Donnerstag, 27. Juni 2024

3716 Die subtilen Substanzen des Frühstücks

 



10:00 a.m. Das war jetzt sehr toll im cafe mima: ich habe mich hingesetzt und sofort ist die Kellnerin gekommen und hat ein Glas Wasser mitgebracht, schon vorm Aufnehmen der Bestellung bei der Hitze eine Labsal. Was Kleinigkeiten ausmachen können! Da fühlt sich eines gleich wahrgen- und willk-ommen (tut mir leid, es gelingt mir nicht, ihn immer von seinen blöden Spielereien abzuhalten – der innere Korrektor).

Und jetzt, nach dem Frühstück – ich war schon recht hungrig und unterzuckert – zu Hause geht heute frühstücken nicht wegen Handwerker – bah! wie fühle ich mich wohl! Die angenehme, nicht zu üppige – also genau richtige – Sättigung, die allmählich ins Gemüt einziehende, psychotrope Wirkung des Kaffees, die nun meine Stimmung erhellt (Drogennachschub hat funktioniert!) … wie herrlich! Ich schlage meine Beine übereinander, lehne mich entspannt zurück, und nehme noch einen Schluck (bald wird die Dosis erreicht sein, wo die angenehme Wirkung des Kaffees ins Hysterische, Aufgedrehte kippt; ich bin bei meiner zweiten Tasse). Eine Zeitung wäre jetzt nicht schlecht! (ah! Der depressive Herr will jetzt Ansprüche stellen! - der innere Spötter) und der Mann am Nebentisch liest eine solche, und eine von den besseren – aber ist diese Zeitung vom Lokal oder Privatbesitz? Ich schärfe meine Sinne, lauere auf einen Moment, wo ich das irgendwie feststellen könnte (zB Stempel auf der Titelseite) und vielleicht frage ich sogar ganz einfach. Aber später. Ich trinke das letzte Noagal aus dem Wasserglas, bin gespannt, ob dieser Hinweis einer Kellnerin auffällt (so sind sie, die „bescheidenen“ und depressiven Zeitgenossen! Schwimmen sie oben – oder bilden es sich ein – werden sie in ihren Ansprüchen gleich unverschämt! Warum kann er nicht einfach ein Glas Wasser bestellen? Seine – zugegeben – wirklich vorhandene Scheu, Menschen von sich aus direkt anzusprechen – und das geht wirklich oft schief, weil er sich dabei immer innerlich einen Tritt verpassen muß, was ganz schnell den Tonfall falsch, zu forsch zB, werden läßt – diese Scheu darf in euphorischem Zustand keine Ausrede sein! Punkt! - der innere Kritiker).

Jetzt kommen schon die koffeininduzierten Schweißausbrüche; ich bestelle noch eine Tasse, diesmal sicherheitshalber koffeinfrei. Was für ein Luxus, den ich mir da leiste! Mein innerer Kritiker wird schimpfen! (das hat er noch nicht überzuckert, dass das Überich nicht nur alkohol-, sondern unter Umständen auch koffeinlöslich sein kann – der innere Schlaumeier).

Jetzt habe ich mir einen Ruck gegeben und zeitungsmäßig den Sitznachbarn gefragt. Leider! Diese Zeitung ist Privatbesitz. Also nein. Was machen wir jetzt? Heimgehen? Zum Handwerker und der Baustelle? Keine große Lust! (der Handwerker ist sehr nett! - und damit meine ich nicht den kleinen Bruder von Scheiße!) (Mein Gott! Der Arme! Wogegen alles sich der Schreiberling innerlich wehren muß! - der innere Bemitleider).

Meine Hände picken schon von Schweiß und den subtilen Substanzen des Frühstücks. Heimgehen und die letzten drei Texte überarbeiten und eintippen zeichnet sich immer deutlicher ab. Ich bin jetzt ja in Formulierungseuphorie (inklusive fadenscheiniger Anmerkungen in Klammern, die nicht so witzig sind, wie er gern möchte – der innere Spötter).


(27.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3715 Das Display

 



18:53. Vorhin bin ich in der Küche gesessen und habe auf das Display des Geschirrspülers gestarrt, bis sich dessen leuchtende Buchstaben und Ziffern in Fußballer mit Ball verwandelt haben, in einen Fußballer, der rasend mit dem Ball nach rechts dahingejagt ist, während ihn der andere - ihm gegenüber - im Zurückweichen abfangen wollte. Dann ist es von rechts nach links gegangen, ein paar Mal hin und her. Dann hat sich die Szenerie geändert und ihre Gestalten in zwei Spaziergänger mit Hund verwandelt. Die sind nicht mehr gerast, sondern gegangen, ebenfalls hin und her.

Jetzt sitze ich im Atelier und was sich gerade vorhin hier auf ähnliche Weise optisch abgespielt hat, habe ich vergessen und diese Szenerie ist verloren. Ich sollte ein bißchen schlafen; ich bin heute viel zu früh aufgewacht und habe körperlich viel gearbeitet und bin jetzt erschöpft. Im Hof plätschert der kleine Springbrunnen, wie so oft ist es recht ruhig, ich höre die Rufe der Mauersegler oder Schwalben. Ein ordentlicher Überdruß kommt über mich, ich vertiefe mich in die Betrachtung des Staubsaugerschlauches und seines Schatten an der Wand. Shadows on the Wall (danke Mike Oldfield). Aber nicht lange, dann treibt es mich wieder herumzuschauen, aber der ungute Geschmack im Mund bleibt und diese verkrampfte Verzweiflung zwischen und hinter den Augen, die immer öfter zufallen. Julian Assange in Tiroler Tracht ist das nächste Bild, ganz kurz schaut er her, zum Abschied hat er seinen Hut gelüpft. Der Wind hat irgendetwas über mein linkes Knie geschoben, oder war das gar nicht der Wind? Eigentlich war das Ding oder das Etwas für einen kleinen Windhauch zu groß und taktil zu seinsmächtig.


(26.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3714 Die Riesenbirke

 



15:33. Noch ist Polen nicht verloren, aber „wir“ sind es noch weniger. Ich sitze auf einer Liege in einem befreundeten Garten, der Verkehrslärm der Durchzugsstraße aus mittlerer Entfernung läßt sich zur Not auch als „Waldesrauschen“ umdeuten und das Donauinselfest schallt ebenfalls bis hierher und täuscht (oder täuscht auch nicht) Lebendigkeit vor; jedenfalls in genau richtigem Abstand, dass es mich nicht nervös macht. „Wir lieben die, die an uns glauben“ hat ein österreichischer Fußballer in einem Interview gesagt (sorry! Ich weiß nicht mehr, ob es Herr Arnautovič oder Herr Baumgartner oder jemand anderer war) und ich war gleich berührt.

Ein niedrig fliegendes Propellerflugzeug dominiert für kurze Zeit die reichhaltige Schallwelt. Die riesige, stammstarke Birke dort drüben vorne links von mir läßt ihre Blattunterseiten in Wind und Sonnenlicht blinken (für eine Pappel ist mir die Rinde zu strahlend weiß) und wenn ich es nachmesse: ich schaue 126° SO. Der Himmel ist überwiegend blau, die Wolken sind harmlos, ein kleiner Käfer rast über den Gehweg. Ein Hund bellt, Kinder rufen, reden, spielen und schreien.

