Freitag, 30. August 2024

3763 St. Ulrich platzt

 



10:34 a.m. „Dancing in The Street“, während ich drinnen im Lokal sitze und auf mein zweites Frühstück warte. Ich bin auf Luxus unterwegs, nachdem mir heute keine Zähne gezogen wurden. Die Radioberieselungsmusik aus dem Mainstream der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts – sicher remastered – beginnt mich zu nerven: natürlich ruft es die erwartungsvollen Gefühle und zukunftsreichen Hoffnungen von mir Teenager damals wieder auf, aber erstens war das meiste davon nicht meine Lieblingsmusik und zweitens: wo es mich berührt, rührt es auch den Schmerz auf, den Schmerz damals als verklemmter Jüngling, dessen Lebensentfaltung sozusagen im psychischen Rollstuhl gesessen ist, und dann den Schmerz heute über die unerfüllten Hoffnungen und das nicht gelebte Leben. Aber das bestellte Frühstück, wenn es denn kommt, wird mich trösten. Die Hits sind wirklich die Hits vom Beginn meiner Popmusikzeit. Einige unbekannte Stücke, die ich nicht zuordnen kann, sind auch unter denen, die aus den Boxen kommen (B-Seiten zB.?).

Bestellungsstau. „Ich warte“ scheint mein Lebensmotto zu sein – ob freiwillig oder so reingerutscht.

11:59 a.m. Der Kaffee wirkt. Nach der anfänglich aufmunternden Wirkung stellen sich nun innere Aufregung, Herzklopfen und Unruhe ein. Eine Frau wickelt das Laptopkabel aus und steckt es an. Meine Schrift ist von so dunklem Blau, dass ich es kaum vom Schwarz unterscheiden kann. Aber das ist überhaupt nicht wichtig. Von draußen schallt es herein, als würde eine in die Hundert gehende, italienische Touristinnengruppe da irgendwo versammelt sich austauschen; sehen kann ich sie nicht. Ich nehme mir trotz innerer Unruhe vor, mir viel Zeit zu lassen. Ein bisschen Blut im Taschentuch aus der Nase. Das kommt mir gelegen, diesen faden Text etwas aufzupeppen. Blut ist immerhin ein besonderer Saft. Übrigens: weil alle vom Kicklzitat sprechen: „Dein Wille geschehe“ heißt es im Vaterunser, nicht „euer Wille“ – und das ist ein großer Unterschied. Denn wenn der selbsternannte „Volkskanzler“ mit Hilfe seines Mobs loslegt – und der ist mit „euer“ gemeint – kann es nur Zerstörung und verbrannte Erde geben.

Ich lasse das Thema wieder. Ich will meinen melancholisch-faden Text nicht zerstören: ich will an Schwermut sterben, nicht aus politischer Aufregung.

Jetzt wird es Zeit, ein paar Schritte zu machen, um mich draußen in der Hitze abzukühlen. Am 13A lese ich statt „Alser Straße“ als Fahrziel: „Ausseer Straße“ – es wird wirklich Zeit, dass ich nach Hause komme. Bei der Haltestelle „St.Ulrich Pplatzt“ warte ich doch auf den Bus, denn ich will die Schattenseite nicht verlassen.

Das innere Erlebnis als Krieg (er wird halt auch nicht jünger, sondern älter – der innere Spötter).


(30.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3762 Weniger Genierer

 



8:22 a.m. Ich sitze vor den schönen, frühneuzeitlichen Häusern zwischen den Linden, die angekränkelt ausschauen, der leise Brunnen plätschert, ein schöner Platz hier Am Gestade, vom Mistkübel links neben der Bank, auf der ich sitze, stinkt es nach kaltem Zigarettenrauch, und ich warte, dass mir hier um die Ecke ein paar Zähne gezogen werden (Mißverständnis! Die werden erst beim nächsten Termin gezogen – der Tipper). Eine angenehme, äußerst angenehme Brise umweht mein besorgtes Herz (sagen wir halt so) und der kleine rote Stadtbus schleicht sich leise piepsend um die Kurve; die Feuerwehr, die jetzt daherkommt, hat weniger Genierer; schon ist sie laut vorbeigebraust. Ich höre die Müllabfuhr, das mahlende Geräusch, aber ich sehe sie nicht. Die Turmuhr der Maria am Gestade schlägt halb. Meine Zukunft – wenn ich es bis dahin schaffe – geht mühsam, schief und unrund vorbei, steigt dann doch erstaunlich flott die Stiegen zur Kirche hinauf. Jetzt gerade wird der Werktagmorgen etwas müde, verliert an Elan, aber nimmt gleich wieder neuen Schwung auf, indem irgendwo Holzbretter – vermutlich – geräuschvoll aneinander krachen oder sonst etwas von der Art. Wieder schleicht der kleine rote Innenstadtbus elektrisch surrend um die Ecke. Ich vergesse, die Leute zu erwähnen, die zahlreich den Platz queren oder unten im Tiefen Graben passieren. Ich höre eine Jalousie sich bewegen – ich vermute, sie wird hochgezogen. Metall auf Metall – ein Schlag, dann eine verhaltenes Tatü-Tata. Dieses Tatü-Tata kommt von keinem Einsatzwagen. Das jetzt schon! Dreiviertel schlägt die Kirchturmuhr – ich mache mich auf zu meinem anscheinend unvermeidlichen Gang.


(30.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3761 Maulbertsch & Co

 



11:20 a.m. Der Maulbertsch ist kaum auszuhalten, trotzdem ist es genial, wie er malt und dabei alles auflöst. Seine ständig entzündeten Augen, die inzestuösen, ständig erröteten Gesichter, die manierierten Körperhaltungen und Gesten – so ein furchtbares Theater. Der Klerus damals muß unglaublich dekadent gewesen sein, dass sie so viele Altarbilder bei ihm bestellt haben (wäre ich religiös, würde ich mir solche unseriösen Altarbilder verbieten!). Und doch wirken die Bilder aus manchen Blickwinkeln und in manchen Ausschnitten wie moderne abstrakte Gemälde mit genialem Farbauftrag und leichtem, unbekümmerten Pinselstrich.

Ich sitze im viel photographierten feudalen Stiegenaufgang im Oberen Belvedere und werde jetzt am Hauptbahnhof vorbei hinauf zur Lucy-Bar wandern. Bald. Noch sitze ich und schaue den Massen beim Steigen-rauf und Stiegen-runter und Photographieren zu. Eine Mutter photographiert ihre Tochter auf der Treppe und ich weiß nicht, wer von den zweien kecker posiert. Mich dürstet. Aufbruch? Wart noch ein wenig. Okay! Aufbruch.

11:49 a.m. Limonade trinke ich in der Lucy-Bar und sie schmeckt wirklich nicht schlecht. Ganz hinten sitze ich mit Durchblick quer durch die ganze Vorhalle. Ich mag den Ort und diese Bar; die schönen Lampenschirme, die dezente Möblierung, die Glasfronten links zur Straße und rechts zum Garten. Draußen quert eine Frau stolpernd die Straße. Vier Motorräder parken nach links gelehnt, eines nach rechts. Das (post-)moderne Gebäudeambiente auf der anderen Straßenseite – ich weiß nie, ob ich darauf hereinfalle – aber momentan gefällt mir sein Flair. Handyversunkene PassantInnen am Gehweg über dem „Burggraben“ (das ist die Reihenfolge von mir aus gesehen: „Burggraben“, Grünstreifen, Geh- und Radweg, Grünstreifen, Straße, Gehweg, Grünstreifen …). Die vier Rückspiegel der vier geparkten Motorräder stechen mir glänzend ins Auge, da die Fahrzeuge mit ihrem Hinterteil in meine Richtung schauen – auch über dem „Burggraben“ natürlich – sehe ich auf ihre runden Rückspiegelflächen. In der Fensterscheibe spiegelt sich übrigens der Ausschnitt eines Baumes im Museumsgarten in die Baumgruppe vor dem weißen, abgerundeten Hochhaus hinein. Typische, dezente Barmusik, jazzig, wie es sich gehört. Und angenehm kühl ist es hier. Diese Schachtelskulptur draußen (Roland Göschl – da bin ich mir sicher), jenseits des „Burggrabens“, gelb, blau, rot, befasst auch immer wieder meine Augen. Ahja: und am weißen, runden Hochhaus entdecke ich eine Regenbogenfahne (oder? So genau kenne ich die Abfolge der Farben nicht; sollte jedoch hinkommen). (Handyakku nur mehr 30%.) (Ich sitze 333° NW.)

Momentan vertrage ich keine österreichische forciert dialektale Umgangssprache, der Sound nervt mich, oder sind es die Typen, die so sprechen? Ein alter Mann mit weißem Bart radelt (schicksals?-)ergeben vorbei (Ich beschreibe bei weitem nicht alle Passierenden). Es ist angenehm, dass es zwischen mir und ihnen der „Burggraben“ ist; das gibt ein sicheres Gefühl. Soll ich auch in die Ausstellungen hier einkehren? Ein kleiner Rundgang wäre schon drin. Eine braust mit Roller hinauf. Ich bin gegen motorisierte Fahrzeuge auf Radwegen. Die Autos sind recht fad. Immer wieder wandern Kleingruppen hinunter. Ja, ich gehe Ausstellungen schauen.


