Freitag, 10. Januar 2020

1701 Doppelhändiger Segen


Auf dem Weg zur Pensions-Versicherungs-Anstalt – für den dritten Versuch, das richtige Dokument abzugeben – und ich gebe zu: ich habe zweimal das falsche eingeworfen – das aber unabsichtlich und aus Unwissenheit – stehe ich in der U-Bahn nicht allzu weit von der Tür, als eine ziemlich verpickelte junge Frau einsteigt – etwas blaß und müde aussehend huscht sie herein, gefolgt von einem warm eingepackten Mann – klein, dünn, dem man die Drogensucht gleich ansieht. Ich schaue verwundert ein zweites Mal auf die junge Frau und jetzt sehe ich auch die eigentlich unübersehbaren Anzeichen der Drogensucht. Sie setzen sich schnell nebeneinander hin, lehnen aneinander und halten die Augen geschlossen. Im Schlaf? Im seligen Rausch? Ich hoffe es für sie, wiewohl ihre Gesichter angestrengt wirken.
Als sie eingestiegen sind ist mit ihnen schon etwas anderes hereingekommen, etwas nicht von dieser Welt und vielleicht ist das der Grund, warum ich auf Drogensüchtige mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination reagiere – je nach Stimmung das eine oder das andere betont. Es fasziniert mich, daß sie einerseits nicht in dieser Welt zu Hause sind, aber durch ihre Sucht doch mit ihr irgendwie zurecht kommen müssen und viel Geld auftreiben, auch wenn sie dabei ihre Anwesenheit hier vernachlässigen und zerstören. Das ist das Unangenehme. Aber was für einen Willen bringt die Sucht mit sich! Wenn man den ohne Sucht und Selbstzerstörung entfalten könnte, wäre alles möglich (und damit meine ich sicher nicht Marathonlaufen).
Faszination und Verachtung. Ich idealisiere die Sucht sicher nicht – ich habe als ich noch in der Nähe des Karlsplatzes gewohnt habe, genug Giftlergespräche und -verhandlungen – untereinander – mitbekommen. Nein. Aber auch meine Sehnsucht nach dem Anderen ist stark. Und auch ich halte mich in dieser Welt kaum aus. Als ich vor Jahrzehnten – zum erstenmal – ein Video eines Festes gesehen habe, auf dem ich auch war, war das ein echter Schock! Der da bin ich? Der da so verklemmt und verkrampft und verlegen herumsteigt, mit sich und den Menschen nichts anfangen kann, das saublöd und für alle, die Augen im Kopf haben und nicht nur eine Ideologie, deutlich erkennbar das zu verbergen versucht – dieses da bin ich? Kaum auszuhalten, den zu sehen und wie er da auf der Party agiert.
Und ich sehne mich nach dem Rauschzustand. Einem Rauschzustand der mich heraushebt, aber nicht so primitiv wie Alkohol es meistens bewirkt (sexistische Witze und übergriffig), sondern ein Rausch, der mich Richtung Unendlichkeit blicken läßt. Also: ich gehe mit den beiden in der U-Bahn in eine starke Resonanz.

Nächste Station steige ich aus. Ich lasse alle Aussteiger und Aussteigerinnen vor, drehe mich zu den beiden um und segne sie, dann husche ich raus. Zweihändiges Segnen, wie es die orthodoxen Priester machen: mit beiden Händen gleichzeitig je ein Kreuz ins Universum zeichnen. Wenn ich mich richtig erinnere, darf das nach Kirchenrecht jeder Katholik – halt aus! Ich bin ja ausgetreten! - einmal katholisch – immer katholisch – im Ernst: das ist mir scheißegal: ich segne wen, wie, wann und wo ich will. Ich bin schon aufgeregt dabei und die ordentlich aufgedrehten RedHotChiliPeppers im Ohr helfen mir. Gleichzeitig lache ich still vor mich hin – ich weiß ja selber nicht, wie ernst ich meine Segnerei nehme. Es kann ja auch reines Zaubererspielen sein. Das ist alles egal und nehme ich in Kauf und auf meine Kappe.

Das einzige, das ich mich frage: ist es ein Übergriff auf die beiden? Benutze ich sie? Sie könnten sich – wenn sie wach wären – ja auch daran stoßen, z.B. an der christlich konnotierten Geste – für mich ist das Kreuz älter und meiner Auffassung nach kann nichts falsch daran sein, die horizontale und vertikale Bestimmungen des Menschen ins Gleichgewicht zu bringen. Aber sie könnte es stören. War das also eine Frechheit? Eine Mutter-Teresa-Anmaßung, indem ich mir einbilde, ich könne ihnen Gutes tun? Indem ich mich und mein Ego über sie stelle – so nach dem Muster: du stirbst – ich überlebe? Das ist die entscheidende Frage! Sonst nichts!













(10.1.2020)














©Peter Alois Rumpf,  Jänner 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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