Freitag, 10. August 2018

1052 Mein Experiment zu Ehren des Heiligen Sankt Petrus


Ich bin ja gesellschaftlich gesehen ein Nichts und auch sonst kein allzu großes Licht vor dem Herrn – wie mir ja auch der Herr Döbereiner aus Bayern einmal ausgerichtet hat: er bedaure mich wegen meiner Ungebildetheit – aber ich dachte schon länger: bevor ich sterbe möchte ich wenigstens einmal hinter die Kulissen der gesellschaftlichen Wahrnehmungskonventionen blicken. Auf den besseren integeren Weg der Disziplin habe ich es nicht geschafft, darum will ich – so dachte ich – es mit Kraftpflanzen versuchen. Wie gesagt: einmal bevor ich sterbe. Darum hatte ich mir vor ungefähr einem halben Jahr einen San-Pedro-Kaktus gekauft – schließlich ist der Heilige Petrus mein Namenspatron.

Ich hatte mir das so vorgestellt: wenn ich mit dem Rücken zur Wand stehe – zum Beispiel bei etwas wie einer Krebsdiagnose – dann nehme ich ihn ein. Ich habe durchaus in Rechnung gestellt, dabei auch hinter meine eigene Maske zu schauen – was unangenehm sein kann. Nein: ist.
Vor Jahrzehnten hatte mir ein Freund erzählt, daß er beim ersten Einnehmen von LSD auf einen Horrortrip geraten ist und da erlebt hat, wie auf das, war er für sein Innerstes, für den (gesunden) Kern seiner Persönlichkeit gehalten hat, mit Nazistiefeln eingetreten wurde; und zwar, was die Erbärmlichkeit seiner Person betrifft, unwiderlegbar, weil die Aufdeckung seiner Lebenslügen wahr gewesen ist. Er konnte dann viele Monate lang keine Dunkelheit ertragen und mußte bei Licht schlafen und vor allem am Abend so um sechs Uhr herum (Angelus) haben ihn gewaltige Ängste heimgesucht, die kaum zu ertragen waren. Manche sind bei solchen Trips so weit abgedriftet, daß sie nie mehr in die Alltagswelt zurück fanden und im wahrsten Sinne des Wortes verrückt (Montagepunkt) geblieben sind. Daß ich soetwas erlebe könnte, hatte ich durchaus für möglich gehalten – ich gehe ja doch davon aus, daß ich gerade bezüglich meiner Person ordentliche blinde Flecken und ein illusorisches Selbstbild habe. Darum habe ich vor allen Kraftpflanzen und Drogen großen Respekt und ich habe jahrzehntelang nichts angerührt und seit über zehn Jahren auch kein Nikotin und auch nicht die christliche Droge Alkohol. (Nebenbei bemerkt: Diese vorsichtige bis ablehnende Haltung solchen Drogen-Experimenten gegenüber hatte ich – im Gegensatz zu Millionen – gerade aus der Lektüre von Castaneda bezogen.)

Natürlich kenne ich auch Berichte von Leuten, die bei der Einnahme von Kraftpflanzen und ähnlichem beglückende Reisen erlebten, sich mit allem verbunden und vereint fühlten und unglaubliche Schönheit und ergreifende Begegnungen hatten. Ich rechnete damit, daß bei meinem San-Pedro-Experiment beides und alles dazwischen passieren kann.

In letzter Zeit wurde jedoch der Wunsch, den San Pedro jetzt schon zu nehmen, immer stärker. Ich weiß nicht warum. Vielleicht hat es mit dem Psychopharmakum zu tun, das ich seit meinen Panikattacken gegen meine jahrzehntelange, schwere Depression einnehme: Einerseits, weil jetzt sozusagen das Tor in diese Richtung offen ist und ich merke, wie gut mir das tut; andererseits, weil ich befürchte, daß durch das Medikament möglicherweise doch etwas zugedeckt wird, hinter das ich schauen sollte. Denn man hat eine Depression ja nicht zufällig und sie hat einem sicher etwas wichtiges zu sagen. Ich möchte nicht sterben, ohne wenigstens einen kleinen Zipfel des Vorhangs vor meinen Lebenslügen und denen der Gesellschaft gelüpft zu haben.

Wie auch immer: meine Kinder sind nahezu erwachsen und gehen schon ihre eigenen Wege, so daß ich dachte, ich könne das Risiko eingehen (ich bin ja kein junger Mann mehr und wer weiß, ob das Herz zum Beispiel mitmacht?). Es hatte mich auch so eine Art leiser Zorn gepackt über meine lebenslange Ängstlichkeit (Peter, der Trauminet – als solcher bringe ich meinen Kindern auch nicht viel), weil ich mir in meinem Leben ständig von irgendjemandem habe Angst machen lassen und von jedem Experiment und jeder Aventure abbringen, bis ich das völlig internalisiert hatte. Kurz gesagt: ich war bereit für San Pedro.

Meine Frau und meine Kinder waren auf Reisen – ich wollte dabei unbedingt allein sein – und so habe ich mich vor ein paar Tagen auf meine San-Pedro-Zeremonie vorbereitet.

Zuerst habe ich alle offenen Fenster geschlossen oder auf gekippt gestellt; schließlich gibt es ja auch Berichte von Leuten, die im Drogenrausch aus dem Fenster gesprungen sind, in der Meinung, sie könnten fliegen. Dann habe ich eine Kerze angezündet und mir meine Amulettehalskette, ein typisch eklektizistisches (aber noch lange nicht kirchliches) Sammelsurium mit einem Tau-Kreuz aus Holz von einem Olivenbaum in Bethlehem, einem Stein aus Mexiko, in den ein kleines Relief von Psylocype-Pilzen geritzt ist – es symbolisiert für mich den Schamanismus – und einer blechernen (oder was auch immer), vielleicht geweihten Marienmedaille mit Madonna (extra für Döbraniten: ohne Kind).

Eine Zwischenbemerkung: solche Amulette-Kraftobjekt-Geschichten und Dinge wie Rituale, Zeremonien etcetera nehme halb ernst, halb unernst. Oder besser gesagt: bis zu einem gewissen Grad nehme ich sie ernst und dennoch kann ich über sie lachen und mich lustig machen.

Weiter in meiner Privatzeremonie: dann habe ich den Weihrauchkessel angeworfen – das ist mir noch nie g'scheit gelungen; ich zündel dabei immer ewig und umständlich herum, bis es endlich halbwegs raucht. Diesmal habe ich Weihrauch mit dem Namen Salomon genommen – schließlich wären ja Weisheit und die Königin von Saba nicht zu verachten.
Mit diesem Weihrauch habe ich die gesamte Wohnung geräuchert und vorallem meinen Kaktus mehrmals, bevor ich ihn abgeschitten habe. Dazu habe ich ein gepolstertes Briefkuvert über den Kaktus gestülpt, damit mich die Stacheln nicht stechen. Mit diesem Stück bin ich in die Küche, wo ich vorher alles sauber gemacht, Unnötiges weggeräumt und alles Geschirr und Besteck vorbereitet hatte.
Dann habe ich geduldig Stachel für Stachel herausgeschnitten.
Dann habe ich den Kaktus in Scheiben geschnitten, eine Scheibe roh gegessen und die anderen mit einem Rührstab zu einem Brei zerkleinert. Den Brei habe ich dann mit Wasser aufgekocht und eine zeitlang köcheln lassen.
Dann habe ich das Wasser in eine Tasse gegossen und dem Brei nocheinmal Wasser zugesetzt. Nachdem der Aufguß abgekühlt war, habe ich einen Schluck getrunken. Und dann noch einen.
Und dann noch einen Schluck. Ich warte also auf die ersten Anzeichen des Rausches, irgendeine Stimmungsänderung, eine Verschiebung der Wahrnehmung – sei es im Hören, sei es beim Sehen: nichts. Keine Visionen, keine Halluzinationen, keine Erkenntnisse - weder angenehme noch unangenehme. Das Ganze hat sich ähnlich angefühlt wie meine üblichen, traumverhangenen Zustände direkt nach dem Aufwachen oder bei starker Übermüdung vorm Einschlafen (in meinen Texte hier in der Schublade xmal nachlesbar).
Um irgendetwas zu machen habe ich ein paar Bruchstücke aus zwei ungarischen Volksliedern und einem Aborigines-Song – wo ich natürlich den Text weder kenne und noch verstehe – wo nur ein paar verballhornte Textrestbestände in meinem Gedächtnis haften geblieben sind – gesungen. Diese Bruchstücke habe ich mir immer ein wenig zu meinen „Kraftliedern“ in schweren Zuständen der Depression stilisiert; ich dachte, vielleicht können die meine steckengebliebenen Visionen ankurbeln. Nein, nichts. Nichts, was über meine vertrauten Endorphinzustände hinausgeht.

Ich trinke wieder, gieße auf, koche, trinke wieder, aber an der Situation ändert sich nichts.

Ich bin nicht unglücklich dabei, ein wenig enttäuscht, aber mehr noch muß ich innerlich darüber schmunzeln, daß mir weltfremdem Idioten nicht einmal ein Drogenrausch gelingt – das paßt doch wieder einmal super zu meinem Versagerselbstbild. Aber wie gesagt, ich habe mich nicht geärgert, nur amüsiert über meine unbeholfenen, kindischen Versuche, die Grenzen, in denen ich gefangen bin, zu überschreiten.

Vorm Einschlafen dann habe ich mir gedacht, gut, vielleicht habe ich den Kaktus falsch zubereitet und mich dann für einen zweiten Versuch am nächsten Tag entschieden.

Nach dem Aufwachen aus einem traumreichen Schlaf – es hilft nichts, die Träume hatte ich dennoch alle vergessen – bin ich dann am Vormittag gleich losgezogen und habe mir einen San-Pedro-Kaktus (der Heilige Petrus, der am Eingang zum Himmel steht und wacht) besorgt.

Diesmal habe ich meine Zeremonie gleich viel salopper und profaner durchgeführt: das Polsterkuvert drüber, abschneiden – auf Räuchern und Gebete habe ich verzichtet – beim Entstacheln war ich schon viel geschickter, in Scheiben schneiden, vermanschkern, aufgießen, kochen – aber viel länger als am Vortag. Den Aufguß trinken, neu aufgießen, trinken und zum Schluß habe ich noch den übriggebliebenen, grauslich schmeckenden Sud gegessen. Wieder warte ich auf den Rausch. Nichts. Der gleiche Effekt wie am Vortag.

Tja, anscheinend wollte mich der Heilige Sankt Petrus nicht am Himmelstor durchlassen, aber wegen aus Unwürdigkeit illegalem Versuchs eines Grenzübertritts ins Himmelreich eins über die Rübe gezogen hat er mir auch nicht. Nicht einmal das!

Oder bin ich schon drogenresistent, weil meine Endorphinausschüttung  ein Leben lang hochgefahren ist? Dann wundert mich jedoch, daß ich nicht schon längst Krebs habe.

Aber andererseits: bei der Droge Kaffee bin ich doch schon nach dem zweiten Schluck gleich auf Tatü-Tata. So wie jetzt nach drei Cappuccinos; einer heiß, zwei kalt.








(8./10.8.2018)













©Peter Alois Rumpf    August 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

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