Jetzt ist es hier ruhig. Der Hollerbusch hinter der Hecke trägt schon ein paar dunkelrote rispige Fruchtstände. Die Früchte der Roßkastanien scheinen auch schon ziemlich weit zu sein. Einen Mann mit weißem Plastiksackerl sehe ich nur in kleinen Fragmenten hinter der Hecke vorbeigehen – erstaunlich, dass sich das Bild trotzdem zusammensetzt. Ich huste, aber nicht so oft und nicht so schmerzhaft wie in der Nacht. Jetzt funktioniert das mit dem Waldrauschtrick nicht mehr: der Verkehrslärm ist zu deutlich und ohne beigemischten Wind zu eindeutig. Eine Ameise klettert über die linke Armlehne der von mir benutzten, aber nicht meinigen Liege. Ich bin nur Gast auf Erden und ruhe auf die letzte Wanderung zu. Überall bin ich nur Gast. Eine Taube ruft ganz heiser. Jetzt streift eine angenehme Brise über meine Haut, exakt gleichzeitig mit einem Folgetonhorn, ich weiß nicht welcher Institution, vielleicht die Feuerwehr. Vor mir rankt sich der Wein in einem schönen, freigestaltigen Bogen. Eine Krähe ruft. Eine kleine, fieberlose Fiebrigkeit staut sich zwischen meinen Augen. Die Musik vom Donauinselfest (wo ich noch nie war) mäandert und taumelt auf ihrem Weg hierher und verschwindet fast wieder in ständigem Hin und Her. Die Schwimmer kommen zurück (ja, ich weiß: ich habe gar nicht geschrieben, dass sie weggegangen sind – der innerer Bekenner) und nehmen den Raum ein, der mir sowieso nicht gehört. Wem gehört die Sitzbank? Wem gehört die Liege? Mir nicht. Ich könnte soetwas wie hier auch nicht mieten, erhalten, verwalten und warten und überhaupt dafür verantwortlich sein, und schon gar nicht erwerben.


(22.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 20. Juni 2024

3713 Udo

 



11:12 a.m. Nach dem Zahnarztbesuch sitze ich am Franz-Josefs-Kai, vorne bei den Geleisen der Straßenbahnen, schaue Richtung Innenstadt (210° SW); eine Wiese und die stark befahrene Durchzugsstraße sind hinter mir, dann der Donaukanal. Links geht die schattige Fußgängerallee, die auch Radfahrer benützen dürfen, vor bis zur Salztorbrücke. Vor mir die Werdertorgasse Richtung Börse. Autos, aber vor allem viele Fahrräder sind hier im Umkreis abgestellt, ein Notarztwagen mit Blaulicht rast auf der Straßenbahntrasse der Linie 1 vorbei. Im Zentrum meines Blickfeldes steht eine Litfaßsäule mit einem dominanten Plakat mit dem Konterfei des unsäglichen Udo Bockelmann. Gottseidank lenkt mich ein Tourist, der sich nicht auskennt, ab, bevor ich mich in meine Aversion gegen diesen Sänger hineinsteigere. Ich gebe dem Touristen Auskunft – das tue ich immer gerne – und vermeide es, auf die verhasste Visage im Zentrum meines Gesichtsfeldes zu schauen. Trotzdem – oder gerade deswegen – geht mir jetzt dieses verdammte, schlechte und schlecht gesungene „Ich war niemals …“ im Kopf herum. Ah! Wieder abgelenkt! Danke Universum! Der Tischler zur Fensterreparatur hat angerufen. Okay! Ich verstehe jetzt den Wink des Schicksals, verlasse die Litfaßsäule und gehe heim.


(20.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3712 Kurzes Bulletin

 



0:00 a.m. Ich bin völlig erschöpft; von der Hitze nehme ich an. Ich bin so müde, dass ich sogleich so früh schlafen gehe, ohne noch zu lesen.


(20.6.2024)


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3711 Natriumhydroxid

 



13:14. Ich sitze am Wienfluß auf der schattigen Seite, der Rechten Wienzeile und schaue auf die am heutigen heißen Tag übergrellen, aufgeheizten Fassaden der Linken Wienzeile, entlang der ich vorhin von der U-Bahnstation zur berühmten Drogerie gehatscht bin. „Natürlich“ gibt es eine Baustelle in der Nähe, den üppigen Autoverkehr auf dieser Ausfallsstraße drüben auf der anderen Seite, vorbeibrausende Radfahrer auch hier auf der ruhigeren Seite; auf der Brücke wird herumgehupt, Fußgänger, manchmal höre ich auch die Stimme eines Kindes hinter meinem Rücken (das hat mit der verkehrstechnischen Situation meines Sitzplatzes zu tun) …

Beim Hergehen, am Eingang zu diesem begrünten, reizvollen Fuß- und Radweg oberhalb des Wienflußes unten – auf dieser Seite verläuft die parallele Duchzugsstraße einen Häuserblock dahinter – steht auf einem Mäuerchen „...sextremismus raus aus den Köpfen!“ geschrieben. Offensichtlich sind davor noch ein paar Buchstaben gestanden, die nicht mehr zu derlesen sind. Vermutlich wäre es wichtig, diese abgebröckelten Buchstaben zu kennen, denn von dem Wort, das sie gebildet haben, hängt es ab, wie der Satz gemeint ist – so oder so. Ich jedenfalls habe ihn so aufgefaßt, dass mir die Göttinnen mitteilen, ich solle nicht so viel an Sex denken.

Auf der Fahrräderabstellfläche auf dem Plateau vor der eigentlichen Brücke wachsen Gräser und Wildkräuter in den Fugen zwischen den Pflastersteinen, vielleicht auch wilder Lattich. Im leichten, angenehmen Wind sehe ich die Schatten der Bäume am Boden tanzen. Mich wundert es, dass ich hier keine Angst habe, so ausgesetzt und erreichbar mitten in der Stadt. Mit meinem Blick zwar nicht ganz hinunter, aber doch Richtung U-Bahn-Trasse und Wienfluß komme ich mir ein wenig wie auf einem Hochsitz vor, aber einem, der von hinten ebenerdig zugänglich ist. Firmen gibt es hier auch, zum Beispiel im Haus links von mir, den Tafeln beim Haustor nach fünf an der Zahl. Manche Wandbesprühungen sind abgrundtief hässlich, viele eigentlich, aber nicht alle.


(19.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3710 Von innen heraus

 



8:26 a.m. Diese Sommermorgen gefallen mir: bei offenem Fenster schlafen und aufwachen, das Werken der Müllabfuhr hören, ohne sich betroffen zu fühlen, mit der Welt um mehrere Ecken in Kontakt, nach dem Besuch im Bad gleich wegen der Hitze die Blumen gießen – so komme ich aus den verwirrenden Träumen bequem in die Welt. Nichteinmal, dass ich mir wegen des ausgeleierten Gummizugs die Pyjamahose halten muß, damit sie mir nicht runterrutscht, kann mich groß stören; kalt ist es ja nicht. Es ist wieder ganz still hier in meiner Kemenate, nur von fern und ausgedünnt kommen die Stadt- und Alltagsgeräusche herein. Trotzdem ertappe ich mich wieder einmal dabei, meine linke Hand ganz verkrampft und angespannt zu halten. Ich versuche, sie aufzulockern. Dann kreiseln meine Gedanken völlig ab und ich lande bei den indischen Witwenverbrennungen (wobei ich die Assoziationskette einigermaßen nachverfolgen kann). Jetzt aber wird es Zeit für aufstehen, duschen, frühstücken (aber von innen heraus).


