Freitag, 31. Mai 2024

3687 Im Zug

 



10:27 a.m. Im Zug. Gegen die Fahrtrichtung. Die Verkleidung der Leitungen oder Heizung bei den Füßen unten an der Zugwand ist blöderweise abgeschrägt, sodass ich meinen linken Fuß für eine erhöhte Position zum Auflegen des Notizbuches nicht draufstellen kann, weil der ständig abrutscht. Die Voralpenlandschaft saust vorbei und mir ist heiß. Ich ziehe Sakko und - obwohl es mir befremdlich ist – das Hemd aus. Auf meinem T-Shirt steht „Dafür bin ich schon zu alt!“ Ich schwitze. Wieso? So heiß kann es bei 14° in Linz nicht sein. St. Valentin: 16°. 60° N meine Blickrichtung. Hä?!? Wie soll das gehen? Wir fahren nach Süden? Egal, die vorbeigezogene Landschaft stimmt noch. Wenn das kein Trick irgendwelcher Außerirdischer ist!

Das ist die Jahreszeit mit dem intensivsten Grün. Der Frühling ist grosso modo vorbei, der Sommer noch frisch und unverbraucht. Eine Regenfront im Süden (dafür gebe ich keine Gewähr! Meine Orientierung fragwürdig!), der Regen zieht über die Hügel und Berge des Alpenvorlandes und hüllt sie so schön ein (ich bin im meiner Seele ein urkonservativer Land- und Heimatfreak. Landschaft statt Urbs - obwohl Sankt Urban ein Landwirtschaftsgott, äh -heiliger ist – der innere Aufdecker). Hier ist es trocken, es regnet nicht. Oh diese sanften Wiesen und Felder und die Gebüsch- und Baumreihen dazwischen! Und was ist mit den toxischen Spritzmitteln und den anderen destruktiven Maßnahmen der Landwirtschaft, die die sogenannte „Natur“ und die Wald- und Wiesenkulturen ruinieren? Das gekonnte, gedämpfte Klacken des dahinrasenden Zuges über den Weichen. Dieses verhaltene, leise Gerumpel hat auch etwas: elegante, fein eingehüllte Modernität (siehst du! - der innere Zustimmer). Der Regen ist näher gekommen, aber noch nicht da. Höchstens hundert Meter entfernt. Ich hasse die Lärmschutzwände! Was hat das Zugfahren noch für einen Sinn, wenn man keine Landschaft sehen kann? Der Regen ist wieder weiter weg. Viele Tunnels auf dieser Strecke; das überrascht mich immer wieder. Handymast, Türmchen und Baumarktwerbung ragen über die Lärmschutzwand. Jetzt aber ist der Blick frei. Irgendwer macht mit den Lärmschutzwänden ein ures Geschäft. Ein Hochsitz da drüben im Feld. Hochsitze, zu denen man mit dem Autofahren kann, gehören verboten! Nur solche mit mindestens drei Stunden Anmarschzeit dürfen – eventuell! - erlaubt werden. Tunnel. Die Hügel rücken näher. Starkstromleitungen durchschneiden optisch rhythmisch und fast elegisch die Landschaft. Windräder drehen sich souverän und majestätisch im geringen Wind. Die Landschaft wird wieder flach, der Regen ist bei den fernen Bergen im Süden. St. Pölten wird angesagt. Ein Falke fliegt ein kleines Stück des Weges mit dem Zug. Bahnhof des Heiligen Hippolyt von Rom – der Zug hält. Hinweiswerbung € 11.- pro Tag jetzt buchen! Bei der ÖBB. Für die Schublade? Ich werde es überlegen. „Leben am Fluss“ wird beworben, aber schon einige hundert Meter entfernt. Die Landschaft wird hügeliger. Regen ist auch an den Passagen, in denen man Aussicht nach Süden hat, keiner mehr zu sehen. Die Frau gegenüber klappt ihr kurz weggelegtes Buch wieder auf, nimmt ihr Papierfetzerllesezeichen heraus und biegt die zwei Hälften stark nach hinten, was mir einen Stich gibt. Darf eines so mit Büchern umgehen? Tunnel, Tunnel, Tunnel. Immer noch im Tunnel – ich grinse in ausgedachten Dialogen vor mich hin. Wien Meidling wird angesagt. Der Zug bleibt auf der Strecke bei ▼130/ Gl 7/ 0/ 0/ 4/ 6 (von oben nach unten) in der prämeidlinger Betonschlucht stehen. Dann Halt in Wien Meidling. Die ersten Regentropfen am Zugfenster. Wien braucht Regen.


(31.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3686 So ist es geplant

 



6:13 a.m. Eigenartige Geräusche vom Linzer Hauptplatz, wie etwas mühsam schleifend Wälzendes klingt es. Aber auch „normale“ Geräusche – was immer das ist – wie man sie am Morgen eines Markttages erwarten kann. Die Helligkeit im Hotelzimmer kommt aus einer Ecke (weil dort das Fenster offen und der Vorhang etwas zur Seite geschoben ist). Auch geräuschmäßig also ein Tagesbeginn. Ich bin so stärker mit der normalen Alltagswelt und dem jungen Sommertag verbunden als in meiner abseitigen Kemenate zu Hause, obwohl ich auch hier und jetzt noch ganz traumverhangen bin. Aber auch hier und jetzt entkrampfe ich meine linke Hand. Unten am Hauptplatz heulen und scheppern die Straßenbahnen, die Straßenreinigung und die Müllabfuhr. Ich jedoch fühle mich recht gut so ganz in der Nähe des städtischen Lebens. Der Schatten des kleinen Lusters an der Decke beginnt an seinem Anfang scharf und mit klarer Kontur und löst sich dann immer mehr in kaum abgegrenzte, unklare, nur mehr ein wenig dunklere Flecken auf.

9:15 a.m. Nach dem Frühstück bin ich nun satt. Die schweren Vorhänge des Hotelzimmers sind aufgezogen, ein Fenster ist ganz offen und akustisch kommt der Linzer Hauptplatz ungehindert herein, auch wenn ich mit dem Rücken zur Fensterfront sitze. Der große ovale Spiegel an der Wand in der Ecke diagonal schräg gegenüber zeigt nur die weiße Wand, aber die leuchtender als in echt. Der Schatten des kleinen Lusters am Plafond beginnt nun auch an seinem Anfang schwach, läuft auf eine stumpfe, nur mehr geahnte Spitze zu und gibt dann komplett auf (hör mit dieser Mystifiziererei auf! Verdammt! Wegen der zwei Fenster, durch die das Tageslicht einfällt, existiert der Schatten nur in dem dreiecksförmigen Überschneidungsbereich der beiden Schattenelemente gleich hinter der Aufhängung, wo von keinem der beiden Fenster direktes Licht hinkommt – der innere Korrektor!). Wir rasten noch ein wenig, bevor wir aufbrechen, in die Alltagswelt hinunter gehen und zu Fuß zum Bahnhof wandern werden. So ist es geplant.


(31.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3685 Beim offenen Hotelfenster

 



22:45. Beim offenen Hotelfenster herein die akustischen Aussendungen des (mehr oder weniger) fröhlichen Treibens am Linzer Hauptplatz. Im Großen und Ganzen distanziert und abstrakt genug, dass ich mich nicht betroffen und angesprochen fühlen muß. Die Straßenbahn jault fast stärker in den Gleisen als mein Surren an den Ohren. In mir arbeitet ein Ärger; ich würd schon sagen, wegen eine Lappalie. Mein Gott! Kann ich empfindlich sein! Eine Elektrokerze des kleinen Lusters steht ziemlich schief. Ich atme durch. Vielleicht beruhige ich mich, dann kann ich besser schlafen. Wenn der Ärger weggeht, wird die Trauer kommen, der Schmerz ist schon da. Mein Gott! Bin ich empfindlich! Langsam passe ich mich ein. „Bich“ hatte ich geschrieben statt „Bin“; das „ich“ ist stärker als das „in“. Ich entkrampfe meine linke Hand. Ich beschäftige mich mit dem roten Band meines Notizbuches, das zum Einlegen zwischen den Seiten gedacht ist, als Lesezeichen sozusagen, wenn darin auch geschrieben und nicht viel gelesen wird. Ich beschäftige mich mit diesem roten Bandl, weil es sich schon aufzulösen beginnt und das Gewebe aufspleißt und die Fäden oft abstehen und an meinen Fingern hängenbleiben und an ihren Enden auch die Fäden selber aufspleißen und einzelne Fädchen verlieren. Dafür hätte ich allerdings nicht nach Linz fahren müssen – das haben sie schon in Wien getan. 168° S.


(30.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3684 Voll im Strahlen

 



15:35. Fronleichnam in der Ausstellung Margit Palme. Das ist mein Leib.

