Morgen
Der Morgen ist herrlich (wann werden wir endlich statt
„herrlich“ „dämlich“ sagen? (Ich weiß: etymologisch falsch)) und vielversprechend,
ich bin verschlafen und traumhapert (etym. „hapert“ von „Haupt“) (das in
Klammer erst im nächst wacheren Stadium eingefügt).
Das Abbild meiner Schilderungen meines Körpergefühls damals
auf dem Gewaltfreien-Kommunikation-Workshop, von einer anderen Teilnehmerin
aufgezeichnet und von mir auf die Kastlwand am Fußende des Bettes gepinnt -
schaut aus wie eine unvollständige unverständliche Bastelanleitung für das
Zusammenbauen eines schmalhüftigen Supermans (oder einer eben solchenen Mönchsgestalt)
– erschreckt mich in seiner kraftvollen, entschiedenen Zeichnung – mein
Sinnesapparat scheint noch auf Nachtaufnahme und Nachtsichtprogramm eingestellt
zu sein.
Ja, heute ist der Tag, wo ich ins Bad gehen werde. Ich werde
entspannt liegen, in die Bäume und Wolken gaffen, schwimmen, herumschauen,
schreiben. Am Abend werde ich einen leichten Sonnenstich haben und völlig
erschöpft und müde sein und mich sommerlich fühlen. (Schau ma mal!)
Nackt
Ich sitze als Nackter unter Nackten, auf der Erde. Aufgeregte
Rufe der Kinder, hysterisches Jugendlichengeschrei vom Jenseits des
Strohmattenzauns im Badehosen-Bikini-Bereich. Hier bei den Nackten ist es
ruhig, trotz vieler Frauen mit Kindern. Vom Wasser kommt das Geheule der
Wasserlilien-Mäh-Boote. Am anderen Ufer fährt ein Kleinstwagen der städtischen
Gartenbetriebe mit orangenem Blaulicht. Die Stehpaddler gefallen mir so sehr!
Es schaut so toll aus und erinnert mich an ein altes Foto eines Eingeborenen im
Dschungel, das ich vor Jahrzehnten gesehen habe und das sich tief eingeprägt
hat: die Haltung nämlich: die aufrecht und stolz ist: die stille, demütige
Fortbewegung, die liebevoll zu Mutter Erde ist. (ich weiß schon: die Bretter
aus Plastik .. etc. …)
Apeman
Ich liege am Rücken auf der Matte in der Sonne und lasse
mich braten, den Hut über das halbe Gesicht gegen die Sonne gezogen, mit einem
Auge sehe ich ins Geäst der großen Pappel und in den blauen Himmel. Aber meine
Gedanken wandern und wie immer in letzter Zeit: ich lande beim bajuwarischen
Affenarsch Wolfgang Döbereiner. Anscheinend bin ich mit ihm – verdammt! - immer
noch nicht fertig! Ich habe ihm noch nicht alles gesagt, und was ich ihm
geschrieben habe, habe ich viel zu rücksichtsvoll geschrieben, und ich hätte
ihm alles ins Angesicht schleudern sollen! Ich will aber nicht bis an mein
Lebensende mich ihm gegenüber rechtfertigen glauben zu müssen – obwohl: wenn
nach dem Tod – respektive im Sterben – eine Begegnung mit ihm möglich wäre: ich
würde diese Abrechnung mit ihm genießen! Aber vielleicht ist es zu spät und ich
muß diese bajuwarische Dreckssau vergessen (er war beim Austeilen auch nicht
zimperlich). Aber ich kann's nicht! Ich werd's nicht los! Ich werd's nicht los!
Wie kann ich dieses Dreckskapitel endlich abschließen? abschießen? derschlagen?
Warum lasse ich mir von ihm immer noch mein sommerliches Liegen unter Baum und
Himmel verderben?
Atemübungen
Ich habe es mit Atemübungen versucht. Losgeworden bin ich
das bajuwarische Arschloch nicht, aber meine Gedanken sind klarer geworden:
„Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seit, ich werde euch nicht
verurteilen und euch Erklärung verschaffen“, war sein Versprechen, und als ich
hinkomme, tapfer, fast ohnmächtig vor Angst, hat er mich wie ein präpotenter
Büffel niedergerammt, als wäre ich sein Feind gewesen oder lebensunwertes
Leben. Sein Versprechen war, dass er alles vorurteilsfrei prüft, aber seine
subjektiven Vorlieben und blinden Flecken – also den Balken im eigenen Auge -
hat er nicht gesehen. Sein Versprechen war, jeden sub specie aeternitatis zu
beraten und ihn oder sie mit dem Himmel in Verbindung zu bringen, in Wahrheit
hat er über seinen bajuwariswch-plutonischen Tellerrand nicht hinausgeschaut
und seinen subjekt- und kulturbeschränkten Sinnhorizont absolut gesetzt.
(Natürlich muß er was gegen FKK haben, denn dann wäre offenbar geworden, dass
auch er nur ein blöder, nackter, egomanischer, narzisstischer Affe ist.)
Flugzeug
Während das Flugzeug ungeschaut über mit rauscht, liege ich
nackt am Bauch und die sanfte Brise streicht über meinen schwimmnassen Körper.
Ja, das geht!
Aufgesetzt schaue ich alle Baumstämme an, luge zwischen sie
hindurch, lasse den Blick herunten, gehe nicht in die Kronen hinauf, den
bajuwarischen Affenarsch banne ich an den Rand, lasse ihn nicht herein,
betrachte unaufgeregt und distanziert die nackten Umherwanderer, die nackten
Sitzer und nackten Lieger, die nackten Hocker und nackten Schläfer. Und Innen.
