Dienstag, 5. September 2017

752 Ich mache dies und ich mache das

Was ist mein letzter Gedanke, wenn mein Geist vorm Einschlafen noch ein paar Pirouetten dreht? Ich bin gescheitert! Sicher, es kann dann auch noch kommen: wie angenehm und warm es im Bett ist! Oder ähnliches.

Was ist mein erster bewußter Gedanke, wenn ich in der Früh aufwache? Ich habe versagt! Meistens. Es kann dann auch noch kommen: Ah! Heute spielt Sturm gegen XY und das Spiel wird übertragen. und ich freu mich dann.
Das wiegt jedoch das vorige nicht auf.

Und im Laufe des Tages, wenn ich bei der Arbeit sitze, darauf warte, daß jemand abhebt, mein Geist herumschweift und zu dem Thema meines Lebens kommt? Ich bin ein Versager!

Inzwischen sage ich mir das meistens ohne Vorwurf. Das habe ich im Laufe der Jahre gelernt. Manchmal lache ich darüber, manchmal lächle ich dabei, aber das ändert nichts: ich finde nichts, was wirklich gegen diese Schlußfolgerung spricht. Und es ist immer eine große Trauer dabei.

Versagen: das kann sich an den äußeren Dingen festmachen: keinen richtigen Beruf, wenig Geld, kein Vermögen, keinen Besitz, keinen Führerschein, kann nicht Englisch, keine gesellschaftliche Gewandtheit. Aber da bin ich schnell durch, dann kommt: keine wirkliche Bildung, keine Kompetenz, keine Disziplin, keine Fähigkeit zu Selbstbehauptung, Würde und Selbständigkeit.
Noch tiefer: ich bin den Menschen kein wirkliches Gegenüber, ich bin ohne Rückgrat, ich bin nichts. Nichts kommt aus eigener Erfahrung. Da sind wir schon ziemlich nahe am Kern: ich habe mich nie getraut, mein eigenes Leben zu entfalten, das, was in mir angelegt ist, zur Blüte zu bringen. So kenne ich es gar nicht. Ich kenne mich selber nicht. Und jetzt ist es zu spät.

Es steht geschrieben, daß die, die ihre Talente aus Angst vergraben haben, hinausgeworfen werden, wo Heulen und Zähneknirschen herrscht. Wie wahr!
Jetzt bleibt mir nichts anderes über, als meine Irrwege zu Ende zu gehen.


Ich mache dies und ich mache das. Rufe zum vereinbarten Termin an (in Sachen Therapie), trage die Wäsche hinunter, sortiere sie, stopfe sie in die Waschmaschine, schalte dieselbe ein, wünsche meiner Tochter, die in die Schule geht, einen schönen Tag, nehme das Ladekabel und stecke mein Handy an … und ich bin nicht schlecht drauf! … aber im Hintergrund läuft ständig dieses Tonband: mein Leben ist gescheitert – ich bin ein Versager. Horche ich in mich hinein – ist das immer da. Immer.

Als junger Erwachsener ist es mir eine Zeitlang gelungen, solche Gedanken aus meinem Geist zu verbannen. Es war eine einsame, aber sehr interessante Zeit. Dennoch hatte ich keinen Boden unter die Füße bekommen, so unmittelbar nach dem Studienabbruch.
Vielleicht hatte ich es auch schon in der Kindheit eine Zeitlang geschafft, diesen Zwang zumindest einzudämmen – angeregt von irgendwelchen katholischen Schriften hatte ich tapfer an mir gearbeitet – aber so genau kann ich mich daran nicht mehr erinnern.

Doch dann bin ich immer wieder dieser Sucht, mich zu verurteilen und abzuwerten, verfallen.
Es hat auch Phasen von Selbstüberschätzung gegeben, in stillen Momenten jedoch war es nicht zu überhören - das Tonband läuft immer noch.

Dabei kommt es mir jetzt gar nicht als Sucht oder krank vor, sondern als eine nüchterne, rationale Bilanz meines Lebens. Man kann herumrechnen wie man will – es kommt nichts anderes heraus: gescheitert!
Wenn ich mir andere Aspekte vor Augen halte, oder versuche, andere Dinge in die Waagschale zu werfen, komme ich mir vor, als belüge ich mich und versuchte, mich zu betrügen. Und das will ich nicht. Ich will der Wahrheit ins Auge sehen.

Aber was bewirkt dieses Endlostonband? Jeder Cent, den ich verdiene, kommt mir unverdient vor. Wenn ich auf der Straße gehe, wundere ich mich, daß ich nicht zusammengeschlagen oder verjagt werde. Gehe in an einer Polizeistation oder Polizisten vorbei, fürchte ich, verhaftet und in der Haft verprügelt, vergewaltigt oder gar getötet zu werden. Natürlich denke ich das nicht „im Ernst“ - ich weiß schon, daß das nicht so schnell passiert, aber mein Körper und meine Seele reagieren so, als bestünde diese Gefahr unmittelbar. (Und es gibt schon wirklich solche Fälle und es gab schon wirklich solche Zeiten.) Ich kann Achtung, Respekt, Liebe nicht annehmen, denn das kann nur auf einer Täuschung beruhen, denn würden sie mich sehen, wie ich wirklich bin, dann könnten sie mich nicht achten, nicht respektieren, nicht lieben.

Jeder Kellner, der mich normal gehandelt, jede Verkäuferin, jeder Schaffner, jeder Passant, Kollege etcetera etcetera irrt sich eigentlich, oder ist ein besonders nachsichtiger und gütiger Mensch, denn so behandelt zu werden steht mir nicht zu. (Betreten für Versager verboten!)

Und alles was ich mache und gelingt – zum Beispiel, daß die Wäsche nach dem Waschen sauber ist und die Maschine nicht kaputt – geschieht auf brüchigem Untergrund, ohne Fundament, kann jederzeit einstürzen, denn eigentlich sollte ich nicht existieren. Es ist rätselhaft, aber die Karmapolice hat mich irgendwie übersehen, die Götter sollten mich schon längst weggeräumt haben!

Dabei bräuchte ich nur denken: Sei's drum! Ich bin schon erledigt! Aber bevor sie mich abgeschossen haben, kann ich ja noch ruhig den Hang hinunter gehen und die Schönheit der Welt und das Leben genießen. Und lachen. Lachen! Lachen! Niemand kann mir das nehmen.

Meistens jedoch bin ich dann doch zu aufgeregt und zu sehr in Angst, sodaß ich die Schönheit nicht sehen und das Leben nicht spüren kann.







(4./5.9.2017)













©Peter Alois Rumpf    September 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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