Dienstag, 11. März 2025

3999 Il Vangelo secondo Matteo

 



12:48.  Als ich in den Sechzigerjahren den Film Il Vangelo secondo Matteo aus dem Jahr 1964 von Pasolini gesehen habe – natürlich auf Deutsch und mit dem Titel Menschenfischer - war ich in der Unterstufe des Gymnasiums, gläubig, und hatte durchaus ein unsicheres Gefühl darüber, ob es okay ist, vor allem Jesus, Maria und Josef filmisch, also durch SchauspielerInnen, darzustellen. Eine Scheu vor der Darstellung des Heiligen durch „normale“ Schauspieler, die damals nicht nur ich hatte. Letztlich ist das wahrscheinlich die Scheu, das heilige Absolute so ganz im Kontinenten zu identifizieren, wiewohl ja das Angekommensein des Absoluten an einem konkreten Ort, zu einer konkreten Zeit, in einer konkreten Kultur, einer konkreten Sprache und einem konkreten Ambiente die zentrale Aussage der christlichen Botschaft von der Menschwerdung Gottes ist. Gleichzeitig hatte ich damals schon einen Hang zur „Moderne“, was immer das ist – übrigens vor allem angeregt durch Kapläne, bei denen ich die ersten Kunstbände zum Beispiel durchgeblättert habe, Kunstbände, die in der rustikalen Ödnis rundherum zumindest für mich nicht vorgekommen sind; auch von den säkularen LehrernInnen kamen kaum direkte, außerhalb des schulischen Benotungsdrucks artikulierte und persönlich zugeschnittene Anregungen. Und wegen dieses „Hangs zur Moderne“ war ich damals schon vom Film und seiner Ästhetik fasziniert (heute auch noch, auch wenn ich einiges anders erzählen würde).

Nebenbei gesagt war es für mich damals selbstverständlich, den Kaplan des Ortes an einem faden Nachmittag auch ohne Ankündigung und Absprache besuchen zu gehen und über alles Mögliche zu reden. Und damit es da kein Mißverständnis gibt: es gab dabei niemals irgendwelche Übergriffe, und nicht nur – um auch das zu betonen – weil sich der eine oder andere Kaplan beherrscht hat, sondern weil das überhaupt bei den konkreten Personen kein Thema war und gar nicht im Raum stand (Thema wurde es erst durch einen deutschen „Sommerfrischler“ am Putterersee).

Zurück zum Film und damit nach Bethlehem, denn der Bethlehemitische Kindermord soll das eigentliche Thema dieser Betrachtung sein. 2007 habe ich einen Text geschrieben (Der Bethlehemitische Kindermord und der Engel, hier auf der Schublade der Text Nummer 3), wo es um die Frage geht, warum Gott (oder wer oder was auch immer) nur dem Josef einen Engel geschickt hat um ihn zu warnen und den anderen nicht. (Übrigens ist es mir in diesem Zusammenhang völlig wurscht, ob diese Ereignisse historisch sind oder nicht. Es geht mir nur um die Geschichte und die vielen menschlichen Erfahrungen dahinter.) Meine Antwort darauf war in etwa, dass in jedem und jeder aus den tiefsten Schichten des Bewußtseins (oder weil es so tief „unten“ ist, kann man es auch Unterbewußtsein nennen – wichtig ist nur, dass es ein Bewußtsein ist, wenn auch ein meist abgedrängtes) – aus der Region also, die direkt mit dem – nennen wir es so – „Universalbewußtsein“ verbunden ist – dass von dort an jeden und jeder eine Warnung vor der Gefahr in welcher Form auch immer aufgestiegen ist, aber nur Josef so offen war, diese Warnung wahrzunehmen und sofort darauf zu reagieren (noch in dieser Nacht) und mit Frau und Kind geflüchtet ist. Und nicht gedacht hat: „Nein, das wird schon nicht so schlimm!“ oder „Wer denkt sich so einen Irrsinn aus, das gibt es doch nicht!“ oder „Morgen soll doch die bestellte neue Hobelmaschine geliefert werden; das geht jetzt nicht!“ oder „Ich muß zuerst das mit meinem Konto regeln; die haben aber erst wieder am Sonntag offen. Das warte ich noch ab!“ oder „Maria hat vorige Woche erst ihre neue Einbauküche bekommen; das kann ich ihr jetzt nicht antun!“ etcetera etcetera etcetera.

Zurück zum Pasolinifilm: bei der Szene der Abreise der Flüchtlingsfamilie wegen des drohenden Mordes an dem Knaben – nochmals: mir ist es wurscht, ob diese Geschichte historisch ist oder „bloß“ die traumatischen Erfahrungen der Menschheit widerspiegelt – sieht man ganz klassisch Maria mit dem Kind am Esel, den Josef führt, sitzen und, weil sie ja weiß, was für ein Massaker hier bald passieren wird, läuft ihr eine Träne über die Wange.

Mein Religionslehrer im Gymnasium damals – eine unerleuchtete Figur; typisch ein Opfer eines falschen Handels mit den Göttern („wenn ich Stalingrad überlebe, werde ich Priester“) – hat diese Szene kritisiert, weil man da auf den Gedanken kommen könnte, warum Josef und Maria nicht auch die anderen gewarnt haben (also die Szene im Film, nicht die unterlassene Warnung hat er kritisiert). Ich selbst habe das damals auch einfach so hingenommen, ohne über diese Frage nachzudenken (und diese habe ich mir auch im Text Nummer 3 nicht gestellt, weil ja eh jeder sozusagen unbewußt informiert wurde). Erst vor kurzem habe ich von diesem Text 3 erzählt und mir im Nachhinein Gedanken gemacht, warum die wirklich nicht die andern gewarnt haben. Was könnte denn dabei passieren? Wie könnte den die Reaktion der Gewarnten sein?

„Was! Wie reden die über unseren guten König Herodes! Die reden so schlecht über ihn! Das ist Gesellschaftsgefährdung!“ oder „Der Herodes ist zwar ein Arschloch, aber wenn ich die anzeige, habe ich vielleicht bei den Behörden für meine beantragte Genehmigung für xyz einen Vorteil!“ oder „Die spinnen ja! Wer denkt sich so etwas aus?! Die gehören ins Irrenhaus!“ oder „So etwas Blödes! Damit will ich nichts zu tun haben!“ oder „Woher wollen gerade diese Hungerleider, diese religiösen Seicherl das wissen?!“ oder „Leute mit Visionen gehören zum Arzt!“. Und die Geschichte ist (die Geschichten sind) doch voll von ermordeten Propheten und gelynchten Seherinnen, weil die Gewarnten die Warnung nicht vertragen konnten.

Anmerken will ich noch zum Text 3, dass die Gestalt, die als Engel beschrieben wird, wenn schon dann eher der berühmte „Schutzengel“ wäre, der immer auf seinen Schützling bezogen ist, eigentlich und besser jedoch als der andere, als der verdrängte Teil des energetischen Konglomerats, das wir im Wesentlichen sind, bezeichnet werden könnte, oder als der verweigerte und weggeschobene Anteil des eigenen „Energiekörpers“, der sich immer bemerkbar machen und einbringen will.

Ich hatte auch vorgehabt, den Text 3 hinsichtlich seines arroganten und schnoddrigen Tones zu überarbeiten, aber nein, mir gefällt das eh.


(11.3.2025)


Peter Alois Rumpf März 2025 peteraloisrumpf@gmail.com

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