(29.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3760 Knallende Autotüren

 



7:41 a.m. Eine Kreissäge schneidet von Ferne elegisch in den Werktagmorgen. Eine Taube ruft herein, nachdem sich der Verkehrs- und Arbeitslärm etwas gelegt hat. Die Sonne offenbart die Trübnis am Glas der schon lange nicht mehr geputzten Fenster. Auf der Straße unten bewegen sich nur vereinzelt Autos. Die Säulengleditschien bewegen sich nicht. Ein Fußgänger, eine Fußgängerin tauchen unabhängig voneinander kurz in meinem Gesichtsfeld auf und verschwinden wieder im weiten uneinsichtigen Universum. Ein weißer Lieferwagen rollt breitbeinig und selbstbewußt vorbei (von hoch oben schaut alles etwas anders aus). Autos und Passanten werden mehr. Meine Frau kommt in mein Exilzimmer, steigt bis zum Sichtkontakt die Leiter herauf und wirft mir Küsse zu, dann steigt sie wieder hinunter und geht ihrer Arbeit nach. Ich betrachte das von ihr gemalte Landschaftsbild vom Ennstal, das oben am Klavier lehnt, und es berührt mich sehr. Ich nehme mir vor, heute die Fenster zu putzen. (Hat er nicht gemacht – der Tipper als Verräter.) Ein Motorrad wird gestartet – ich höre es, aber sehe es nicht – und gleichzeitig fährt ein Fahrradfahrer flott die Straße herunter – ich sehe ihn, aber höre ihn nicht. Manche Fußgänger kommen mir wie Wanderer vor und das gefällt mir; Wanderer, das ist ein so schönes Bild und Gleichnis. Der Lärm von Baumaschinen wird vom Zittern der sonnenbeschienen Spinnweben am Fenster begleitet. Eine Familie mit Kleinkindern rollt ihre Koffer über die Straße. Eine Kehrmaschine (kehrt um! Kehrt um! Das Ende ist nah!) unterlegt akustisch mehrere knallende Autotüren (kein brauchbarer Zugang zum Selbst! Und dieser Lärm kann die bösen, herbeigerufenen Geister nicht mehr vertreiben!). (Der Ausschnitt, den ich sehen kann, ist klein.) Meine Frau schiebt ihren sechssitzigen Krippenwagen Richtung Augarten; kurz habe ich ihre Gestalten unter den Bäumen durchs Laub hindurch gesehen. Jetzt wird es hier plötzlich ganz still, bevor wieder Autotüren zu knallen beginnen und Tauben zu rufen.


(29.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 28. August 2024

3759 Der höhere Sinn

 



9:36 a.m. Seit Stunden schon bin ich wach und weiß nicht, was ich mit dem Tag anfangen könnte. Ich hocke in meinem Bett - in dem ich zurzeit wegen Umbau nicht schlafe – und habe ein wenig zu lesen versucht, aber nichts geht so recht auf. Dafür habe ich das Fenster sperrangelweit offen, was nicht gehen würde, würde wie gewöhnlich der Schreibtisch mit all seinen Aufbauten davor stehen. Ein ungewöhnlich frischer Luftzug geht durch die kleine Kemenate und mir kommt vor, der ändert die ganze Stimmung hier. Aber dass mich die monotonen Geräusche aus dem Lichtschacht einschläfern und mir dabei die Augen zufallen, das ist mir vertraut, und dass mich von Zeit zu Zeit ein heftiges Geräusch aufschrecken läßt, das auch. Ich entkrampfe meine linke Hand; soeben hatte ich bemerkt, wie verkrampft ich mit der Linken das Notizbuch festhalte. Warum tragen Männer, wenn sie in der Küche arbeiten und kochen – also nicht die Profis – immer so feminine gerüscherlte Küchenschürzen und nicht solche blauen, wie sie zum Beispiel früher die Tischler trugen? Das sind die Fragen, mit denen ich mich im Halbschlaf beschäftige. Ich könnte jetzt versuchen weiterzulesen. Nur bläst mir jetzt der Wind die im Bücherregal an die Bücher gelehnten Kunstkarten herunter, eine nach der andern, aber weder in der Reihenfolge, noch in der Auswahl kann ich irgendeinen höheren Sinn erkennen.


(28.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 27. August 2024

3758 Die Schürze

 



13:26. Nachdenklich streicht der Wind durch die Platane da draußen und über die gebeugten Handysinnierenden hin. Die Kellnerin richtet sich ihre Schürze, die Köchin ißt. Die Blumen sterben in den Vasen (und wir?! Und wir?!). Der Autobus schiebt sich rot vorbei. Die Musik aus den Boxen wie aus dem Berieselungsradio der späten Sechzigerjahre, wahrscheinlich remastered. Ich sitz halt gern drinnen. Das Ausklopfen des abverbrauchten Kaffeepulvers aus dem Filterträger. Das Wasserglas steht im Tablett in einer Lacke und tropft beim Herausheben auch auf meinen Bauch und mein neues Notizbuch. Ist das das Leben? Dieser großflächige silbrige Glanz der Gläser in den verspiegelten Gläserregalen. Der Deckenventilator dreht sich flott zwischen den zwei schönen, kugelförmigen Glasperlenlampen am Plafond. Ein Hauch von Zigarettenrauch wird von einem Toilettenaufsucher vorbeigetragen. Die Kellnerin cremt ihre Hände ein - wenn ich es richtig gesehen habe (ich mißtraue meiner Wahrnehmung!).

Wurde ich vorhin beim Kauf der Notizbücher übertölpelt? Ich weiß es nicht. Wie gesagt: ich bin scheinanwesend und mißtraue meinen Wahrnehmungen und bin mir nie sicher: zuerst glaube ich alles und im Nachhinein werde ich unsicher und fange zu zweifeln und zu vermuten an, sehr oft ganz falsch. (Auch der Notizbucheinkauf hat sich als korrekt herausgestellt – der Tipper).


(27.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3757 Gekreuzt hat

 



17:20. Im Café auf der terrasse [teʀas] sitzend, ein wenig in der Sonne (Beine!), ein wenig im Schatten (Kopf und oberer Brustbereich). Der sanfte Wind (ja! Er ist sanft! Keine Floskel! - der innere Selbstbehaupter) streichelt die ausgehängten Topfpflanzen und meine nackten Körperteile (Beine, Arme, Gesicht) und will in meinem Notizbuch umblättern. Autos schieben sich in moderatem Tempo durch die schmale Gasse, die meisten anderen Kaffeehaussitzer plaudern und rauchen (der Nachteil, wenn man im Freien sitzt, mein Herz reagiert auf den Nikotingeruch sofort mit leichter Beklemmung). Dieses rosa Sonnensegel macht fast seetaugliche Wellen (ob der oder die See bleibt offen). Eine große Baustelle am und um das große, eingerüstete Haus mit abgesperrten Flächen rundherum schaut mich im Schatten der Abendsonne an, während die – eher! - Rückseite des Kirchenbaus noch strahlt. Der 5A fährt vorbei. Und ganz geradeaus der grünspangrüne Hirsch hoch oben am Gebäude (ich sitze Richtung 167° S). Am blauen Himmelsausschnitt ein Kondensstreifen, der das ebenfalls grünspangrüne Dachkreuz der Kirche kreuzt. Gekreuzt hat. Ist schon wieder weiter gedriftet.


(26.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3756 Was ist los?

 



13:11. Was ist los an diesem angenehmen Sommertag, nicht zu heiß, nicht zu kalt, eine angenehme Brise, aber auf mich hat sich eine unsägliche Schwermut gelegt, drückt mich nieder, als würde meine Seele eine ungeheuerliche Last schleppen, drückt mir den Atem, dass ich nur mehr langsam hergehen konnte?

Heute probiere ich es mit dem Hof 8, weil darin ein Springbrunnen ist und ich hoffe, dass mir das springende, plätschernde, fließende Wasser helfen wird. Aber diese lächerliche Fontäne in diesem runden, exakten Wasserbecken, von einem depperten schmiedeeisernen Zaun eingefasst, wird mich nicht retten. Das ist doch auch bloß vertikale Kanalisierung. Wenn wenigstens die Springbrunnenaufbauten schön oder auch nur interessant wären, oder von jahrhundertelanger Bearbeitung durch draufstürzendes Wasser deformiert, aber nein, dieses blöde Objekt steht unverwundet da in seiner Hässlichkeit und unerträglichen Biederkeit, und die hopfenfruchtartigen Köpfe der Steher des grün gestrichenen Eisenzauns gaffen lustlos dem lustlosen Schauspiel zu, weil sie dazu in Reih und Glied gezwungen sind und nicht aus können. Ja gut! Wie das Wasser abstürzt und die einzelnen Wasserstrahlen und -strähnen vom Wind ein wenig verweht werden, das hat schon ein bisschen Lebendiges; im Absturz darf das Wasser noch ein wenig lebhaft werden.

Mich nervt das Geplätscher mehr, als dass es mich tröstet, noch dazu paraphrasiert vom nervigen, erregungsgeshattertem Geplauder zweier deutscher Studentinnen auf der Nebenbank, deren eine laut Aussage des Aufdrucks auf ihrem zweifach gewölbten T-Shirt – natürlich! - London liebt. Warum immer London? Oder New York? Warum nicht Sinabelkirchen, Schruns-Tschagguns oder Chittagong? Ich suche mir einen anderen Ort aus; vielleicht vergeht sich mein Grant.

