1048 Der Entschluß
Wie ich heute Nacht so wach liege, war ich endlich in der
Lage, in einer hinausgeschobenen Sache einen Entschluß zu fassen. Mein Plan ist
es schon seit Jahren, meine alten, essayistischen Texte zu überarbeiten, weil
ich sie so nicht mehr schreiben würde, aber sie sich dennoch um mir sehr wichtige
Themen drehen. Zwar lasse ich sie so stehen, wie sie sind, aber schreibe
Ergänzungen aus heutiger Sicht dazu. So kann sich die Leserin/ der Leser ein
besseres Bild von der Entwicklung machen – ich glaube, das ist interessanter
als die Texte einfach „auszubessern“. Jetzt hatte ich endlich eine Idee, wie
ich das angehen könnte: ich trinke zum Frühstück meinen üblichen Kräutertee,
meist den für die Leber, ergänzt mit ein wenig Brennessel und dem bitteren
Tausendgüldenkraut. Aber den Kaffee hebe ich mir fürs Paim auf. Denn gleich
nach dem Frühstück werde ich dort hingehen und nehme meine gebundene Sammlung
meiner ersten 23 Texte mit – damals in der Illusion, daß das mehr als zwei
Personen interessiert, angelegt – genügend Zettel und fange mit Text 1 an. Zu
Hause – ich weiß nicht – der Schreibtisch ist vollgeräumt, dauernd fällt mir
etwas ein: Blumen gießen, etwas essen, dies und das. Ja, im Paim (Espressobar)
könnte es gehen. Der Entschluß ist gefaßt.
Und so mach ich es auch. Zwar habe ich bis halb Zehn
geschlafen, weil ich in der Nacht lange wach gelegen bin, aber das ist egal.
Als allererstes: rasieren. Gut, das Badezimmer ist besetzt. Warten. So, jetzt
ist es frei. SMS am Handy. Das kläre ich auch. Erledigt. Frühstück. Ich mache
mir eine Kanne Kräutertee. Was übrig bleibt, gieße ich in eine Karaffe und
nehme so den Tee in mein Zimmer hinauf und trinke ihn über den Tag verteilt. Zum
Umgießen brauche ich ein kleines Trichterchen. Ich suche es und suche es und
finde es nicht. Eine meiner Töchter hat ihre Schlüssel verloren und ich muß
noch irgendwo ein oder zwei Ersatzschlüssel haben. Suchen. Finden. Übergeben.
Den kleinen Trichter suche ich immer noch. Weil ich mich schon oft dabei
blamiert habe, wenn ich losschreie: “verdammt! Wo ist denn schon wieder mein
Trichterlein!“ und sich dann herausstellt, daß es direkt vor meiner Nase liegt,
such ich alles fünfmal durch. Laden, Ablagen, Geschirrspüler, Kastln … Meine Frau hat wieder einmal umgeräumt und
nichts ist mehr dort, wo ich es gewohnt bin. Mein Ärger steigt, aber ich hüte
mich loszubrüllen, nicht nur wegen der Tageskinder, sondern wegen der möglichen
Blamage. Gut, aber wenn ich zum Arbeiten kommen will, muß ich das Ding finden!
Meine Frau ist als Tagesmutter im vollen Stress, ihre ganze
Aufmerksamkeit und Konzentration gilt ihrer Arbeit und den Kindern. Deshalb
spreche ich sie währen ihrer Arbeit nach Möglichkeit nicht an. Aber jetzt muß
ich sie fragen: „ich suche mein Trichterchen, hast du eine Ahnung …?“ „Das habe
ich oben in den Kaffeefilteraufsatz gelegt.“ Der steht auf dem obersten
Ablagebrett und von unten kann ich nicht oben reinschauen, aber da ist es
wirklich. So vergeht die Zeit. Umgießen, Rauftragen. Ich mache mein Bett und
fange an, alles für meine Schreiberei zusammenzupacken. Aber meine andere
Tochter braucht ein Pflaster und ich bin der Letzte, der noch welche auf Lager
hat; alle anderen Depots sind schon ausgeräumt und wurden nicht nachgefüllt.
Gerade deswegen habe ich ja den Hang, mir meine separaten, anfänglich geheimen
Depots verschiedenster Dinge anzulegen, bin dann aber nicht hart genug, sie
konsequent zu verheimlichen, sodaß bald doch alle wissen, bei mir könnte es
noch dies und das geben (Kugelschreiber, Bleistifte, Pflaster,
Reserveschlüssel, Klebebänder, Plastikhüllen, Kuverts, Hefte, Papier …) und
auch meine Depots werden ausgeräumt, ohne daß die Dinge, wenn sie ausgehen,
nachgekauft oder wenigsten auf den Einkaufszettel notiert werden, und auch so
stehe ich manchmal vor meinen leeren Depots und wundere mich, wo alles
hingekommen ist. Diesmal aber bin ich anwesend und finde ein Pflaster und gebe
es meiner lieben Tochter.
Ich mache mit dem Einpacken meiner Schreibutensilien weiter.
Anruf meiner Tochter (der mit ohne Schlüssel), sie ist nämlich schon unterwegs:
es ist ihr gerade eingefallen, daß sie heute noch ihren Meldezettel braucht, ob
ich weiß, wo der ist. Nein, weiß ich nicht, aber ich kann ihn suchen, denn morgen
früh fahren sie schon weg. Jetzt fangen schon die Kaffeentzugsymptome an, ich
werde immer hektischer und verschwitzter, und ärgerlicher, letztlich aber nicht
auf meine Familie, sondern auf mich, weil ich mich so leicht ablenken lasse und
meine Arbeit, das Schreiben, so wenig schützen kann.
Diesmal gehe ich gleich zu meiner Frau und frage, wo der
Meldezettel sein könnte (früher hab ich alle Dokumente unserer Kinder
verwaltet, inzwischen ist das meiste schon zu ihr hinübergewandert). Sie gibt
mir einen Tipp, wo der Zettel sein könnte, aber suchen muß natürlich ich. Ich
blättere einen ganzen Stoß loser Papiere durch und finde zuerst eine Kopie des
Meldezettels auf einem Blatt, wo auch der Meldezettel der anderen Tochter
kopiert ist. Ich nehme die Schere und schneide das Blatt auseinander. Weil ich
nicht sicher bin, ob eine Kopie genügt oder ob das Original vorzulegen nötig
ist, suche ich weiter und finde wirklich den gesuchten Zettel und lege ihn
meiner Tochter auf ihren Schreibtisch. Ich denke noch, es wäre fair, wenn ich
ihr simse, daß ich ihn gefunden habe, denn am Telefon vorhin habe ich noch
gesagt, daß ich keine Ahnung habe, wo er ist. So mache ich es.
Endlich habe ich alles beisammen und gehe los ins Paim,
nicht ohne mir vorher noch mit meiner anderen Tochter ein halb scherzhaftes
Wortgeplänkel über meine Belehrungssucht zu liefern.
Endlich! Mit zwei Stunden Verspätung bin ich dort und
endlich Kaffee, der alles runder macht.
Was mich jetzt noch von meinem Arbeitsplan abhält, ist nur
die Einbildung, daß ich das alles noch erzählen und aufschreiben muß. Also.
Einen zweiten Cappuccino, bitte! In Gottes Namen, geh'n wir's an!
(31.7.2018)
©Peter Alois Rumpf Juli
2018 peteraloisrumpf@gmail.com
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