1731 Aufstehen!
Seit sechs Stunden spiele ich mit dem Gedanken, aufzustehen.
Oder der Gedanke spielt mit mir. Nun habe ich es im Bett einmal in die Lese-
und Schreibposition geschafft. Zwar fallen mir immer noch und immer wieder die
Augen zu, aber einzuschlafen erlaube ich mir nicht mehr.
„Aufstehen!“ schreie ich mich still an, aber das bewirkt
nichts. Vielleicht sollte ich es freundlicher versuchen: „lieber Peter, komm!
Steh jetzt auf!“ Nichts. „Bitte!“ Nichts. „Du verschläfst dein junges Leben!“
Nichts. „Ist dir nicht leid um deine restliche Lebenszeit?“ Nichts. „Wie wärs
mit frühstücken?“ Ah! Das löst jetzt eine Reaktion aus: der Angesprochene fühlt
nach innen, wie es mit dem Bedürfnis nach Essen ausschaut.
Ja, es ist da, aber noch nicht so stark, daß ein
Sprung aus dem Bett notwendig wäre. Aber das Frühstücksprinzip arbeitet,
wächst, wird größer und fordernder.
Im Kopf breitet sich eine ungesunde Dumpfheit aus.
„Also! Auf!“ Der Widerstand ist zäh.
„Peter, ich befehle dir, steh auf!“ Amüsierte
Gleichgültigkeit, die das schlechte Gewissen übertönen soll.
„Peter! Steh auf! Das ist ein kaiserlicher Befehl!“ Ach geh!
Ich bin nicht der Joseph Roth und du, du willst mein Kaiser sein? Du bist kein
Kaiser, nicht einmal ein König, du bist ein mieser kleiner Diktator! Ich kenne
dich nicht! Du bist nur so ein aus meiner Kindheit dahergewehtes, elendiges
Schuldgefühl. Du bist nicht aus Fleisch und Blut. Du schaust mir nicht in die
Augen und zeigst mir nicht dein Gesicht. Du liebst mich nicht. Dir geht es
nicht um mein Wohlbefinden und Fortkommen, sondern nur um deine
kleinbürgerliche, beschissene Arschlochnorm. Du bist eine unglaubwürdige
Gestalt, deine fanatische Aufsteherei in der Früh dient nur dazu, deine
Erinnerung an deine Gräueltaten unten zu halten, die zwischen wachen und
schlafen hochkommen würden.
So! Jetzt bin ich hungrig und gehe hinunter frühsücken.
(29.1.2020)
©Peter Alois Rumpf,
Jänner 2020 peteraloisrumpf@gmail.com
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