13:38. Nun halte ich mich zwischen einer kranken Linde und einer kranken Roßkastanie auf, stehe bei einem Betonquader, sichtlich ein Behälter mit mehreren verschlossenen Metalltüren, auf dem ich, in angenehmer Höhe, mein Notizbuch gelegt habe und den ich jetzt als Tisch benutze. Verkehrslärm aus verschiedenen Richtungen – diese scheiß Tüchtigkeit – vor mir eine Hecke aus Nadelgehölz, dahinter die scheußlichen Zubauten der Nationalbank; wie ich feststelle, werde ich von den Dächern des hässlichen Gebäudes mehrfach videoüberwacht. Nein, Nein, mein Grant hat sich nicht verlaufen; er ist mir auf den Fuß gefolgt. Ein Blick nach rechts aufs Dach eines der Gebäude des alten Akaha lindert meinen Schmerz ein wenig, der Blick auf den Narrenturm, der auch in Frage käme, ist mir vom achteckigen, kapellenartigen Bau der Gedenkstätte für die verfolgten jüdischen Studenten verstellt. Das passt so. Das passt genau so! Denk-mal Marpe Lanefesch/ Heilung für die Seele – aber gerade da darf ich mich mit meinem Schmerz nicht einhängen.


(26.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 26. August 2024

3755 Tief unten

 



7:55 a.m. Die Säulenkleditschien tief unten auf dem kleinen Platz an der Kreuzung schaukeln im Wind. Man hört Motorräder und sieht einen Radfahrer, dann ein Auto um die Kurve biegen. (Genau genommen ist es keine Kreuzung, weil sich hier nicht zwei Straßen schneiden, sondern zwei zusammenlaufende Gassen spitz, fast im rechten Winkel in die dritte einmünden und dort enden.) Baustellenlärm „natürlich“. Eine alte Frau in weiß wackelt den Gehsteig entlang. Leute, die auf dem Weg in die Arbeit sein könnten; sie wirken zielstrebig, als wüßten sie, wo es lang geht. Eine Kirchenglocke läutet und kann sich gerade noch im städtischen Morgenlärm behaupten. Ein Kind ruft laut und jetzt sind es mehrere Autos, die um die Kurve fahren. Von hier oben schauen die drei windgeschaukelten Bäume recht aufgewühlt und aufgeregt aus. Es sind das hier eher ruhige Gassen und manchmal fällt der Verkehrslärm für einen Moment fast gänzlich in sich zusammen, dass man irgendein elektrisches Piepsen hören kann. Langsam schleicht sich ein weißer Wagen aus der hausinternen Garage gegenüber, während sofort ein schwarzer Wagen dort einfährt und im zu Garagen umgebauten Erdgeschoß und Keller des Neunzehnten-Jahrhundert-Baus verschwindet.

Ein Mann schiebt einen Reinigungshandwagen mit Putzmitteln und Werkzeug über die Straße und wechselt dabei die Seite. Ein Lastenrad – vermutlich mit Kindern – fährt am Gehsteig um die Hausecke. Der Morgenwind ist sanfter geworden und eine Mutter bringt ihr Kind vermutlich in den Kindergarten. Geradezu nachdenklich schaukeln nun die drei Bäume ihre Zweige. Ein Frau mit Trolley - ihre Bewegung schaut von oben verfremdet und unnatürlich aus. Einige der Passanten wirken zielstrebig, andere weniger. Ein Hubschrauber überfliegt die Szenerie (oder habe ich den aufkulminierenden Lärm in meiner Unaufmerksamkeit und Scheinanwesenheit falsch gedeutet?) und ich werde aufstehen, vom Hochbett klettern und in die Küche frühstücken gehen.


(26.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3754 Pünktlich

 



10:59 a.m. Also in der Vorhalle des technischen Museums. Kein Café, soweit ich hier sehen kann und der Kaffeeautomat ist kaputt. Die Techniker machen keine Pausen beim Fortschritt, rechtzeitig reparieren können sie trotzdem nicht (ich weiß, ich weiß – die Automatenfirma hat nichts mit dem Museum zu tun! Mein Gott bin ich grantig!). Und die Sitzflächen sind äußerst unbequem, vor allem für einen alten Mann mit Kreuz. Ich blicke auf die künstliche Eingangsschlucht (maßlos übertrieben – der innere Kritiker) und darüber hinweg auf die großen, mächtigen, aber mottenkranken Bäume des Auer-Welsbach-Parks („mächtig“ – „krank“ – also was jetzt! - der innere Kritiker). Scheint heute hier ein Kindertag zu sein. Ein Museum ohne Café, wo gibt’s das! Ich erkundige mich lieber.

Ich erkundige mich doch nicht. Später. Heiß ist es hier, ich bin schon nassgeschwitzt. Wenn meine Tochter pünktlich ist, muß ich noch 27 Minuten warten. Die Anreise bei den vielen U-Bahn-Baustellen war verdammt umständlich und ich dachte, ich trinke im Museumscafé eine Tasse zum munter werden. Das bin ich nämlich nicht.

Jetzt habe ich mich doch erkundigt: drinnen auf Ebene 2 gibt es ein Café (blöd werden sie sein und es nicht im Bezahlbereich einrichten). Gut, ich gehe rein.

Nun sitze ich endlich im Café, aber noch ohne Kaffee. (Jammern auf hohem Niveau! Und damit ist nicht die literarische Qualität gemeint – der innere Spötter.) Mein Gott, bin ich grantig! Ich fühle mich auch hier nicht bequem und wohl. Was passt mir nicht? Der Kaffee ist ziemlich dünn, aber die Kaffeedosis wird schon reichen. Es hallt ganz laut (Nona! wir sind in eine Ausstellungshalle, wo lediglich ein kleiner Teil als Café freigemacht ist – der innere Kritiker) und der Tisch ist – ich weiß nicht was – zum Schreiben irgendwie schlecht geeignet; die Höhe? Irgendwie …

Meine Tochter schickt mir diesen Zuversicht, Erfolg und Supergemacht erheischenden hochgereckten Daumen, als ich ihr geschrieben habe, dass ich im Café auf Ebene 2 auf sie warte. Sie wird mich finden.

Pünktlich kommt sie herein und mein Grant ist verflogen. Auf meinem T-Shirt steht „Ich freue mich“.


(25.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 24. August 2024

3753 Turku

 



13:56. Die Sonne scheint das kleine Gatter aus Holz an, das nicht mehr benützte Gartentürl, während eine Frau erzählt, wie sie – zur Unterstützung einer anderen Frau, die sie gerade kennengelernt hatte und die sich ein bisschen waghalsig, ungeschickt, unvorbereitet und zum ersten Mal - da ganz spontan - nackt ausgezogen und in den Donaukanal, der in Wahrheit ein alter Seitenarm des Hauptstroms ist, gestiegen ist – wie also sie selbst sich nackt ausgezogen hat und in das Wasser gestiegen ist, um die andere beim Strömen zu begleiten. Das hat sie erzählt. Inzwischen ist der Sonnenspot nach rechts an den überwucherten Gartenzaun weitergewandert und andere Geschichten werden zum Besten gegeben. Ich blicke auf den Garten mit den vielen Bäumen - Birke und Nuß zum Beispiel – und den lieben Holunder. Der Sonnenlichtspot ist schon fast bei der Thuje (oder Zypresse) und beginnt, deren Wunde zu beleuchten. Wir reden von Turku in Finnland. Und dann über Stockholm in Schweden. Jetzt reden wir über Spanien und ich von Juan Ramón Jiménez. Gleich suche ich ein Gedicht von ihm im Internet und bekomme eine Werbung für eine Krampfaderncreme. Also gut, dann zuhause die Bücher.

Das Gedicht, das ich gesucht und dessen Titel ich auch jetzt weder auf Deutsch noch auf Spanisch gefunden habe, beginnt: „Bin ich es, der nachts durch mein Zimmer wandert, oder der Bettler, der durch meinen Garten schlich in der Abenddämmerung? …“


(24.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3752 Wiederholungen

 



11:59 a.m. Eine Minute noch bis zum – falschen! (Sommerzeit!) – Tageszenit. Dabei dachte ich – seit einer Woche habe ich nichts mehr schreiben können oder wollen – ob nicht wollen oder nicht können, weiß ich selber nicht – ich könnte nicht mehr schreiben, dabei geht es jetzt gleich los, als wäre das Zurückgestaute via Dammbruch losgelassen – aber ist das interessant genug um aufgeschrieben zu werden? Egal, das ist in meinem Leben längst egal. Ich weiß schon, dass ich – auch in meiner Schreiberei – als Karikatur meiner selbst herumlaufe. Ich sitze im geliebten Espresso Burggasse – drinnen, nicht draußen – die Musik wie aus meiner Jugend – so späte Sechzigerjahre – zwischen freudiger Wiedererkennung der damaligen Radioberieselung – und auf Dauer doch ein Touch von Nervigkeit, weil es nicht meine Lieblingsmusik von damals ist, sondern mehr die Mainstream-Endorphin-Radiomusik um – wenn ich mich nicht irre – 11 Uhr an den faden Ferienvormittagen. Damals wußte ich nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll und – eigentlich – kann, und heute auch nicht. Meine Hoffnungen und Sehnsüchte waren damals, wenn auch teilweise alterstypisch, unreif und letzteres sind sie – kaum verändert – heute erst recht. Dass ich das aufschreibe, kommt mir wie eine Niederlage vor, weil ich im Anlauf, mein Leben zu ändern, wieder einmal gescheitert bin und mir stattdessen nur das resignierte Schreibgejammer geblieben ist, was in meinem Mund einen unangenehmen Nachgeschmack hinterläßt. Gut, vielleicht auch vom vielen Kaffee und den mitservierten, überzuckerten Schnittenstückchen.