16:10. Und jetzt? Jetzt sitze ich am Ufer und blicke zwischen Amalea (CH) und Amadou Silver II (?) hindurch auf den Donaustrom, etwas rechts von der Nibelungenbrücke. Zwei Matrosen in einem kleinen Boot streichen unten die Außenfassade der Amalea. Was für eine Flagge hat das Schiff am Heck? Sie hängt ganz schlaff herab und könnte die von China sein, aber das dünkt mir äußerst unwahrscheinlich. Jetzt kommt eine leichte Brise auf und hebt die Flagge ein wenig an und – wie soll ich sagen? - gottseidank: die Schweizer. Dabei meinte ich vorhin, zwei gelbe Sterne aus dem Rot hervorlugen gesehen zu haben. Also die Donau in Linz; strömt recht flott. Die zwei Schiffe sind ziemliche Kisten. Direkt über dem schiefen Glaspalast am anderen Ufer der Pöstlingberg mit seinen zwei in den Himmel stechenden, aber dabei schon ein wenig zusammengestauchten Kirchtürmen; ein wenig trauminet. Der Himmel ist sehr weit und ziemlich offen, nur einige wenige Wolken und die eher dünn. Die Sonne brennt her. Die Steinmauer, auf der ich sitze, ist überhaupt nicht kalt. Flußaufwärts glitzert die Donau; gut, da steht ja auch die Sonne über dem Wasser. Vom Sonnenlicht aufgewärmt geht das Preispickerl relativ leicht vom Pilotstift. „Das ist mein Leib“ steht auf meinem T-Shirt. Eine Flaniermeile ist das da – wie sich herausstellt – nicht wenige wandern vorbei. Ein Matrose trainiert seine Muskel auf der Amalea, oben an Deck. Das Donauwasser ist grau-braun mit grünem Einschlag. Der männliche Teil des Paares, das ein paar Meter flußaufwärts sitzt, hat – aber nur von hinten gesehen! - eine Bübchenfrisur. Einer von diesen depperten Infantil-Touristen-Besichtigungszüge fährt über die Donaubrücke, nichteinmal auf Schienen. Die Straßenbahn jetzt ist eindeutig seriöser. Die Donau ist schon ein breiter, großer Strom. Im Westen ist der Himmel beinahe wolkenlos und blauer als im Osten. (310° NW). Langsam fährt die Polizei am Uferweg entlang. Ein Fahrrad klingelt.

17:31. Beim Wiener Eiskaffee (ungesüßter Kaffee, Vanilleeis, Schlag) vor der vergitterten, dreifaltigen Pestsäule mit der schönen, goldenen Sonnenscheibe und dem schönen Blumenbeet rundherum im Kreis. Alles bunt blühend. Die durchaus schöne Häuserfront gegenüber im späten Sonnenlicht (Hauptplatz; 66° NO) und deshalb voll im Strahlen.


(30.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 29. Mai 2024

3683 Schläft es?

 



8:17 a.m. Mein suchend tastender Blick auf Rettenschoess, die Vibrationen der Baumaschine in meinem Gedärm, das Tuten eines Rückfahralarms – so schaut es heute Morgen aus. Ein ungewöhnlich kompaktes Mali Lošinj, ein leises Zittern um meinen Mund. Die Vibrationen bringen das Fenster zum Scheppern; hier wurde nur auf Schotter gebaut, viel mehr gibt der Untergrund nicht her. Das dritte Auge macht sich deutlich bemerkbar. Im Traumfragment, in das ich gekippt bin, wird mir ein winziges Baby in einem kleinen Körbchen übergeben. Es ist völlig still. Schläft es? Ich schrecke vom Gedudel meines Handys auf. Mein Herz klopft. Rettenschoess liegt so friedlich und gekonnt da. Ich entkrampfe meine linke Hand seit dem Aufwachen zum zweiten Mal. Warum fühle ich mich schon wieder angegriffen? Was ist TV? Diese Frage taucht im letzten Traumfragment auf. Ich freu mich sehr, dass du mit mir gegangen bist.


(29.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 28. Mai 2024

3682 Kommt Regen?

 



13:42. Dear Prudence aus den Boxen. Die Terrasse auf der Straße, der viel befahrenen Burggasse. Genau in diese Richtung geht mein Blick, einfach gerade hinaus. Der Wind schüttelt die Krone der Platane unter der sich der Schanigarten mit seinem Gebüsch ausgebreitet hat; davor der Gehsteig, dahinter fahren die Autos. Manche Menschen blicken skeptisch. Heart of Gold. Schon wieder vorbei. Das jetzt kenne ich nicht. Eine gewisser Regenduft zieht mit der frischen Luft bei der offenen Tür des Espressos herein, obwohl noch die Sonne scheint. Kommt Regen? (Nein, ist nicht gekommen – der innere Korrektor.) Ich fühle mich wie das Zentrum der Welt, aber ohne für sie zuständig zu sein; ich lasse sie machen. Sie ist erwachsen und ich mische mich nicht ein. Höchstens weine ich ein bißchen (jetzt nicht in echt). Das jetzt kenn ich auch nicht. Ich starre auf den Stamm der Platane mit der schönen bunten Rinde und nehme das tanzende grüne Laub in den Augenwinkeln wahr. Jetzt die Doors (other side). Die ganze Musik hier scheint mir neu gemischt zu sein, oder entsteht der Eindruck, weil ich sie damals bloß aus dem Kofferradio gehört habe? Vom Kaffee bekomme ich eine leichte Übelkeit und Überdruss steigt in mir auf. Eine Wandergruppe – wirklich lauter Frauen im Wanderoutfit mit Rucksack, die Hände mit den Daumen in die Trageriemen eingehängt – geht am Lokal vorbei. Ich betrachte meine Hände und drehe sie dabei ein paar Mal hin und her. Das jetzt kenne ich nicht und weiß auch nicht aus welcher Zeit. Das Bedürfnis nach Aufbruch meldet sich. Aufbruch nach Hause.


(28.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3681 Kein sicheres Quartier

 



8:30 a.m. Was soll das? Diese Hotelzimmer, die für mich gebucht sind, wo aber immer jemand anderer drinnen ist!? Oder ich finde mein Zimmer nicht und jedes, das ich betrete, ist schon belegt. Im heutigen Traum dürfte das Hotel in München gewesen sein und die Stadt und die Menschen dort waren mir sowas von unsympathisch. Aber in fast allen Träumen habe ich kein oder kein sicheres Quartier.

Irgendwelche Baumaschinen auf der Straße dröhnen mir Kemenatenhocker über das gekippte Fenster ins Musikzimmer, über Atelier, Bilderlager, Vorzimmer zu meiner Tür herein ordentlich im Kopf, dass es fast weh tut. Ich entkrampfe meine linke Hand, nachdem ich mir klar gemacht habe, dass jetzt keine Gefahr droht. Zurück zu den Zimmern drüben: in welcher Variante auch immer: drüben scheint mir keine Wohnung bereitet zu sein. Mein Körper fühlt sich eigenartig an: er zittert innerlich und scheint ganz aufgeregt zu sein. Wahrscheinlich doch noch vom Traum. Ich fühle das Herz pulsieren, wenn auch manchmal weiter unten. Leichtes Zähneklappern. Das Surren ist extrem stark und hüllt mich zur Gänze ein. Aus all dem scheint mein Kopf mit seinem Verstand gerade noch ein wenig herauszuragen. Ich seufze tief. Das System beruhigt sich ein wenig.


(28.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3680 Ich kratze mich

 



0:49 a.m.  Auf meinen Wangenknochen, innen, unter der Haut, liegt ein kleiner Druck. Es spannt, aber von unten, innen her; vielleicht von den Augenhöhlen ausgehend. Ja, auch die Augäpfel hängen ein wenig nach unten, innen. Das zu spüren ist ein wenig unangenehm; ich könnte in Teile zerfallen. Ober bin ich schon zerfallen und nur ein Traum hält die bequeme Illusion aufrecht? Meine Beine werden unruhig, in den Füßen und Beinen zieht es. Überall Jucken, nicht stark, aber deutlich. Die Fußsohlen fühlen sich am Leintuch nicht wohl. Ein Bein wenigstens muß ich jedoch herangezogen halten, um mein Notizbuch auflegen zu können. Ich betrachte meine Hände. Das mache ich öfters. Manchmal fällt es mir ein, wenn ich nicht weiter weiß. Die Fußsohlen sind jetzt irgendwie zu warm und meine Kopfhaut juckt. Ich kratze mich am Hals, weil ich dort auch etwas gespürt habe. Jetzt an der Stirn. Im Handteller der linken Hand die kleine Narbe.


