Mittwoch, 5. Juni 2024

3693 Der Gitarrenspieler

 



13:54. Auf der Nebenbank im Schatten sitzt ein junger Mann und spielt Gitarre. Ich sitze auf dem kleinen Platz mit den drei Säulengleditschien vor unserem Haus in der Sonne. Wenn ich aus dem Musikzimmer oben auf den kleinen Platz hinunterschaue, sehne ich mich immer danach, da unten im Leben zu sitzen und herumzuschauen, aber herunten ist es selten wirklich fein. Zu laut, zu viele parkende Autos verstellen die Sicht. Aber heute geht es. Das sanfte Gitarrenspiel hilft, den Ort zu genießen. Der Trafikinhaber geht vorbei, ein normaler, jung wirkender Mann, mit schnellem, federndem Schritt, schaut nicht aus, als hätte er viele Selbstzweifel, immerhin traut er sich zu, ein Geschäft zu führen und schafft das schon viele Jahre lang. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne und das Licht blendet nicht mehr so. Ich beneide diese Menschen um ihre Selbstverständlichkeit. Jetzt brennt die Sonne wieder her mit ihrer ultravioletten Strahlung und Co und dem Vitamin D und ich muß die Augen beim Schreiben zusammenzwicken. Auf der Schattenseite gehen öfters Leute vorbei, aber mit den zusammengekniffenen Augen sehe ich sie nur schlecht. Unsere Haustür schlägt oft zu, aber ich sehe wegen eines geparkten Autos nicht direkt hin. Der Gitarrentyp übt und zupft herum, mit für mich hier und jetzt wunderschönen Passagen – die leise Musik geht mir ans Herz, so sehr, dass mir Tränen aufsteigen. Diesmal kletzle ich das Preispickerl ohne Kommentar vom blauen Pilotstift und klebe das abgelöste Etikett an die metallene Armstütze der Sitzbank. Die habe ich somit umgepreist und ist jetzt viel billiger. Mein Bauch wölbt sich unschön und verwerflich, was ich nur merke, wenn ich das Gesicht zum Schreiben Richtung Notizbuch senke.

Es stinkt hier nach Pisse – Hund oder Mann – das ist die Frage. Ich selber werde es nicht sein, so daneben bin ich noch nicht. Immer wieder diese Trauer, diese unsägliche Trauer. Mir wird hier schon etwas heiß – was tendenziell die Trauer auflösen könnte – ich will nicht rauf in die Wohnung, sondern die Tageskinderabholzeit abwarten. Metall wird kreischend und schrill bearbeitet, ein Motorrad fährt vorbei, die sanften Gitarrenklänge gehen unter. Der Gitarrentyp – dass ich das nicht zu erwähnen vergesse – spielt nur so für sich, ohne Publikum; auch ich als einziger dabei sitzender Zuhörer lasse mir nichts anmerken – ich hätte das Gefühl, das würde sein Bei-sich-sein verletzen; nur zweimal habe ich verstohlen hingeschaut.

Der Autoverkehr und damit der Lärm wird stärker. Ein kleiner Wind kommt auf und blättert mir die Seiten. Der Gitarrenspieler singt und summt jetzt leise ein wenig mit. Jemand ruft laut einen Namen, den ich nicht verstehe. Es ziehen einige Leute vorbei. Das metallene Kreischen setzt wieder ein (Entschuldigung: ich habe vergessen zu erwähnen, dass es inzwischen aufgehört hatte). Irgendwo singt eine Frau laut, eventuell kommt das aus einer der Wohnungen mit geöffneten Fenstern. Jetzt schreit jemand krähend und passagenweise jaulend mit sich überschlagender Stimme – so zwischen Gesang und Rufen. An der Baustelle wird laut geredet und heftig gebohrt. „Hört mich jemand!?“ ruft jetzt die Stimme deutlich. Ich sehe niemanden. Ich stehe auf und gehe herum, schaue auf die Straße, die Hausfassaden hinauf, aber ich sehe niemand. Die Stimme geht in ein jodelndes Gekreische über; es könnte auch die eines älteren Kindes sein, nicht unbedingt die einer Frau. Klar ist das nicht. Der Gitarrentyp spielt zu meiner Freude immer noch (ein Dylansong?). Eine in ihrer beginenhaften brauen Kleidung engagiert-christlich wirkende junge Frau geht vorbei. Meine Gürtelschnalle ist schon so heiß in der Sonne, dass es brennt, als ich mit meiner linken Hand daran streife. Ein Škoda fährt irgendwie sehr fein und elegant um die Kurve, nicht schnell natürlich, sondern feierlich und erhaben; in dieser Bewegung ist nichts Verdrängendes, nichts Mitreißendes (ich meine das wörtlich: mit-reißend; ein Sog, der einen mitreißt), kein Wille, alles niederzufahren, ist spürbar. Eine schwangere Frau hebt einen riesigen Lampenschirm aus einem Auto und trägt ihn zu einem schmalen Haustor, in dem sie verschwindet, nachdem sie die Schwierigkeiten, mit dem großen Trumm durch den engen Eingang bei aufzuhaltender Haustür (Schließautomatik) durchzukommen, überwunden hat. Der Gitarrenspieler hat jetzt die Gitarre weggelegt und schaut und schreibt in sein Handy. Ich gehe jetzt wohl besser hinauf, auch wenn die Abholzeit noch gar nicht begonnen hat. Ich fürchte sonst einen Sonnenstich.


(5.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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