Was ist mein letzter Gedanke, wenn mein Geist vorm
Einschlafen noch ein paar Pirouetten dreht? Ich bin gescheitert! Sicher, es
kann dann auch noch kommen: wie angenehm und warm es im Bett ist! Oder
ähnliches.
Was ist mein erster bewußter Gedanke, wenn ich in der Früh
aufwache? Ich habe versagt! Meistens. Es kann dann auch noch kommen: Ah! Heute
spielt Sturm gegen XY und das Spiel wird übertragen. und ich freu mich dann.
Das wiegt jedoch das vorige nicht auf.
Und im Laufe des Tages, wenn ich bei der Arbeit sitze,
darauf warte, daß jemand abhebt, mein Geist herumschweift und zu dem
Thema meines Lebens kommt? Ich bin ein Versager!
Inzwischen sage ich mir das meistens ohne Vorwurf. Das habe
ich im Laufe der Jahre gelernt. Manchmal lache ich darüber, manchmal lächle ich
dabei, aber das ändert nichts: ich finde nichts, was wirklich gegen diese
Schlußfolgerung spricht. Und es ist immer eine große Trauer dabei.
Versagen: das kann sich an den äußeren Dingen festmachen:
keinen richtigen Beruf, wenig Geld, kein Vermögen, keinen Besitz, keinen
Führerschein, kann nicht Englisch, keine gesellschaftliche Gewandtheit. Aber da
bin ich schnell durch, dann kommt: keine wirkliche Bildung, keine Kompetenz,
keine Disziplin, keine Fähigkeit zu Selbstbehauptung, Würde und
Selbständigkeit.
Noch tiefer: ich bin den Menschen kein wirkliches Gegenüber,
ich bin ohne Rückgrat, ich bin nichts. Nichts kommt aus eigener Erfahrung. Da
sind wir schon ziemlich nahe am Kern: ich habe mich nie getraut, mein eigenes
Leben zu entfalten, das, was in mir angelegt ist, zur Blüte zu bringen. So
kenne ich es gar nicht. Ich kenne mich selber nicht. Und jetzt ist es zu spät.
Es steht geschrieben, daß die, die ihre Talente aus Angst
vergraben haben, hinausgeworfen werden, wo Heulen und Zähneknirschen herrscht.
Wie wahr!
Jetzt bleibt mir nichts anderes über, als meine Irrwege zu
Ende zu gehen.
Ich mache dies und ich mache das. Rufe zum vereinbarten
Termin an (in Sachen Therapie), trage die Wäsche hinunter, sortiere sie, stopfe
sie in die Waschmaschine, schalte dieselbe ein, wünsche meiner Tochter, die in
die Schule geht, einen schönen Tag, nehme das Ladekabel und stecke mein Handy
an … und ich bin nicht schlecht drauf! … aber im Hintergrund läuft ständig
dieses Tonband: mein Leben ist gescheitert – ich bin ein Versager. Horche ich
in mich hinein – ist das immer da. Immer.
Als junger Erwachsener ist es mir eine Zeitlang gelungen,
solche Gedanken aus meinem Geist zu verbannen. Es war eine einsame, aber sehr
interessante Zeit. Dennoch hatte ich keinen Boden unter die Füße bekommen, so
unmittelbar nach dem Studienabbruch.
Vielleicht hatte ich es auch schon in der Kindheit eine
Zeitlang geschafft, diesen Zwang zumindest einzudämmen – angeregt von
irgendwelchen katholischen Schriften hatte ich tapfer an mir gearbeitet – aber
so genau kann ich mich daran nicht mehr erinnern.
Doch dann bin ich immer wieder dieser Sucht, mich zu
verurteilen und abzuwerten, verfallen.
Es hat auch Phasen von Selbstüberschätzung gegeben, in
stillen Momenten jedoch war es nicht zu überhören - das Tonband läuft immer
noch.
Dabei kommt es mir jetzt gar nicht als Sucht oder krank vor,
sondern als eine nüchterne, rationale Bilanz meines Lebens. Man kann herumrechnen wie man will – es kommt nichts anderes heraus: gescheitert!
Wenn ich mir andere Aspekte vor Augen halte, oder versuche,
andere Dinge in die Waagschale zu werfen, komme ich mir vor, als belüge ich
mich und versuchte, mich zu betrügen. Und das will ich nicht. Ich will der
Wahrheit ins Auge sehen.
Aber was bewirkt dieses Endlostonband? Jeder Cent, den ich
verdiene, kommt mir unverdient vor. Wenn ich auf der Straße gehe, wundere ich
mich, daß ich nicht zusammengeschlagen oder verjagt werde. Gehe in an einer
Polizeistation oder Polizisten vorbei, fürchte ich, verhaftet und in der Haft
verprügelt, vergewaltigt oder gar getötet zu werden. Natürlich denke ich das
nicht „im Ernst“ - ich weiß schon, daß das nicht so schnell passiert, aber mein
Körper und meine Seele reagieren so, als bestünde diese Gefahr unmittelbar.
(Und es gibt schon wirklich solche Fälle und es gab schon wirklich solche Zeiten.) Ich kann Achtung, Respekt, Liebe
nicht annehmen, denn das kann nur auf einer Täuschung beruhen, denn würden sie mich
sehen, wie ich wirklich bin, dann könnten sie mich nicht achten, nicht
respektieren, nicht lieben.
Jeder Kellner, der mich normal gehandelt, jede Verkäuferin,
jeder Schaffner, jeder Passant, Kollege etcetera etcetera irrt sich eigentlich,
oder ist ein besonders nachsichtiger und gütiger Mensch, denn so behandelt zu
werden steht mir nicht zu. (Betreten für Versager verboten!)
Und alles was ich mache und gelingt – zum Beispiel, daß die
Wäsche nach dem Waschen sauber ist und die Maschine nicht kaputt – geschieht
auf brüchigem Untergrund, ohne Fundament, kann jederzeit einstürzen, denn
eigentlich sollte ich nicht existieren. Es ist rätselhaft, aber die Karmapolice
hat mich irgendwie übersehen, die Götter sollten mich schon längst weggeräumt
haben!
Dabei bräuchte ich nur denken: Sei's drum! Ich bin schon
erledigt! Aber bevor sie mich abgeschossen haben, kann ich ja noch ruhig den
Hang hinunter gehen und die Schönheit der Welt und das Leben genießen. Und
lachen. Lachen! Lachen! Niemand kann mir das nehmen.
Meistens jedoch bin ich dann doch zu aufgeregt und zu sehr
in Angst, sodaß ich die Schönheit nicht sehen und das Leben nicht spüren kann.
(4./5.9.2017)
©Peter
Alois Rumpf September 2017
peteraloisrumpf@gmail.com