Nach langem Zureden und vielen Ablenkungs- und
Vermeidungsmanövern habe ich es endlich mit stundenlanger Verspätung in die
Albertina geschafft. Auch meine Ohren protestieren und spucken die
Musikohrenstöpsel raus und mein MP3 hört aus Saft- und Kraftlosigkeit auf zu
spielen. Aber ich bin schlau und rechne immer mit meiner Selbstboykottierung
(Boy-Gottieren) und deshalb trage ich immer einen zweiten MP3 bei mir.
Ich habe noch nichts, kein Bild angeschaut und sitze bei den
Sphinxen, die mich heute gar nicht interessieren, und auch der geneigte
Augustus kümmert mich nicht, sondern ich bringe all mein Zeug in Ordnung und
baue mir das neue Musiksystem auf. Und ich mache – schwer zu erraten – meine
ersten Notizen und höre die begnadete Andachtsmusik der Omar-Rodriguez-Lopez-Group.
Nun gehe ich los ins späte neunzehnte, frühe zwanzigste Jahrhundert.
Einen Picasso so aus der Ferne, da im anderen Raum drüben
ist auch nicht schlecht, aber ich habe anderes vor. Hier ist links von mir
Sitzendem die Bretonin im Schatten, das Licht von hinten. Das feine und
schüchterne, ein wenig ängstliche, kaum bemerkbare Lächeln. Ein Schauder geht
mir über den Rücken, darum gehe ich weiter, obwohl mehr als sieben Schönheiten
im Raum sind – körperlich und bildlich; in meinem Bewußtsein im Inneren macht
das nicht so den Unterschied, von den Bildern wie von den Leibern trage
ich bloß Bilder in mir.
(Viele Kunstwerke kommen hier nicht vor, weil ich mich vor
ihnen nicht hinsetzen kann.) Nun wieder vorm geliebten viereckigen Klee.
Neunzehntes-Jahrhundert-Technik und Clowns halte ich auf Bildern kaum noch aus;
egal von wem und wann gemalt.
Ich drehe mich auf der Sitzbank im Sitzen „wie so ein
Schwuler“ in eine andere Richtung: das Notizbuch in meiner dreifach beringten
linken Hand, die Beine in der Luft – ich schaue haltungsmäßig aus wie der Kurze
auf seinem Geilomobil – das sagen mir zumindest mein innerer Beobachter,
Kommentierer und Kritiker – letzterer kritisiert mich auch wegen der
verächtlich-homophoben Formulierung und Aussage. Darauf ich: Couche! Du fieser
Kritiker! Erst sagt du das zu mir in diesen Worten (du bewegst dich wie …) und
dann wirfst du mir vor, dass ich es so hinschreibe! Du blöder Aff! Ach!
Bei Feiningers Promenade muß ich lachen – die Blicke der
vier sind so … so … hihihi.
Heute spricht mich der bunte Berg bei Oberstdorf von
Jawlensky besonders an (meine Tiroler Landschaft bei Rettenschöß!)
Mit ungarischer Romamusik im Ohr traue ich mich auf die
Stufen einer kleinen Treppe zu setzen um Munchs Winterlandschaft angaffen zu
können, die mich an...spricht? … an...bildet? Die tote Jahreszeit, die so
schwierig ist, nur mehr Schneeflecken, alles braun, aber hier das weite Meer,
das in dem Dunst doch noch alles offen hält.
Mein Lieblingsplatz vor Kokoschkas Städtelandschaften ist
frei. Wie immer lasse ich hier meine Augen ausruhen. Ich werde das Notizbuch
weglegen und zur Andachtsmusik von Omar zurück tippseln.
Allein schon die Himmeln über Dresden und London (vorm
Krieg), je ein ganzer Kosmos; und die Wässer von Themse und Elbe („bei Dresden,
da geht ja die Elbe so still“ W. Biermann. Nach dem Krieg). Die Menschen sind
gottseidank nur kleine, aber unverkennbare Farbflecken.
Langsam zieht auch die durch einen Betrachter halb verdeckte
Obstschale in der Landschaft, genauer: mit Himmel und Berg (recte: Stilleben
mit Früchten und Vogel) meine Aufmerksamkeit auf sich.
Den Vogel habe ich aus der Entfernung gar nicht gesehen und
aus der Nähe bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob das dahinter eine Landschaft
ist – jedenfalls jedoch großartig gemalt.
Ich habe mich wieder zu den Städten gesetzt und blicke
wieder von dort auf das Obst – das ist mir viel lieber: da hat mein
Wahrnehmungs- und Bildorganisationsapparat mehr Möglichkeiten, sein Zeug
zusammen zu brauen.
Die Menschen im Saal nehme ich kaum wahr, nicht einmal die
Frauen. Nur die Wächter. Da denke ich: die werden mich bald zur Rede stellen
und arretieren: schon vorhin, als ich auf den Stufen gesessen bin. Und auch
jetzt mit meinem Stoffsackerl mit meinem Zeugs (Brille, Notizbuch, Stifte,
Ausweise, Empedreis) neben mir auf der Bank könnte ich mich schon verdächtig
machen. Auch, weil ich so andächtig vor den Kokoschkas sitze: könnte ja ein
Schizophrener sein knapp vor dem Bildanschlag mit Kugelschreiber. Ich könnte ja
auch ein Messer im Beutel haben. Wie erklären, dass ich eher pyknisch denn
leptosom und manisch-depressiv denn schizo bin? Oder ist der Empedrei zu laut
eingestellt? Hören das die anderen Besucher? Störe ich diese? Ich bin immer im
Alarm, wenn ein Aufseher vorbei kommt – irgendwas ist doch an mir immer falsch!
Die Aufseher und Innen tun mir wirklich leid, dass sie sich mit mir befassen
müssen, unsicher sind, wenn sie mich beobachten, ob der gleich was anstellt
oder nicht, sich fragen, was das für eine Type ist. Ich gehe besser weiter.
Der liebe Boeckl rechts fällt mir erst beim
Abschiedsrundgang auf. So setze ich mich nochmals hin und wende mich dieser Dame
zu. Auch hier: jeder Strich, jeder Fleck am richtigen Platz, jede Farbe passt
(mein innerer Kritiker sagt: daran kannst du sehen, was du für ein
Pfuscher bist).
Ich habe mich auf eine Bank im dunklen Gang niedergelassen;
links der lächerliche Kardinal (der Kardinal ist lächerlich, nicht die
Skulptur), aber in größerem Abstand als letztens. Ich sitze nämlich am rechten
Rand des Riesenspiegels. Ich luge geradenoch auf mein Spiegelbild, wenn ich den
Kopf etwas nach links lege: der grobe Holzhacker mit den Holzhackerstiefeln und
dem Holzhackerhemd und der vernudelten Holzhackerjeans: ein rustikaler Ddoddel
inmitten der feinen Kunst, ein Gefühls- Empathie- und Kunstsinnsgrobian, ein
Kunst-Banause ohne jedes handwerkliche Geschick; und überhaupt: wäre ich jetzt
unter was weiß ich: Steierern („Leit grouß und stoark“) oder bodenständigen
oder ständig bergsteigenden Tirolern: ich würde mich als elendes Zniachtl
fühlen, als eine blasse, leere, aetherische Existenz, die von jedem Lüftl
(-malerei – nana, irgendwann ist Schluß mit der Assoziiererei!) also die von
jedem Lüftl und jedem „wos wüßt!“ verblasen wird.
Aber hier bin ich ein grober Knecht.
Die schönen Frauen, die plötzlich zu Hauf in diesen dunklen
Gang strömen – weg weg! Ich bin nicht würdig euch auch nur anzuschauen! Schluß!
Aus! Ich flüchte in den hellen Saal am Ende des Ganges.
Nun sitze ich wieder einmal vor dem Knöpfelweg in
Hinterbrühl von Marie-Louise von Motesiczky, das mir als ein besonders
magisches Bild vorkommt mit seinen Telegraphenmasten – wie wir früher gesagt
haben und die ich noch aus meiner Kindheit kenne. Ein kurzes Stück einer leeren Straße im Sommer, kurvt nach links hinab, wahrscheinlich Schotter. Die Bäume
sind Wesen, unglaublich geheimnisvolle Wesen mit magischem Eigenleben. Auch die
Schatten wirken ungezähmt, wenn man genauer hinschaut; es fällt nicht gleich
auf. Und die Holzmasten mit den vielen Porzellanhaltern für die Drähte der
Stromleitungen: auch sie transportieren wichtige Botschaften (Oh! Der liebe
John Frusciante singt und spielt sein wunderschönes All We Have!)
Und Motesickys Arbeiter rechts davon: lacht und lächelt so
sanft, so freundlich, so geduldig in seinem sicherlich schweren Leben (glaube
ich), daß ich ihn umarmen könnte. Anmutig auf seine Art. Mit seinen großen,
langen Händen und den arbeitsgeprüften Schuhen.
Beim geliebten blauen Chagallbild (Papierdrachen) bleibe ich
nur im Vorbeigehen kurz stehen, denn ich bin müde und will noch Energie für des
Kabinett des Klee aufheben, das ich dann doch flott dreimal innen umkreise.
Die Bilder dort berühren mich sehr. Dieser feine und
gekonnte Umgang mit Papier, Form und Farbe.
Dann will ich heim, aber bleibe bei Giacomettis
Landschaftsbild hängen, das auch in mir Resonanz findet. Und seine kleine
Skulptur Stehender Akt – fast zum Heulen, wenn man sie länger betrachtet. Und
dann noch sein Käfig.
Ich setze mich sogar nochmals hin, notgedrungen in einiger
Entfernung. Aber jetzt, jetzt ist es Zeit. Für seine vier Frauen habe ich keine
Energie mehr und bin überfordert.
An Picasso werde ich einfach vorbei gehen.
(23.1.2020)
©Peter Alois Rumpf, Jänner 2020
peteraloisrumpf@gmail.com