(28.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3679 Jetzt weiß ich es wieder

 



15:16.  Meine Jagd war erfolgreich, ich habe das dritte Königreich gekauft. Ja, das war ein großer Cou (verdammt! Wie schreibt man das? Coup? - oder Coupe wie die Tasse? Oder schreibt man die auch anders?). Egal, ich schaue lieber auf die Passant*innen. Ich sitze innen im Café und mein Blick geht von der Rückwand über die ein paar Meter entfernten großen Fenster hinaus auf Terrasse, Gehsteig und Straße; trotzdem hat sich einer hergedreht und mich angeschaut, als hätte er meinen Blick bemerkt. Draußen auf der Wollzeile ist einiges los, aber was, das kann ich auch nicht sagen: nur: Menschen gehen hin und her, von links nach rechts, von rechts nach links, überqueren die Straße im Winkel von neunzig Grad oder schräg, manche flanieren, manche haben es eilig, manche gehen normal – was immer das ist. Ab und zu ein Auto, ab und zu ein Fahrrad. Ich trinke vom Wasser. Roller, Mopeds, Motorroller. Mein Blick verschafft mir keine Zugriff auf die Leute - ich komme nicht durch und das gehört sich auch so. Ein 3A-Bus, ein Fiaker, ein Taxi, das hupt (ich hätte beinah „hupft“ geschrieben, Schreibfehler, die mir in letzter Zeit erschreckend oft passieren, und das handschriftlich. Soll ich das „hupft“ benützen und den Text entgleiten lassen?). Große Gruppen, kleine Gruppen, Einzelgänger, alt, mittel, in den besten Jahren, jung. Hosen, Kleider. Kurz, lang, mittel. Dick, dünn, mittel, normal – was immer das ist. Der Mann zwei Tische weiter redet leise mit sich selbst und biegt und krümmt sich dabei ein wenig, richtet sich wieder auf, klopft und zappelt mit den Füßen; die Hände hält er sicherheitshalber verschränkt. In sein Gesicht sehe ich nicht; auf der Straße: lächelnd, gleichgültig, grantig, neutral, abweisend, schmerzhaft die Gesichter. Was will ich erreichen? Was will ich in der Welt? Könnte es bei mir auch so ausgehen wie nebenan zwei Tische weiter? Ja. Auch ich fange jetzt mit den Füßen zu wippen an. Ein Schluck Wasser, um noch länger Kaffee zu haben. (Irrtümlich habe ich ein „Schluß“ Wasser geschrieben. Solche Schreibfehler mit der Hand geschrieben und so häufig kommen mir ganz strange vor. Wer will mir dazwischenreden? Und was will er mir sagen?) Manche Passantengruppen sind Familien. Der letzte Schluck Kaffee. Manche wirken bedrückt; manche erhoben – fast wie schwebend gehen sie dahin („und der Ort wo sie“ gingen, „er hat sie vergessen.“), manche normal – was immer das ist. Interessiert sich umschauend, gleichgültig, abweisend, vor sich hin starrend, normal – was immer das ist. Ich bin nicht unzufrieden mit meiner Situation und Position hier, immerhin bin ich satt, habe einen Ort, wo ich mein Haupt hinlegen kann, konnte mir ein Buch kaufen, einen Kaffee, eine Torte leisten, aber ich bin nichts. Gar nichts. Jetzt weiß ich es wieder, jetzt spüre ich es wieder, weil mich jemand, eine Frau, angeschaut hat. Jetzt spüre ich es wieder, und zwar egal, ob sie es bemerkt hat oder nicht. Ich schaue wieder auf die Straße. Mein Blick will sich im ersten Moment festhalten, aber dann läßt er los und mich fallen. Aber ich sitze bequem. Jetzt werde ich wohl gehen.


(27.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 24. Mai 2024

3678 Schlafen

 



2:41 a.m. Mitten in der Nacht; ich meine damit auch, dass jetzt wirklich fast alle schlafen und ihre Bewußtseine woanders sind und nicht hier hereinstrahlen. Wieder ertappe ich mich dabei, dass ich die linke Hand ganz verkrampft am Notizbuch halte. Ein Flugzeug rauscht ferne, verschämt und kaum hörbar durch den Raum. Am Fußende des Bettes, seitlich, hat sich etwas bewegt. Ich schaue nicht nach; bei all meiner Neigung zu Mystifizierungen: es kann ja nichts sein. Die einzelnen Regalfächer rücken schon übereinander oder von einander weg. Schlafen – das ist es. Ich sollte jetzt schlafen.


(24.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3677 La Grue Bleue

 



16:53. Nun sitze ich im Café auf der Terrasse (in französischem Sinne) auf dem Trottoir mitten in der Sonne (sozusagen) oder im Wolkenschatten, je nachdem. Die Leute gehen direkt am Tisch vorbei, keine Barrière dazwischen. Der blaue Kran ist weg (La grue bleue – wenn ich das noch richtig kann). Die Baustelle ist noch da. Ich versuche vergeblich meinen – verdammt! Jetzt fällt mir der Name nicht ein! - MP3-Player (Lecteur mp3) (aber jetzt ist Schluß mit diesen Spielchen! - der innere Korrektor) anzuwerfen. Ich hätte gerne Musik gehört gegen den Straßenlärm und gegen die Nähe des Geschehens, dann wäre ich besser in Beschreibungsdistanz gekommen. Jetzt ist der Cappuccino (die Mélange) da, der wird mir vielleicht zu einem Kopf- und Beschreibungsrausch verhelfen. Die Sonne brennt recht stark; es entsteht so ein urbanes Sommergefühl, das mir im Moment recht gut passt. 107° O (vor einer Minute hat mein Handy noch – am selben Platz – 124° SO angezeigt – ja, heutzutage gerät alles ins Rutschen). (Geh bitte! Was für blöde Sprüche! - der innere Kritiker.) Ein Papa trägt seine kleine Tochter auf den Schultern vorbei. Auch das motorisierte Leben (?) gleitet vorbei. Diesmal kletzle ich wieder das Preispickerl vom Pilotstift und es gelingt in einem Zug. Der Schatten meiner Schreibhand liegt auf dem Papier. Ohne Musik geht meine Rechnung nicht ganz auf. So wirklich Lust, alles zu beschreiben, habe ich nicht, aber irgendwas will raus. Das Instrument hat nicht die richtige Stimmung.

Drinnen ist es ruhiger. Der Holztisch schaut für mein verdorbenes Auge auf den ersten Blick unecht aus, aber dem Faserverlauf auf der Stirnseite der verleimten Hölzer nach ist er es nicht. Nein, er ist wirklich echt. So eine peinliche Verwirrung! Ich betrachte eine große, rosa Blüte im Glas des Tischschmucks, vielleicht eine Asternart, aber auskennen tu ich mich nicht. Mein Kopf wird schwer, mein Herz schwerer. Was ist los? Eindeutig, meine Schrift – obwohl aus dem selben Stift – hat unterschiedliche Nuancen.




(23.5.2024)




©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3676 Weibliche Wolken

 



11:02 a.m. Herrliche weiße, runde, weiche, oder besser: weibliche Wolken ziehen am blauen Himmel über die Essigbäume und die Weide im Hof, die alle über die Häuser hinaus ragen, dahin. Nun kommen ein paar zerfranste Exemplare, schieben sich nach links und geben dann wieder viel Himmel frei. Die Sonne scheint von dort in den Hof herein, läßt die schönen, grünen, für mich italienisch wirkenden Blätter und auch die gelben Blüten der Essigbäume aufleuchten. Das schlanke Laub des Weidenbaumes ist trockener und silbriger. Nun wandert eine größere, strahlend weiße, kompaktere, pralle Wolke vorbei. Hoch oben segeln Schwalben und der leichte Wind ist stark genug, die Bäume im Hof zu tanzen zu bringen. Immer wieder fliegen schnell und still Vögel in den Hof und tun sich am Kirschbaum, auf den ich von meiner Position aus nicht sehen kann, gütlich. Von der Straßenseite klingt es wie Rasenmäher, aber wo sollte das sein? Am nächst stehenden Essigbaum entdecke ich ein rotes Blatt. Es scheint das einzige zu sein. Immer noch zieht eine Wolke nach der anderen, aber in angenehmen Abständen, über den Himmel. Eine verdeckt jetzt die Sonne; nicht lange, dann schaukeln die Äste und Zweige wieder im gelben Sonnenlicht. Ich gehe zurück in meine Kemenate um zu lesen.


(23.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3675 Was ist

 



1:43 a.m. Was ist


8:32 a.m. Was ist das für ein schöner Frühsommermorgen! Von der Ferne ist ein Flugzeug zu hören, aus der Nähe die Müllabfuhr, und trotzdem meine ich Stille. Sonnenlicht und Stille. Mein Geist kippt weg und ich lache über eine Erinnerung. Dann kommt er wieder ins Hier und Jetzt und genießt die nicht ganz leise Stille. Und geht dann wieder auf Reisen. Wieder zurück widmet er seine Aufmerksamkeit dem Surren in den Ohren. Ich frage mich gerade, ob das wirklich mein Geist ist oder doch einfach meine Seele. Das Surren ist sehr heftig. Das Surren hüllt meinen Kopf ganz ein, mir kommt vor, es ist nicht nur zu hören, sondern ich spüre es auch als leichten Druck zumindest auf den Energiekörper. Meine Aufmerksamkeit ist jetzt vom Surren gefangen und weil mir die Augen zugefallen sind, gibt es nur diesen Input. Der ist aber reich an Tönen und Intensitäten, an Schwingungen und verschiedenen Amplituden. Eine Phantasie vom Auftauchen eines Mäzens taucht auf, aber irgendeine innere Instanz schneidet sie abrupt ab, verwirft sie und verbietet sie. Dazu ist es viel zu spät; auch wenn es bloß um einen Förderer ginge. Nein, das ist mir in meinem Alter zu peinlich. Die Augen offen streift mein Blick die frankophone Schweizerin im Bücherregal und bleibt hängen. Diesmal ist es ihr mildes, freundliches Gesicht, dann kommt erst ihr halbnackter Oberkörper. Das hat mit der Entfernung dieser Kunstkarte zu tun, über die paar Meter muß irgendetwas dazwischen rutschen, denn aus der Nähe schaut ihr Gesicht überhaupt nicht so aus, wie ich sie jetzt sehe, sondern irritiert, verunsichert und genötigt. Während mir die Augen zuzufallen beginnen, rückt das Bild noch weiter weg, wird kleiner, beginnt sich in Farbflecken aufzulösen und mein Kopf fällt in der laut schrillenden Dunkelheit zur Seite.