(19.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3709 Vorm Einschlafen

 



Nachts (ich habe mein Handy zum Aufladen am Schreibtisch drüben liegen, deshalb weiß ich die genaue Uhrzeit nicht). Ich hatte vorhin meinen Tischkalender vom Schreibtisch genommen und für Montag den 24.6. 14h notiert: „Haun. Griechisches Essen. Magisches Denken. Unterwerfung – Glauben“, aber vergessen, die Uhrzeit am Handy abzulesen; diese Notiz soll mich an einen Mann, den ich verachte, erinnern und an die Symmetrie und den zu erwähnen vergessenen altera pars meines magischen Denkens, um einen Sieg der österreichischen Fußballnationalmannschaft über Frankreich herbeizuzaubern. Leider vergeblich, wie wir jetzt wissen. Die Nacht ist schon recht heiß und ich sollte zum Sommerpyjama wechseln, meine Veränderungsträgheit, mein geheimer, tief verankerter Konservatismus und meine groteske Scheu davor, den aktuellen Pyjama durch meine Zurückweisung zu beleidigen, haben mich jedoch daran gehindert, diesen Schritt zu riskieren (es kann ja auch wieder kälter werden!).

Ich versuche mir nun einzuprägen, dass ich morgen Reinigungssoda besorgen soll, um diesen Vorsatz nicht zu vergessen. Da fällt mir ein: ich habe eh schon auf der Anrichte, an der ich zu frühstücken pflege, ein Zettelchen mit „Soda!“ - eigenhändig beschriftet - hinterlegt. Das hatte ich vergessen und den Zettel kann ich morgen nicht übersehen.

Soda! (Soda ist eigentlich falsch; Ätznatron würde durchgehen – der innere Korrektor)


(19.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3708 Schade

 



20:20. Ich zittere dem Spiel entgegen. Noch 40 Minuten. Ich weiß nicht, wie ich die Wartezeit bis jetzt überstanden habe. Ich bin völlig aufgeregt. Ich hätte einen Platz reservieren sollen. Soll ich lieber heimgehen? Aber mein Laptop spinnt dauernd. Die Aufregung wird immer größer. Ich fühle mich elend. Ob das gut gehen kann? Gegen Frankreich? Es ist mir viel zu unruhig hier. Ich bin das nicht mehr gewöhnt. Meine Nerven liegen blank. Einzelgänger gegen rechts und für Österreich (Fußball). Viel zu heiß hier. Ich bin zu warm angezogen. Eifersüchtig bin ich auch auf die reservierten Plätze. 20:33. 22 Minuten noch bis zum Anpfiff. Die haben immer noch nicht auf den richtigen Sender umgestellt (wärst du Düssel doch im Dorf geblieben … wenn du mit der großen Welt nicht zurecht kommst - der innere Spötter). Ich schaue ja auf die Spiegel hinter der Bar; ich werde mich erst zum Bildschirm drehen, wenn der richtige Sender eingestellt ist. Unglaubliche Hektik für meine arme Seele. Es geht nicht mehr! Ich lege das Schreibzeug weg.

Schade.


(17.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 17. Juni 2024

3707 Die zerrissene Fahne

 



12:49. Ich sitze über dem Donaukanal und blicke über ihn hinweg auf das gegenüber liegende Ufer und den stark befahrenen Franz-Josefs-Kai. Auch hinter mir der höllische Autolärm der stark und schnell befahrenen Oberen-Donaustraße, der an meinem Montagepunkt herumreißen will und mich wirklich beunruhigt und in Alarm versetzt. Der Donauarm ist reich an Farben, grün, braun, grau mit einem unterlegten Touch von blau, je nach Lichteinfall – und relativ hoch und fließt sehr flott. Wirklich, der Verkehrslärm bearbeitet mein Gehör und meinen Hinterkopf. Aber die Wolken des bedeckten Himmels sind richtig schön: schön gewölbt, manche fast prall, relativ tief hängend – so ist der Eindruck – und abwechslungsreich: weiße, graue, schwarze Wolken, kompaktere und dünne, große, kleine, zusammenhängende Schleier, einzelne Wolkenindividuen, mit klaren Konturen, ausgefranste … langsam fließen sie über den Himmel und ändern ihre Formen. Jetzt ist es gerade ruhig hinter mir, aber die nächste Autokolonne rast schon heran. An den Uferpromenade an beiden Seiten des Flußes tummeln sich Fußgänger und Radfahrer, etliche rasten auf Bänken. Das glatte Donauwasser spielt mit Licht, Schatten, den Farben und der sanften Bewegung, bis ein Touristenboot kommt, stinkt, und alles aufwühlt. Was auch toll anzuschauen ist.

Wie lange das Wasser braucht, um sich zu beruhigen! Das dauert unglaublich lange. Noch immer ist die Oberfläche in kleinen, nervösen Wellen aufgebracht. Die Wolken sind mehrheitlich flacher und verschwommener geworden, haben kaum noch deutliche Konturen. Die Autos mit ihrem Lärm und ihrem unheimlichen, unangenehmen Vorbeisausen bearbeiten jetzt meinen Rücken, in dem sich ein Schmerz festgesetzt hat; nicht das übliche Kreuzweh, etwas anderes, als würde am Rücken mein Energiekörper aufgerissen und vom Sog der vorbeirasenden Autos Teile meiner Energie mitgerissen werden. Die geballte, fremde, gekaufte, explosive Energie in den Autos kann das? Ich schaue 222° SW, der Wind kommt von rechts.

13:23. Das Wasser ist immer noch unruhig. Ich betrachte die wild wachsenden Feldblumen am Rande des gepflasterten Gehweg vor mir, wo sie sich im Spalt zwischen Pflasterung und Geländersockel halten können, bevor sie – vermutlich offiziell und in öffentlichem Auftrag – ausgerissen werden werden (die kleine Wiesenfläche hinter mir ist „natürlich“ rasengemäht). Fast ist nun die Wasseroberfläche wieder glatt. Die Fahne vom Lokal unten und nebenan ist von Wind und Sonne schon völlig zerrissen.


(16.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3706 Der Wind streicht

 



11:34 a.m. Der Wind streicht durch den Votivpark und bringt frischere Luft und Unruhe. Die Schatten der Bäume tanzen wie verrückt auf dem Asphalt der Gehwege wie auch auf dem Gras der gestutzten Wiesen, wie es auch ihre sonnenlichten freigelassenen Zwischenräume tun. Eine sommerliche Unruhe - wenn eines das so sagen kann - und die vor allem auf der mittleren Höhe der Baumkronen. Wochenendstimmung hängt in der Luft. Blütenblätter stürzen windgetrieben von den Linden, eine fällt in mein Notizbuch. Zu einem Bettler bin ich heute hart und abweisend. So wie ich sitze, an dieser Stelle im Park, sieht dieser fast wie eine ebene Landschaft aus, mit Durchblicken, die relativ weit gehen. Wieder einmal falle ich in mein sinnloses Lieblingsthema, dass ich in der Gesellschaft nie eine Rolle hatte, nie mitgespielt habe; es fällt mir ein, als ich die Leute, die vorbeigehen, anschaue. Sie präsentieren eine gewisse Selbstverständlichkeit, sind sich ihres sozialen Status bewußt, den sie sich nicht so leicht nehmen lassen. Zumindest können sie es vortäuschen. Bei mir war das nie so. Darum gibt es auch keine Altersweisheit – worauf soll ich zurückblicken? - und ich taumel immer noch durchs Restleben im Versuch, die ständig aufreißenden Löcher zu stopfen. Der Wind geht trotzdem schön und die bewegten Sonnenflecken in den Schatten schaue ich gerne an. Die Geräusche des Autoverkehrs hauptsächlich machen eine melancholische, angewöhnte Symphonie; ein wenig hört man auch den Wind in den Baumkronen rauschen.

