3740 Am Fluß
12:28. Die
Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt halb. Die Wolken am Himmel scheinen sich
aufzulösen und das helle Blau freizugeben, das immer dunkler wird, je länger
man in es hineinschaut. Der unvermeidliche, tägliche, fast permanente,
großmächtige Rasenmäher, der in verschiedenen Materialisierungen in den
verschiedenen Gärten zu verschiedenen, aber anscheinend aufeinander
abgestimmten Zeiten auftritt, genauso wie der großmächtige Verkehrslärm der
nahen und fernen Straßen. Die Katze an der Hausecke steht auf, streckt sich mit
Genuß und Gliederzittern, bevor sie sich wieder hinlegt; sie ist keine
Romantikerin, wie ich es auch nicht sein will. Windstill ist es. Die weite
Landschaft im Nordosten (34° NO genau) liegt unbekümmert ausgestreckt, aber das
meiste bleibt hinter Büschen und Bäumen verborgen. Mein Bergkräutertee –
gekauft, nicht gesammelt – hat jetzt zum Trinken die richtige Temperatur. Ich
darf über mein Leben nicht grübeln. Nein, das darf ich nicht. Die vergangenen
Nächte bin ich deswegen lange wach gelegen. Ich komme mir dann als der letzte
Nichtsnutz vor (das ist auch nur eine Variante von Selbstüberschätzung,
Größenwahn und Eigendünkel – der innere Kritiker). So lausche doch besser
gleichgültig aber interessiert auf das Tuckern des vorbeifahrenden Motorrades!
Konsequent und tief in jegliches Geräusch hineingehört ergibt unvermutete
Klangwelten. Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt dreiviertel. Das Motorrad
jetzt knattert in lauten, aber kleinen, ungesunden Explosionen. Wer stellt
eigentlich die Motorräder auf Elektromotor um? Die Wolkendecke reißt immer
stärker auf. Der neuerliche, unvermeidliche Auftritt eines Rasenmähers macht
mir erst bewußt, dass für ein paar Minuten Ruhe war. Ruhe von Rasenmähern,
nicht vom Verkehrslärm. Vor mir liegt
ein Zweiglein einer Eiche auf dem Asphalt, wohl gestern vom Wind abgerissen und
hingeworfen. Die fernen Hügel der Oststeiermark dort hinter der Ebene locken
mich, aber ich weiß: wäre ich dort, würde ich mich – in die Ferne blickend – nach hierher sehnen. Ich
werde wieder links hinunter zur Sulm steigen. Vielleicht kann ich am Fluß unten
anwesend sein. Die Kirchturmuhr von Frauenberg schlägt eins.
13:24. Nun
sitze ich unten auf einem großen Stein der Uferböschung der Sulm; alles scheint
vom Regen gestern Abend ausgeschwemmt und noch nass zu sein, auch der Stein,
auf dem ich etwas unbequem hocke. Vom fließenden und lichtglitzernden Wasser
wird mir ein wenig schwindlig; ich fürchte, die Balance zu verlieren und in den
Fluß zu stürzen. Mein Gott, ist diese Angst alt! Entspannt bin ich nicht. Ich
höre einen Specht im Gehölz am anderen Ufer klopfen. Meine aufgeriebenen Nerven
kann ich kaum beruhigen. Aber allmählich kehrt dann doch etwas Ruhe ein und
mein aufgescheuchter, ängstlicher Geist beschwichtigt sich. Ein grünes Blatt
sehe ich von einem Baum in die Sulm fallen. Das kleine Rauschen und Glucksen
des Flusses hört sich gut an. Die Sonne kommt kurz durch und beleuchtet auch
das Blatt meines aufgeschlagenen Notizbuches. Um mein Gleichgewicht zu halten,
hocke ich angestrengt vorgebeugt. Ich
huste. Mein Zahnfleisch rechts unten tut weh. Alle diese Scheiß Entzündungen in
mir! Ein Hahn kräht, zweimal, dreimal – dann zähle ich nicht mehr. Rufende,
schreiende Fußgängerinnen mit Hund oben am Weg. Sie haben mich nicht gesehen –
glaube ich. Die vielen RadfahrerInnen sind leiser; nur das Knirschen ihrer
Reifen auf dem Sand ist zu hören. Ich werde zurückgehen müssen; ich kann diese
Körperhaltung nicht lange einnehmen. Mein Ausflug hierher war nur ein
Teilerfolg. Immerhin: irgendwas davon wird mir bleiben.
Mühsam erhebe ich mich aus der verkrampften Haltung,
nachdem ich Handy, Notizbuch, Pilotstift und Brille gut verstaut habe, wische
mir am Hintern den Sand von der Hose und klettere mit den Armen das
Gleichgewicht erfuchtelnd die steile Böschung zum Weg hinan. Ich gehe noch ein
Stück weiter, um noch einen letzten Blick auf das Maisfeld dort, das in mir so
starke, alte Gefühle hervorruft, zu werfen – weiß der Teufel, was sich da meine
Seele wann und wo eingefangen hat – ich verstehe oft gar nichts – dann drehe
ich mich um und gehe halbherzig zurück in Quartier.
(3.8.2024)
©Peter Alois
Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com
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