Donnerstag, 26. Mai 2022

2711 Unbenützt und unverrückt

 

Es ist Nachmittag und ich hocke auf dem Bett in die Pölster gelehnt, habe den Mann ohne Eigenschaften beiseite gelegt und betrachte das Spiel des Lichtes beim Fenster drüben. Sonnenflecken hängen an der rechten Fensternische, ein kleiner am Boden unter dem Schreibtisch – mir ist nicht klar, wie der da hingelangt und überhaupt ob die Sonnenflecken direkt oder über das Dachbodenfenster gespiegelt ankommen – ein anderer hat sich flach auf das Deutsch-Englisch-Wörterbuch, das auf dem Schreibtisch bereit liegt, gelegt, ein wenig wird mein Kaffeeheferl von Licht genetzt und ein Gefäß mit irgendeiner esoterischen Gesundheitssubstanz, das dort schon jahrelang, wirklich einige richtige Jahre lang unbenutzt und unverrückt steht, weil ich bald nach der Erwerbung dieses Nahrungsergänzungsmittels wieder aufgehört habe, meine Nahrung damit zu ergänzen, bekommt auf der Staubschicht am Deckel Lichtschimmer ab und an der runden Seite des Deckels zwei kleine, starke, markante Lichtkulminationspunkte. Nun ist es aber so, dass offensichtlich Wolken über den von meiner Höhle hier aus unsichtbaren Himmel ziehen, denn das gelbliche Sonnenlicht wird zeitweise dünn, noch dünner, dann wieder stärker, manchmal verschwinden die Sonnenflecken, um bald wieder erneuert, befreit und erlöst ganz glücklich aufzustrahlen. Ein wunderschönes Schauspiel. Die Bühne abwechslungsreich und mehrstöckig aufgebaut, das Erscheinen und Verschwinden der Lichtgestalten kann ich ahnen, aber nicht voraussehen, bleibt also spannend, ihre langsamen Veränderungen in ihren Formen und ihren Standorten bereiten manchmal beinahe atemberaubende Situationen und Abfolgen. Keine Ahnung, worum es in diesem Theaterstück geht, aber es muß etwas eminent Schicksalhaftes und Lebensentscheidendes sein.

Die Sonnenflecken in der Fensternische sind verschwunden, die Kaffeetasse wird jetzt angestrahlt und der darunter liegende Zeilenspiegel. Auf für mich nicht nachvollziehbaren Wegen leuchtet das Türchen des mittelgroßen Kästchens, das unter dem Schreibtisch steht, und zwar so, als würde es von hinten, also vom Inneren aus beleuchtet werden. Auch ein paar Perlen der Rolloschnur bekommen jetzt Sonnenlicht ab. An den sonnenbeschienenen Teilen des Fensterglases kann ich sehen, wie schmutzig die Fenster schon sind, aber das stört mich nicht. Nichts kann mich aus meiner Betrachtung weglocken.

 

(26.5.2022)

©Peter Alois Rumpf  Mai 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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