(23.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 22. Mai 2024

3674 Bist du sicher?

 



11:57 a.m. Wunderschöne Musik im Espresso Burggasse. Der Autobus quietscht bremsend draußen auf der Straße. Ich bin glücklich; ich weine fast vor Glück. Es gibt so schöne Begegnungen. Mein Gott, mir ist fast zum Heulen! (ja, ja; mach kein solches Bahö deswegen; zwei Cappuccinos machen dich rührselig – der innere Kritiker). Alles hier trägt mich im Moment. Noch ein wenig bleiben oder weitergehen, bevor das zusammenbricht? Im gerasterten Spiegel dort drüben an der Wand sehe ich nichts Besonderes, dennoch bin ich begeistert und erhoben. Die E-Gitarre klimpert kurz-elegisch herum (will sagen: es sind bloß kurze Riffs und Tonfolgen, aber die Abstände zwischen den einzelnen Tönen und zwischen den kurzen Gitarrenmelodien selbst sind die reinsten Elegien). Jetzt beginnt meine Nase zu rinnen – sind das die zurückgehaltenen Tränen? (jetzt: „Sitting on the dock of the bay“ aus den Boxen). (Sehr weit bis zur Hysterie dürfte es nicht mehr sein – der innere Spötter.) Jetzt Jimi Hendrix - trotzdem behaupte ich, dass meine Stimmung nichts mit Nostalgie zu tun hat (bist du sicher? - der innere Kritiker).

Bevor ich zerplatze gehe ich hinaus und weiter.


(22.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3673 DJ Ötzi

 



7:39 a.m. Warum denke ich jetzt an DJ Ötzi? Und das mit einer gewissen emotionalen Anteilnahme? - Während ich im Bett hocke und mein Zimmer anschaue und warte, bis ich zum Frühstück bereit bin. Nicht an Ton seiner Songs mag ich, im Gegenteil: ich hasse sie. Die Antenne – nicht aus Tirol, sondern an meinem Radio – ragt ein wenig über Veli Lošinj und die große Mineralwasserflasche am Schreibtisch glitzert und ragt auf wie ein schlanker, durchsichtiger Turm in der Ferne. Antwort weiß ich natürlich keine. Mein Geist macht, was er will (sicher? - der innere Kritiker). Ich kann die Augen nicht offen halten.


(22.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3672 Nur für Sekunden

 



0:08 a.m. Der Duft der blühenden Essigbäume zieht vom Hof über das Atelier, wo ich das große Atelierfenster gekippt habe, und über das Bilderlager und das Vorzimmer bis zu mir her in mein kleines Zimmer. Völlig still ist es. Ein paar Stäubchen – vermutlich Abrieb der Bettwäsche – schweben im gelben Lichtkegel der Leselampe, die ich auch zum Schreiben benutze. Ich halte meine Augen verschämt zurück, die Wände, die Bücher, die da in den Regalen stehen, und die Bilder, die überall herum lehnen und hängen, abzusuchen und halte meinen Blick tendenziell gesenkt. Warum ich das mache, weiß ich nicht. Vielleicht will ich ganz bei mir bleiben und schäme mich gerade meiner gierigen optischen Einsaugerei. Ich betrachte jetzt meine Hände und drehe sie hin und her: Innenseite – Außenseite – Innenseite – Außenseite – Innenseite – Außenseite (mit Außenseite ist der Handrücken gemeint – der innere Wichtigtuer). Jetzt bleibt mein Blick doch am Bücherregal an der Wand gegenüber hängen, das sich schon unter meinen müden Augen zu bewegen beginnt. Und manche Dinge bekommen schon eine weißlich strahlende Aura, wenn auch nur für Sekunden.


(22.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3671 Da ist sie!

 



11:34 a.m. Meine (liebe) Frau wird gleich in den Fluß steigen und es ist ihr „der Dreck scheißegal“ (Wolf Biermann). Mir nicht! Ich steige nicht in den Fluß, mir ist das Wasser zu dreckig und zu kalt und ich klettere ungern über das künstlich zur Stabilisierung des Ufers und der Böschung angelegte und möglicherweise klitschige Ufergestein. Trotzdem ist der Donaukanal kein Kanal, sondern im Grunde ein echter und natürlicher Seitenarm des Hauptstromes. Das Wasser steht relativ hoch und strömt flott und glatt vorbei, eine wenig grünlich und gelblich, lehmfarben halt, was sehr schön ausschaut. Meine Frau ist weiter stromaufwärts ins Wasser gestiegen, wo ich von hier aus nicht hinsehe, und wird gleich angeschwommen kommen. Die Sonne sticht ordentlich und es ist heiß. Noch höre ich kein Geplätscher – aber jetzt! Da ist sie! Sie hält sich noch ein wenig in der Strömung und steigt dann gekonnt und geübt aus dem Wasser und flott über die erste steinige Uferböschung herauf. Jetzt läßt sie sich in der Sonne trocknen und schaut mich Schreibenden erwartungsvoll an. Ach! Ich sollte vielleicht etwas Anerkennendes oder Lobendes sagen! „Mein Schatz, das hast du toll gemacht!“ Sie lacht. Denn das ist ein Satz, den sie mir einmal angesagt hat, dass ich ihn zu ihr sagen soll, als ich einmal wegen irgendwas mit ihr gemeckert habe. Der Fluß fließt so schnell, dass ich davon fast ein wenig unruhig, ja, ein wenig schwindelig werde. Die Sprayer hinter uns – die Stützmauern zu Straße hinauf sind – soviel ich weiß – von der Stadtverwaltung zum Sprayen freigegeben – die Sprayer also schütteln ihre Dosen, ich höre das Klacken – das sollte auch einmal wer ausrechnen, welche Umweltschäden von den Tonnen verbrauchtem Sprayguts ausgehen, oder sind die Chemikalien inzwischen unbedenklich? Stinken jedenfalls tun sie noch und von der Ausdünstung frisch aufgetragener Lacke wird mir sowieso immer schlecht. Die Sprayer schütteln anscheinend alle ihre zig Dosen auf, bevor sie wirklich loslegen; das Klacken hört nicht auf. Karawanen von Radfahrern am gegenüber liegenden Ufer und einen Stock darüber der ununterbrochene Autoverkehr. Hinter uns exakt dasselbe.

Heute ist es mir wirklich etwas unheimlich, wie ruhig und glatt der Fluß sozusagen da liegt und doch so schnell fließt, ohne auch nur einen einzigen Laut zu geben, sodass man das Mitziehende nicht gleich merkt. Übrigens sitze ich an der Stelle meines klandestinen Gartens am Ufer, aber von den von mir in Lauf vieler Jahre ausgesäten Pflanzen sehe ich nichts mehr. Heuer habe ich den heimlichen „Garten“ aufgegeben. Ein welkes Blatt strömt nun vorbei. Dann noch eines.


(20.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 19. Mai 2024

3670 Wie spät ist es?

 



14:16. Im Garten bei leidlich sonnigem Wetter mit frischem Wind (frisch gepresst? Frisch gemahlen? - der innere Spötter), die Vögel singen, die Autos fahren, die Menschen reden, irgendwo hat es gescheppert, anscheinend harmlos (wie ich nachträglich recherchiert habe, war das der Bus 39A, der über einen Kanaldeckel gefahren ist, denn das macht er öfters – der Korrektor). Mein Blick geht aus spitzem Winkel die Baumreihe entlang und bleibt beim scheußlichen Neubau hängen. Dieses einfallslose, schlecht funktionierende Funktionsgestelle, pseudokreativ mit unnötigem Schnickschnack nicht einmal behübscht. Egal, ich schaue auf die Blätter und Zweige und Blumen und Gräser, die im zeitweise schon lästigen Wind zittern und schwanken. Weiße Wolken sausen rasch über das blaue Himmelszelt – wenn ihr mir erlaubt, es so bedeutungsüberladen und ein wenig falsch auszudrücken. [Ja – Nein. Zutreffendes bitte ankreuzen!] Ein Flugzeug rauscht über irgendwelche Kirchenglocken (Samstag Nachmittag! Oft eine Hochzeit!) (Die Hochzeiten habe ich schon als kindlicher Ministrant genauso wenig mögen wie Begräbnisse, obwohl es dabei immer gutes Trinkgeld gegeben hat. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.) Im Nachbarhaus schlägt eine Tür zu, ebenso unten auf der Straße bei einem Auto zwei. (M)Eine Frau seufzt laut. „Wie spät ist es?“ fragt jemand. „Halb drei!“ antwortet jemand anderer. Unter der großen Thuje hat sich ein Sonnenfleck gegen die Wolken gehalten, aber jetzt ist auch der verschwunden. Ganz sachte kommt er wieder. Noch ein Flugzeug röhrt schwingungsvoll und amplitudenreich über den Verkehrslärm. „Mein liebes Kind, mein Augenstern, ich hab dich lieb, ich hab dich gern!“ (aus dem originalen Kontext gerissen, hoffentlich!) Ein Kuckuck ruft, eine Krähe schreit, jemand klopft arbeitsmäßig auf Holz. Der Autolärm reißt niemals ganz ab. Kurz jault ein Hund auf. Ich blicke Richtung 73° Ost. Die lebendige Realität krabbelt in Gestalt zweier Ameisen über die Schieferplatten des Gartenweges.