Wieder blicke ich in die relative Ferne zwischen den Bäumen durch, ja, dort drüben, dort drüben muß irgendwo das echte, wirkliche, grausame Leben sein; ich spüre es.


(15.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3705 Beim Heurigen

 



18:53. Beim Heurigen. Ja, beim Heurigen. Was macht ein Antialkoholiker beim Heurigen? Das frage ich mich auch. Ich bin wohl einer der Jüngsten hier. Übrigens: alle Lieder sind Drogen- und Suchtverherrlichungslieder. Gut, das wißt ihr eh! Ich bin schon recht müde (20:20), mir geht meine bescheidene, beschränkte Abendroutine ab. Aber ich muß das aussitzen. Nur der Betriebsgrant hier im Lokal hat mir am Anfang gefallen, will sagen: der hat mich nicht unangenehm begrüßt, weil er einerseits mich nicht betroffen hat und andererseits mich an mich erinnert. Einen grantigen Wiener kann ich schon abgeben, zumindest als Karikatur.

Soll ich es mit einem Autosuggestionsrausch versuchen? Das könnte klappen, beim Reden merke ich, wie mir die Zunge schon schwer wird. Das wäre ausbaufähig. Schaumamal!


(14.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3704 Kosmischer Staub

 



9:29 a.m. Ich atme schnaufend unter der Bettdecke – keine Sorge: der Kopf liegt schon heraußen am Polster – und presse jene wegen der recht frischen Luft an meinen Leib um mich warm zu halten. Ist diese Beschreibung verständlich? Also: ich hocke im Bett, die Bettdecke bis zum Hals hochgezogen, weil es recht kalt ist, die Arme, über der Decke Notizbuch und Pilotstift haltend, pressen und spannen die Bettdecke seitlich meines Körpers an und über den Brustkorb, um keine Lücken für die kalte Luft offen zu lassen, sodass der Brustkorb bei jedem Atemzug einen gewissen, freilich leichten Widerstand überwinden muß.

Dabei blicke ich in die Welt, wie es mir gefällt, auch wenn es nur mein Zimmer ist, das ja mit allem, was es da gibt, auch aus nichts anderem als Sternenstaub aufgebaut ist, wie ich selbst und die übrige Welt, und diese – wenn ich so sagen darf – kosmische Dimension läßt in meiner Seele eine mittelschwere Melancholie aufkommen. Warum kann ich nicht erklären; zumindest nicht, ohne von der rationalistischen Inquisition abgefangen zu werden. Jetzt fällt mit etwas ganz anderes ein, was in mir alles sich zusammenziehen läßt, von einem wilden Schmerz begleitet, ein Schmerz der Reue eigentlich. Ich verweile in Betrachtung darin, aber will es nicht erzählen. Vom Kosmos, in dem man nur ein unbedeutendes Stäubchen ist, zum Zentrum der Welt, in dem man mit seinen Taten und Unterlassungen in voller Verantwortung für die gesamte Evolution ist (und das in einer Minute! - der innere Spötter).

Das wird mir jetzt zu schwer, mir liegt ein Knoten im Bauch und ich will da wieder herauskommen. Dazu ist es am besten, ich lege das Schreibzeug weg und schaue das Ganze still und ohne Kommentare an, bis ich damit fertig bin.

Aber meine Gedanken büxen ständig aus.


(13.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 12. Juni 2024

3703 Was war das?

 



8:20 a.m. Was war das, was ich geträumt habe? Ein Hotel an einem großen See, wo ich zuerst auf dem Wasser von plötzlichen Riesenwellen, die mir letztlich nichts angetan haben, ans andere Ufer gespült wurde und dann nicht mehr zum Hotel zurückgefunden habe? So ähnlich, aber komplexer, komplizierter und ausführlicher. Andere Leute waren da, auch meine Kinder? Wäre eine schöne Geschichte, wenn ich sie wiederfinden könnte. Das Wasser mit seinen Wellen hat mir keine Angst gemacht, obwohl ich mir dachte, es sollte. Nur mein Zeug, das ich im Hotel gelassen habe, wollte ich zurückholen, was nicht gelang. Naja, Träume halt!

Ich döse jetzt in der Stille, die sich gebildet hat und bald vorbei sein wird, will dabei jedoch auf irgendeinen wichtigen Kern kommen, auf irgendeine grundlegende Erkenntnis, indem ich dem Unterbewußtsein Raum lasse. Stimmen im Stiegenhaus schrecken mich wörtlich und wirklich auf, mein Körper reagiert wie in leichtem Schock und fast wie in Panik. Nachdem ich mich wieder beruhigt habe, wandern meine Gedanken hin und her, springen dahin und dorthin, erschaffen Bilder, ganze kurze Welten, wenden sich ab und lassen sie wieder zusammenstürzen.

Die Stille hält länger als erwartet. Bei geschlossenen Augen glitzern die Dinge, die ich anschaue. Mein Geist spielt in meinem Kopf mit Zahlen und bildert sie aus.

Das Reich der Freiheit. Das Reich der Notwendigkeit.

Ach! Der Jesus und sein Haberer hängen so weit oben, unerreichbar, direkt unter dem Plafond.


(12.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3702 Endorphinzustand

 



1:23 a.m. Ich bin wieder einmal in einen meiner Endorphinzustände geraten. Ich nenne sie so, weil ich vermute, dass dann die Endomorphinausschüttung hoch ist, denn ich komme dabei in einen leicht benebelten Zustand, wo mir alles, auch ich mir selbst, fremd wird, das Surren in den Ohren besonders laut und schrill, meine Kontinuität droht sich aufzulösen, zumindest wird sie fadenscheiniger und löchrig. Ich weiß nicht mehr, was ich vor einer Minute getan habe, dachte, oder vor hatte; Erinnerungen driften heran, fremd als wären sie gar nicht meine, bleiben ungreifbar wie Nebelschwaden, ich kann sie nicht fassen, es können auch Erinnerungen von alten Träumen sein, oder Träume selbst, oder von anderen Welten und vielleicht sogar uralt; ich weiß dann nicht mehr, wer ich bin und wer ich war, Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen, ich beginne mich aufzulösen, ich bin dann ziemlich weggetreten (ich nehme keine Drogen außer Kaffee!) und ich muß mich anstrengen, meinen Faden nicht gänzlich zu verlieren. (Nicht nur Essen, auch Schreiben kann Leib und Seele zusammenhalten.)


(11.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3701 Kein Landregen

 



9:19 a.m. Es ist düster im Zimmer, als ich das Buch weggelegt habe, und es regnet. Das Konzert der Regentropfen aus dem Lichtschacht, und es klingt so, als würden einige auf Aluminium treffen; dieser typische weich-leicht-harte-verschwommene Klang. Ich habe natürlich keine Ahnung, was da unten herumsteht. Endlich ist die Luft frischer und nicht mehr so schwül. Das ist eine schöne Stimmung, ich liebe diese lächelnde Traurigkeit eines verregneten Sommermorgens bei offenem Fenster. Jetzt gibt es Geschrei und Geheule im Stiegenhaus, was diese Stimmung vertreibt, während der Regen stärker und prosaischer und weltlicher wird. Aber jenes beruhigt sich wieder. Der Regen entwickelt sich von einem aufgeregten Schauer zu einem gleichgültigen Landregen. Ich warte noch. Der Regen läßt doch wieder nach und hört dann wider Erwarten auf.


