2707 Das heimliche Photo meiner Frau
Mitleidig fast, jedenfalls wohlwollend betrachte ich die
vielen lieben Kabel meines CD-Players am Schreibtisch drüben vom Bett aus. So
viele sind sie gar nicht: manche hängen sozusagen doppelt zum Beispiel vom
linken Lautsprecher gen Boden und gehen dann wieder zum Hauptgerät hinauf: mein
unschuldiger Blick nimmt sie als zwei Kabel im Gewirr wahr (oder eigentlich:
unwahr). Eher neutral, aber nicht ganz uninteressiert – vielleicht locken sie
etwas hervor? - schaue ich meine nackten und halbnackten Kunstkarten an; ich
will sogar das Oben-ohne-Photo meiner Frau von vor meiner Zeit aus seinem
Versteck herauskitzeln. Dazu muß ich aufstehen oder zumindest bis ans Bettende
robben, um die Bilderwand am kleinen Kasten zu erreichen, aber: das Versteck
ist leer! Ich bin völlig überrascht! Wie kann das sein? Wohin kann das Bild
verschwunden sein? Mit der herbeigeholten Taschenlampe leuchte ich unter das Bett
und den Kasten, weil es ja – einfach lose hinter ein angetackertes offizielles
Bild meiner Frau mit Parmesan und roter Sauce gesteckt – runtergefallen sein
könnte. Nichts. Ich bin irritiert und ratlos. Zurück in meiner Schreib- Lese-
und Meditationsposition auf dem Bett überlege ich: habe ich mir ein neues
Versteck ausgedacht und dann vergessen? Möglich. Mich interessiert jetzt mehr
der Vorgang des Verschwindens als das Bild als solches. Trotz meines Hanges zu
Magie und Mystizismus – ich glaube, dass Menschen, Tiere, Bäume, Dinge aus
dieser Welt verschwinden können, ohne eine Spur zu hinterlassen, wenn sie mit
ihrer gesamten Energiegestalt, wovon der physische Körper nur ein kitzekleiner
Aspekt ist, der eben auch in das Energiekonglomerat, das alle Dinge und Wesen
in Wahrheit sind, übertragen werden kann und als solches in andere Dimensionen
eingehen – also trotzdem glaube ich hier nicht, dass das Foto so aufwendig aus
der Alltagswelt verschwunden ist. Es muß irgendwo sein! Ich grüble herum und es
läßt mir keine Ruhe: ich muß nochmals nachschauen!
Diesmal taste ich die mit überlappenden Zeichnungen, Photos,
Karten, Kopien übertackerten Kastlwand ab und erspüre unter der
Platanenzeichnung – ein Geschenk meiner älteren Tochter – ein Rechteck, das
größenmäßig passen könnte. Ich setze zu einer ein wenig komplizierten Operation
an, denn so einfach kann ich an dieses Rechteck nicht herankommen, ohne die
kunstvolle Installation hier zu zerstören: indem ich in den unbebilderten Teil
des Platanenzeichenblattes, der günstigerweise unter der Kopie meines
Priester-Wandlungs-Bildchens liegt, das ich ein wenig hochheben kann, mit der
Schere einen – dann im Normalzustand wieder verdeckten – Schnitt einritze,
verschaffe ich mir einen Zugang zum Rechteck. Mit einer schönen, schlicht
gezierten Mariazeller Weihrauchzange, von denen ich zwei auf meinem
Hausaltärchen liegen habe – gekauft und bezahlt habe ich nur eines, aber die
Verkäuferin in Mariazell hat mir irrtümlich – wie ich annehme: ich glaube
nicht, dass ich sie sich wegen meines frommen Aussehens zu einem solchen
absichtlichen Enthusiasmus hingerissen habe – zwei Stück eingepackt, was ich
erst zu Hause bemerkt habe – will ich an das gesuchte Bild herankommen. Nach
mehreren vorsichtigen und vergeblichen Versuchen – weil ich keines der
angetackerten oder angepickten Kunstwerke zerstören wollte – gelingt es mir in
ziemlich verrenkter, eigentlich unziemlicher Position auf dem Fußende meines
Bettes kauernd das begehrte Bildchen hervorzuziehen. Mit Wohlgefallen betrachte
ich die schönen Brüste meiner damals zukünftigen Frau, nicht ohne schlechtes
Gewissen, weil ich schamlos in die Familienidylle ihrer ersten Ehe gaffe, was
mich wahrlich, wahrlich ich sage euch nichts angeht. Darum habe ich ja das
Photo heimlich an mich genommen und sorgfältig versteckt. Aber ich mache gerne
Sachen, die in meiner Wahrnehmung verboten sind, nur auffliegen sollen sie
nicht; das mag ich gar nicht. Heimlich ist alles möglich! Ich lege nun das Bild
auf mein Nachtkastl, denn ich will es noch ein wenig betrachten und morgen
überlege ich mir ein neues Versteck.
(23./24.5.2022)
©Peter Alois Rumpf Mai 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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