771 Ein Dirndl gegenüber
Ich schaue beim Fenster hinaus auf ein Dirndl gegenüber; da,
beim Tostmann. Ich trachte danach, daraus wenigstens einen Gag zu machen, aber
komme damit nicht weit. Auch gut.
Menschen driften vorbei, Autos schieben sich vorüber. Ja,
endlich ein Platz am Fenster!
Auf dem Weg zurück von der Zeitungsablage sehe ich im
Spiegel einen alten Mann. Auf den ersten, vagen Blick passabel,
durchschnittlich; auf den zweiten fallen Ungereimtheiten auf, in Kleidung,
Stil, Farbkombination, Haltung und Bewegung. Aber der hatte immer schon ein
Faible für solche schrägen Kombinationen von Schäbigkeit und heruntergekommener
Eleganz. Heute versucht er normal auszusehen, aber das gelingt ihm nicht ganz.
Damals schon bloß ein schwächlicher Sturm im Wasserglas, eine hatscherte
Revolution im Saale, oder besser am Körper.
Heute trägt er am Körper die Aussage, daß er sterblich ist –
gut versteckt natürlich, wie es seinem
ängstlichen Charakter entspricht – so versucht er ernst und witzig zu
sein.
Ein kleiner Schluck aus dem Wasserglas; das Wasser darin
schwankt nur ganz leicht. Noch ein Schluck.
Eine vollbusige Frau gegenüber am Gehsteig setzt sich in
Bewegung, als ich hinüber schaue; ihr Gang wirkt versehrt. Ansonsten fällt mir
zu den vorbeitreibenden Menschen nichts ein, nur, daß einige auf ihr Smartphone
starren. Eine Frau reißt den Mund auf wie im Schmerz; es war jedoch bloß ein
aufsteigender Niesreflex.
Meistens geht – im wahrsten Sinne des Wortes – alles so
schnell, daß ich mit dem Formulieren nicht nachkomme.
Manche Frauen tragen Trachten – ich vermute Dirndln – dezent
verpackt – über ihren linken Unterarm gelegt.
Einer raucht vornübergebeugt am Altpapierkübel gelehnt
hoffentlich genüßlich eine Zigarette.
Radfahrer gibt es auch. Alles zu schnell. So langsam ist
Wien gar nicht.
Da, ein paar Schlenderer gibt es doch!
Hinter der schräg gegenüberliegenden Fensterscheibe ißt
jemand.
Die Smartphoniker und Innen lächeln öfters. Öfters als die
anderen.
Manche telefonieren auch, also halten ihr Gerät ans Ohr.
Jetzt habe ich auch eine Frau gesehen, die auch so, ohne
Internetverbindung, gelächelt hat. Ihr Blick zeigt aber, daß auch sie abwesend
ist. Oder nur zur Hälfte anwesend.
Nach einiger Zeit in einem Kaffeehaus beginnt mich
irgendetwas hinauszutreiben. Eine Unruhe, die mir sagt, jetzt ist es Zeit zu
gehen.
(25.9.2017)
©Peter
Alois Rumpf September 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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