(10.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3700 Alte Donau

 



An der alten Donau. Herrlich diese Stadt! Und so viele freie Zugänge zum Wasser! Ein Hoch auf die Stadtverwaltung! (Das darf auch einmal gesagt werden!) Langsam aber sicher zieht der Himmel immer mehr zu; es wird noch Regen kommen, da bin ich mir sicher. Ich schwimme. Was für ein Stadtgefühl! Wenn die Sonne rauskommt, sticht sie noch.


(9.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3699 Sechs Minuten Verspätung

 



0:46 a.m. Das Schreiben bei aufsteigender Sonne ist gesünder. Mein Kratzelbild geht nicht mehr so in die Tiefe, wirkt flacher, dafür kommt es einem Glasfenster näher. Aber jetzt will ich lesen.


16:02. Züge kommen, Züge gehen, manchmal siehst du Züge stehen.

Nach diesem schönen Vers bestätige ich: ich bin am Bahnhof, am Hauptbahnhof sogar. Der Typ neben mir auf der Metallgittersitzbank zappelt herum, dass ich kaum schreiben kann. Die U-Bahnen waren überfüllt. Ich befinde mich nun aber oben auf dem Bahnsteig 10 im Luftigen. Soweit alles klar. Der Zug, auf den ich warte, soll 4 Minuten Verspätung haben. Er endet hier und man soll nicht einsteigen; das alles steht geschrieben. Wie viel Meter Luftlinie sind es zur Sitzbank am gegenüber liegenden Bahnsteig? Übrigens: ich sitze Richtung 159° S. Meine Orientierung wird immer schlechter; ich bin über diese Himmelsrichtung völlig überrascht. Ein stehender Triebwagen ist so laut, dass ich die Lautsprecheransagen nicht verstehen kann. Aha! Jetzt sind es 6 Minuten Verspätung – auch das steht geschrieben. Ich bekomme über die Rückenlehne der Sitzbank einen veritablen Stoß in den Rücken, weil sich ein Schwergewicht auf die Bank hinter mir – Rücken an Rücken – fallen gelassen hat. Der Zug wird angesagt.


(8.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 7. Juni 2024

3698 Das graue Haus

 



15:44. Am kleinen Platz mit den drei Säulengleditschien. Die Sonne brennt auf meinen nackten Armen, der lebhafte Wind spielt mit meinen langen Haaren und den Zweigen der drei Bäume. Am Steinpflaster des Bodens befinden sich die zähen, angetrockneten Reste einer pickigen Flüssigkeit, denn meine Schuhsohlen kleben leicht an. Trotz allem gefällt es mir hier und es stinkt auch nicht wie gestern nach Pisse. Das Sonnenlicht hindert mich daran, ganz offen umherzuschauen; ein unglaublich quietschendes Auto fährt um die Kurve, als wäre eine Bremse angezogen (ich kenne mich mit Autos nicht aus). Nachdem sie frei geworden ist, wechsle ich auf die schattige Sitzbank (Sitzbank! Nona! Ein Geldinstitut wird es sein, auf dem du sitzt! - der innere Spötter). Hier sitzt es sich entspannter und ich bin im Schatten, andere im Licht. Kommt es vor, dass jemand in Sekunden Gestalt und Aussehen ändert und so zumindest äußerlich eine andere Person wird? Mir ist es so vorgekommen, aber vermutlich war die Person, die hinter das parkende Auto getreten ist und jene, die auf der anderen Seite hervorgekommen ist, nicht dieselbe. Das klingt vernünftiger, aber genau weiß ich es nicht. Einige Bierkapseln sind in die Fugen zwischen den Brettern der Sitzfläche gesteckt. Ich, der ich hier sitze und schreibe – jetzt übrigens mit einem schönen, dezenten, laubgefilterten Schatten meines Pilotstiftes am Papier – werde auch von vorbeifahrenden Radfahrern angeschaut. Auf dieser Bank und somit nach 289° W blickend bin ich selten oder gar noch nie gesessen. Ich betrachte das graue Haus am Ende der Gasse und den Baukran dahinter, soweit ich es – das Haus – über die parkenden Autos hinweg sehen kann. Es juckt mich am Kopf (und glaubst du im Ernst, das interessiert irgendwen? - der innere Spötter). Die Kreuzung kommt mir auf Fußgänger bezogen im Moment recht lebhaft vor. Der Wind wird stärker und zupft und zerrt an allem Beweglichen. Die Sonne wird bald hinter dem Haus verschwinden, „wenn ich mich nicht irre, haha!“ (Sam Hawkens). Ein unwillkürlicher Niesanfall (gibt es auch willkürliche? - der innere Spötter). Hinter mir quietscht irgendeine Mechanik, aber ich drehe mich nicht um. Jetzt fängt meine Nase wieder zu laufen an (hopp! Hopp! - der innere Spötter). Nun sehe ich helle Wolkenberge hinter dem grauen Haus. Pathetische Musik aus einem Auto tät ich sagen. Die Musik jetzt jedoch aus einer Wohnung – ich würde sagen: live (das heißt: jemand spielt jetzt in der Wohnung auf einer E-Gitarre). Der Himmel über dem unscheinbaren, grauen Haus ist jetzt milchig-blau. Die Sonne glitzert hinter den Wolken. Gemma auffi? Ja. Ich gehe hinauf in die Wohnung.


(7.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3697 Ich muß aufs Klo

 



8:33 a.m. In diesem Marktcafé werde ich offensichtlich ignoriert. Ich sitze schon mindestens fünf Minuten herinnen und … ah! Jetzt! Frühstück bestellt.

Ich bin frustriert, aber nicht wegen diesem Lokal – da gibt es schon immer Spannungen, möglicherweise halten die mich hier für einen alten, rechten Ungustl – sondern weil es bei geschlossenem Fenster in mein Zimmer geregnet hat, weil unten am Glas kein Kitt mehr ist. Ich will endlich meine Ruhe haben und mich um solchen Scheiß nicht kümmern! Ich fühle mich überfordert! Gut, das Frühstück ist da. Essen kann auch der Seele guttun.