„Ich bin gerade in einem Gespräch“ steht mit bereits sich ablösender Schrift auf meinem T-Shirt, aber dieses Gespräch ist das unendlich langweilige, schon Jahrhunderte anhaltende, unfruchtbare Selbstgespräch, diese dummen Wiederholungen des dummen internalisierten Dialogs, der mit mir in meiner Kindheit, als die Welt für mich fest und zu dem geworden ist, was sie leider immer noch ist, geführt wurde. Mir ist der Ausbruch aus diesem Gefängnis nicht gelungen. Also versuche ich, mich irgendwie darin einzurichten, ohne zu vergessen, dass es ein Gefängnis ist. Der Deckenventilator dreht sich still, draußen im begrünten Gastgartenstreifen neben der Straße schaukelt der Wind die Zweige der Platane, die Kellner arbeiten fleißig und ohne sichtbaren Grant, im Gegenteil, sie wirken fast fröhlich. (Ich bin ein Meister des „fast“, aber so ist es: die Wirklichkeit kommt mir immer nur „fast“ vor: fast so, fast zutreffend, fast verloren, fast wirklich.) Ich habe es auch „fast“ aufgegeben, mit meiner Schreiberei irgendwo zu reüssieren, sprich: sie außerhalb meiner Schublade zu veröffentlichen – die Zweifel sind zu groß, zu groß die Resignation und zu groß auch die Angst vor Mißerfolg und Erfolg. Nein, ich bleibe dabei: ich schreibe ein bißchen über den Wind, den Kaffee und meine inneren Monologe, that’s it.

Jetzt, nach mehr als ausreichender Zeitungslektüre – ungewohnt ausführlich – befällt mich schon das typische geistig-seelische Unbehagen, fast schon körperlich spürbar, typisch nach Überfütterung mit zumeist unnötiger (unnotwendig – wendet die Not nicht), letztlich sinnloser und verwirrender Information – meine Verarbeitung kommt nicht nach - und die ersten Fluchtimpulse melden sich. Nachgeben oder standhalten, das ist die Frage. Manchmal sind es ja die überstandenen Momente der Überforderung, die Türöffner für neue Erfahrungen sind (beim Kaffeehaussitzen! - der innere Spötter). Mein Unbehagen kulminiert (na und!? - der innere Spötter). Ha, ha, ich gehe heim in meine Kemenate. Ach! Da bin ich zurzeit ja exiliert – renovierungstechnisch. Wurscht!


(22.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 16. August 2024

3751 Die kleine Wanderung

 



9:48 a.m. Was für eine schöne Wanderung! Von der Stadtgrenze zu Groß-Enzersdorf diesen schmalen Feldweg am Gestüt vorbei das Gebüsch entlang bis zum Hundeabrichteplatz und weiter zum Eberschüttwasser; die Erde am Weg ist hart wie Beton, mit vielen tief eingesunkenen Traktorspuren, nur an zwei Stellen gibt es noch Pfützen und Gatsch von der Feldberegnung, die erst vor kurzem beendet worden sein muß – nach dem Hundeplatz weitet sich der Weg zu einer Schotterstraße und dann den Rain hinunter zur Lacke, die Wiese im Schatten ist noch feucht vom Tau, wo ich dann gleich ins Wasser gegangen und ein wenig geschwommen bin, auch um mich für die bevorstehende Wanderung ein wenig abzukühlen. Die Flugzeuge nach Schwechat fliegen dröhnend und so tief, dass deren eines Schatten direkt über mich Schwimmenden gehuscht ist. Dann bin ich wieder weitergegangen, diese schönen Waldwege tiefer in die Lobau hinein und nun sitze ich auf einer Bank auf einer kleinen, offenen Lichtung, ein Rastplatz, der schon von der Stadt Wien betreut wird, denn die trockenen Wiesen sind gemäht und auf dem Tisch ist ein großes Schild montiert mit der Aufschrift „Müll eingepackt?“. Ich mag diese Pädagogisierung immer und überall nicht, aber sei’s drum! - das Anliegen teile ich. Ein Flugzeug nach dem anderen durchkreuzt ohrenbetäubend den blauen Himmelsausschnitt, den die Bäume freigeben. Eine Fliege summt, und als sie weg ist, merke ich erst, wie meine Ohren laut und schrill surren. Ja, und eine leichte Brise durchstreift ganz rücksichtsvoll und zart Gebüsch und Bäume. Irgendwo hinter der Baumgruppe da vorn muß das wahre Leben sein; das Flirren der Hitze in der Luft zeigt an, dass die Energien schon am Vibrieren sind und eine vorbeisausende Libelle bestätigt es (auf ihnen reiten ja die Feen). Aber vielleicht ist es hinter der anderen Baumgruppe dort, oder hinter der hinter mir. Ich bin ganz nahe dran, ganz nahe! … Ich blicke mich noch um, dann werde ich weitergehen.

10:32 a.m. Ich liebe die Lobau, 46 Jahre durchstreife ich sie schon, manchmal mehr, manchmal weniger. Diese flache, ausgestreckte Landschaft, mit ihren Feldern, Wiesen und Wäldern, stellenweise fast savannenartig, trocken, der Sonne preisgegeben, dann gehen die Wege durch kleine Wäldchen, im Schatten von Baumgruppen, am Rande von Lichtungen oder mitten hindurch, begrenzt von Gebüsch, an inzwischen verwachsenen Bombentrichtern aus dem Krieg vorbei, zeitweise unter riesigen Bäumen. Man geht also der schon früh heißen Sonne ausgesetzt, kommt dann ins Schattige, spürt sofort die Veränderung auf der Haut, die Luft ist kühler und feuchter, der Boden ein wenig feucht, dann tritt man wieder ins Freie hinaus, trockener, heißer die Luft, fast erstarrt in der Hitze, oder wie soeben am großen Föhrenwald vorbei und an langen Reihen von Weißdornbüschen, die schon ihre roten Früchte tragen (an einer habe ich mich bedient), durchmischt mit anderen Büschen, die ich nicht kenne. Die Flugzeuge dröhnen, eines nach dem andern, ist eines verrauscht, kann eine kurze Stille sein, aber meistens setzt sofort ein neues mit seinem Rauschen und Dröhnen ein. Ich raste auf einer schattigen Bank, etwas abseits von der Fahrradroute, eine wenig im Gebüsch versteckt und betrachte den Wald mit den Riesenpappeln etwa hundert Meter vor mir, die so still und beeindruckend aufragen, wie eine Wand, ich frage mich, ob die etwas Bedrohliches verbergen. Dabei ignoriere ich die herumliegenden Papiertaschentücher, die mir zeigen, dass diese Stelle gerne als Toilette benutzt wird (zu faul, noch ein paar Schritte weiter in den Wald zu gehen). Eine Krähe ruft zweimal. Soeben verrauscht wieder ein Flugzeug, das Dröhnen ist nur mehr leise, kommt nur mehr in schwankenden Schallwellen an, aber da kommt schon das nächste Flugzeug heran und übernimmt die Lärmstafette. Ich lasse mir jedoch davon nicht die Wanderung verderben und nicht davon abhalten, diesen Sommertag mit seinem Hitzeflimmern in mich aufzunehmen, wie auch das zitternde, blinkende Pappellaub, die erschöpft hingestreckte Landschaft, die Momente der Stille, die kulminierende Hitze (im Atelier, wo ich das eintippe, hat es knapp über 31°C – der Tipper), die auf ihre Klimax zusteuert, wie die Sonne auf ihren Zenit, gleich kippt alles, bald ist die Membran durchbrochen, bald öffnen sich Geist und Sinne und alles wird aufgehen.

11:22 a.m. Wenn man die verbotenen Wege geht – es werden immer mehr Wege abgesperrt, mit quergelegten Baumstämmen und Ästen unpassierbar gemacht – kann man durch Dickicht gehen, verwachsen fast wie in einem Dschungel, wo mir fast die Angst aufsteigt, mich zu verirren – was absurd ist, denn ich kenne diesen einen Weg, den ich jetzt gegangen bin, schon seit 46 Jahren - damals war der Weg noch völlig offen und zugänglich - und hier in der Lobau kommt man immer irgendwann auf einen offenen, offiziellen Weg. Dann bin wieder eine bequeme Schotterstraße weitergegangen (eine Fahrradroute) und dann die asphaltierte Vorwerkstraße weitergewandert. Dort halte ich Rast und ich stelle fest: viele Radfahrer sind extrem laut, schreien schamlos herum, da merkt man, wie alles Gerät, alle Maschinen von der „Natur“ entfernen, sie abtrennen, sie weniger spürbar machen, Distanz schaffen zu dem Erdboden, worauf wir wandeln, wir gehen nicht mehr auf der Erde, sondern wir machen Sport, wir haben ein abstraktes Ziel, das aber keineswegs über das Irdische hinausweist, sondern nur auf unsere Vorstellungen und Programme. Wenn ich auf meinen Wanderungen nicht im Hier und Jetzt bin, dann bin ich wenigstens bloß in meinen Gedanken und kann wieder zurück.

Dann bin ich wieder weitergegangen, überquere barfuß den fast trockenen Fasangartenarm, gehe weiter zur Dechantlacke, ziehe mich nackt aus und steige ins Wasser. Ich schwimme nicht lange, genieße das Wasser und diesen Platz jedoch sehr. Ohne mich abzutrocknen ziehe ich mich wieder an und mache mich auf den Heimweg.