(18.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3669 Das Flache

 



Ich stoppe den Film und als ich aufschaue, ist plötzlich alles so flach. Ein bestenfalls mittelmäßiger Krimi, damit habe ich meine Zeit totgeschlagen, als hätte ich noch so viel davon. Oder versuche ich damit, noch irgendwas herauszufinden? Klingt ja auch blöd. Oder nicht? Schließlich mag ich Geschichten. Innen höre ich immer noch Passagen aus „Unter dem Mostbirnenbaum“ von Brot und Sterne und das hilft. Ich bin wieder bereit, herumzugehen. Dieses Flache, das mir fast die Luft genommen hat, ist wieder weg. Ich seufze tief.Vom Leben habe ich keine Ahnung.


(17.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3668 Stiegensperre

 



6:48 a.m. Es regnet! Es regnet! Die – - werden nass! Liebe Leserin, lieber Leser: bitte sucht ihr das richtige Wort. Zweisilbig muß es sein - die zwei Bindestriche sollen das symbolisieren - und in Mehrzahl. Ich weiß schon: im Original heißt es – wenn ich mich richtig erinnere: „Kinder“. Aber für euch Erwachsene und mich Altem passt das nicht mehr (auch wenn ich mich wie ein Kind über den Regen freue). „Menschen“, „Leute“ ist mir zu wenig, weil ja auch „Bäume“, „Blumen“, „Wiesen“, „Pflanzen“, „Tiere“ nass werden und die „Dinge“ auch. Aber das alles passt mir nicht; „Dinge“ ist substantiell zu wenig.

Darüber werden mir Augen und Geist müde und fallen zu. Das Gehör bleibt noch offen und hört den Regen. Von unten kann ich die Vorbereitungen auf die Tageskinder hören, wie zum Beispiel das Einsetzen der Stiegensperre, von dem ich wieder aufwache. Irgendwelches Geschirr fällt mir ein, aber obwohl es sich irdisch verkleidet, gehe ich davon aus, dass es sich drüben befindet, denn rund um das Geschirr ist es dunkel.


(17.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3667 Mostbirnenbaum

 



0:41 a.m. Seit Tagen schon geht mir dieses schöne Musikstück „Unterm Mostbirnenbaum“ von Brot und Sterne in meinem Inneren herum und erfüllt mich jedesmal mit melancholischem Glück, wenn ich es zulassen und innerlich hören kann. Vorm Einschlafen gerade richtig; ich hoffe, dass es meine Seele befrieden kann, auf dass ich nicht schlecht träume. (Natürlich kann ich mich nur an Bruchstücke erinnern.)


17.5.2024


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Donnerstag, 16. Mai 2024

3666 Gar nichts

 



12:12. In der Albertina sitze ich beim depperten Kardinal. Also vorm Spiegel. Aus dem Spiegel blickt ein Idiot her – der Kardinal – und einer, der mir nicht wesentlich besser vorkommt: auch irgendwie eine verhuschte Existenz – beim Kardinal wird das durch die strenge, schwere und kirchengeschichtliche Kleidung zu verdecken versucht – Oh! Der Schröder schreitet telephonierend an mir vorbei! - zurück zum Spiegelbild: die Hose unten komisch aufgebogen, eine zusammengesunkene Gestalt, ohne Körperspannung, die Kappe, die Brille und das Gesicht irgendwie (schon wieder! Der Korrektor) unpassend. Dafür sieht man – als Entschädigung – im Spiegel drei gespiegelte Klees. Nichts passt wirklich. Das habe ich heute schon beim Aufstehen bemerkt. Jetzt staut es sich ein wenig im schmalen Durchgang. Das hat mit stehen gebliebenen Betrachtern der Kardinalskulptur zu tun und mit meinen überschlagenen Beinen – wobei ja immer das eine absteht und hier in den engen Gang ragt. Die Aufsicht wird schon auf mich aufmerksam – kommt mir vor – ich sollte vielleicht weiter gehen. Ich sollte vielleicht wirklich weitergehen.

Nächste Rast bei den bladen Sphinxen: wieder Spiegeln gegenüber, in denen ich ein verhunzeltes Männchen sitzen sehe (und vorhin überraschenderweise einen Nachbarn vorbeigehen). Mein nie ganz freier und nie ganz unschuldiger Blick taxiert die Vorbeigehenden. Bei mir ist überhaupt keine Expertise, keine Exzellenz, nur ein dumpfes Gefühl im Kopf, begleitet von leichtem Kopfweh. Ich betrachte verlegen und aus Verlegenheit das Preispickerl am Pilotstift – ich schaffe es heute nicht, es abzuzupfen: meine Seele ist dazu nicht stark genug. Soll ich doch lieber ins Freie gehen?

Nun sitze ich heraußen auf der Rampe. Die frische, heute kühlere Luft tut mir gut. Interessant ist: links weht der Wind das rote Lesezeichenbändchen von links ins Notizbuch, rechts blättert er die rechten Seiten von rechts auf (ich schreibe auf der linken Seite). Auf meinem T-Shirt steht „Gar nichts!“ - und so fühle ich mich auch. „Gar nichts!“ ist müde. „Gar nichts!“ will nach Hause gehen. „Gar nichts!“ will sich aufs Bett legen. „Gar nichts!“ kämpft gegen seinen Überdruss. „Gar nichts!“ ist nicht einmal ein Windhauch in dieser Welt.


(16.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3665 Finita

 



0:13 a.m. Geschichten, Fragmente, Szenen schwirren durch mein träges Gehirn; nichts wird ausgearbeitet, nichts vertieft; müde bin ich hinter den Augen und an der Nasenwurzel staut sich etwas. Die Augen fallen mir zu und der Stift aus der Hand. Finita la commedia. Für heute.


(16.5.2024)


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Dienstag, 14. Mai 2024

3664 Das Universum schickt Soldaten aus

 



12:05. Der Arbeiter bohrt auf der Leiter gut unterstützt von seiner Mannschaft (mit einer Frau) ein Loch in die obere Ecke eines metallenen Tür- und Fensterrahmens, wenn ich es richtig sehe. Der blaue Kran vor der Kirche steht unbewegt – soweit ich es von hier aus sehen kann. Eine angenehme Musik im Café und von draußen von der kleinen Kreuzung blickt das auf seriös gemachte Gefrieß eines EU-Wahl-Kandidaten herein, der jedoch – so kommt mir vor – sehr erschrocken und schmerzhaft dreinschaut. Heute ist die Straße sehr belebt und überhaupt nicht fad. Die Sonne kommt nur auf zwei Flecken herein. Mein Gott! Ich und die Melancholie! Die kann ich wohl immer und überall abrufen! Auf der Straße sehe ich durchaus einiges an Fröhlichkeit, auch das traurige Saxophon aus den Boxen spielt auf fröhlicher Perkussion. Ich bin zum Leben mehr ein Voyeur. Die Distanz löst sich nicht wirklich auf. Aber das macht nichts (wirklich nicht?). Ein Lastwagen zwängt sich durch die unübersichtliche Baustelle, blinkt und tütet dabei im Rückwärtsgang. Ich versuche, die Gesichter der Passanten zu lesen, aber dafür bin ich zu verstrickt und blöde. Zu verstrickt in meine eigenen Chose, als dass ich die der anderen erkennen könnte. Sie erkennen sich nicht. Der fast immer elegische Wind bewegt die Sonnenplane des Gastgartens auf der Straße. Vielleicht ist in mir etwas ganz Böses (wenn man das so nennen will); aber ich will gerade daraus kein Drama machen. Außerdem gibt es nur Energie. Die große Karmeliterkirche, von der ich nur eine Seite, das Dach und ein paar Figuren und Dachzierden sehe, kann mich nicht mehr hervorlocken, die Inszenierung wirkt auf mich eher lächerlich und religiös (wenn man das so nennen will) unglaubwürdig; da war schon längst alles verloren. Schade eigentlich, speziell für Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz. Meine transzendentale Sehnsucht (wenn man das so geschwollen bezeichnen will), die vielleicht aus echter Ahnung von denen da drüben kommt, habe ich nicht in einen sinnvollen und erfolgreichen Kampf um Bewußtseinserweiterung verwandeln können, aber diese Ahnung aufgeben und ins „normale“ (wenn man das so nennen will) Leben finden, geht schon längst nicht mehr; ich bleibe dem fremd. Nicht Fisch und nicht Fleisch. Ich weiß zu viel und ich weiß zu wenig. Aber das ist völlig egal. Das Universum schickt Soldaten aus, seine Kundschafter und Versuchskaninchen. Der Lastwagen rollt aus der Baustelle raus. Heute ist es spannend hier, die Straße ist belebt, es spielt sich viel ab, auch wenn ich es weder durchschaue noch verstehe. Aber es hält mich hier.