Ja, jetzt geht es mir viel besser! Musik aus den Boxen wie in meiner Teenagerzeit im Radio um elf Uhr (oder war die Sendung um zehn?). „I bring it outside!“ sagt der Kellner zu einem Gast: aber ich sitze beim Lesen und Schreiben lieber drinnen; durchaus gern an einem Sommertag wie diesen bei offenen Fenstern und Türen (auch die Sprache ist ein solches Gebäude). Es ist schon klar: ich passe auch nicht hierher, genausowenig wie gestern im Lichtensteinschen Freihaus; bestenfalls mache ich mich lächerlich. Aber das macht nichts. Sooo viel Zeit werde ich vermutlich eh nicht mehr haben. Ich genieße jetzt den Luxus eines solchen Frühstücks und vielleicht Feinde zu haben (vielleicht! Ob es wirklich welche gibt, weiß ich nicht). Feinde, echte Feinde muß man sich auch erst verdienen und auch da schaut es nicht wirklich gut aus; nur für einen Trottel gehalten zu werden, reicht nicht aus; reicht nicht, bringt keine Ehre. Trotzdem (oder gerade deswegen? - der innere Psychologe) komme ich mir in diesem nicht selbst verdienten und geschaffenen Luxus wie ein König vor. Dann eben wie ein König ohne Land. Womit ich nicht behaupten will, ich sei ein König der Übersehenen und Unselbstverständlichen – ich übersehe auch ständig. Aufs Klo gehe ich hier nicht, da kann ich mich nicht genug entspannen. Meine Nase rinnt, aber nicht à la Verkühlung. Die Menschen erschienen mir in sich so selbstverständlich. Die Zugabe der ersten Band gestern (Red Pink glaube ich) hat mich zu Tränen gerührt. Die verdammte Nase! Gottseidank wollen die meisten Leute draußen sitzen, umso schöner ist es herinnen. Ich sollte meine Empfindlichkeit nicht auch noch hochpäppeln; es ist schon so, dass es mir in diesem bunten Lokal gefällt. Zumindest meine Jugend ist vorbei (Mein Gott! Du blöder Aff du! Jugend! Nur die Jugend!? - der innere Spötter). Meine Nase rinnt und rinnt und hört nicht auf. Ich wäre in meiner Jugend durchaus gerne glücklich gewesen (und selbstverständlich), aber so war es nicht. Die fröhliche Kellnerin, die viel lacht, schaut, wenn es still ist und sie kurz in ihre Arbeit vertieft, gar nicht so fröhlich aus, manchmal. Aber sie zieht es schon durch. Will ich es ihr und den andern nicht glauben, damit meine Schwermut nicht gar so abseitig erscheint? Quasi: alle sind nicht wirklich glücklich, die tun nur so? Mit dem Frühstück bin ich längst fertig, und mit dem zweiten Kaffee jetzt (ich glaube einen Zusammenhang zwischen Depression und Kaffeekonsum bemerkt zu haben – der innere Beobachter), aber was mache ich, wenn ich jetzt heimgehe? Was kann ich mit diesem Tag anfangen? Meine Nase rinnt noch immer. Hier bleiben und noch einen Kaffee trinken? Auch wenn es mich dann aushebt? Hier ist es hell, in meinem Zimmer finster. Hier ist Sommer, in meinem Zimmer … was weiß ich! Wundern sollte mich mein – inneres und äußeres – Getue nicht. Ich starre auf die Pflanzen und ihre Blüten in den Töpfen und Kübeln draußen. Ein netter Versuch. Wirklich! Ich meine das nicht zynisch. Ich sollte doch nach Hause gehe – ich muß aufs Klo.


(7.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3696 Dank an den gestrigen Gitarrenspieler

 



„Ach, Sie sitzen wieder da und spielen Gitarre. Ich bin gestern auf der anderen Bank gesessen und habe geschrieben und Ihrem Spiel zugehört. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern …“

„Ich erinnere mich.“

„Ich hätte das schon gestern sagen sollen, dass mich Ihr Spiel sehr berührt hat …“

„Aber das war doch nur Geklimper!“

„Das hatte ich schon bemerkt, aber das macht nichts. Auch wenn Sie ‘nur‘ ein Anfänger wären, würde das nichts machen. Abgesehen davon waren in Ihrem suchenden Spiel immer wieder sehr schöne Passagen, die mir sehr gefallen haben, und auch Ihr ‚Suchen‘ hat mich berührt. Mehr noch: Ihr Spiel hat mich bis zu Tränen gerührt. So kann Musik sein.“

„Da haben Sie sich aber nichts anmerken lassen.“

„Stimmt! Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten und Sie nicht in Ihrer Versunkenheit stören. Und unsicher und schüchtern bin ich auch.
Jetzt können Sie natürlich denken: ‚was ist das schon, wenn ich das verkorkste Herz eines alten Deppen berührt habe!‘ Aber ich sage Ihnen – und ich meine das symbolisch – wenn Sie – Gott behüte! - sterben und wie alle vor Ihr Gericht kommen – wie gesagt: ich meine das symbolisch! - wird Ihr Schutzengel dieses kleine Geschehen in die Waagschale Ihrer guten Taten legen, denn Sie haben einem vielleicht nutzlosen Menschen – wenn es denn im Universum etwas Nutzloses überhaupt geben kann – für einen Augenblick Ort und Zeit erhellt, ja, den Augenblick zum Leuchten gebracht. Ich danke Ihnen! Herzlichen Dank! Alles Gute!“


(6.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3695 Stiller Kläffer

 



7:40 a.m. So ein schöner, frühsommerlicher Morgen! Zu schade, ihn mit schlechten Gedanken zu verderben. Akustisch bin ich mit der frühen Stille und den fernen Flugzeugen beschäftigt; richtiger gesagt: mit deren Schallwellen.


13:03. Ach, ich bin ein kleiner, stiller Kläffer, ha ha ha. Still, weil ich fast nur in Gedanken kläffe, und klein genau deswegen. Weit werde ich es nicht bringen – und ich meine damit nicht - was zutrifft - dass ich es nicht weit gebracht habe, sondern dass ich – auch wenn ich anders entschieden, gehandelt, gelebt hätte, es nicht weit bringen hätte können. So viel ist nicht da. Nur ein Wunder hätte mich gerettet. Blöderweise glaube ich an Wunder, aber auch die muß man sich verdienen, und sei es nur, dass man sich nicht so wichtig nimmt und sie zuläßt.


(6.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3694 Mein kleines Zimmer groß

 



1:07 a.m. Heute kommt mir mein kleines Zimmer groß und geräumig vor; jetzt vom Bett aus. Dabei ist es nicht so, dass ich mich geschrumpft vorkomme, nein, überhaupt nicht. Ah! Jetzt verstehe ich den Effekt: als ich die Schreibtischlampe (die an einer Art Nachtkastel montiert ist) hergezogen habe und mein Kopf voll in den Lichtkegel geraten ist, rückte die gegenüber liegende Regalwand sofort näher und wegen der nun ausgeleuchteten Tiefen des Regales wirkte das Zimmer kleiner, so wie immer. Es war ein Licht-Schatteneffekt. Es scheint so, dass die Schatten im Bücherregal, speziell in den Räumen über und hinter den Büchern, da die Wand dahinter dabei nicht sichtbar ist, den Raum tiefer wirken läßt als er ist. Trotzdem kommt mir mein Zimmer wieder größer vor, als ich die Lampe wieder zur Seite gedreht habe. Der Effekt wirkt, obwohl ich ihn durchschaut habe. Und in dieser Position lasse ich sie jetzt.

Meine Müdigkeit senkt wieder die Dinge ab, obwohl alles an seinem Platz bleibt. Meine Augen schielen leicht und die Dinge verschwimmen. Mit Disziplin zwinge ich mich nun, auch bei herangezogener Lampe das Zimmer größer zu sehen und es gelingt ziemlich gut. Mein Gehirn hat die neue Sichtweise schon abgespeichert. Nach einiger Zeit gelingt es absolut: mein Zimmer ist größer als bisher gedacht.

Genug gespielt; ich bereite mich zum Schlaf.


(6.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 5. Juni 2024

3693 Der Gitarrenspieler

 



13:54. Auf der Nebenbank im Schatten sitzt ein junger Mann und spielt Gitarre. Ich sitze auf dem kleinen Platz mit den drei Säulengleditschien vor unserem Haus in der Sonne. Wenn ich aus dem Musikzimmer oben auf den kleinen Platz hinunterschaue, sehne ich mich immer danach, da unten im Leben zu sitzen und herumzuschauen, aber herunten ist es selten wirklich fein. Zu laut, zu viele parkende Autos verstellen die Sicht. Aber heute geht es. Das sanfte Gitarrenspiel hilft, den Ort zu genießen. Der Trafikinhaber geht vorbei, ein normaler, jung wirkender Mann, mit schnellem, federndem Schritt, schaut nicht aus, als hätte er viele Selbstzweifel, immerhin traut er sich zu, ein Geschäft zu führen und schafft das schon viele Jahre lang. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne und das Licht blendet nicht mehr so. Ich beneide diese Menschen um ihre Selbstverständlichkeit. Jetzt brennt die Sonne wieder her mit ihrer ultravioletten Strahlung und Co und dem Vitamin D und ich muß die Augen beim Schreiben zusammenzwicken. Auf der Schattenseite gehen öfters Leute vorbei, aber mit den zusammengekniffenen Augen sehe ich sie nur schlecht. Unsere Haustür schlägt oft zu, aber ich sehe wegen eines geparkten Autos nicht direkt hin. Der Gitarrentyp übt und zupft herum, mit für mich hier und jetzt wunderschönen Passagen – die leise Musik geht mir ans Herz, so sehr, dass mir Tränen aufsteigen. Diesmal kletzle ich das Preispickerl ohne Kommentar vom blauen Pilotstift und klebe das abgelöste Etikett an die metallene Armstütze der Sitzbank. Die habe ich somit umgepreist und ist jetzt viel billiger. Mein Bauch wölbt sich unschön und verwerflich, was ich nur merke, wenn ich das Gesicht zum Schreiben Richtung Notizbuch senke.