(16.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3750 Werktagsoptimismus

 



6:22 a.m. Das in gleißendes Gelb übergehende Morgenrot scheint mir ins Gesicht und so schlecht ist dieses verschwitzte Erwachen nicht, denn im Traum soeben hatte sich alles ganz gut angelassen – auch wenn ich die verdammten Formulare nicht und nicht aus den Hüllen herausfischen konnte und alle Traumversprechen letztlich unerfüllt geblieben sind, aber die zurückgelassene Stimmung – oder besser: die mit herübergenommene ist recht gut. Hell ist es hier am Morgen im Musikzimmer, in das ich vorübergehend exiliert bin - ganz im Gegensatz zu meiner üblichen finsteren Kemenate – die Fenster straßenseitig offen, was einem gleich mit der hier relativ sanft erwachenden Stadt und ihren Werktagsoptmismus verbindet. Meine verschlafenen Augen lassen zwar immer wieder meinen Blick und meine Schrift verschwimmen, aber – einfach gesagt – ich fühle mich gut. Der Verkehrslärm ist moderat, die Rufe der Krähen vorhin waren ganz nahe und laut und klangen so, als wären die schwarzen Vögel dafür engagiert, den Schläfern nicht unfreundlich, aber deutlich zu sagen, dass der Morgen angebrochen ist. Das ist er, aber ich werde mich dennoch noch ein wenig ausstrecken, auch wenn der Blick von hier, im Hochbett hockend, direkt auf einen kleinen Abschnitt der Gasse unten und auf eine der drei Säulengleditischien wirklich etwas Besonderes hat und ein interessantes, zuversichtliches Lebensgefühl vermittelt.


(16.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 15. August 2024

3749 Fünfzehnter August

 



9.40 a.m. Mariä Himmelfahrt. Der Wind reißt am schon löchrigen, verschlissenen und ausgefransten Vorhang herum – ich gebe den nicht weg, weil ich ihn selbst mit unter anderen eigenen Zeichnungen bedruckt habe – und hat die Tür zum Musikzimmer oben zugeschlagen. Mich macht das nervös. Ich stehe vom Bett auf und gehe nachschauen, ob alles soweit in Ordnung ist, dann komme ich wieder zurück. „Himmelfahrten“ gehören übrigens zu den ganz natürlichen Möglichkeiten des Menschen, zu seinem in ihm angelegten Erbe, das wir abrufen können oder eben nicht; wir alle müßten nicht so sterben, wie wir es seit Jahrtausenden tun und unseren Leib hier zurücklassen. Der Weg dorthin ist zurzeit zwar schwer verbaut, aber nicht unmöglich. So! Nach diesem wertlosen Bekenntnis wende ich mich wieder dem Wind zu, der immer noch den dünnen, leichten Vorhang ins Zimmer hereinhebt, wölbt, aufbläst und aufbläht, bis er wieder in sich zusammenfällt. Und das macht mich immer noch nervös, obwohl ich meinen Kontrollgang durch die Wohnung doch schon absolviert habe. Jetzt hat sich der Vorhang für eine Sekunde an einem Blatt der Monstera des dreifaltigen Wohnzimmerbaumes verhängt, ist aber wieder freigekommen. Nachdem ich mich eine zeitlang mit der Vorstellung, mein Himmelfahrtsbekenntnis einer Runde von Theologen und Religionswissenschaftlern vorgetragen zu haben und dabei nicht untergegangen und in den Erdboden gestampft worden zu sein, beschäftigt habe, kippen meine Gedanken plötzlich ganz woanders hin und fragen sich, ob ich denn die Unterstützer und Förderer in meinem Leben so gar nicht erkennen wollte und ein so tiefes Mißtrauen gegen alles habe, dass ich nichts annehmen konnte und mich so von allen sozialen und gesellschaftlichen Möglichkeiten völlig entfremdet habe.


(15.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3748 Trefflichster Kubin

 



12:19. „Trefflichster Kubin“ hat der Klee den Meister von Zwickledt in einem Brief angeredet, und ich, ich sitze in der Ausstellung des Jugendwerks von Kubin in der Albertina modern. Ein eigenartiger Schatten liegt auf meinem Notizbuchblatt, eine befremdende Form, die ich nirgends zuordnen kann - eine halbe Kreisscheibe, die an ihrem runden Rand unerklärbar in annähernd quadratische Punkte ausfranst, weniger mysteriös, als geometrisch wirkend, dennoch eigenartig – aber meine rationalistische Ader gibt keine Ruhe, bis ich das Rätsel gelöst habe: es ist der durch gestreutes Licht vershatterte Schatten des Reißverschlusses meiner ärmellosen Jacke, der sich gerade etwas wölbt. Also: Kubin. Zweifellos ein faszinierendes Werk, aber die gehäufte, ausschließliche und völlige Düsternis hat mich ermüdet. Seine opiumverstärkten Visionen - oder stimmt das gar nicht? - sind mir in der Masse jetzt zu viel geworden (das ist keine Kritik an der Ausstellung – ich berichte nur Subjektives). Recht kühl ist es hier, nicht unangenehm bei dieser Hitze draußen, aber ein wenig fröstelt es mich. Ich kenne ja auch seit meiner Kindheit und Jugend die Verzweiflung, sexuelle Ängste und Sehnsüchte, und wie Kubin eine seiner Zeichnungen, die ihn selbst zeigt, mit „der Schwächling“ betitelt hat, habe ich als Fünfzehnjähriger eine Tagebuchseite mit der Wiederholung des Satzes „ich bin ein Schwächling“ vollgefüllt, und ich habe auch weitgehend eine pessimistische Weltsicht und ebensolche Auffassung von mir und den Menschen, aber nein! Im Letzten dann doch nicht. Nicht, dass ich irgendeine Rettung von oben oder unten erwarte, nicht, dass ein Deus ex machina eingreift, nein, sondern dass jeder Mensch die reale Chance zur Befreiung aus seiner Gefangenschaft in sich trägt: wirklich real, als eine angeborene Möglichkeit, den Salto ins Unvorstellbare zu machen. Amen.


(14.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 13. August 2024

3747 Weinerlich in der Albertina

 



11:23 a.m. Ich sitze in der Albertina vor der Werefkin, hier erholen sich Auge, Geist und Seele. Der Weg hierher war … schwer. Nein, der Weg war, wie er halt ist; nein, mir war schwer ums Herz. Ich bin wirklich weinerlich unterwegs und dieses Etikette mag ich gar nicht. Und heiß war es auch. Ist es echt, was ich da vor den zwei Bildern aufführe? Empfinde ich es wirklich oder rede ich es mir nur ein? Ich mißtraue mir bis zum Gehtnichtmehr.

Hier in der Albertina sind Massen unterwegs. Ich schaffe es jedoch nicht, irgendetwas ordentlich zu beschreiben, weder Bilder noch Besucher. Die zwei Bilder. Verschwitzt bin ich. Die Unruhe im Raum ist sehr groß (ich beschwere mich nicht!). Einen Blick werfe ich nach rechts zum Jawlensky. Die Werefkin-Bilder: beide zeigen eine Nacht, das eine den Wald, das andere eine Bar, innen und vorm Eingang hell erleuchtet, aber dahinter tobt ein Sturm und biegt die Bäume. Und der Nachtschwärmer im Wald, das undefinierbare, scheue und gefährliche Raubtier in Hundegröße. Hier ist es Winter, bei der Bar Herbst oder Spätwinter (kein Schnee). Ach, die leuchtenden Berge von Jawlensky! Wie gesagt: heute bin ich weinerlich.

Danke Universum! Ich habe bei meinen Lieblingsbildern trotz großen Andrangs einen Sitzplatz mit guter Sicht gefunden. So schaue ich nun auf Kokoschkas London und Dresden. In diesem London sehe ich immer ein säkulares himmlisches Jerusalem, eine verklärte Stadt, die schon nicht mehr nur dem Irdischen angehört, und in Dresden (1923) die drohende Katastrophe gut 20 Jahre später.

Ich starre in des Londoner Licht und warte auf Erlösung. Vom Bildhintergrund kommt das Licht heran und ich hoffe, dass es über das Bild hinausströmt und auch mich erfaßt und auflöst und mitnimmt. Wie gesagt: heute bin ich weinerlich unterwegs. Die GötterInnen sorgen dafür, dass ich meistens freien Blick auf die zwei Bilder habe, trotz des großen Andrangs (und bei einem Betrachter vor „London“ habe ich in seinen Augen Überraschung und Begeisterung gesehen).

Ich schäme mich, dass ich die Bilder so schamlos für meinen Psychogebrauch zu seelischer Egoaufgeblasenheit und pseudosensibler Aufgewühltheit mißbrauche. Ich glaube mir gar nichts mehr! Ach Dresden! Bist du die andere Seite der Londonmedaille, die kommende Katastrophe, die ich beiseite schiebe? Wenn die Auflösung ins Licht nicht gelingt, kommt das tödliche, gnadenlose Bombardement? Ich gehe weiter (ist mir schon fad? Oder halte ich die starken Empfindungen nicht aus?). Plötzlich ist der Saal ziemlich leer. Ich verhehle auch nicht, dass viele sommerlich gekleidete Frauen durch mein Gesichtsfeld gegangen, flaniert und getanzt sind, und weil ich sitze, habe ich gerade deren Zentralbereich in Augenhöhe. So einigermaßen habe ich meine Bildkonzentration halten können (ich beschwere mich nicht!). Also jetzt gehe ich weiter. Zum Klee.

