1701 Doppelhändiger Segen
Auf dem Weg zur Pensions-Versicherungs-Anstalt – für den
dritten Versuch, das richtige Dokument abzugeben – und ich gebe zu: ich habe
zweimal das falsche eingeworfen – das aber unabsichtlich und aus Unwissenheit –
stehe ich in der U-Bahn nicht allzu weit von der Tür, als eine ziemlich
verpickelte junge Frau einsteigt – etwas blaß und müde aussehend huscht sie
herein, gefolgt von einem warm eingepackten Mann – klein, dünn, dem man die
Drogensucht gleich ansieht. Ich schaue verwundert ein zweites Mal auf die junge
Frau und jetzt sehe ich auch die eigentlich unübersehbaren Anzeichen der
Drogensucht. Sie setzen sich schnell nebeneinander hin, lehnen aneinander und
halten die Augen geschlossen. Im Schlaf? Im seligen Rausch? Ich hoffe es für
sie, wiewohl ihre Gesichter angestrengt wirken.
Als sie eingestiegen sind ist mit ihnen schon etwas anderes
hereingekommen, etwas nicht von dieser Welt und vielleicht ist das der Grund,
warum ich auf Drogensüchtige mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination
reagiere – je nach Stimmung das eine oder das andere betont. Es fasziniert
mich, daß sie einerseits nicht in dieser Welt zu Hause sind, aber durch ihre
Sucht doch mit ihr irgendwie zurecht kommen müssen und viel Geld auftreiben,
auch wenn sie dabei ihre Anwesenheit hier vernachlässigen und zerstören. Das
ist das Unangenehme. Aber was für einen Willen bringt die Sucht mit sich! Wenn
man den ohne Sucht und Selbstzerstörung entfalten könnte, wäre alles möglich
(und damit meine ich sicher nicht Marathonlaufen).
Faszination und Verachtung. Ich idealisiere die Sucht sicher
nicht – ich habe als ich noch in der Nähe des Karlsplatzes gewohnt habe, genug
Giftlergespräche und -verhandlungen – untereinander – mitbekommen. Nein. Aber
auch meine Sehnsucht nach dem Anderen ist stark. Und auch ich halte mich in
dieser Welt kaum aus. Als ich vor Jahrzehnten – zum erstenmal – ein Video eines
Festes gesehen habe, auf dem ich auch war, war das ein echter Schock! Der da
bin ich? Der da so verklemmt und verkrampft und verlegen herumsteigt, mit sich
und den Menschen nichts anfangen kann, das saublöd und für alle, die Augen im
Kopf haben und nicht nur eine Ideologie, deutlich erkennbar das zu verbergen
versucht – dieses da bin ich? Kaum auszuhalten, den zu sehen und wie er da auf
der Party agiert.
Und ich sehne mich nach dem Rauschzustand. Einem
Rauschzustand der mich heraushebt, aber nicht so primitiv wie Alkohol es
meistens bewirkt (sexistische Witze und übergriffig), sondern ein Rausch, der
mich Richtung Unendlichkeit blicken läßt. Also: ich gehe mit den beiden in der
U-Bahn in eine starke Resonanz.
Nächste Station steige ich aus. Ich lasse alle Aussteiger
und Aussteigerinnen vor, drehe mich zu den beiden um und segne sie, dann husche
ich raus. Zweihändiges Segnen, wie es die orthodoxen Priester machen: mit
beiden Händen gleichzeitig je ein Kreuz ins Universum zeichnen. Wenn ich mich
richtig erinnere, darf das nach Kirchenrecht jeder Katholik – halt aus! Ich bin
ja ausgetreten! - einmal katholisch – immer katholisch – im Ernst: das ist mir
scheißegal: ich segne wen, wie, wann und wo ich will. Ich bin schon aufgeregt
dabei und die ordentlich aufgedrehten RedHotChiliPeppers im Ohr helfen mir.
Gleichzeitig lache ich still vor mich hin – ich weiß ja selber nicht, wie ernst
ich meine Segnerei nehme. Es kann ja auch reines Zaubererspielen sein. Das ist
alles egal und nehme ich in Kauf und auf meine Kappe.
Das einzige, das ich mich frage: ist es ein Übergriff auf
die beiden? Benutze ich sie? Sie könnten sich – wenn sie wach wären – ja auch
daran stoßen, z.B. an der christlich konnotierten Geste – für mich ist das
Kreuz älter und meiner Auffassung nach kann nichts falsch daran sein, die
horizontale und vertikale Bestimmungen des Menschen ins Gleichgewicht zu
bringen. Aber sie könnte es stören. War das also eine Frechheit? Eine
Mutter-Teresa-Anmaßung, indem ich mir einbilde, ich könne ihnen Gutes tun?
Indem ich mich und mein Ego über sie stelle – so nach dem Muster: du stirbst –
ich überlebe? Das ist die entscheidende Frage! Sonst nichts!
(10.1.2020)
©Peter Alois Rumpf, Jänner 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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