Freitag, 30. August 2024

3763 St. Ulrich platzt

 



10:34 a.m. „Dancing in The Street“, während ich drinnen im Lokal sitze und auf mein zweites Frühstück warte. Ich bin auf Luxus unterwegs, nachdem mir heute keine Zähne gezogen wurden. Die Radioberieselungsmusik aus dem Mainstream der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts – sicher remastered – beginnt mich zu nerven: natürlich ruft es die erwartungsvollen Gefühle und zukunftsreichen Hoffnungen von mir Teenager damals wieder auf, aber erstens war das meiste davon nicht meine Lieblingsmusik und zweitens: wo es mich berührt, rührt es auch den Schmerz auf, den Schmerz damals als verklemmter Jüngling, dessen Lebensentfaltung sozusagen im psychischen Rollstuhl gesessen ist, und dann den Schmerz heute über die unerfüllten Hoffnungen und das nicht gelebte Leben. Aber das bestellte Frühstück, wenn es denn kommt, wird mich trösten. Die Hits sind wirklich die Hits vom Beginn meiner Popmusikzeit. Einige unbekannte Stücke, die ich nicht zuordnen kann, sind auch unter denen, die aus den Boxen kommen (B-Seiten zB.?).

Bestellungsstau. „Ich warte“ scheint mein Lebensmotto zu sein – ob freiwillig oder so reingerutscht.

11:59 a.m. Der Kaffee wirkt. Nach der anfänglich aufmunternden Wirkung stellen sich nun innere Aufregung, Herzklopfen und Unruhe ein. Eine Frau wickelt das Laptopkabel aus und steckt es an. Meine Schrift ist von so dunklem Blau, dass ich es kaum vom Schwarz unterscheiden kann. Aber das ist überhaupt nicht wichtig. Von draußen schallt es herein, als würde eine in die Hundert gehende, italienische Touristinnengruppe da irgendwo versammelt sich austauschen; sehen kann ich sie nicht. Ich nehme mir trotz innerer Unruhe vor, mir viel Zeit zu lassen. Ein bisschen Blut im Taschentuch aus der Nase. Das kommt mir gelegen, diesen faden Text etwas aufzupeppen. Blut ist immerhin ein besonderer Saft. Übrigens: weil alle vom Kicklzitat sprechen: „Dein Wille geschehe“ heißt es im Vaterunser, nicht „euer Wille“ – und das ist ein großer Unterschied. Denn wenn der selbsternannte „Volkskanzler“ mit Hilfe seines Mobs loslegt – und der ist mit „euer“ gemeint – kann es nur Zerstörung und verbrannte Erde geben.

Ich lasse das Thema wieder. Ich will meinen melancholisch-faden Text nicht zerstören: ich will an Schwermut sterben, nicht aus politischer Aufregung.

Jetzt wird es Zeit, ein paar Schritte zu machen, um mich draußen in der Hitze abzukühlen. Am 13A lese ich statt „Alser Straße“ als Fahrziel: „Ausseer Straße“ – es wird wirklich Zeit, dass ich nach Hause komme. Bei der Haltestelle „St.Ulrich Pplatzt“ warte ich doch auf den Bus, denn ich will die Schattenseite nicht verlassen.

Das innere Erlebnis als Krieg (er wird halt auch nicht jünger, sondern älter – der innere Spötter).


(30.8.2024)


©Peter Alois Rumpf August 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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