Dienstag, 24. Mai 2022

2707 Das heimliche Photo meiner Frau

 

Mitleidig fast, jedenfalls wohlwollend betrachte ich die vielen lieben Kabel meines CD-Players am Schreibtisch drüben vom Bett aus. So viele sind sie gar nicht: manche hängen sozusagen doppelt zum Beispiel vom linken Lautsprecher gen Boden und gehen dann wieder zum Hauptgerät hinauf: mein unschuldiger Blick nimmt sie als zwei Kabel im Gewirr wahr (oder eigentlich: unwahr). Eher neutral, aber nicht ganz uninteressiert – vielleicht locken sie etwas hervor? - schaue ich meine nackten und halbnackten Kunstkarten an; ich will sogar das Oben-ohne-Photo meiner Frau von vor meiner Zeit aus seinem Versteck herauskitzeln. Dazu muß ich aufstehen oder zumindest bis ans Bettende robben, um die Bilderwand am kleinen Kasten zu erreichen, aber: das Versteck ist leer! Ich bin völlig überrascht! Wie kann das sein? Wohin kann das Bild verschwunden sein? Mit der herbeigeholten Taschenlampe leuchte ich unter das Bett und den Kasten, weil es ja – einfach lose hinter ein angetackertes offizielles Bild meiner Frau mit Parmesan und roter Sauce gesteckt – runtergefallen sein könnte. Nichts. Ich bin irritiert und ratlos. Zurück in meiner Schreib- Lese- und Meditationsposition auf dem Bett überlege ich: habe ich mir ein neues Versteck ausgedacht und dann vergessen? Möglich. Mich interessiert jetzt mehr der Vorgang des Verschwindens als das Bild als solches. Trotz meines Hanges zu Magie und Mystizismus – ich glaube, dass Menschen, Tiere, Bäume, Dinge aus dieser Welt verschwinden können, ohne eine Spur zu hinterlassen, wenn sie mit ihrer gesamten Energiegestalt, wovon der physische Körper nur ein kitzekleiner Aspekt ist, der eben auch in das Energiekonglomerat, das alle Dinge und Wesen in Wahrheit sind, übertragen werden kann und als solches in andere Dimensionen eingehen – also trotzdem glaube ich hier nicht, dass das Foto so aufwendig aus der Alltagswelt verschwunden ist. Es muß irgendwo sein! Ich grüble herum und es läßt mir keine Ruhe: ich muß nochmals nachschauen!

Diesmal taste ich die mit überlappenden Zeichnungen, Photos, Karten, Kopien übertackerten Kastlwand ab und erspüre unter der Platanenzeichnung – ein Geschenk meiner älteren Tochter – ein Rechteck, das größenmäßig passen könnte. Ich setze zu einer ein wenig komplizierten Operation an, denn so einfach kann ich an dieses Rechteck nicht herankommen, ohne die kunstvolle Installation hier zu zerstören: indem ich in den unbebilderten Teil des Platanenzeichenblattes, der günstigerweise unter der Kopie meines Priester-Wandlungs-Bildchens liegt, das ich ein wenig hochheben kann, mit der Schere einen – dann im Normalzustand wieder verdeckten – Schnitt einritze, verschaffe ich mir einen Zugang zum Rechteck. Mit einer schönen, schlicht gezierten Mariazeller Weihrauchzange, von denen ich zwei auf meinem Hausaltärchen liegen habe – gekauft und bezahlt habe ich nur eines, aber die Verkäuferin in Mariazell hat mir irrtümlich – wie ich annehme: ich glaube nicht, dass ich sie sich wegen meines frommen Aussehens zu einem solchen absichtlichen Enthusiasmus hingerissen habe – zwei Stück eingepackt, was ich erst zu Hause bemerkt habe – will ich an das gesuchte Bild herankommen. Nach mehreren vorsichtigen und vergeblichen Versuchen – weil ich keines der angetackerten oder angepickten Kunstwerke zerstören wollte – gelingt es mir in ziemlich verrenkter, eigentlich unziemlicher Position auf dem Fußende meines Bettes kauernd das begehrte Bildchen hervorzuziehen. Mit Wohlgefallen betrachte ich die schönen Brüste meiner damals zukünftigen Frau, nicht ohne schlechtes Gewissen, weil ich schamlos in die Familienidylle ihrer ersten Ehe gaffe, was mich wahrlich, wahrlich ich sage euch nichts angeht. Darum habe ich ja das Photo heimlich an mich genommen und sorgfältig versteckt. Aber ich mache gerne Sachen, die in meiner Wahrnehmung verboten sind, nur auffliegen sollen sie nicht; das mag ich gar nicht. Heimlich ist alles möglich! Ich lege nun das Bild auf mein Nachtkastl, denn ich will es noch ein wenig betrachten und morgen überlege ich mir ein neues Versteck.

 

(23./24.5.2022)

©Peter Alois Rumpf  Mai 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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