Samstag, 3. August 2024

3740 Am Fluß

 

12:28.  Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt halb. Die Wolken am Himmel scheinen sich aufzulösen und das helle Blau freizugeben, das immer dunkler wird, je länger man in es hineinschaut. Der unvermeidliche, tägliche, fast permanente, großmächtige Rasenmäher, der in verschiedenen Materialisierungen in den verschiedenen Gärten zu verschiedenen, aber anscheinend aufeinander abgestimmten Zeiten auftritt, genauso wie der großmächtige Verkehrslärm der nahen und fernen Straßen. Die Katze an der Hausecke steht auf, streckt sich mit Genuß und Gliederzittern, bevor sie sich wieder hinlegt; sie ist keine Romantikerin, wie ich es auch nicht sein will. Windstill ist es. Die weite Landschaft im Nordosten (34° NO genau) liegt unbekümmert ausgestreckt, aber das meiste bleibt hinter Büschen und Bäumen verborgen. Mein Bergkräutertee – gekauft, nicht gesammelt – hat jetzt zum Trinken die richtige Temperatur. Ich darf über mein Leben nicht grübeln. Nein, das darf ich nicht. Die vergangenen Nächte bin ich deswegen lange wach gelegen. Ich komme mir dann als der letzte Nichtsnutz vor (das ist auch nur eine Variante von Selbstüberschätzung, Größenwahn und Eigendünkel – der innere Kritiker). So lausche doch besser gleichgültig aber interessiert auf das Tuckern des vorbeifahrenden Motorrades! Konsequent und tief in jegliches Geräusch hineingehört ergibt unvermutete Klangwelten. Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt dreiviertel. Das Motorrad jetzt knattert in lauten, aber kleinen, ungesunden Explosionen. Wer stellt eigentlich die Motorräder auf Elektromotor um? Die Wolkendecke reißt immer stärker auf. Der neuerliche, unvermeidliche Auftritt eines Rasenmähers macht mir erst bewußt, dass für ein paar Minuten Ruhe war. Ruhe von Rasenmähern, nicht vom Verkehrslärm. Vor mir liegt ein Zweiglein einer Eiche auf dem Asphalt, wohl gestern vom Wind abgerissen und hingeworfen. Die fernen Hügel der Oststeiermark dort hinter der Ebene locken mich, aber ich weiß: wäre ich dort, würde ich mich – in die  Ferne blickend – nach hierher sehnen. Ich werde wieder links hinunter zur Sulm steigen. Vielleicht kann ich am Fluß unten anwesend sein. Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt eins.

13:24.  Nun sitze ich unten auf einem großen Stein der Uferböschung der Sulm; alles scheint vom Regen gestern Abend ausgeschwemmt und noch nass zu sein, auch der Stein, auf dem ich etwas unbequem hocke. Vom fließenden und lichtglitzernden Wasser wird mir ein wenig schwindlig; ich fürchte, die Balance zu verlieren und in den Fluß zu stürzen. Mein Gott, ist diese Angst alt! Entspannt bin ich nicht. Ich höre einen Specht im Gehölz am anderen Ufer klopfen. Meine aufgeriebenen Nerven kann ich kaum beruhigen. Aber allmählich kehrt dann doch etwas Ruhe ein und mein aufgescheuchter, ängstlicher Geist beschwichtigt sich. Ein grünes Blatt sehe ich von einem Baum in die Sulm fallen. Das kleine Rauschen und Glucksen des Flusses hört sich gut an. Die Sonne kommt kurz durch und beleuchtet auch das Blatt meines aufgeschlagenen Notizbuches. Um mein Gleichgewicht zu halten, hocke ich  angestrengt vorgebeugt. Ich huste. Mein Zahnfleisch rechts unten tut weh. Alle diese Scheiß Entzündungen in mir! Ein Hahn kräht, zweimal, dreimal – dann zähle ich nicht mehr. Rufende, schreiende Fußgängerinnen mit Hund oben am Weg. Sie haben mich nicht gesehen – glaube ich. Die vielen RadfahrerInnen sind leiser; nur das Knirschen ihrer Reifen auf dem Sand ist zu hören. Ich werde zurückgehen müssen; ich kann diese Körperhaltung nicht lange einnehmen. Mein Ausflug hierher war nur ein Teilerfolg. Immerhin: irgendwas davon wird mir bleiben.

Mühsam erhebe ich mich aus der verkrampften Haltung, nachdem ich Handy, Notizbuch, Pilotstift und Brille gut verstaut habe, wische mir am Hintern den Sand von der Hose und klettere mit den Armen das Gleichgewicht erfuchtelnd die steile Böschung zum Weg hinan. Ich gehe noch ein Stück weiter, um noch einen letzten Blick auf das Maisfeld dort, das in mir so starke, alte Gefühle hervorruft, zu werfen – weiß der Teufel, was sich da meine Seele wann und wo eingefangen hat – ich verstehe oft gar nichts – dann drehe ich mich um und gehe halbherzig zurück in Quartier.

 

(3.8.2024)

©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite