Dienstag, 13. August 2024

3747 Weinerlich in der Albertina

 



11:23 a.m. Ich sitze in der Albertina vor der Werefkin, hier erholen sich Auge, Geist und Seele. Der Weg hierher war … schwer. Nein, der Weg war, wie er halt ist; nein, mir war schwer ums Herz. Ich bin wirklich weinerlich unterwegs und dieses Etikette mag ich gar nicht. Und heiß war es auch. Ist es echt, was ich da vor den zwei Bildern aufführe? Empfinde ich es wirklich oder rede ich es mir nur ein? Ich mißtraue mir bis zum Gehtnichtmehr.

Hier in der Albertina sind Massen unterwegs. Ich schaffe es jedoch nicht, irgendetwas ordentlich zu beschreiben, weder Bilder noch Besucher. Die zwei Bilder. Verschwitzt bin ich. Die Unruhe im Raum ist sehr groß (ich beschwere mich nicht!). Einen Blick werfe ich nach rechts zum Jawlensky. Die Werefkin-Bilder: beide zeigen eine Nacht, das eine den Wald, das andere eine Bar, innen und vorm Eingang hell erleuchtet, aber dahinter tobt ein Sturm und biegt die Bäume. Und der Nachtschwärmer im Wald, das undefinierbare, scheue und gefährliche Raubtier in Hundegröße. Hier ist es Winter, bei der Bar Herbst oder Spätwinter (kein Schnee). Ach, die leuchtenden Berge von Jawlensky! Wie gesagt: heute bin ich weinerlich.

Danke Universum! Ich habe bei meinen Lieblingsbildern trotz großen Andrangs einen Sitzplatz mit guter Sicht gefunden. So schaue ich nun auf Kokoschkas London und Dresden. In diesem London sehe ich immer ein säkulares himmlisches Jerusalem, eine verklärte Stadt, die schon nicht mehr nur dem Irdischen angehört, und in Dresden (1923) die drohende Katastrophe gut 20 Jahre später.

Ich starre in des Londoner Licht und warte auf Erlösung. Vom Bildhintergrund kommt das Licht heran und ich hoffe, dass es über das Bild hinausströmt und auch mich erfaßt und auflöst und mitnimmt. Wie gesagt: heute bin ich weinerlich unterwegs. Die GötterInnen sorgen dafür, dass ich meistens freien Blick auf die zwei Bilder habe, trotz des großen Andrangs (und bei einem Betrachter vor „London“ habe ich in seinen Augen Überraschung und Begeisterung gesehen).

Ich schäme mich, dass ich die Bilder so schamlos für meinen Psychogebrauch zu seelischer Egoaufgeblasenheit und pseudosensibler Aufgewühltheit mißbrauche. Ich glaube mir gar nichts mehr! Ach Dresden! Bist du die andere Seite der Londonmedaille, die kommende Katastrophe, die ich beiseite schiebe? Wenn die Auflösung ins Licht nicht gelingt, kommt das tödliche, gnadenlose Bombardement? Ich gehe weiter (ist mir schon fad? Oder halte ich die starken Empfindungen nicht aus?). Plötzlich ist der Saal ziemlich leer. Ich verhehle auch nicht, dass viele sommerlich gekleidete Frauen durch mein Gesichtsfeld gegangen, flaniert und getanzt sind, und weil ich sitze, habe ich gerade deren Zentralbereich in Augenhöhe. So einigermaßen habe ich meine Bildkonzentration halten können (ich beschwere mich nicht!). Also jetzt gehe ich weiter. Zum Klee.

Zum Klee beim depperten Kardinal. Die „versandete Siedlung“ gefällt mir sehr. Sie ist neu hier. Nun sitze ich auf der Bank vorm Kardinal und dem großen Spiegel, und mich darin ein wenig zu betrachten, kann ich mich nicht enthalten. Mit dem neulich geschorenen Kopf wirkt die leichte Schirmmütze zu groß und der Ganze als eine traurige Gestalt im Gegenlicht, denn das große Fenster ist hinter mir. Warum habe ich meine langen Haare geopfert? Nur wegen der Hitze? Oder aus Autoaggression (Adel: lange Haare; Leibeigener: geschert)?

Ich seufze, mein Herz ist schwer, ich werde wohl weitergehen. Aber noch raste ich, oder mache ich bloß auf erschöpft? (Ich glaube mir nichts mehr.) Die vielen Leute in dem schmalen Gang machen mich nervös (ich beschwere mich nicht!). Noch einmal einen Blick auf die „versandete Siedlung“. Und auf die schöne „Landschaft zwischen Winter und Frühling“. (Nach meinem Winter kommt kein Frühling mehr.)

Die letzte Motesiczky ist weg! Zu Gunsten fragwürdiger Bilder, wahrscheinlich speziell für russische Besucher. Schade! Gut, die Albertina muß halt auch aufs Geschäft schauen und die Massen befriedigen. Und die verschiedenen Teile ihrer Schätze zeigen. Trotzdem: schade um diese sensiblen Bilder („der Arbeiter“ und „Kröpfelweg“)! Auch das Giacometti-Dorf fehlt mir sehr. Aber auf mich kommt es nicht an. Wieso auch!



(13.8.2024) 


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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