Zum Klee beim depperten Kardinal. Die „versandete Siedlung“ gefällt mir sehr. Sie ist neu hier. Nun sitze ich auf der Bank vorm Kardinal und dem großen Spiegel, und mich darin ein wenig zu betrachten, kann ich mich nicht enthalten. Mit dem neulich geschorenen Kopf wirkt die leichte Schirmmütze zu groß und der Ganze als eine traurige Gestalt im Gegenlicht, denn das große Fenster ist hinter mir. Warum habe ich meine langen Haare geopfert? Nur wegen der Hitze? Oder aus Autoaggression (Adel: lange Haare; Leibeigener: geschert)?

Ich seufze, mein Herz ist schwer, ich werde wohl weitergehen. Aber noch raste ich, oder mache ich bloß auf erschöpft? (Ich glaube mir nichts mehr.) Die vielen Leute in dem schmalen Gang machen mich nervös (ich beschwere mich nicht!). Noch einmal einen Blick auf die „versandete Siedlung“. Und auf die schöne „Landschaft zwischen Winter und Frühling“. (Nach meinem Winter kommt kein Frühling mehr.)

Die letzte Motesiczky ist weg! Zu Gunsten fragwürdiger Bilder, wahrscheinlich speziell für russische Besucher. Schade! Gut, die Albertina muß halt auch aufs Geschäft schauen und die Massen befriedigen. Und die verschiedenen Teile ihrer Schätze zeigen. Trotzdem: schade um diese sensiblen Bilder („der Arbeiter“ und „Kröpfelweg“)! Auch das Giacometti-Dorf fehlt mir sehr. Aber auf mich kommt es nicht an. Wieso auch!



(13.8.2024) 


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3746 Nur am Rande

 



0:33 a.m.  53°NO ist meine Blickrichtung. Sehen kann ich nicht viel in der Nacht draußen. Ein paar erleuchtete Fenster, sonst Dunkelheit und mildes Rauschen der Stadt. Sehr heiß ist es im Hochbett im obersten Stock. 27°C soll es draußen haben; hier herinnen steht die Luft und es zieht kaum durch, obwohl viele Fenster offen sind. Oh! Die Deckenlampe schaukelt doch ein wenig im Luftzug. Ich habe den Faden verloren. Richtiger gesagt: noch gar nicht gefunden. Ein Auto ist durch die ruhige Gasse gefahren und der Lärmpegel ist nun schon wieder gesunken. Mein Bewußtsein hat das Anschwellen des Lärms nur am Rande registriert. Aber ich bin müde, sehr müde.


(13.8.2024)


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Montag, 12. August 2024

3745 Das Übliche

 



12:29. Wieder einmal im Hof 9 auf einer schattigen Parkbank. Mein blauer Pilotstift spinnt – setzt von Zeit zu Zeit aus, obwohl er nur zur Hälfte leer ist – deshalb muß ich langsam, konzentriert und bedächtig schreiben, fast feierlich ist meine physische Schreibweise und will auf meine Stimmung übergreifen. In mir ist wieder einmal so viel seelischer Schmerz, dass es körperlich weh tut. Dabei ist es mir gestern Abend gelungen, mich aus der ärgsten Finsternis rauszukämpfen. Es ist eh das Übliche und ich kann den Seelenschmerz gar nicht ordentlich beschreiben. So eine Beklemmung halt. Und zu faul oder verzagt für die Anstrengung, das Gefühl zu fassen zu kriegen, bin ich jetzt auch. Schauen wir lieber herum.

Offensichtlich wurde der Park gerade erst gegossen; einzelne Lacken sind noch nicht zur Gänze versickert und zu meinen Füßen gibt es angeschwemmte Erde, eine Überschwemmungslandschaft en miniature, mit Sandbänken, Ablagerungen und nun wasserlosen mäandernden Flußarmen. Still ist es hier, ich höre den Springbrunnen in Hof 8. Die Wiesen sind kräftig grün, nicht verdorrt und dürfen auch noch ein wenig ausblühen. Gut betreut also. Auch die Bäume tragen sattes, grünes Laub; soweit ich sehen kann, sind es Linden. Wenige Passanten; sie stören auch mit ihrem Geplauder die Ruhe nicht. Manchmal sind es nur Schritte, die vorbeigehen, wenn ich den Kopf nicht vom Notizbuch hebe. Man kann es hier in der Hitze aushalten, aber mitspielen kann ich nicht: mit dem Wind nicht, nicht mit dem geballten Wissen hier, nicht mit den vorbeidriftenden Gesprächen, und mit meinen inneren Hauptdämonen werde ich auch nicht fertig. Oder gerade mal so.


(12.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3744 Alle seine Zweige

 



9:48 a.m. Ich sitze (fast immer sitze ich beim Schreiben) in meinem bequemen Bürosessel, der wegen Reparaturen in meinem Zimmer schon wochenlang im Atelier steht, dortselbst am großen Fenster und ich blicke auf Himmel und Hof. Den meisten Raum in meinem Blickfeld nimmt diese Baumgruppe ein, von der ich immer noch nicht weiß, ob sie Essig- oder Götterbäume sind. Der Sommerhimmel hat sein sommerliches Blau, das gelegentlich von kleinen weißen Wolken durchzogen wird. Der Brunnen unten im Hof plätschert so vertrauensvoll, und eine leichte Brise spielt sanft mit den Zweigen der Bäume. Eine Fliege versucht sich am Atelierfenster und findet die offene Oberlichte nicht. Still ist es hier, die Geräusche machen keinen Lärm. Die Stimmung erinnert mich an langweilige Ferientage meiner Kindheit, aber gerade diese zeigten oft eine transzendierende Intensität. Allein schon den kleinen, schwachen Wind zu betrachten, wie er – damals – die Straße entlang fährt und an deren Rand ein wenig Staub aufwirbelt, kreiselt, als hätte er einen eigenen Willen und würde etwas oder jemanden suchen. Oder die Fliegen und ihr Gesumme und ihre unverständlichen Flugwege. Das hat sich alles als Erinnerungen an solche Tage eingeprägt. Und – wie schon gesagt – der Wind in den Bäumen, nicht stark, nur so spielerisch, wie ich ihn auch hier und jetzt im Hof beobachten kann. Ich sitze am Rande, sozusagen an einer Grenze zwischen zwei Welten, die ich jedoch nie überschritten habe. Ich ahne nur, ich erfahre nicht. Nur ein paar Zentimeter, und alles ist anders.

Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne und verzieht sich wieder. Der geliebte Weidenbaum winkt auch hinter dem Nachbarhaus her. Ich denke an den lieben Hollerbusch im Hof, den sie – keine Ahnung warum – zu Tode gesägt haben; jahrelang haben sie immer wieder alle seine Zweige abgeschnitten, jahrelang hat er immer neu ausgetrieben, nur letztes Jahr ist er endgültig eingegangen. Heuer gab es keine Triebe mehr.


(9.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 8. August 2024

3743 Die Ziegelmauer

 



9:42 a.m. Ich sitze im Augarten (beim Schreiben sitze ich meistens) und blicke auf die Mauer hinauf. Die Mauer, die mir so gut gefällt: aus Ziegeln gebaut fasst sie den Augarten ein, die verstärkten Stützpfeiler in schönen rhythmischen Abständen, der dünne, vor Jahren aufgetragene und weiß bemalte Verputz ist stellenweise schon abgefallen, stellenweise schimmert das schöne Rot der Ziegel durch, stellenweise liegen die Ziegel offen. Die Schatten einzelner Bäume hängen noch an der Mauer, aber die steigende Sonne wird sie wohl immer weiter abrutschen lassen. Die sanfte Schräglage der Wiese spricht mich so stark an, wie eine Erinnerung von ganz weit her, und der langgezogene, hainartige Park mit dem Duft des frisch gemähten Grases betört mein Herz und läßt meinen anfälligen Geist irgendwohin kippen. Jogger laufen oben an der Mauer entlang, viele Hundemenschen, einige Eltern mit Kindern und etliche Großeltern mit Enkeln. Hinter der Mauer befindet sich eine ruhige Gasse. Baustellenlärm gibt es im Park und von außerhalb. Einige Leute scheinen auch einfach spazieren zu gehen, einige walken mit den Stöcken.
Mir kommt vor, es strömen immer mehr Besucher in den Park. Die meisten Bäume hier sind riesengroß. Das Papier meines Notizbuches leuchtet im Schatten wunderbar blau, die gelbe Schrift ergibt einen wunderschönen Kontrast. Ja, heute gefällt es mir hier. Immer wenn ich zu den Bäumen hoch schaue, erstaunt mich ihre herrliche Pracht und majestätische Anwesenheit. Manchmal scheinen die Schritte der Jogger unter den Bäumen zu hallen. RadfahrerInnen sind ebenfalls viele unterwegs. Jetzt kommt ein Rasenmähertraktor angerast und dreht doch wieder ab. Der leichte Wind schaukelt ausnehmend höflich und elegant die Zweige der Bäume. Ich vermeine Tabakgeruch in der Nase zu haben, aber weit und breit sehe ich keinen Raucher, keine Raucherin. Eine große Ameise krabbelt sehr flott über meine Seiten. Der schwarze Hund bringt brav das geworfene Ding und wird belohnt. Er darf es aber nur auf Befehl holen; er wird richtig trainiert. Der Rasentraktor kommt schreiend, heulend und lärmend näher und entfernt sich wieder – welche Not mag ihn antreiben?

Ist es Zeit zu gehen? In mir taucht das so auf.