Es stinkt hier nach Pisse – Hund oder Mann – das ist die Frage. Ich selber werde es nicht sein, so daneben bin ich noch nicht. Immer wieder diese Trauer, diese unsägliche Trauer. Mir wird hier schon etwas heiß – was tendenziell die Trauer auflösen könnte – ich will nicht rauf in die Wohnung, sondern die Tageskinderabholzeit abwarten. Metall wird kreischend und schrill bearbeitet, ein Motorrad fährt vorbei, die sanften Gitarrenklänge gehen unter. Der Gitarrentyp – dass ich das nicht zu erwähnen vergesse – spielt nur so für sich, ohne Publikum; auch ich als einziger dabei sitzender Zuhörer lasse mir nichts anmerken – ich hätte das Gefühl, das würde sein Bei-sich-sein verletzen; nur zweimal habe ich verstohlen hingeschaut.

Der Autoverkehr und damit der Lärm wird stärker. Ein kleiner Wind kommt auf und blättert mir die Seiten. Der Gitarrenspieler singt und summt jetzt leise ein wenig mit. Jemand ruft laut einen Namen, den ich nicht verstehe. Es ziehen einige Leute vorbei. Das metallene Kreischen setzt wieder ein (Entschuldigung: ich habe vergessen zu erwähnen, dass es inzwischen aufgehört hatte). Irgendwo singt eine Frau laut, eventuell kommt das aus einer der Wohnungen mit geöffneten Fenstern. Jetzt schreit jemand krähend und passagenweise jaulend mit sich überschlagender Stimme – so zwischen Gesang und Rufen. An der Baustelle wird laut geredet und heftig gebohrt. „Hört mich jemand!?“ ruft jetzt die Stimme deutlich. Ich sehe niemanden. Ich stehe auf und gehe herum, schaue auf die Straße, die Hausfassaden hinauf, aber ich sehe niemand. Die Stimme geht in ein jodelndes Gekreische über; es könnte auch die eines älteren Kindes sein, nicht unbedingt die einer Frau. Klar ist das nicht. Der Gitarrentyp spielt zu meiner Freude immer noch (ein Dylansong?). Eine in ihrer beginenhaften brauen Kleidung engagiert-christlich wirkende junge Frau geht vorbei. Meine Gürtelschnalle ist schon so heiß in der Sonne, dass es brennt, als ich mit meiner linken Hand daran streife. Ein Škoda fährt irgendwie sehr fein und elegant um die Kurve, nicht schnell natürlich, sondern feierlich und erhaben; in dieser Bewegung ist nichts Verdrängendes, nichts Mitreißendes (ich meine das wörtlich: mit-reißend; ein Sog, der einen mitreißt), kein Wille, alles niederzufahren, ist spürbar. Eine schwangere Frau hebt einen riesigen Lampenschirm aus einem Auto und trägt ihn zu einem schmalen Haustor, in dem sie verschwindet, nachdem sie die Schwierigkeiten, mit dem großen Trumm durch den engen Eingang bei aufzuhaltender Haustür (Schließautomatik) durchzukommen, überwunden hat. Der Gitarrenspieler hat jetzt die Gitarre weggelegt und schaut und schreibt in sein Handy. Ich gehe jetzt wohl besser hinauf, auch wenn die Abholzeit noch gar nicht begonnen hat. Ich fürchte sonst einen Sonnenstich.


(5.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3692 Ein Witz

 



2:37 a.m. „Die Engel rümpfen die Nase!“ - da habe ich fürs Sterben wenigstens einen Witz parat. Ach, der bajuwarische Affenarsch! Geistert immer noch durch meine Gedanken. Und in meiner Seele. Nennt man das nicht „besessen“? Wer treibt mir den Dämon aus? Ich selbst habe es bis jetzt nicht geschafft. Das Fenster im Vorzimmer, das auf den Lichtschacht geht, habe ich aufgemacht und die Tür zu meinem Zimmer offen gelassen. So höre ich nicht nur mein übliches Surren in den Ohren, sondern auch ganz leise, von fern und elegisch der Verkehrslärm der nächtlichen Stadt. Konzentriert lausche ich auf dieses Rauschen, ob ich irgendetwas heraushören kann, irgendetwas vom Leben da draußen. Die Bücher im Regal verdoppeln sich, als wären sie von einer durchsichtigen Plastikschicht überzogen gewesen, und zwar das gesamte Regal als Ganzes, die sich nun abgelöst hat und als ein ganzes Stück nach unten sinkt. Jetzt ist es so eine Art Gitter aus schwachem Licht, das absinkt, aber diesmal liegt die Fläche horizontal im Raum, als käme sie vom Plafond herunter. Mein drittes Auge auf der Stirn fängt zu pulsieren an, hört jedoch bald wieder auf, aber ein Ziehen bleibt noch. Ich bin jetzt ganz müde und werde dem nachgeben.


(5.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 4. Juni 2024

3691 Die Hafenpromenade

 



2:33 a.m. Der Regen prasselt die Nacht in Aufruhr und ein Wind stachelt ihn noch an.


11:23 a.m. in Mali Lošinj bäumt sich die Hafenpromenade auf, als würde sie sich dagegen wehren, dass ich sie anschaue. Zornig und wütend hat sie sich aufgerichtet, stur und wild gegen meinen Blick angehalten. Aber der war stärker, sodass sie wieder ins Horizontale gekippt ist und flach daliegt und nur ein paar unruhige Pinselstriche, die eine wellenförmige Oberfläche erzeugen, noch an ihren Widerstand erinnern mögen. Die gemalte Uferpromenade ist unruhiger als des gemalte Meer. Das fällt mir erst jetzt auf, obwohl es schon 36 Jahre lang so ist.

Ich habe seit Stunden im Bett gelesen und will erst zum Frühstück hinuntergehen, wenn sich die Tageskinderszenerie etwas beruhigt hat und leiser geworden ist. Aber hungrig, das bin ich schon. Ich werde aufstehen, mich ankleiden und mir ein Frühstück machen. Ich könnte gleich die Mittagsfischsuppe essen, nachdem ich sie ein wenig aufgepeppt habe.


(4.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3690 Die Hundezone

 



13:20. Nun sitze ich mit einer lebhaften Hundezone im Rücken im Votivpark und es schaut nach Regen aus. Vielleicht hält es noch ein wenig. Die Bänke sind in einer Kurve am asphaltierten Rundweg aufgereiht mit Blick zu Kirche und zwei Autos („Ich steh da drüben bei der Kirche!“). Ich sitze hier, wo ich bin, obwohl ich kein Selbst habe – wie es ausschaut – („Ich suche gerade mein Auto!“) sitze ich mit meinem Körper („Das ist mein Leib“) hier und stehe nicht da drüben mit meinem Auto (das ich nie hatte).

