1733 Beinah ins Fließen gebracht
Ich blicke absichtlich und aus bewußtem Entschluß – um meine
sich verfestigende Gewohnheit und das aufkommende Ritual ein wenig zu
unterlaufen – nicht auf das große Lošinj-Bild,
sondern auf das kleine. Dieses kleine Bild ist nicht wie das große
jahrzehntelang im Wohnzimmer meiner Eltern gehangen und hat nicht alles
mitbekommen, miterlebt und aufgesaugt, was sich dort abgespielt hat, wie das
größere, unter ihm ist niemand gestorben, sondern es war verpackt im Keller
meiner Eltern auf einem alten Kasten mit anderen Bildern abgelegt und allzuoft
wird keiner vorbeigegangen sein. Einmal gab es eine Überschwemmung, die die
Bilder heil überstanden haben.
In diesem Bild ist etwas Schwebendes. Eine leuchtende Kraft
ist dabei, die festen und soliden Elemente der abgebildeten Stadt aufzuheben
und aufzulösen. Wie wenn bei einer Überschwemmung irgendetwas hochgehoben wird
und dann im Strom versinkt. Nur daß hier dieser Strom Licht ist und in diesem
Licht versinken die Dinge nicht nur – sie lösen sich auf. Von hinter dem Bild,
aus dem Hintergrund der Realität drängt der Lichtstrom ins Bild und bald wird
alles weg sein.
Im Tiroler Landschaftsbild spielen die Berge nicht ganz mit
– sie ziehen ihre eigene Show ab und fügen sich nicht ganz ins
Landschaftsgeschehen. Mir kommt vor, sie übertreiben ein bißchen, in die eine
oder andere Richtung, stellen sich fester oder zarter dar, als sie sind.
Das tut dem Bild keinen Abbruch – finde ich – das macht es
lebendig und bewegt.
Diese Kraft ist auch noch ein wenig im Talgrund zu spüren,
der von dieser Kraft beinah ins Fließen gebracht wird. Beinah.
(30./31.1.2020)
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