(6./8.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 5. August 2024

3742 Die Angst des Dalit vorm Frühstücken in einem feinen Hotel

 



9:11 a.m. Die Angst des Dalit vorm Frühstücken in einem feinen Hotel, ohne Hotelgast zu sein. Aber nachdem er etwas gegessen hat, fühlt er sich besser, und noch besser, als er sein Notizbuch herausgenommen hat und zu schreiben begonnen. Der vierte Cappuccino tut auch irgendeine Wirkung.

Es ist nämlich so – und ich empfinde das stärker und unausweichlicher denn je: in meinem Leben keine gültige Initiation in die bürgerliche - sagen wir: mittelständische – Gesellschaft zu haben. In ein Hotel frühstücken zugehen oder in ein feineres Restaurant ist für mich nicht drinnen: ich fühle mich schon beim Hingehen deplatziert, als würde ich mir etwas anmaßen, extrem verunsichert: pickt irgendwo noch ein Zahnpastafleck? Habe ich wirklich meine Nase gründlich geputzt oder habe ich noch einen sichtbaren Nasenrammel? Stinke ich irgendwie? Und diese Befürchtungen habe ich auch nach gründlicher Dusche am Morgen. Ist meine Kleidung gesellschaftlich akzeptabel? Wie verhält man sich, wenn ...

Das kann sich niemand vorstellen, der von und in seiner Familie „normal“ sozialisiert ist und – egal wie er innerhalb seiner Herkunftsfamilie gesehen wurde – über seine Familie einen höheren gesellschaftlichen Status mit all seinen Selbstverständlichkeiten erhalten und geerbt hat, zum Beispiel, dass es selbstverständlich ist, in ein Restaurant zu gehen, dass es selbstverständlich ist, einem Arbeiter, Dienstleister und ähnlichen Aufträge zu erteilen und Arbeit anzuschaffen und zu kontrollieren et cetera et cetera. Da hilft mir selbst mein Studium nichts, wie auch Götz Aly beschreibt, wenn ein Aufsteiger mit unendlich größeren Mühen – auch der Kontakt mit Professoren, mit mittel- und oberschichtigen Mitstudenten, die immer von ihresgleichen ausgehen und die Nöte und Qualen eines potentiellen Aufsteigers nicht wahrnehmen können, ist nicht selbstverständlich und sehr angstbesetzt – sein Studium geschafft hat, dann weiß er immer noch nicht, wie man mit goldenem Besteck isst (das habe ich aus dem Gedächtnis wiedergegeben und ist kein genaues Zitat). Wenn mich meine Frau nicht in dieses Hotel geschleppt hätte, hätte ich es niemals geschafft, dort hinzugehen und es wäre mir, ohne eingeladen zu sein, auch nicht möglich.

Dazu gehört auch, dass ich in den ersten zwanzig Minuten beim Frühstückbuffet die Hälfte gar nicht gesehen habe – der Stress hat meine Wahrnehmungsfähigkeit extrem eingeschränkt, auch nur herumzugehen und die Nahrung zusammenzusuchen, war voller Angst, zum Beispiel die Kaffeemaschine falsch zu bedienen oder die Anleitung nicht zu verstehen, das falsche Besteck zu nehmen, irgendwelche unmöglichen Kombinationen von Speisen auf meinen Teller zu legen oder mich sonst irgendwie falsch oder unangebracht zu verhalten. So habe ich nicht gesehen, dass neben dem Brot und Gebäck Schneidbrett und ein Brotmesser bereit liegen, mit dem ich mein Gebäck einfach und problemlos aufschneiden hätte können.

Und auch in meiner Herkunftsschicht - die im übrigen gar nicht so leicht zu bestimmen ist, da familienintern widersprüchlich - bin ich als potentieller Verräter gefährdet – das haben sie mir schon in meiner Kindheit gezeigt - erst recht, weil ich den gesellschaftlichen Aufstieg eben nicht geschafft habe. Deswegen bin ich ja Paria und gehöre keiner Kaste an.

Ich gestehe, dass ich das manchmal schon so satt habe! Mir bleibt entweder in meinen kleinen Grenzen zu bleiben – meistens kompensatorisch überhöht mit falscher Bescheidenheit – also solche Orte gar nicht erst aufzusuchen - oder verzweifelt und zornig zu werden, oder gar voller Hass, und all den Selbstbewußten und Selbstverständlichen rundherum zu wünschen, dass sie mit ihren Gesichtern an eine Betonmauer gerieben werden. Es kostet viel seelische Energie und geistige Arbeit, sich jedesmal aus dieser Wut, dieser Verzweiflung herauszuarbeiten und ein einigermaßen praktikables und weniger destruktives seelisches Gleichgewicht zu finden und zu halten.

Wie gesagt: durchs Schreiben gewinne ich etwas Boden, auch wenn meine Texte nur so eine, zwei, drei LeserInnen haben, auch wenn ich nicht weiß, wo dieser Boden sein soll, aber vielleicht trage ich mit der Schreiberei als solche dazu bei, dass irgendetwas im Universum bewußter werden und nun benannt werden kann, so wenig es auch sei.




(5.8.2024)

©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 3. August 2024

3741 Vorm Haus

 

16:47.  Ein Flugzeug rauscht über den ziemlich blau gewordenen Himmel, während ein paar Autos auf den Asphaltstraßen ihre Reifen abnützen und ihre Motoren im Vorbeifahren heulen lassen, mit mehr oder weniger deutlichen Dopplereffekten. Die Motorräder machen es ähnlich, nur pflegen sie sich dabei akustisch und auch sonst mehr ins Zeug zu legen. Der Verkehr stinkt. Ja, diese verkehrte Welt stinkt schon. So ist das am Land. Schön ist der Blick durch den Oleander hindurch in die weite Landschaft; in der milden Sonne ist sie so freundlich. Leise bewegt die leichte Brise die zwei Oleanderbüsche, ansonsten kann ich rundherum keine vegetarischen Bewegungen erkennen. Eine Taube ruft ihren heiseren Ruf. Ein weißer Falter flattert drüben im kleinen Blumenbeet herum. Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt fünf. Eine Fliege untersucht meine linke Hand, bald läßt sie es bleiben. Die Brise wird stärker und nun sehe ich auch Bewegung in den großen und kleinen Bäumen. Wie heißt das? – Folgetonhörner jaulen über die unübersichtlichen Straßen der Gegend. Ach, die fernen Hügel strahlen so mild im westlichen Nachmittagslicht. Eine Amsel pfeift lange und aufgeregt und in einem fort ihr Stakkato.

 

(3.8.2024)

©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3740 Am Fluß

 

12:28.  Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt halb. Die Wolken am Himmel scheinen sich aufzulösen und das helle Blau freizugeben, das immer dunkler wird, je länger man in es hineinschaut. Der unvermeidliche, tägliche, fast permanente, großmächtige Rasenmäher, der in verschiedenen Materialisierungen in den verschiedenen Gärten zu verschiedenen, aber anscheinend aufeinander abgestimmten Zeiten auftritt, genauso wie der großmächtige Verkehrslärm der nahen und fernen Straßen. Die Katze an der Hausecke steht auf, streckt sich mit Genuß und Gliederzittern, bevor sie sich wieder hinlegt; sie ist keine Romantikerin, wie ich es auch nicht sein will. Windstill ist es. Die weite Landschaft im Nordosten (34° NO genau) liegt unbekümmert ausgestreckt, aber das meiste bleibt hinter Büschen und Bäumen verborgen. Mein Bergkräutertee – gekauft, nicht gesammelt – hat jetzt zum Trinken die richtige Temperatur. Ich darf über mein Leben nicht grübeln. Nein, das darf ich nicht. Die vergangenen Nächte bin ich deswegen lange wach gelegen. Ich komme mir dann als der letzte Nichtsnutz vor (das ist auch nur eine Variante von Selbstüberschätzung, Größenwahn und Eigendünkel – der innere Kritiker). So lausche doch besser gleichgültig aber interessiert auf das Tuckern des vorbeifahrenden Motorrades! Konsequent und tief in jegliches Geräusch hineingehört ergibt unvermutete Klangwelten. Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt dreiviertel. Das Motorrad jetzt knattert in lauten, aber kleinen, ungesunden Explosionen. Wer stellt eigentlich die Motorräder auf Elektromotor um? Die Wolkendecke reißt immer stärker auf. Der neuerliche, unvermeidliche Auftritt eines Rasenmähers macht mir erst bewußt, dass für ein paar Minuten Ruhe war. Ruhe von Rasenmähern, nicht vom Verkehrslärm. Vor mir liegt ein Zweiglein einer Eiche auf dem Asphalt, wohl gestern vom Wind abgerissen und hingeworfen. Die fernen Hügel der Oststeiermark dort hinter der Ebene locken mich, aber ich weiß: wäre ich dort, würde ich mich – in die  Ferne blickend – nach hierher sehnen. Ich werde wieder links hinunter zur Sulm steigen. Vielleicht kann ich am Fluß unten anwesend sein. Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt eins.