(14.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3663 Wieder in Wien

 



7:50 a.m. Die Presslufthämmer arbeiten gegen mein Trommelfell und gegen meinen Solarplex. Mir ist ein wenig schlecht und meine Nerven flattern. Im Lichtschacht heult und scheppert eine Lüftungsanlage. Ein Schauder kribbelt auf meiner Kopfhaut. Die Angst, die mir die Luft zum Atmen nimmt, kommt wohl aus den Begegnungen im letzten Traum. Sie läßt sich jedoch auch leicht auf diese Welt anwenden. Ich habe ausgespielt. Bei geschlossenen Augen rüttle ich an einem Zaun. Meine Seele rettet sich ins Absurde. Inzwischen ist es ziemlich still hier. Das innere Karussell dreht sich in rasender Geschwindigkeit. Ich kratze mir den Schlafsand aus den Augen, der beim Waschen nicht rausgespült wurde, und reibe meine juckende Nase. Ich habe zwei verschiedene taktile Wahrnehmungen des Pilotstiftes in meiner rechten Hand, und das zur gleichen Zeit.


(14.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3662 Zugbrücke

 



13:09. Ich sitze unter einer riesigen Weide im Burggraben, rechts die hohen Mauern und Türme, links auch erhöht ein alter Neubau vermutlich der Siebzigerjahre mit großen Fenstern, anscheinend leer. Vielleicht früher eine Werkstatt, einer Tischlerei zum Beispiel. Insekten summen, Vögel zwitschern, der Himmel ist leicht bewölkt. Vor mir überquert der mächtig gemauerte Brückensteg den Graben in drei Bögen zur kleinen Pforte hin. Die ebene Wiese direkt vor mir ist voller Gänseblümchen und Löwenzahn. Der bewaldete Abhang ganz in die Tiefe zur Thaya hinunter ist weiter vorn. Ich suche Dinge und Gegenstände für meine Wahrnehmung und die Begriffe und Wörter für ihre Beschreibung, aber sie wollen sich nicht einstellen und die Wörter fallen mir nicht ein. Ahja: Zugbrücke! Die ist hinter mir längst festgemauert und jetzt die relativ verkehrsreiche Einfahrt in die alte Stadt. Auch sonst ist mein Gehirn träge und müde.


(11.5.2024)


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3661 Mich zieht es zurück

 



9:48 a.m. Die rostbraune Thaya fließt so langsam, dass man es kaum glauben kann. Der dunkelgrüne, metallene Einstieg ist so auffällig in die Uferböschung gerammt und ragt so auffällig über das Wasser hinaus. Die nackte Schwimmerin bewegt das stille Wasser und das Rauschen und Glucksen ist melodiös. Die Sonne beginnt schon zu brennen und zu stechen. Ich habe sie im Nacken, deshalb drehe ich meine Schirmkappe herum. Ein unbekanntes, schnakenartiges Insekt krabbelt auf meinem Oberarm und über die Notizbuchseiten, ehe es davonfliegt. Der Hang gegenüber am anderen Ufer wölbt sich grün und jung und dicht hinauf, nur an einer Stelle gibt er den Blick auf seinen felsigen, steinigen Grund frei. Schön ist es hier, aber ich werde nicht lange bleiben; mich zieht es in die kleine Stadt zurück, hinter die Stadtmauern; ich will eine Zeitung und ein Mineralwasser kaufen. Und Lotto spielen will ich auch. Und dann ins feudale Hotelzimmer.


(11.5.2024)


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Montag, 13. Mai 2024

3660 Sommerloch

 



14:15. Erschöpft von ich-weiß-nicht-was und von der vorgewittrigen Wetterstimmung niedergedrückt habe ich mich im feudalen Hotelzimmer aufs Bett gelegt, mich nach links gedreht und betrachte in zentaurischer Embryostellung – will sagen: ein Bein angezogen, eines ausgestreckt – die dunkelbraunen Beine des Tisches, der vier Stühle dort drüben in der Ecke und des kleinen Wandtischchens dahinter, wie sie in den hellbraunen Parkettboden stechen, so stark, dass sie sich in dessen Glanz in vershatteter Entfremdung spiegeln. Mit all den Schatten- und Lichtflächen und -flecken eine ziemliche Ansammlung physikalischer Erscheinungen von unterschiedlicher Dichte und Intensität. Freilich spricht auch so ein fremdprogrammierter Trottel in mir: du bist hergefahren, um draußen im Grünen und Freien zu sein, auch wenn die Sonne sticht; du sollst draußen herumhüpfen, Fußball spielen, sporteln und dich cool im Gemenge behaupten, aber ich weiß: allein – noch dazu bei offenem Fenster – in diesem großzügigen Raum zu sein, macht etwas mit mir und meinem Lebensgefühl. Ich lerne etwas dabei. So beruhige ich mich und lasse mich nicht hinaus jagen.

Beim offenen Fenster kommen die typischen ländlichen Nachmittagsgeräusche des Sommers herein: Vogelgezwitscher, das Jaulen des Autoverkehrs, landwirtschaftlicher Arbeitslärm, durch eine gewisse Entfernung moderater Baulärm, möglicherweise auch das Aufprallen von Holz auf Holz, unverständliche Gesprächsfetzen vornehmlich weiblicher Stimmen, Rasenmäher. Mein Geist scheint mit der Aufrechterhaltung einer Minimalidentität ziemlich angestrengt zu sein, meine Seele ist zu müde und will nicht so recht mitmachen.


(10.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3659 Größe

 



6:32 a.m. Ich sitze aufrecht im Bett, kann nicht mehr schlafen und blicke staunend ins weite und helle Hotelzimmer und durch die drei großen Fenster in die Landschaft hinaus: die Bäume und fernen Hügel hinter den zwei Fenstern vor mir, rechts auf den Nebel über der Thaya, auf dem schon das Sonnenlicht liegt. Ich staune und wundere mich, dass eine solche Größe und Großzügigkeit als Raum möglich ist, und noch mehr staune ich, dass mir dies anscheinend selbstverständlich zu werden beginnt, so, als stünde es mir zu. Bei diesem Gedanken jedoch, als er mir voll bewußt wird, wird mir vor Überforderung und wegen des Tabubruchs gleich ein wenig schlecht.

Mit dem Schmerzmittel gegen die Kreuzschmerzen höre ich auf, denn ich merke, wie sehr mir das auf den Magen geht. Zwei Tage habe ich es eingenommen, aber jetzt ist Schluß. Ausgerechnet der Magen, der mir noch nie Probleme bereitet hat (fast wäre ich gewillt, zurückgenommen zu zitieren: „Dreißig Jahre meines Nachruhms für eine gute Verdauung!“ - das passt fast ein wenig ins Ambiente, aber wäre in meinem Fall trotz Reduzierung um neunzig Prozent eine unverschämte Frechheit).

Das Sonnenlicht hat schon eine Fensternische erreicht. Ich bin noch müde, aber schlaflos. Das Frühstücksbuffet wird erst um acht Uhr geöffnet. Also hocke ich da, lese ein wenig, schreibe, vertrödel meine Zeit. Draußen hat es fünf Grad Celsius, sagt mir mein Smartphone, da bleibe ich im Bett.


(10.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3658 Nebel

 



5:02 a.m. Der Nebel ist an die drei großen Fenster als weiße Masse herangerückt, und mir ist angst und bange, weil ich von meiner Kellerwohnung geträumt habe, die so nur in meinen Träumen existiert hat und wo ich als Träumender unzählige Male war, aber die ich nun verloren zu haben scheine. Dieser Verlust erschüttert mich jetzt, obwohl ich die Wohnung jahrelang vernachlässigt habe. Es ist nichts mehr da. Kaum kann ich die Wirklichkeit hier im Wachen glauben, als wäre sie der Traum und die Kellerwelt die echte. Mir sitzt ein Knoten im Bauch, von dem Panikimpulse ausgehen. Ich blicke auf den Nebel hinter den drei Fenstern, auf die feierlich gebundenen Vorhänge, auf den großen, feudalen Raum und kann das nicht glauben. Ich habe doch dort in der anderen Welt etwas zu erledigen, muß mich dort doch um meine Existenz und meine Unterkunft kümmern! Meine aufgescheuchte Seele beruhigt sich nicht, den Frieden hier nimmt sie kaum wahr. Ungläubig blicke ich auf die undeutlich erkennbaren Bilder im dämmrigen Hotelzimmer. Ich seufze auf wie ein Kind nach einem Heulkrampf, aber auch das hilft mir nicht aus meiner Angst und bringt mir keine wirkliche Erleichterung. Wie kann ich meinen wirklichen Standort drüben so vergessen haben? Dabei sollte es doch ganz einfach sein, mir zu sagen: ich bin doch hier in dieser Welt, die durch tausende, nein: Millionen Artikel, Photos, wissenschaftliche Untersuchungen, Dokumente, Zeugenaussagen und weiß der Teufel was noch alles dokumentiert, bewiesen und belegt ist, aber meine Seel zögert, diese (sic!) Welt zu glauben. Sie kann ihr nicht vertrauen. Ich weiß, dass ihr in zwanzig Minuten oder ein wenig länger nichts anderes übrig bleiben wird; spätestens in drei Stunden beim Frühstück ist sie d’accord. Bis dahin muß ich halt zittern.

