Montag, 17. Juni 2024

3707 Die zerrissene Fahne

 



12:49. Ich sitze über dem Donaukanal und blicke über ihn hinweg auf das gegenüber liegende Ufer und den stark befahrenen Franz-Josefs-Kai. Auch hinter mir der höllische Autolärm der stark und schnell befahrenen Oberen-Donaustraße, der an meinem Montagepunkt herumreißen will und mich wirklich beunruhigt und in Alarm versetzt. Der Donauarm ist reich an Farben, grün, braun, grau mit einem unterlegten Touch von blau, je nach Lichteinfall – und relativ hoch und fließt sehr flott. Wirklich, der Verkehrslärm bearbeitet mein Gehör und meinen Hinterkopf. Aber die Wolken des bedeckten Himmels sind richtig schön: schön gewölbt, manche fast prall, relativ tief hängend – so ist der Eindruck – und abwechslungsreich: weiße, graue, schwarze Wolken, kompaktere und dünne, große, kleine, zusammenhängende Schleier, einzelne Wolkenindividuen, mit klaren Konturen, ausgefranste … langsam fließen sie über den Himmel und ändern ihre Formen. Jetzt ist es gerade ruhig hinter mir, aber die nächste Autokolonne rast schon heran. An den Uferpromenade an beiden Seiten des Flußes tummeln sich Fußgänger und Radfahrer, etliche rasten auf Bänken. Das glatte Donauwasser spielt mit Licht, Schatten, den Farben und der sanften Bewegung, bis ein Touristenboot kommt, stinkt, und alles aufwühlt. Was auch toll anzuschauen ist.

Wie lange das Wasser braucht, um sich zu beruhigen! Das dauert unglaublich lange. Noch immer ist die Oberfläche in kleinen, nervösen Wellen aufgebracht. Die Wolken sind mehrheitlich flacher und verschwommener geworden, haben kaum noch deutliche Konturen. Die Autos mit ihrem Lärm und ihrem unheimlichen, unangenehmen Vorbeisausen bearbeiten jetzt meinen Rücken, in dem sich ein Schmerz festgesetzt hat; nicht das übliche Kreuzweh, etwas anderes, als würde am Rücken mein Energiekörper aufgerissen und vom Sog der vorbeirasenden Autos Teile meiner Energie mitgerissen werden. Die geballte, fremde, gekaufte, explosive Energie in den Autos kann das? Ich schaue 222° SW, der Wind kommt von rechts.

13:23. Das Wasser ist immer noch unruhig. Ich betrachte die wild wachsenden Feldblumen am Rande des gepflasterten Gehweg vor mir, wo sie sich im Spalt zwischen Pflasterung und Geländersockel halten können, bevor sie – vermutlich offiziell und in öffentlichem Auftrag – ausgerissen werden werden (die kleine Wiesenfläche hinter mir ist „natürlich“ rasengemäht). Fast ist nun die Wasseroberfläche wieder glatt. Die Fahne vom Lokal unten und nebenan ist von Wind und Sonne schon völlig zerrissen.


(16.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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