Hier ist alles, wie es ist. Keine Hysterie notwendig.
Ich werde mich jetzt mit Nahrung stärken.
An der Unterseite
Der Wind, der jetzt etwas auffrischt, bringt die kleinen
zittrigen Blätter der Pappeln vom Glitzern ins Blinken - drei Farben sehe ich
an den Blättern: Dunkelgrün, Hellgrün, und leuchtendes Goldgrün.
Wir müssen gerade auf der Unterseite der Erdkugel sein, denn
die Bäume hängen mir von oben ins Gesichtsfeld. Den Captain Beefheart and His
Magic Band habe ich mir in die Ohren gestöpselt. Ja, so geht es!
Eine Wolke fliegt als teilunsichtbarer Drache, der sich also
nur teilweise als Wolkenfetzchen sichtbar gemacht hat, majestetisch über den
Himmel, bevor er ganz in der unsichtbaren Welt verschwindet.
Da ich an der Unterseite der Erdkugel klebe, schaue ich in
solche himmlischen Tiefen hinab, wie es kaum vorstellbar ist, ich schwebe über
der Unendlichkeit, der Mutter Erde auf den Bauch geschnallt. (Das Wort „Mutter“
hinzuschreiben schaffe ich auch im Zusammenhang mit der Erde fast nicht; ich
komme mir blöd und inzestuös vor, habe einen Widerwillen, Ekel – dabei glaube
ich, dass die Erde ein Lebewesen ist und da sie im Vergleich zu uns so groß ist
und uns ernährt und Obdach gibt, ist die Bezeichnung Mutter doch angebracht,
oder?)
Schreib!
In angespannter schreibbereiter Haltung sitze ich nackt und
in mich selbst verkrümmt in der Wiese, das Notizbuch am rechten Oberschenkel
plus Knie seitlich, die Beine leicht gespreizt, aber ab Knie bis zu den
zueinander gerichteten Fersen, die sich fast berühren, zusammenlaufend, die
Füße wieder nach außen, die Zehen in besagter Schreibanspannung hochgespreizt,
das heißt in dieser Position in Richtung meines Gesichtes, erschrecken mich
meine pilzbefallenen Zehennägel, vor allem die der großen Zehen, und da vor
allem der linke, in dessen zerfressenen Spalte zwischen Nagelbett und Nagel
himself ich regelrecht hineinschauen kann.
Übrigens: in der Mitte dieses Lagerwiesenareals thront ein
Restmüllkübel. Das nur so nebenbei.
Begräbnis
So wie der Schatten von unten nach oben weg geht, brennt mir
die Sonne den Rücken hinauf. Ich lasse auch die Ameisen auf meinem Unterarm
gehen. „Und nennt eure Kinder Olaf“ (https://youtu.be/_Y9nJfPza6Y) - hahaha fällt mir ein, während ich
durchs Universum schwebe.
Jetzt stelle ich mir vor, was ich bei meinem Begräbnis in
der Feuerhalle für Musik gespielt haben will.
Saltwater
Ich habe meinen MP3-Player auf die Krempe meines Hutes
gesteckt, die Stöpsel in die Ohren und höre Captain Beefheart Orange Claw
Hammer (das muß auch bei meinem Begräbnis gespielt werden! (Die Zeremonie wird
viele Stunden dauern, ich sehe schon.)). So bin ich als „Mann mit Hut“ ins
Wasser gegangen, bis es mir zur Brust gereicht hat. Da bin ich dann im Wasser
gestanden und gestanden und habe gehört und gehört, bis mich die Musik so
erfaßt hat, dass ich in feierlichen Schritten mich in Kreis drehend
(Sonnenbestrahlung rund herum) getanzt habe (Davidstanz, nicht Brunfttanz) und
war so glücklich, so glücklich.
(Dass ich an diesem Ort meiner alten Sucht so außer und bei
mir sein kann, hat mich auch gefreut.)
Abend
Der Abend steigt langsam aus den Wiesen; Häuptling Abendwind
streicht durch Bäume und Gebüsch und über unsere nackten Häute. Manchmal bringt
er auch einen Grashalm, eine kleine Blume oder ein grünes Kraut der
kurzgehaltenen Wiese zum leisen Zittern.
Ich weiß nicht, ob diese Trauer aus mir oder vom zwischen
den Baumkronen und den langen, langen Schatten sterbenden Sonnenlicht kommt -
„der Tag hat sich geneiget“.
Und? Wie viel bin ich weitergekommen? Um wie viel ist mein
Bewußtsein vermehrt und erweitert worden? Was habe ich heute neu erfahren
(Er-fahr-ung)? Wieviel und was habe ich ins Leben gebracht?
Ich geh noch nicht in den U-Bahntrubel und flüchte noch
nicht hinter mein Laptop, ich halte diesem Abend und diesem sterbenden Tag
stand. (Ein gescheitertes Leben zu Ende zu leben ist nicht so leicht – fürs
Ego.)
Der Wind legt zu. Ein Friede kommt leise über das Gelände,
der zwischen hoffnungsvoll und hoffnungsleer changiert. Der Captain Beefheart
singt seinen Shanty-Blues vom Mikrophon in mein Inneres.
Abschluß
Frau Turbo mit dem Turban schritt
sich eine Tasse Tee zu machen
der Ehemann kam nicht mehr mit
er mußte ständig lachen.
(12.8./ ergänzt 13.8.2020)
©Peter
Alois Rumpf August 2020 peteraloisrumpf@gmail.com