13:24.  Nun sitze ich unten auf einem großen Stein der Uferböschung der Sulm; alles scheint vom Regen gestern Abend ausgeschwemmt und noch nass zu sein, auch der Stein, auf dem ich etwas unbequem hocke. Vom fließenden und lichtglitzernden Wasser wird mir ein wenig schwindlig; ich fürchte, die Balance zu verlieren und in den Fluß zu stürzen. Mein Gott, ist diese Angst alt! Entspannt bin ich nicht. Ich höre einen Specht im Gehölz am anderen Ufer klopfen. Meine aufgeriebenen Nerven kann ich kaum beruhigen. Aber allmählich kehrt dann doch etwas Ruhe ein und mein aufgescheuchter, ängstlicher Geist beschwichtigt sich. Ein grünes Blatt sehe ich von einem Baum in die Sulm fallen. Das kleine Rauschen und Glucksen des Flusses hört sich gut an. Die Sonne kommt kurz durch und beleuchtet auch das Blatt meines aufgeschlagenen Notizbuches. Um mein Gleichgewicht zu halten, hocke ich  angestrengt vorgebeugt. Ich huste. Mein Zahnfleisch rechts unten tut weh. Alle diese Scheiß Entzündungen in mir! Ein Hahn kräht, zweimal, dreimal – dann zähle ich nicht mehr. Rufende, schreiende Fußgängerinnen mit Hund oben am Weg. Sie haben mich nicht gesehen – glaube ich. Die vielen RadfahrerInnen sind leiser; nur das Knirschen ihrer Reifen auf dem Sand ist zu hören. Ich werde zurückgehen müssen; ich kann diese Körperhaltung nicht lange einnehmen. Mein Ausflug hierher war nur ein Teilerfolg. Immerhin: irgendwas davon wird mir bleiben.

Mühsam erhebe ich mich aus der verkrampften Haltung, nachdem ich Handy, Notizbuch, Pilotstift und Brille gut verstaut habe, wische mir am Hintern den Sand von der Hose und klettere mit den Armen das Gleichgewicht erfuchtelnd die steile Böschung zum Weg hinan. Ich gehe noch ein Stück weiter, um noch einen letzten Blick auf das Maisfeld dort, das in mir so starke, alte Gefühle hervorruft, zu werfen – weiß der Teufel, was sich da meine Seele wann und wo eingefangen hat – ich verstehe oft gar nichts – dann drehe ich mich um und gehe halbherzig zurück in Quartier.

 

(3.8.2024)

©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 2. August 2024

3739 Ein Tag

 

9:14 a.m.  Muskel, Knochen und Sehnen tun mir weh, nur mühsam bewege ich mich, Gesicht und Augen fühlen sich verschwollen an, die Luft ist nicht wirklich frisch und der Atem … geht so. Ich komme kaum aus diesem zähen Kokon. Nichts Besonderes ist geschehen, ich vertrage Sonne und Hitze schlecht; warum auch wandere ich immer den längeren Weg ins Sulmbad zum Steinernen Wehr, der in seiner zweiten Hälfte gänzlich der prallen Sonne ausgesetzt ist? Weil ich dieses Tal so liebe und diesen ebenen Weg die Sulm entlang. Hier ist der Fluß so schön, mit seinen Mäandern und Sandbänken, im ersten Abschnitt geht der Weg im Schatten der Wälder, bis er hinausgeht in die Weite der Maisfelder und Wiesen. Auch diesen Teil des Weges liebe ich, obwohl er sich hinzieht und in der Sonne anstrengender ist.

13:50.  Nun raste ich nach Essen und Kaffee im Gastgarten der Kantine des Bades und bleibe mit Notizbuch und Pilotstift sitzen, eine leere Kaffeetasse und einen Becher Leitungswasser als Alibi – als tät‘ ich noch immer von meiner Bestellung von vorhin konsumieren – und dieser kleine Schwindel macht mich schon nervös. Wahrscheinlich werde ich deswegen hier nicht schreiben können. Es sind viele Tische unbesetzt, also nehme ich niemandem den Platz weg, aber trotzdem.

Weiße Wolkenschleier ziehen auf, Gewitter ist angesagt (zu 50 bis 70 Prozent). Es sind vor allem die hellen Kinderstimmen, die über das dominante Rauschen der Sulm hinaus kommen; dennoch ist die Stimmung hier ruhig. Die Kinder bringen eine anscheinend unbekümmerte Fröhlichkeit. Ein Mädchen schlägt in der Wiese ein Rad.

14:50.  Der Himmel zieht vom Nordwesten her zu (richtig: 251° West – der Korrektor), Sonne und Hitze sind weg und es wird angenehm. Sehr angenehm. Der Chef schließt die vielen Sonnenschirme im Gastgarten, das Bad ist nur mehr spärlich besucht; die Sulm rauscht ganz gelassen; sie scheint sich um das Gewitter nicht zu kümmern; wird’s zu viel Wasser, geht sie halt über. Auch vor dem zunehmend weiß-grauen Himmel kommt das Grün der Wiesen, Büsche und Bäume sehr gut.

16:25.  In der Nachmittagssonne stehen die einzelnen Bäume, die großen und die kleinen, jungen, mit verstärkter Dreidimensionalität da: sie wirken räumlicher als vorhin, betonen ihre individuelle Präsenz und sind so schön. Eine kleine Buche vor mir (oder Erle? Ich kann es nicht erkennen) winkt mit ihren zarten Zweigen, der Baum hinter mir rührt sich nicht, genauso wenig die Weide. Des kurzen, kaum spürbaren Regens wegen haben viele Leute vor einer Stunde das Bad verlassen. Jetzt, wo die Sonne wieder herausgekommen ist, kommen Einzelne wieder herein. Eine schöne Stimmung ist hier, aber anders als zuvor. Am Ginkgobaum hängt ein Mistkübel.

 

(1.8.2024)

©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 1. August 2024

3738 Die Wespen sind verdammt lästig

 

14:14.  Der Auwald an der Sulm umfaßt großzügig das Bad zum Steinernen Wehr. Es ist heiß, die Wespen sind verdammt lästig und umschwirren bevorzugt Essen und Menschenköpfe. Wenn ich mich nicht täusche, jagt die eine da zu meinen Füßen Ameisen. Ich weiß nicht, ob es das gibt. Kaum ein Lüftchen regt sich. Dafür, dass ich es in meinem Leben zu nichts gebracht habe, treibe ich in einem herrlichen und luxuriösen Leben: auf Urlaub am Land, satt, kaffeegeputscht, rechtschaffen müde warte ich noch ein bißchen Verdauung ab, bevor ich mich – freilich nachdem ich mich erst brav abgeduscht habe – ins kalte Wasser schmeiße und mich das  kleine Stück zum Steinernen Wehr schwimmend treiben lasse. Zum Schreiben habe ich mir einen schattigen, bequemen Sitzplatz erobert, zumindest bis jetzt hat mich niemand vertrieben, obwohl ich mich sehr nahe bei Liege- und Sitzplätzen anderer auf die lange Holzbank gesetzt habe, die allerdings verwaist sind, also ist es ein unsicherer Frieden. Wir werden sehen. Diese Holzbank ist in bequemer Höhe, somit sitze ich nicht zusammengekrümmt am Boden auf der Decke, was meinem letzen Kreuz zu Gute kommt.

Der Himmel ist immer noch ganz blau, nur am Ostrand wandern ein paar kleine, unscheinbare Wölkchen. Wo kommt der Wassertropfen her, der in mein Notizbuch gefallen ist und die Schrift von „wandern“ auflöst? Letztlich aus der Unendlichkeit. Da kannst nichts machen.

Die vom Liegeplatz links sind zurückgekommen und mir kommt vor, sie sind nicht sehr erfreut, mich so nahe bei ihnen hockend vorzufinden; ich weiß allerdings nicht, ob mein Eindruck stimmt. Vielleicht freuen sie sich und können es nicht zeigen, vielleicht fürchten sie, dass ich ihnen etwas stehle oder sie ermorde, vielleicht ist es ihnen völlig wurscht. Ich denke: Ins Wasser! Lieber warte ich noch ein wenig. Aber ich werde unruhig. Der an seinen Platz zurückgekehrte Alte macht mich nervös, mein ungesicherter Status beunruhigt mich. Jetzt geht es wieder. Eine landwirtschaftliche Maschine – irgendein Mähwerk vermutlich – rattert hinter mir am anderen Ufer der Sulm, das mir jedoch nicht einsichtig ist, da es etwas höher liegt und die Böschung mit blickdichtem Gehölz bewachsen ist. Meine Leute lesen und schlafen auf den Decken in der Wiese. Der Alte ist wieder da und zieht sich vor mir unter einem Handtuch um. Was soll er sonst machen, wenn ich ihm und seiner Frau so nah auf die Pelle gerückt bin? Er läßt sich jetzt auf die Bank fallen, dass es mich durchschüttelt; er schnauft beim Raufziehen der Badehose mindestens so viel wie ich bei solchen Tätigkeiten. Offensichtlich tut er sich mit Bücken und Beugen auch schon schwer.

15:32.  Das Bad ist voller geworden, trotzdem irgendwie ruhiger. Ist es die Hysterie der Hitze, die sich mit den länger werdenden Schatten gelegt hat? Der Himmel ist wieder vollkommen wolkenlos; die grünen und - soweit von der Sonne beschienen – fast gelben Bäume rundherum heben sich so schön vom hellen Himmelblau ab. Eine leichte Brise streicht mild über meine nackte Haut und die nasse Badehose. Die vielfältigen Geräusche kommen als einzelne Tonmonaden an meine Ohren und kennen sich nicht. Viele hölzerne Klappstühle stehen bei der Kantine drüben zu Hauf und ergeben eine ansprechende, dreidimensionale  Graphik. Vielleicht stimmt das gar nicht mit den drei räumlichen Dimensionen. Wie gestern zeigt sich etwas Unbegreifliches im gelben Nachmittagslicht; selbst die Wiese scheint es aufgesaugt zu haben, während es die Bäume leicht ins Orange verschieben.

Geht mich das ganze Badegeschehen etwas an? Ich weiß  nicht; es läuft so distanziert vor mir ab.

 

(3.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com