Inzwischen schimmert von weit draußen schon die Morgenröte zaghaft in den Nebel, der stellenweise bereits dünner zu werden scheint.


(10.5.2023)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3657 Der Hund

 



18:47. Die Sonne steht schon tief und scheint so wunderbar von der Seite her mit ihrem Spätnachmittagslicht. Die blühende Rosskastanie vor mir überwölbt mich und verdeckt mir mit meinem Einverständnis den blauen Himmel. Die schöne Steinmauer links zeigt mir ihre Schattenseite. Das Essen war ausgezeichnet. Das Gemurmel der anderen Gäste ist nicht unangenehm. Der Hund dort unterm Tisch schaut ernsthaft zu Boden, bemerkt aber, dass ich ihn anschaue und blickt vorsichtig her. Kurzer Augenkontakt. Er hat es bei seinen Leuten sicher nicht schlecht. Die Thaya glitzert im Gegenlicht, dort wo sie sich zwischen dem Gebüsch sehen läßt. Meine Lesebrillen zeigen an den Rändern und Bügeln runde, leuchtende, bräunliche, orange und gelbe Lichtscheiben, die ein wenig wie kreisrunde Amöben aussehen. Meine Frau hat schon gezahlt und ich sollte aufbrechen.


(9.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3656 Das offene Fenster

 



14:39. Das offene Fenster, durch das ich vom Bett aus ins Freie schaue, ist eingerahmt von zwei weißen Vorhängen auf einer müden Stange, die sich vom Gewicht der Stoffe durchbiegt. Draußen sehe ich die Kronen einer Reihe von Laubbäumen; ziemlich in deren Mitte mächtig überragt von einem riesigen Nadelbaum, der hinter der Reihe auftaucht. Von hier aus kann ich nicht eindeutig erkennen, von welcher Art er ist. Am milchig blauen Himmel dort über den Bäumen haben sich ein paar weiße Wolken eingenistet. Die zwei Vorhänge sind in ihrer vertikalen Mitte von ebenfalls weißen Bändern zusammengebunden, von derem rechten ein langer Faden absteht, der wie wild und panisch im Wind hin und her springt, als wolle er sich losreißen und fliehen. Lachen kommt die Schlossmauern herauf, laut und ein wenig exaltiert und deshalb meinem ständig mißtrauischem Geist nicht ganz glaubwürdig. Die zwei Fichten, die ich durch das geschlossene Fenster links sehe, sind von dem alten, träge verrinnendem Fensterglas vershattert und entstellt, dass sie wie das Werk eines ornamentalischen Künstlers wirken; nicht unschön, aber dennoch bereits als überkünsteltes Bild in Kitschgefahr. Mein Gott, dieses riesige Zimmer macht etwas mit mir; seine feudalen Ausmaße und seine selbstverständliche Großzügigkeit machen mich … hm … gehobener. Dabei bezahle ich das Zimmer gar nicht; ich könnte es mir nicht leisten.
War der Schrei jetzt von einem Esel oder von einem Mann beim Sex? Ich muß das offen lassen; es hat zu kurz gedauert um dahinter zu kommen. Ich war es jedenfalls nicht! Ich schreie – wenn überhaupt – meistens etwas länger.


(9.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3655 Im Mohncafé

 



13:14. Der Maibaum neigt sich ein wenig nach links, während seine Bänder sich in hoher, überlegener Feierlichkeit nach rechts auswehen (ich sitze 340° N). Der Hauptplatz streckt sich ein wenig lädiert und letz, aber seine Bäume sind und bleiben prächtig. Unten im Schatten sitzen ein paar blau gekleidete Menschen – soweit ich von hier aus sehen kann männlich. Links unten parkt ein Schippel Auto in einem lockeren Haufen. Hinter mir nimmt ein Küttel (Falter!) Touristen Platz. Die Kirchturmuhr zeigt halbzwei. Die heilige Taube hängt an eine strahlende Sonnenscheibe geklebt schräg über der Pestsäule. Zwei Radfahrer, die unten nebeneinander fahren, bremsen zwei Autos ein. Trotz Sonne ist mir in den Händen ein wenig kalt (18° C). Die schönen Häuserreihen fassen den langgezogenen Hauptplatz schon seit Jahrhunderten ein. Der gelbe Kastenwagen mit dem blauen Streifen fährt weg. Handys bimmeln. Ein etwas gewöhnungsbedürftiges Gelächter vom Nebentisch. Viele touristische Radler gibt es hier. Die kurzen Radlerhosen an den bleichen Schenkeln schauen ein wenig … ordinär aus. Die langen eigentlich auch. Aber wer bin ich, dass ich das kommentieren darf? „Mein ist die Rache, spricht der Herr!“ Jetzt kommen die Biker und drehen nochmals ordentlich auf, bevor sie die Motoren abstellen. Sind sie schon die auf mich angesetzten Racheengel des Herrn? Es sind schon recht ältere Herren, aber sie tragen Totenköpfe an den Rücken ihrer Lederjacken. Oder brauchen sie nur ein dichteres Fell? Am Wipfel des Maibaums zappelt es jetzt aufgeregter herum. Auch ich werde unruhig; baldiger Aufbruch zeichnet sich ab.


(9.5.2024)


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3654 Die Mauer vor mir

 



11:27 a.m. Die Mauer vor mir: ziegelrot und hellgrau, dunkelgrau bis bläulichgrau und ein paar ockerne Steine mit rotgelben Einsprengseln. Diese kleine Gruppe von großen Linden, die so ungefähr im Kreis stehen und die kurzgemähte Wiese zwischen den Steinmauern, zirka fünf Meter breit (schlecht geschätzt: zirka 14 Meter breit! - der Korrektor). Ich nehme hier im Schatten meine Kappe herunter und mein Blick sucht die sonnenbeleuchtete Schloßfassade ab. Neben dem kleinen Portal gibt es gekrümmte Schleifspuren im Verputz der Wand bis in die Höhe der Oberkante des Portals; exakte kreisrunde Bögen. Wie er es so oft macht, streicht der Wind über Bäume, Sträucher und Blumen, bringt sie ein wenig zum Zittern und Schwingen und läßt sie dann wieder. Der Autolärm ist hinter all dem versteckt, das Vogelgezwitscher ganz nah, nur manchmal hört man die Autoreifen auf dem Asphalt. Ein Raubvogel – es könnte ein Habicht sein – kreist ganz hoch oben in den sonnigen Lüften, während ein paar weiße Wolken gemächlich über das Blau ziehen. Was hier wie ein Idylle ausschaut, ist es nicht: es wird hier rundherum gejagt, getötet, gefressen und gekämpft und gestorben. Alle Tiere und Pflanzen haben Bewußtsein. Wieder kommt ein Windhauch, streift meinen Kopf und meine ärmellosen Arme, wird kurz stärker und legt sich dann wieder – ich weiß nicht, wohin. Man hört es den Autoreifen an, dass sie sich nicht immer so leicht tun, sich von der Anhaftung an Asphalt und Pflaster zu lösen. Ein Kuckuck ruft. Ein Hund bellt. Dann kommt ein Windhauch von rechts, aus der anderen Richtung. Ich schaue hier 300 Grad Nordwest, so wie ich auf der Bank sitze. Ach, jetzt rufen ein paar Krähen; schon sind sie wieder weg. Eine helle Mittagsglocke läutet, wird aber von nahen Autos übertönt; sie kommt nur für einen kurzen Moment durch. Wen kümmert es, dass der Tag seinen Höhepunkt erreicht hat – was ja schon wegen der Sommerzeit nicht stimmt. Wir wissen nichts mehr von der wachsenden und absterbenden Vergänglichkeit. Jetzt läutet eine nähere Kirchenglocke die Tagesmitte und läßt sich und ihre Botschaft nicht übertönen. Kurz hält alles inne. Einzelne Insekten summen in rasendem Tempo über die gemähte Wiese. Die Schwalben sausen meist lautlos über die Gärten. Das dichte, grüne Laub des Lindenkollektivs rechts von mir ist von massiver Präsenz und beansprucht selbstbewußt seinen Raum. Die Mauern dahinter stehen sprachlos und warm in der Sonne. Im Westen ist das Himmelsblau milchiger.


