Ich bin ja gesellschaftlich gesehen ein Nichts und auch
sonst kein allzu großes Licht vor dem Herrn – wie mir ja auch der Herr
Döbereiner aus Bayern einmal ausgerichtet hat: er bedaure mich wegen meiner
Ungebildetheit – aber ich dachte schon länger: bevor ich sterbe möchte ich
wenigstens einmal hinter die Kulissen der gesellschaftlichen
Wahrnehmungskonventionen blicken. Auf den besseren integeren Weg der Disziplin
habe ich es nicht geschafft, darum will ich – so dachte ich – es mit
Kraftpflanzen versuchen. Wie gesagt: einmal bevor ich sterbe. Darum hatte ich
mir vor ungefähr einem halben Jahr einen San-Pedro-Kaktus gekauft – schließlich
ist der Heilige Petrus mein Namenspatron.
Ich hatte mir das so vorgestellt: wenn ich mit dem Rücken
zur Wand stehe – zum Beispiel bei etwas wie einer Krebsdiagnose – dann nehme
ich ihn ein. Ich habe durchaus in Rechnung gestellt, dabei auch hinter
meine eigene Maske zu schauen – was unangenehm sein kann. Nein: ist.
Vor Jahrzehnten hatte mir ein Freund erzählt, daß er beim
ersten Einnehmen von LSD auf einen Horrortrip geraten ist und da erlebt hat,
wie auf das, war er für sein Innerstes, für den (gesunden) Kern seiner
Persönlichkeit gehalten hat, mit Nazistiefeln eingetreten wurde; und zwar, was
die Erbärmlichkeit seiner Person betrifft, unwiderlegbar, weil die Aufdeckung
seiner Lebenslügen wahr gewesen ist. Er konnte dann viele Monate lang keine
Dunkelheit ertragen und mußte bei Licht schlafen und vor allem am Abend so um
sechs Uhr herum (Angelus) haben ihn gewaltige Ängste heimgesucht, die kaum zu
ertragen waren. Manche sind bei solchen Trips so weit abgedriftet, daß sie nie
mehr in die Alltagswelt zurück fanden und im wahrsten Sinne des Wortes verrückt
(Montagepunkt) geblieben sind. Daß ich soetwas erlebe könnte, hatte ich durchaus für
möglich gehalten – ich gehe ja doch davon aus, daß ich gerade bezüglich meiner
Person ordentliche blinde Flecken und ein illusorisches Selbstbild habe. Darum
habe ich vor allen Kraftpflanzen und Drogen großen Respekt und ich habe
jahrzehntelang nichts angerührt und seit über zehn Jahren auch kein Nikotin und
auch nicht die christliche Droge Alkohol. (Nebenbei bemerkt: Diese vorsichtige
bis ablehnende Haltung solchen Drogen-Experimenten gegenüber hatte ich – im
Gegensatz zu Millionen – gerade aus der Lektüre von Castaneda bezogen.)
Natürlich kenne ich auch Berichte von Leuten, die bei der
Einnahme von Kraftpflanzen und ähnlichem beglückende Reisen erlebten, sich mit
allem verbunden und vereint fühlten und unglaubliche Schönheit und ergreifende
Begegnungen hatten. Ich rechnete damit, daß bei meinem San-Pedro-Experiment
beides und alles dazwischen passieren kann.
In letzter Zeit wurde jedoch der Wunsch, den San Pedro jetzt
schon zu nehmen, immer stärker. Ich weiß nicht warum. Vielleicht hat es mit dem
Psychopharmakum zu tun, das ich seit meinen Panikattacken gegen meine
jahrzehntelange, schwere Depression einnehme: Einerseits, weil jetzt sozusagen
das Tor in diese Richtung offen ist und ich merke, wie gut mir das tut;
andererseits, weil ich befürchte, daß durch das Medikament möglicherweise doch
etwas zugedeckt wird, hinter das ich schauen sollte. Denn man hat eine Depression
ja nicht zufällig und sie hat einem sicher etwas wichtiges zu sagen. Ich möchte
nicht sterben, ohne wenigstens einen kleinen Zipfel des Vorhangs vor meinen
Lebenslügen und denen der Gesellschaft gelüpft zu haben.
