Freitag, 31. Mai 2024

3687 Im Zug

 



10:27 a.m. Im Zug. Gegen die Fahrtrichtung. Die Verkleidung der Leitungen oder Heizung bei den Füßen unten an der Zugwand ist blöderweise abgeschrägt, sodass ich meinen linken Fuß für eine erhöhte Position zum Auflegen des Notizbuches nicht draufstellen kann, weil der ständig abrutscht. Die Voralpenlandschaft saust vorbei und mir ist heiß. Ich ziehe Sakko und - obwohl es mir befremdlich ist – das Hemd aus. Auf meinem T-Shirt steht „Dafür bin ich schon zu alt!“ Ich schwitze. Wieso? So heiß kann es bei 14° in Linz nicht sein. St. Valentin: 16°. 60° N meine Blickrichtung. Hä?!? Wie soll das gehen? Wir fahren nach Süden? Egal, die vorbeigezogene Landschaft stimmt noch. Wenn das kein Trick irgendwelcher Außerirdischer ist!

Das ist die Jahreszeit mit dem intensivsten Grün. Der Frühling ist grosso modo vorbei, der Sommer noch frisch und unverbraucht. Eine Regenfront im Süden (dafür gebe ich keine Gewähr! Meine Orientierung fragwürdig!), der Regen zieht über die Hügel und Berge des Alpenvorlandes und hüllt sie so schön ein (ich bin im meiner Seele ein urkonservativer Land- und Heimatfreak. Landschaft statt Urbs - obwohl Sankt Urban ein Landwirtschaftsgott, äh -heiliger ist – der innere Aufdecker). Hier ist es trocken, es regnet nicht. Oh diese sanften Wiesen und Felder und die Gebüsch- und Baumreihen dazwischen! Und was ist mit den toxischen Spritzmitteln und den anderen destruktiven Maßnahmen der Landwirtschaft, die die sogenannte „Natur“ und die Wald- und Wiesenkulturen ruinieren? Das gekonnte, gedämpfte Klacken des dahinrasenden Zuges über den Weichen. Dieses verhaltene, leise Gerumpel hat auch etwas: elegante, fein eingehüllte Modernität (siehst du! - der innere Zustimmer). Der Regen ist näher gekommen, aber noch nicht da. Höchstens hundert Meter entfernt. Ich hasse die Lärmschutzwände! Was hat das Zugfahren noch für einen Sinn, wenn man keine Landschaft sehen kann? Der Regen ist wieder weiter weg. Viele Tunnels auf dieser Strecke; das überrascht mich immer wieder. Handymast, Türmchen und Baumarktwerbung ragen über die Lärmschutzwand. Jetzt aber ist der Blick frei. Irgendwer macht mit den Lärmschutzwänden ein ures Geschäft. Ein Hochsitz da drüben im Feld. Hochsitze, zu denen man mit dem Autofahren kann, gehören verboten! Nur solche mit mindestens drei Stunden Anmarschzeit dürfen – eventuell! - erlaubt werden. Tunnel. Die Hügel rücken näher. Starkstromleitungen durchschneiden optisch rhythmisch und fast elegisch die Landschaft. Windräder drehen sich souverän und majestätisch im geringen Wind. Die Landschaft wird wieder flach, der Regen ist bei den fernen Bergen im Süden. St. Pölten wird angesagt. Ein Falke fliegt ein kleines Stück des Weges mit dem Zug. Bahnhof des Heiligen Hippolyt von Rom – der Zug hält. Hinweiswerbung € 11.- pro Tag jetzt buchen! Bei der ÖBB. Für die Schublade? Ich werde es überlegen. „Leben am Fluss“ wird beworben, aber schon einige hundert Meter entfernt. Die Landschaft wird hügeliger. Regen ist auch an den Passagen, in denen man Aussicht nach Süden hat, keiner mehr zu sehen. Die Frau gegenüber klappt ihr kurz weggelegtes Buch wieder auf, nimmt ihr Papierfetzerllesezeichen heraus und biegt die zwei Hälften stark nach hinten, was mir einen Stich gibt. Darf eines so mit Büchern umgehen? Tunnel, Tunnel, Tunnel. Immer noch im Tunnel – ich grinse in ausgedachten Dialogen vor mich hin. Wien Meidling wird angesagt. Der Zug bleibt auf der Strecke bei ▼130/ Gl 7/ 0/ 0/ 4/ 6 (von oben nach unten) in der prämeidlinger Betonschlucht stehen. Dann Halt in Wien Meidling. Die ersten Regentropfen am Zugfenster. Wien braucht Regen.


(31.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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