1721 Ich rette die Welt
Zwei Uhr zwanzig in der Nacht. Nachdem ich 1.) nicht
schlafen kann und 2.) aufs Klo muß – daran ist nichts mysteriöses, denn ich
habe viel und spät Kaffee getrunken – habe ich das Licht wieder aufgedreht, die
heiligen drei Pölster übereinander geschlichtet, nach Erledigung meines kleinen
Geschäfts mich wieder ins Bett gelegt, die Brille aufgesetzt, Notizbuch und
Stift genommen und begonnen, die Welt zu retten.
Schon beim Versuch einzuschlafen nämlich (mit h schreibt ist
dämlich) habe ich alles im Kopf geklärt: zuerst all meine Traumata und
Störungen ausgebügelt, dann die Fehlentwicklungen der kath Kirch im Blitztempo
abgehandelt (so schnell, dass ich „kath Kirch“ statt katholische Kirche
schreiben muß zur Zeitersparnis), bin übergewechselt zu Aufklärung,
Rationalität und Freud und Freudianismus – aus dem linken Ärmel meines Pyjamas
geschüttelt alle die grundlegenden Fehler korrigiert, so daß es wieder passt –
alles ganz plausibel, rational, einleuchtend und aus sich heraus erhellend,
meinen ZuhörerInnen ganz verständlich, klar; sie mußten keine Fragen stellen,
ich konnte in meinem inspirierten Vortrag fortfahren ohne durch lästige Fragen
oder Einwände in meiner Mission aufgehalten zu werden; und so konnte ich auch
noch die Geschlechterrollen angehen (Ihr Frauen! Ihr würdet euch wundern, was
ich da alles zu sagen und zu erklären habe!) mit einem kleinen Abstecher zur
Wirtschaft – das genügt! Die soll sich nicht so wichtig nehmen - und so bin ich
ständig redend – passagenweise kannte ich meine ZuhörerInnen, passagenweise
weiß ich nicht, zu wem ich geredet habe, oft einfach nur so ins Universum
hinein – flott in der Welt- und Geistesgeschichte herumgerast und dabei nicht
müde geworden.
Ja, der Welt entgeht ein großer flotter Denker vor dem
Herrn, weil sie mir nicht zuhört! Ich staune ja selbst, wie gekonnt ich das
alles erledigt habe und damit die Grundlagen für die nachhaltige Rettung von
Menschheit und Welt geschaffen. Und das in einer guten Stunde beim Versuch,
einzuschlafen! (Diese Stunde muß wirklich gut gewesen sein!)
Nun aber spüre ich eine leichte Erschöpfung, wiewohl ich
noch ganz aufgeregt bin vor lauter Begeisterung über mich selbst. Und ich
gestehe, dass ich das nicht zum ersten Mal mache! Dieses
Vortrags-Konglomerat-Konzentrat mit all seinen gezippten Informationen und
erleuchtenden Ideen habe ich schon unzählige Stunden in meinem Kopf, immer die
jeweilige Welt- und Geistessituation und die jeweilige Zuhörerschaft
berücksichtigend – abgespult, vom immensen Pool meines Wissens und meiner
blitzschnellen Bildung (?) gestützt immer aus dem Stegreif – Vorlagen, Zettel,
Stichworte - alles nicht nötig (der Pool stützt mich: wie er das macht, kann
ich jetzt auch nicht erklären, aber mit solchen Nebensächlichkeiten halte ich
mich nicht auf).
Ich muß schon wieder aufs Klo. Brunzen kann ich bei diesem
Getröpfel nicht sagen, denn „brunzen“ ist eine Intensivierungsform von
„brunnen“, wie „flitzen“ zu „fliehen“ und „schnitzen“ zu „schneiden“.
Ja ja mein Geist ist jung frisch stark urschnell, mein
Genitourinalsystem (wenn es dieses Wort nicht gibt, habe ich es gerade
erfunden) ist alt und ausgeleiert.
Also aufs Klo und dann probiere ich wieder einzuschlafen.
Wenn es nicht geht, dann rette ich die Welt halt nochmals. Diesmal vielleicht
mit der Begrünung der Sahara.
Jetzt wird mir doch ein wenig übel und beim Aufstehen
schwindelig.
Aber diese Klarheit im Alter! Diese Klarheit!
(23.1.2020)
©Peter Alois Rumpf, Jänner 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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