Ich schaue auf die Handyuhr, wie viel Zeit ich noch habe. Ich meine nicht die Lebenszeit, sondern Zeit bis zum Beginn der Therapiestunde. Die Hundezone hinter mir („Hunde! Wollt ihr ewig leben?“) ist gar nicht mehr lebhaft, sondern hört sich abgestorben an. Ich drehe mich um und stelle fest: kein einziger Hund! Sind die alle zum Mittagessen gegangen oder auf ein Mittagsschläfchen? Autos hupen und Baustellen lärmen. Die Schwüle hat sich schon gelegt und jetzt kommt eine leichte Brise auf. Eine Taube ruft; angeblich rufen so nur Waldtauben. Stimmt das überhaupt, dass die Stadttauben nur gurren? Direkt vor mir, auf der anderen Seite des asphaltierten Weges ist die Wiese kahl, ohne Gras, die festgetretene Erde liegt offen und auf ihr steht eine schöne Wasserlacke. So schön ist sie auch wieder nicht: das Wasser zu braun, die Fläche zu klein, die Ränder ausgefranst und das Ganze zu seicht, so dass abgestorbene Grasbüschel herausschauen. Aber das Wasser bewegt sich leicht. Ob das der kaum wahrnehmbare Wind ist oder die Bodenvibrationen von Baustellen oder Passanten, oder durch kleine Insekten, oder wegen langsamer Versickerungsprozesse hervorgerufen – ich weiß es nicht. Noch zehn Minuten Zeit bis ich zur Therapie aufbrechen muß, will, werde. Mein Rucksack beherbergt drei Bücher. Meine Einkaufstour war erfolgreich und leicht ins Manische gekippt – will sagen: aus dem Herder mit dem neu erstandenen Buch raus zu den Bücherständen des Antiquariats schräg gegenüber und gleich zugeschlagen – trotz verordnetem Ausgabenstopp. Das Wetter hält noch. Ich lenke meinen Blick an einer schwarz gekleideten jungen Frau vorbei den tiefen Park entlang ins Grüne. Ein völlig hysterisches Motorrad zieht hinter mir vorbei - auch Männer und ihre Auswüchse können hysterisch sein, obwohl sie keine Gebärmutter haben. Die Parkwirtschaft fährt mit dem Auto herein in den Park – auch so eine schlechte Gewohnheit; die können ruhig auch mit den Werkzeugen ein paar Schritte zu Fuß gehen. Obwohl sie jetzt ohne Werkzeuge schlendern. Okay! Ich geh in Therapie.


(3.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3689 Drive

 



11:32 a.m. Im Aida mit rosa Stift zu schreiben ist doch passend und einfühlsam, oder? Ein paar Tische weiter rechts wird – sagen wir: theologisch diskutiert. Mein Herz schlägt gleich höher und ich schaue kurz zu den zwei Männern hin und – während sie über die Wiener Sängerknaben – wie gesagt: theologisch! - reden – schaut einer der zwei her und taxiert mich kurz, als wolle er mich abschätzen, ob ich mich darüber lustig machen könnte. Hat auch er Hemmungen, seinen Faible für Transzendenz (was immer das genau heißen mag – sehr schwammig, aber gut! Akzeptiert! Ist ja echt schwierig – der innere Kritiker) öffentlich zu zeigen, oder ist das meine Projektion? Vielleicht geht’s bei denen auch um einen Film. Ich habe den falschen Kaffee bestellt, er schmeckt mir überhaupt nicht. Ich sitze gerne an großen Fenstern, wo ich auf eine belebte Straße hinausschauen kann, auch wenn ich die Menschen und das Geschehen nicht wirklich gründlich beobachte, sondern nur so Blicke werfe. Wegen meiner Projektion belege ich die beiden Herren trotz aller meiner möglichen Bedenken und meiner unterstellenden, vorsichtigen Verdächtigungen über den sozialen, gesellschaftlichen, intellektuellen – in bin schon längst in schlechter Form – ideologischen und weiß der Teufel noch was alles – Abgrund hinweg eine hochfrequente, unsichtbare, dünnluftige, flüchtige Solidarität. Nur der unterstellten Transzendenz wegen!

(Der rosa Pilotstift ist leer und ich wechsle zu einem roten.) Ein Kind in seinem Buggy beugt sich ganz weit vor. Ein weißhaariger Mann hat seine Sonnenbrille hochgeschoben, ein anderer trägt sie herunten vor den Augen. Inzwischen habe ich in der Karte am Tisch die verschiedenen Kaffeeangebote studiert. Ein Mann in den besten Jahren – grauer Bart, lange, von grauen Strähnen durchzogene und zu einem Roßschwanz gebundene Haare, der schon länger hier herumgeht und mir wegen seiner extrem aufrechten Körperhaltung aufgefallen ist und weil er ständig suchend herumgeschaut hat und eine auffällige, ein wenig modisch-martialische Jacke, vielleicht Leder, die das Steife und Aufgerichtete des Oberkörpers verstärkt, tragend, ein wenig securitymäßig und an diesem schwülen Tag overdressed, der hat sich also auf eine Bank gesetzt, sehr selbstbewußt und weiter suchend herumblickend, als wäre er verabredet – wobei mir seine Augenbrauen doch eine gewisse Unsicherheit zu verraten scheinen, gewellt wie gerne Verzweiflung dargestellt wird – in Kontrast zu seiner sonstigen Körperhaltung und Ausstrahlung – ich betone: ich habe keine Ahnung - er ist jetzt aufgestanden und mit seinem geraden Gang – der Oberkörper ganz steif und gerade, nur die Beine bewegen sich ohne Resonanz weiter oben – in ein Geschäft – ich beuge mich vor um besser hinzusehen: nein, es ist ein Lokal, etwa eine Bar.

Ein zweiter älterer Mann in den besten Jahren mit mächtigem Brustkorb, der in einen auch ordentlichen Bauch übergeht, und mit weißen Haaren ist aufgetaucht, schaut suchend herum als wäre er verabredet und verschwindet dann wieder; ich habe nicht mitbekommen wann und wohin (zum Schreiben muß ich meinen Blick aufs Notizbuch senken – der innere, besorgte Erklärer). Die Spiegel in manchen Fensternischen erlauben es gelegentlich, die Passant*innen von vorne und von hinten vorbeigehen zu sehen.

Viele Menschen, die vorbeikommen, sind auf so durchschnittliche Weise, aber angenehm schön und gehen in einem so freien Gang, wie freie Bürger eben, die sich ihrer Existenz nicht schämen. Heute nehme ich es ihnen wirklich ab. In den Abgrund, der sich da für mich auftut, stürze ich jetzt nicht! Das lasse ich nicht zu. Auf meinem T-Shirt steht: „Ich suche gerade mein Auto“ (αὐτός – selbst). So! Jetzt ist mir der Schreibdrive ausgegangen. Das habe ich davon!


(3.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3688 Auf Hochdeutsch

 



0:50 a.m. Mir spielt es noch die Musik von John Frusciante in meinem Inneren nach, während ich bereits liegen gegangen bin (auf Hochdeutsch: zu Bett). Meine müden Augen verschieben schon wieder die Regale und Bücher, die inzwischen mehr geworden sind. Ich betrachte meine Hände und diesmal besonders die Fingernägel. Diese Betrachtung hat jedoch weder wesentlich neue Erkenntnisse gebracht (dass sie schön sind, weiß ich), noch mystische Erlebnisse. Ich lasse es gut sein.


(2.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com