wälzt sie nach einer Stunde Yoga – aus ihrer Sicht mit mir – aus meiner Sicht: laß mich mitten in der Nacht schlafen – Pläne, wie wir – das heißt sie – das ändern könnten. Vorallem weil sie gestern oder heute herausgefunden hat, dass man die Betten nicht umstellen oder verrücken kann. „Verrückt“ denke ich „entweder werde ich eh so fertig sein, dass ich nur mehr einschlafen kann, oder...“. Sie hat die Idee, die Matratzen heraus zu nehmen und neben einander zu legen. Ich mag das Herumschieben von Möbeln oder Matratzen in fremden Häusern nicht und versuche den Einwand auszusprechen: „Wenn wir vorm Einschlafen noch kuscheln wollen, dann kommst halt zu mir ins Bett, und dann ...“ sie: „...dann ist mir in meinem Bett kalt!“ Ich: „Gut, dann komme ich zu dir und gehe dann ...“ Sie: „Nein, das ist nicht kuschelig“ …

Ja, sie ist dann aufgestanden, hat ihren Enkel abgeholt und ist mit ihm zu ihrem Vater gefahren (39A). Ich habe noch eine halbe Stunde im Bett verbracht, bin dann auch auf und habe begonnen, den „Bus nach Sievering“ Text für die Schublade fertig zu machen. Mein Schreiben geht fast immer so: zuerst handschriftlich ins Notizbuch und dann – nach einer kleinen oder größeren Pause – wird das Ganze in den Computer getippt, wobei ich korrigiere, umformuliere ergänze, sehr sehr selten streiche. Zuerst einmal kommt eine SMS „bin am Rückweg!“ Ich weiß schon was sie denkt: rücksichtsvoll kündige ich mein Kommen an, dass er vorgewarnt ist und nicht erschrickt und grantig wird; während ich denke – ich trau mich nicht, es hinzuschreiben: „Na und?!“

Ich mache meine Schreibarbeit weiter, dazwischen eine Waschmaschine, eine Mahlzeit inklusive Zubereitung und den Geschirrspüler. Dann sitze ich wieder oben am Computer, meine Angetraute ist zurückgekommen. Eine Frage schwebt schon den ganzen Tag im Raum: wird es am Wochenende regnen? Wir neigen dazu, es zu riskieren. Natürlich ist es ein Risiko: abgesehen von meiner Fitness: ich kenne meine Frau: wenn es regnet und ihr kalt ist, wird sie sehr unleidlich. Es ist nicht nur einmal vorgekommen, dass sie mich zu einem Spaziergang hinausgejagt hat, und wir dann, als es angefangen hat mir zu gefallen, umdrehen mußten, weil ihr kalt geworden ist. Die Vorstellung, bei Kälte und auch nur leichten Regen – wie es laut Wetterbericht nicht ausgeschlossen ist - mit ihr irgendwo da oben herumzuirren und ihr – Verzeihung! - Gejammer anzuhören, ist nicht so anziehend. Denn ich solchen Situationen kann ich mich meistens ins Unvermeidliche schicken und setze dann einfach einen Fuß vor den andern – das ist die andere Seite meiner Passivität – obwohl ich ansonsten aufs Jammern abonniert bin. Und ich kann ihr dann auch nicht helfen. Aber wir bleiben beide dabei: wir gehen. Ich sitze wieder oben am Computer und arbeite weiter am Bus-Text. Da kommt von unten der Ruf „Peter! Der Wetterbericht sagt, es regnet den ganzen Tag!“ Ich unterbreche meine Schreiberei und gehe hinunter, um mit meiner lieben Frau die Situation zu besprechen. Ich schlage vor, selbst einen Wetterbericht zu konsultieren. Ich gehe wieder hinauf an mein Laptop und bei meinem Wetterbericht schaut es nicht so dramatisch aus: kalt, aber Niederschlagswahrscheinlichkeit 20%. Ich gehe wieder hinunter und wir sind unschlüssig. Ich gehe wieder hinauf und rufe einen anderen Wetterbericht auf: Regen. Ich gehe wieder hinunter. Meine Frau ist jetzt für absagen. Ich will ihr gar nicht gleich offen zustimmen, weil ich befürchte, ich habe ihr mit meiner Bedenkerei den Spaß verdorben. Sie scheint jetzt entschlossen zu sein zu stornieren, aber hat auch Bedenken, dass sie mich dabei overrollt und ich enttäuscht bin. Als das so halbwegs geklärt ist, entscheiden wir uns fürs Absagen. Ich gehe rauf und an den Computer und arbeite weiter. Ich bin wieder am Formulieren, Nachdenken, Schreiben … da werde ich unten wieder gerufen. Der Hüttenwirt schreibt in seiner Antwort, dass wir wegen der knappen Absage den halben Preis aufs Konto sowieso zahlen mögen – damit habe ich gerechnet – und dass es am Wochenende nicht regnen wird; sein Wetterbericht prognostiziert Bewölkung, aber trocken. Wieder Aufregung, wieder Diskussion: meine Angetraute will jetzt doch gehen. Ich stimme zu und gehe wieder hinauf und schreibe den Bustext fertig. Fertig!

 

(26.5.2022)

©Peter Alois Rumpf  Mai 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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