(9.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3653 Noch jubelt man

 



9:36 a.m. Die Sonne steht über der Thaya, scheint ihr nach und verfolgt sie, aber das gelingt ihr nicht ganz: der Fluß versteckt sich in Schluchten und hinter Felswänden und bei bewaldeten Ufern unter dem Gebüsch der Uferböschung. Dafür liegt die schwere, alte Landschaft offen da, ausgestreckt, angestrahlt und aufgerissen, ihr Sterben geschieht in solcher Langsamkeit, dass unsereiner es gar nicht merkt. Noch jubelt man über den herrlichen Tag, Frühling oder Frühsommer – man weiß es nicht, denn manche Bäume haben schon sommerlich ausgetrieben, während andere noch winterlich kahl dastehen, ihre Äste und Zweige recken und gerade einmal ein paar Knospen zeigen. Wir sollten das Zimmer verlassen und hinausgehen, dafür sind wir ja hierher gefahren. Alle photographieren hier alles zu Tode; ich auch.


(9.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3652 Abend

 



19:37. Die Amseln schreien, zwitschern und singen wie verrückt in den kühlen Abend hinein. Das graue, randbeleuchtete Wolkenband hängt quer über meinem bewaldeten Horizont. Gerade jetzt in diesem Moment hört man kein Auto. Dann das ferne Rauschen eines Flugzeugs. Die Autos sind auch gleich wieder da. Jetzt sausen Schwalben oder Mauersegler herum – ich kann sie nicht deutlich sehen. Ein näheres Flugzeug. Die Sonne ist unten und es wird noch frischer. Meine Augen wandern den Horizont entlang. An der Ecke des Schlosses leuchtet der Himmel noch.


(8.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3651 Immer wieder

 



14:04. Warten auf den Finanztermin. Dieses elende Gefühl! Nicht wissen, ob man alles richtig verstanden hat und die richtigen Unterlagen mit hat. Zumindest ich rechne immer mit einem unfreundlichen, arroganten, feindseligen Tonfall (der gar nicht zutreffen muß, aber so ist meine Prägung Behörden und „Obrigkeit“ gegenüber). Dieses elende Gefühl, jetzt – wo man nichts Böses will – überprüft zu werden. Dafür bin ich schon zu alt. Ich halte das kaum noch aus. Ich will meine Ruhe haben und angekommen sein. 14:50. Was ich erreicht habe, habe ich erreicht und darüber hinaus steht mir nichts zu. Ich will das akzeptieren und nichts mehr „herausreißen“. Laßt mich in Ruh! Ach, der Wind streicht mir über den Nacken und eine laute Horde junger Leute – das Leben noch vor sich – nicht unsympathisch – schlendert vorbei. Mir ist zum Heulen; die Hoffnungen, die ich mir mache … immer wieder falle ich drauf rein.


(6.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 5. Mai 2024

3650 Eine Fliege fliegt

 



Eine Fliege summt fliegend durch mein Zimmer; ein Vorbild an Ausdauer und Konsequenz, und ich höre sie auch nicht gegen Fensterscheiben stoßen. Wenn man oder frau genau hinhört, ist das bewegende Geräusch recht interessant inklusive Dopplereffekt und Intensitätswechsel. Ah! Jetzt sitzt die Fliege. Ganz nah bei meinem Kopf; sehen kann ich sie so nicht. Jetzt fliegt sie wieder, was ja ihrem Namen nach ihr Daseinszweck sein sollte. Moment! Sind das jetzt zwei?! Oder kann sie ihr Geräusch teilen und zweistimmig summen? Einer Obertonsummerin? Jetzt hört es sich an, als wäre ein ganzer Schwarm unterwegs. Aber wenn sie sich hinsetzt, sind alle still. Spielen die „Zimmer, Küche, Kabinett, hinterm Ofen steht ein Bett“? Ich entkrampfe meine linke Hand, die sich vor Aufregung an das Notizbuch geklammert hatte. Das Summen ist nun kaum vernehmbar weil in den anderen Räumen, dafür kann ich jetzt die schleifende Rotation im Geschirrspüler von der Küche unten bis herauf hören. Mein CD-Turm scheint zu wanken, aber das kann nicht sein. Die Fliege fliegt wieder näher und setzt sich dann nieder. Schwer wie ein vollbeladener Bomber hebt sie sich von meinem Schreibtisch in die Luft und brummt aus dem Zimmer. Das andere Summen jetzt ist eindeutig von höherer Tonlage und muß von einem anderen fliegenden Individuum stammen. Nahrungsreste werden die Fliegen in meinem Zimmer nicht finden, denn hier wird niemals gegessen. Jetzt fliegt die dickere doch gegen die Fensterscheibe!

Lange lausche ich konzentriert auf das Gesumme, ob ich irgendetwas heraushören kann, aber dieses Geräusch ist mir zu variantenreich und zu komplex, als dass ich es standesgemäß beschreiben könnte. Wie oft, wenn man in monotone Geräusche hineinhört. Die Fliege ist wieder weg, jetzt kommen die Hubschrauber. Auch da bin ich mir nicht sicher, ob es einer ist oder zwei.


(5.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3649 Der aufgerissene Hang

 



Spekulation und Bauwirtschaft haben den gegenüber liegenden Hang furchtbar aufgerissen, und oben liegt der kleine Berg der Ziegeln der Flotowvilla, auf dem schon Gras wächst. Hauptsache zerstört. Diese Wunde ist grässlich und Besseres wird nicht nachkommen, vermutlich ein scheußlicher Bau. Solche Destruktivität gestehe ich nur der Mutter Natur zu (wobei es der wie auch der Marktwirtschaft völlig wurscht ist, was ich wem zugestehe). Ich rieche betörenden Hollerblütenduft heranwehen, sehe aber von hier aus keinen Holunder (Baum der Frau Holle). (Würde ich aufstehen, mich umdrehen und hinter die Hollywoodschaukel schauen, würde ich einen einzelnen voll aufgeblühten Holunderblütenstand sehen.) Den Vögel ist der schirch aufgerissene Hang auch wurscht; sie ersingen und erzwitschern sich ihre Reviere und Weibchen mit allem Drum und Dran. Eine Amsel pfeift gerade sehr schön und nahe, oder? Radkersburg ist in der Steiermark, nicht im Burgenland (stiller Kommentar zu einem aufgeschnappten Gespräch). Nein, das ist keine Amsel. Mein Ärger über den aufgerissenen Hang bewahrt mich interessanterweise davor, in die Sehnsucht nach anderen Wahrnehmungsdimensionen abzudriften. Ferne, dünne Wolkenschlieren ziehen sich über die sommerlich blauen Himmel. Ein Specht klopft. Ehrlich: wir reden aneinander vorbei – womit ich jedoch nicht behaupten will, dass sich dabei nichts abspielt. In Idylle zu verfallen verhindert der Verkehrslärm (zum klaffenden Flotowhang muß ich ja nicht hinschauen). So in einer halben Stunde werden wir aufbrechen, höre ich.

Als wir dann am Heimweg über die Brücke über den Donauarm gehen, kommen uns tausende Pappelsamen aufgeregt entgegengeflogen, als würden sie uns warnen und abhalten wollen, weiterzugehen. Aber nichts ist passiert, was ich wahrnehmen hätte können: die Brücke ist nicht eingestürzt, keine Rowdies sind uns entgegengekommen und haben uns belästigt oder attackiert. Nein, alles schien ganz normal zu sein.


(4.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 3. Mai 2024

3648 Muß trotzdem

 



8:58 a.m. Meine wahrgenommene Umgebung hängt nur so schlampig vor meinen Augen. Das diffuse Licht fault auch nur vor sich hin. Alles schaut aus, als befände es sich bloß auf einem halbherzig gemalten Bild, wenn auch nicht ohne eine gewisse technisch gekonnte Handwerklichkeit. Dennoch steigt in dieser langgeweilten Wirklichkeit im mir ein Zittern hoch, verfestigt sich und zieht die Angst herbei. Ich lasse mich nicht irre machen und hungere die Angst aus. Die Vibration hat meinen Mund erreicht, nun scheint sie auf meinen Schädel überzugreifen, aber meine Seele stabilisiert sich und die Umgebung. Eine leichte Übelkeit bleibt noch. Ich darf nicht an die Herausforderungen der nächsten Tage denken, sonst wird mir richtig schlecht. Ich bin nicht für diese Welt geschaffen und muß trotzdem in ihr leben.


(3.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3647 Ach was

 



1:39 a.m. Das Universum der Staubteilchen tanzt vor meinen Augen, dreht sich im Kreis, steigt und sinkt herab. In meinem Kopf ist es leer und oder vollgefüllt – ich weiß es nicht, ich spüre es nicht. Mit dem inneren Auge sehe ich auf schwarzem Untergrund Fetzen meines Inneren, die wirklich wie schlaffes organisches Gewebe aussehen, an die schwarze Wand genagelt. Es tut gar nicht weh. Heißt das jetzt ja oder nein? Die Müdigkeit schiebt sich in Zeitlupe von unten in mein Gesicht. Irgendwo im Mauerwerk knackst es und es schlagen irgendwo ferne Türen. Das Signal vom Handy versetzt meinem abgedrifteten Bewußtsein einen Schock, der mich hochfahren läßt. Jetzt sind die schwarzen Wände in meinem Inneren eine Spur heller und von kunstvollen roten Mustern überzogen, als wären sie künstliche Adern. Mein Cousin überprüft das Ganze, aber seinen Ergebnisbericht habe ich verloren. Ach was!


(3.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com