Wie auch immer: meine Kinder sind nahezu erwachsen und gehen
schon ihre eigenen Wege, so daß ich dachte, ich könne das Risiko eingehen (ich
bin ja kein junger Mann mehr und wer weiß, ob das Herz zum Beispiel mitmacht?).
Es hatte mich auch so eine Art leiser Zorn gepackt über meine lebenslange Ängstlichkeit
(Peter, der Trauminet – als solcher bringe ich meinen Kindern auch nicht viel),
weil ich mir in meinem Leben ständig von irgendjemandem habe Angst machen
lassen und von jedem Experiment und jeder Aventure abbringen, bis ich das völlig
internalisiert hatte. Kurz gesagt: ich war bereit für San Pedro.
Meine Frau und meine Kinder waren auf Reisen – ich wollte
dabei unbedingt allein sein – und so habe ich mich vor ein paar Tagen auf meine
San-Pedro-Zeremonie vorbereitet.
Zuerst habe ich alle offenen Fenster geschlossen oder auf
gekippt gestellt; schließlich gibt es ja auch Berichte von Leuten, die im
Drogenrausch aus dem Fenster gesprungen sind, in der Meinung, sie könnten
fliegen. Dann habe ich eine Kerze angezündet und mir meine Amulettehalskette,
ein typisch eklektizistisches (aber noch lange nicht kirchliches) Sammelsurium
mit einem Tau-Kreuz aus Holz von einem Olivenbaum in Bethlehem, einem Stein aus
Mexiko, in den ein kleines Relief von Psylocype-Pilzen geritzt ist – es
symbolisiert für mich den Schamanismus – und einer blechernen (oder was auch
immer), vielleicht geweihten Marienmedaille mit Madonna (extra für Döbraniten:
ohne Kind).
Eine Zwischenbemerkung: solche
Amulette-Kraftobjekt-Geschichten und Dinge wie Rituale, Zeremonien etcetera
nehme halb ernst, halb unernst. Oder besser gesagt: bis zu einem gewissen Grad
nehme ich sie ernst und dennoch kann ich über sie lachen und mich lustig
machen.
Weiter in meiner Privatzeremonie: dann habe ich den
Weihrauchkessel angeworfen – das ist mir noch nie g'scheit gelungen; ich zündel
dabei immer ewig und umständlich herum, bis es endlich halbwegs raucht. Diesmal
habe ich Weihrauch mit dem Namen Salomon genommen – schließlich wären ja
Weisheit und die Königin von Saba nicht zu verachten.
Mit diesem Weihrauch habe ich die gesamte Wohnung geräuchert
und vorallem meinen Kaktus mehrmals, bevor ich ihn abgeschitten habe. Dazu habe
ich ein gepolstertes Briefkuvert über den Kaktus gestülpt, damit mich die
Stacheln nicht stechen. Mit diesem Stück bin ich in die Küche, wo ich vorher
alles sauber gemacht, Unnötiges weggeräumt und alles Geschirr und Besteck
vorbereitet hatte.
Dann habe ich geduldig Stachel für Stachel
herausgeschnitten.
Dann habe ich den Kaktus in Scheiben geschnitten, eine
Scheibe roh gegessen und die anderen mit einem Rührstab zu einem Brei
zerkleinert. Den Brei habe ich dann mit Wasser aufgekocht und eine zeitlang
köcheln lassen.
Dann habe ich das Wasser in eine Tasse gegossen und dem Brei
nocheinmal Wasser zugesetzt. Nachdem der Aufguß abgekühlt war, habe ich einen
Schluck getrunken. Und dann noch einen.
Und dann noch einen Schluck. Ich warte also auf die ersten
Anzeichen des Rausches, irgendeine Stimmungsänderung, eine Verschiebung der
Wahrnehmung – sei es im Hören, sei es beim Sehen: nichts. Keine Visionen, keine
Halluzinationen, keine Erkenntnisse - weder angenehme noch unangenehme. Das
Ganze hat sich ähnlich angefühlt wie meine üblichen, traumverhangenen Zustände
direkt nach dem Aufwachen oder bei starker Übermüdung vorm Einschlafen (in
meinen Texte hier in der Schublade xmal nachlesbar).
Um irgendetwas zu machen habe ich ein paar Bruchstücke aus
zwei ungarischen Volksliedern und einem Aborigines-Song – wo ich natürlich den
Text weder kenne und noch verstehe – wo nur ein paar verballhornte Textrestbestände
in meinem Gedächtnis haften geblieben sind – gesungen. Diese Bruchstücke habe
ich mir immer ein wenig zu meinen „Kraftliedern“ in schweren Zuständen der
Depression stilisiert; ich dachte, vielleicht können die meine
steckengebliebenen Visionen ankurbeln. Nein, nichts. Nichts, was über meine
vertrauten Endorphinzustände hinausgeht.
Ich trinke wieder, gieße auf, koche, trinke wieder, aber an
der Situation ändert sich nichts.
Ich bin nicht unglücklich dabei, ein wenig enttäuscht, aber
mehr noch muß ich innerlich darüber schmunzeln, daß mir weltfremdem Idioten
nicht einmal ein Drogenrausch gelingt – das paßt doch wieder einmal super zu
meinem Versagerselbstbild. Aber wie gesagt, ich habe mich nicht geärgert, nur
amüsiert über meine unbeholfenen, kindischen Versuche, die Grenzen, in denen
ich gefangen bin, zu überschreiten.
Vorm Einschlafen dann habe ich mir gedacht, gut, vielleicht
habe ich den Kaktus falsch zubereitet und mich dann für einen zweiten Versuch
am nächsten Tag entschieden.
Nach dem Aufwachen aus einem traumreichen Schlaf – es hilft
nichts, die Träume hatte ich dennoch alle vergessen – bin ich dann am Vormittag
gleich losgezogen und habe mir einen San-Pedro-Kaktus (der Heilige Petrus, der
am Eingang zum Himmel steht und wacht) besorgt.
Diesmal habe ich meine Zeremonie gleich viel salopper und
profaner durchgeführt: das Polsterkuvert drüber, abschneiden – auf Räuchern und
Gebete habe ich verzichtet – beim Entstacheln war ich schon viel geschickter,
in Scheiben schneiden, vermanschkern, aufgießen, kochen – aber viel länger als
am Vortag. Den Aufguß trinken, neu aufgießen, trinken und zum Schluß habe ich
noch den übriggebliebenen, grauslich schmeckenden Sud gegessen. Wieder warte
ich auf den Rausch. Nichts. Der gleiche Effekt wie am Vortag.
Tja, anscheinend wollte mich der Heilige Sankt Petrus nicht
am Himmelstor durchlassen, aber wegen aus Unwürdigkeit illegalem Versuchs eines
Grenzübertritts ins Himmelreich eins über die Rübe gezogen hat er mir auch
nicht. Nicht einmal das!
Oder bin ich schon drogenresistent, weil meine
Endorphinausschüttung ein Leben lang
hochgefahren ist? Dann wundert mich jedoch, daß ich nicht schon längst Krebs
habe.
Aber andererseits: bei der Droge Kaffee bin ich doch schon
nach dem zweiten Schluck gleich auf Tatü-Tata. So wie jetzt nach drei
Cappuccinos; einer heiß, zwei kalt.
(8./10.8.2018)
©Peter
Alois Rumpf August 2018
peteraloisrumpf@gmail.com