Freitag, 16. August 2024

3751 Die kleine Wanderung

 



9:48 a.m. Was für eine schöne Wanderung! Von der Stadtgrenze zu Groß-Enzersdorf diesen schmalen Feldweg am Gestüt vorbei das Gebüsch entlang bis zum Hundeabrichteplatz und weiter zum Eberschüttwasser; die Erde am Weg ist hart wie Beton, mit vielen tief eingesunkenen Traktorspuren, nur an zwei Stellen gibt es noch Pfützen und Gatsch von der Feldberegnung, die erst vor kurzem beendet worden sein muß – nach dem Hundeplatz weitet sich der Weg zu einer Schotterstraße und dann den Rain hinunter zur Lacke, die Wiese im Schatten ist noch feucht vom Tau, wo ich dann gleich ins Wasser gegangen und ein wenig geschwommen bin, auch um mich für die bevorstehende Wanderung ein wenig abzukühlen. Die Flugzeuge nach Schwechat fliegen dröhnend und so tief, dass deren eines Schatten direkt über mich Schwimmenden gehuscht ist. Dann bin ich wieder weitergegangen, diese schönen Waldwege tiefer in die Lobau hinein und nun sitze ich auf einer Bank auf einer kleinen, offenen Lichtung, ein Rastplatz, der schon von der Stadt Wien betreut wird, denn die trockenen Wiesen sind gemäht und auf dem Tisch ist ein großes Schild montiert mit der Aufschrift „Müll eingepackt?“. Ich mag diese Pädagogisierung immer und überall nicht, aber sei’s drum! - das Anliegen teile ich. Ein Flugzeug nach dem anderen durchkreuzt ohrenbetäubend den blauen Himmelsausschnitt, den die Bäume freigeben. Eine Fliege summt, und als sie weg ist, merke ich erst, wie meine Ohren laut und schrill surren. Ja, und eine leichte Brise durchstreift ganz rücksichtsvoll und zart Gebüsch und Bäume. Irgendwo hinter der Baumgruppe da vorn muß das wahre Leben sein; das Flirren der Hitze in der Luft zeigt an, dass die Energien schon am Vibrieren sind und eine vorbeisausende Libelle bestätigt es (auf ihnen reiten ja die Feen). Aber vielleicht ist es hinter der anderen Baumgruppe dort, oder hinter der hinter mir. Ich bin ganz nahe dran, ganz nahe! … Ich blicke mich noch um, dann werde ich weitergehen.

10:32 a.m. Ich liebe die Lobau, 46 Jahre durchstreife ich sie schon, manchmal mehr, manchmal weniger. Diese flache, ausgestreckte Landschaft, mit ihren Feldern, Wiesen und Wäldern, stellenweise fast savannenartig, trocken, der Sonne preisgegeben, dann gehen die Wege durch kleine Wäldchen, im Schatten von Baumgruppen, am Rande von Lichtungen oder mitten hindurch, begrenzt von Gebüsch, an inzwischen verwachsenen Bombentrichtern aus dem Krieg vorbei, zeitweise unter riesigen Bäumen. Man geht also der schon früh heißen Sonne ausgesetzt, kommt dann ins Schattige, spürt sofort die Veränderung auf der Haut, die Luft ist kühler und feuchter, der Boden ein wenig feucht, dann tritt man wieder ins Freie hinaus, trockener, heißer die Luft, fast erstarrt in der Hitze, oder wie soeben am großen Föhrenwald vorbei und an langen Reihen von Weißdornbüschen, die schon ihre roten Früchte tragen (an einer habe ich mich bedient), durchmischt mit anderen Büschen, die ich nicht kenne. Die Flugzeuge dröhnen, eines nach dem andern, ist eines verrauscht, kann eine kurze Stille sein, aber meistens setzt sofort ein neues mit seinem Rauschen und Dröhnen ein. Ich raste auf einer schattigen Bank, etwas abseits von der Fahrradroute, eine wenig im Gebüsch versteckt und betrachte den Wald mit den Riesenpappeln etwa hundert Meter vor mir, die so still und beeindruckend aufragen, wie eine Wand, ich frage mich, ob die etwas Bedrohliches verbergen. Dabei ignoriere ich die herumliegenden Papiertaschentücher, die mir zeigen, dass diese Stelle gerne als Toilette benutzt wird (zu faul, noch ein paar Schritte weiter in den Wald zu gehen). Eine Krähe ruft zweimal. Soeben verrauscht wieder ein Flugzeug, das Dröhnen ist nur mehr leise, kommt nur mehr in schwankenden Schallwellen an, aber da kommt schon das nächste Flugzeug heran und übernimmt die Lärmstafette. Ich lasse mir jedoch davon nicht die Wanderung verderben und nicht davon abhalten, diesen Sommertag mit seinem Hitzeflimmern in mich aufzunehmen, wie auch das zitternde, blinkende Pappellaub, die erschöpft hingestreckte Landschaft, die Momente der Stille, die kulminierende Hitze (im Atelier, wo ich das eintippe, hat es knapp über 31°C – der Tipper), die auf ihre Klimax zusteuert, wie die Sonne auf ihren Zenit, gleich kippt alles, bald ist die Membran durchbrochen, bald öffnen sich Geist und Sinne und alles wird aufgehen.

11:22 a.m. Wenn man die verbotenen Wege geht – es werden immer mehr Wege abgesperrt, mit quergelegten Baumstämmen und Ästen unpassierbar gemacht – kann man durch Dickicht gehen, verwachsen fast wie in einem Dschungel, wo mir fast die Angst aufsteigt, mich zu verirren – was absurd ist, denn ich kenne diesen einen Weg, den ich jetzt gegangen bin, schon seit 46 Jahren - damals war der Weg noch völlig offen und zugänglich - und hier in der Lobau kommt man immer irgendwann auf einen offenen, offiziellen Weg. Dann bin wieder eine bequeme Schotterstraße weitergegangen (eine Fahrradroute) und dann die asphaltierte Vorwerkstraße weitergewandert. Dort halte ich Rast und ich stelle fest: viele Radfahrer sind extrem laut, schreien schamlos herum, da merkt man, wie alles Gerät, alle Maschinen von der „Natur“ entfernen, sie abtrennen, sie weniger spürbar machen, Distanz schaffen zu dem Erdboden, worauf wir wandeln, wir gehen nicht mehr auf der Erde, sondern wir machen Sport, wir haben ein abstraktes Ziel, das aber keineswegs über das Irdische hinausweist, sondern nur auf unsere Vorstellungen und Programme. Wenn ich auf meinen Wanderungen nicht im Hier und Jetzt bin, dann bin ich wenigstens bloß in meinen Gedanken und kann wieder zurück.

Dann bin ich wieder weitergegangen, überquere barfuß den fast trockenen Fasangartenarm, gehe weiter zur Dechantlacke, ziehe mich nackt aus und steige ins Wasser. Ich schwimme nicht lange, genieße das Wasser und diesen Platz jedoch sehr. Ohne mich abzutrocknen ziehe ich mich wieder an und mache mich auf den Heimweg.


(16.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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