1710 Altbertina
Von Katharina (nicht die!) Grosse lasse ich mich
psychodelisieren; von Liliane Tomasko antörnen. Beim Herwandern durch die Stadt
habe ich in den Auslagen der Kunsthandlung Wienerroither & Kohlbacher
Zeichnungen von Lyonel Feininger gesehen, die mich zum Teil mehr angesprochen
haben, als seine „ausgemalten“ Bilder in der Albertina („ausgemalt“ - solche
Frechheiten muß ich aufbringen, um mich überhaupt etwas zu diesen großen
Künstlern und ihren Werken sagen zu getrauen; wer bin ich schon? - kommt mir
dann immer vor. Und erst wenn ich frech geworden bin, komme ich über den Berg
der Hindernisse der Annäherung und kann darauf zugehen).
Vom Sitz bei den zwei Damen bin ich jetzt herübergewechselt
und habe mich schräg gegenüber Augustus niedergelassen, links von mir der
Antonius, während sich der Antony in meinen Ohren niederknocken lassen will,
wenn er zu mächtig und high wird, weil er nicht größer ist als das Leben.
Gegenüber sitzt ein glatzerter Alter in dunkelblauen Jeans
und kürbisfarbenem Pullover. Viele Leute ziehen regelrecht vorbei – sie kommen
mir wirklich wörtlich von irgendwem oder -was gezogen vor. Der Alte gegenüber
schaut andauernd her – immer, wenn ich hinschaue, hat er seinen Blick auf mich
gerichtet! Was will er?
Ich könnte die zwei Sphinxen rechts von mir – die eine auf
meiner Seite des Ganges, die andere sozusagen am anderen Ufer gegenüber –
fragen. Also, was will der Alte da, meine Damen?! (ich trau mich das
jetzt nicht laut aussprechen: aber die beiden schauen ziemlich blöd drein! Ihre
Köpfe scheinen mir im Verhältnis zum (überhaupt weiblichen?) Löwenkörper
überdimensioniert; sind Löwinnen wirklich so feist, haben sie nicht kleinere
Köpfe? Na gut! Mischwesen!)
Wieder lugt der Alte über seine Brillen her (aha!
Altersweitsichtig!). Ausschauen tut er mit seinem aufgestellten Pulloverkragen
und seinem Spitzbart fast wie der Schreiber und fiese Berater des Zaren Jeremei
- Afonja in „Warwara-krasa“.
Die vorbei gehen prägen ihre Präsenz zu schwach in diesen
querlaufenden Wahrnehmungskanal, auf den ich hin schaue – hebe ich mein Haupt
vom Notizbuch auf – schon sind die Passanten vorbei und ich und der der Ort, wo
sie gegangen, wir haben sie schon vergessen.
Ziemlich gekrümmt sitzt der Alte gegenüber da, zu weit weg,
als daß ich ihm in die Augen schauen könnte; vielleicht wäre das des Rätsels
Lösung, was er da tut.
Ich glaube, ich werde jetzt den Gang nach rechts gehen und
die komischen Sphinxinnen passieren (wirklich Comicfiguren! Und warum zwei?
Befragt man/wird man jetzt doppelt befragt? Doppelt hält besser? Und wenn jede
eine andere Frage und eine andere Antwort hat? Oder gar auf dieselbe Frage zwei
unterschiedliche Antworten und Wahrheiten erwartet?). Ich werde weitergehen,
ein letzter Blick noch auf den Alten – wieder ertappe ich ihn, wie er
herschaut! - Will er mich kontrollieren?
Bei den Zeichnungen. Im Moment packt mich keine so richtig.
Die Besucher und Betrachter (wenn überhaupt, sonst
Fotografierer) heben sich wie dunkle Pflöcke von den hellen Wänden ab, als
wären sie anorganische Lebewesen oder deren Scouts, die sich hier zwar
materialisieren wollen, aber sie bleiben etwas im Pflockhaften (hahaha!)
stecken (der Pflock – der Stecken – mein Gott, hab ich mit meinen Handschriften
Spaß beim Eintippen!). Oder sind wir Menschen so? Steckengeblieben? Die
Autokorrektur (eine Autoimmunkrankheit) verlangt: Stecken geblieben (da bin ich
im Geiste wieder in der anderen Abteilung, in der mit den Guggingern. Der Name!
Gleich fällt er mir ein! Oswald Tschirtner!) (Was guggst du!) (Gugu?-dada!).
Ich ruhe mich in den Stadtlandschaften Kokoschkas aus;
nichts ist besser dafür geeignet, Augen und Seele erlösende Ruhe zu
verschaffen. Und so blicke ich als Landflüchtling auf Dresden und London und
freue mich über die Weite, die Freiheit und Schönheit der Städte.
Nun sitze ich einem stehenden Kardinal gegenüber (sicher ein
Italiener, aber seine Visage erinnert mich an die des Bischof Fünf; nur daß der
da besonders blöd dreinschaut). Schon wieder der alte Glatzkopf gegenüber,
diesmal näher, und wieder starrt er mich an. Jetzt kann ich seine Augen über
den dunklen Gang hinweg ein wenig ausnehmen: verschlossen und fragend. Erwartet
er überhaupt eine Antwort? Sein weißes Spitzbärtchen leuchtet im Dunkeln. Sonst
sehe ich sein Gesicht schlecht, anscheinend keine interessanten Konturen, keine
markanten Gesichtszüge vom Leben eingeschrieben, unbestimmt und etwas
verwaschen. Eher ein fader Zipf.
Der Kardinal mit seiner steifen Zipfeleini-Zipfelaussi-Mütze
schaut so richtig dämlich aus.
Zwischen dem Alten und mir staut sich wirklich substanzielle
Dunkelheit. Nicht Licht-, sondern Dunkelheitskorpuskel (meine Entdeckung!
Copyright). Ich geh weiter.
Noch einmal lege ich eine Rast ein; bei Chagalls
Papierdrachen, den und seine Farben ich so mag, erholen sich meine schon
überforderten Sinne. Noch ein wenig ausruhen, dann breche ich auf und fahre
nach Hause in meine Zelle.
Beim Hinausgehen komme ich in einen reinen Klee-Raum! Der
ist entweder neu oder mir noch nie aufgefallen. Obwohl ich den Klee liebe,
streife ich an seinen schönen Bildern nur vorbei, denn ich kann kaum noch etwas
aufnehmen. Nur die "irrende Seele" findet in der meinen schnelle und nachhaltige
Resonanz.
(15./16.1.2020)
©Peter Alois Rumpf, Jänner 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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