1706 Mein lebensbegleitendes Schlafen
Mein katzenbehaartes Notizbuch liegt aufgeschlagen auf
meinen angezogenen Oberschenkeln. Ich spiele mit Wahrnehmungsveränderungen
durch schielen. Es erstaunt mich, wie zufrieden ich hier und auch an diesem
Morgen im Bett in meinem Zimmer bin, wie sehr mir meine Zelle mit ihren Büchern
und Bildern an den Wänden gefällt. Besonders das Mali-Lošinj-Bild, das
anscheinend so hängt, daß mein Blick in dieser Lese- und Schreibposition ganz
von selbst auf es fällt. Und das vielleicht besonders aufgeladen ist, da meine
beiden Eltern unter diesem Bild gestorben sind. Doch jedes Bild, das ich länger
als eine Sekunde anschaue, wird hier zum Fenster in eine andere Welt.
Während mein Blick langsam von einem Bild zum andern
wandert, blitzt es kurz auf.
Es wundert mich immer wieder, was alles zum Vorschein kommt,
wenn man seine Wahrnehmung verlangsamt, vergleichbar mit dem, was alles auf
einer Tonbandaufnahme ist, das man bei normalem Abspielen gar nicht hört.
Außerdem stelle ich erstaunt fest, daß mein Ich beim langsamen Abspielen meines
Wahrnehmungs-Ton-und-Filmbandes weiblich ist – zumindest im Moment.
Kommt Wahrheit zum Vorschein oder werde ich genarrt? Oder
stellt sich diese Frage „eigentlich“ gar nicht?
Übrigens hatte jetzt soeben meine wieder männliche Gestalt
beim Dösen Flügel!
Gerade, wo ich so vor mich hin döse, während unten das Leben
in Gestalt der lieben Tageskinder singt, redet, ruft, schreit, weint, spielt,
hüpft, streitet, sich versöhnt, läuft, geht, klettert … - ich nenne das, was
ich da mache, lebensbegleitendes Schlafen, denn ich höre alles und schlafe
dabei immer wieder selig ein – gerade jetzt also ruft mich Amnesty
International an und eine freundliche, eloquente und sehr redegewandte
Tirolerin (es könnte natürlich auch eine Berliner Schauspielerin sein, die
ihren Job benutzt, um Tirolerisch zu lernen, oder eine sonstige
Amnestietelefoniererin, die eine Wette mit ihren Kolleginnen abgeschlossen hat,
daß sie einem Wiener Tirolerisch vorreden kann, ohne daß er den Fake merkt –
und wenn so, dann waren beide ausgezeichnet, denn ich habe nichts bemerkt und
ich habe mit einer Tirolerin in einer WG gelebt!), also eine sehr schnell und
dicht in breitem Strom redende Tirolerin redet auf mich ein, ich weiß schon, wo
es lang geht (um einmal einen Gemanizismus zu verwenden), aber ich kann sie
nicht bremsen. Selber schuld, denke ich mir, daß du deine Zeit und Energie an
mir verschleudertst! Denn ich komme minutenlang nicht dazu, die Höhe meiner
Pension zu nennen. Als ich endlich meine Aussage anbringen kann, stoppt das wie
erwartet sofort den Versuch, mich um Geld anzugehen, aber überraschenderweise
hat sie noch etwas in petto und redet munter weiter. Whow! (um einen
Anglizismus zu verwenden).
(14.1.2020)
©Peter Alois Rumpf, Jänner 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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