„Wundertäter! Hör einmal, Alter! Was meckerst du die ganze
Zeit herum?! Dein Leben wäre nicht gut verlaufen? Spinnst du?!
Du hast in deiner Kindheit einen guten Grundstock gelegt
bekommen, als du Ministrant wurdest und dabei in die religiöse Welt eingetreten
bist und andächtig den Gottesdiensten beigewohnt und zum Beispiel die
„Bubenweisheit“ immer wieder gelesen hast. Da wurde deine Nase genau in die Richtung
gedreht, die dich interessiert, nämlich in Richtung Transzendenz. Dieser Spur
folgst du bis heute. Im Zuge dessen hast du dir als Kind ganz allein deine
Neigung, in Tagträume zu flüchten, abgewöhnt, in einem tapferen, konsequenten,
klug und mit Geduld, ohne Fanatismus geführten wochenlangen Kampf – ohne jede
Hilfe von außen, ganz für dich allein. Einfach indem du immer dann, wenn du merktest, vor allem vorm Einschlafen, daß du in Phantasien abgleitest, zu dir "nein" sagtest und dich so wieder in die Gegenwart zurückgeholt hast. Eine reife Leistung in dem Alter!
Du durftest trotz Widerstandes des Volksschuldirektors und mit Unterstützung einer Lehrerin bei deinen Eltern aufs Gymnasium gehen.
Damit es nicht zu eng und starr wird, wurde dir die Popmusik
serviert mit allem Drum und Dran und du hast via Musicbox gut angebissen.
Du hast dann beim Studieren die interessantesten Leute
kennen gelernt, vor allem unter den Studenten, die deinem Denken und deiner
Artikulation entscheidende Impulse gegeben haben in unzähligen Diskussionen und
Gesprächen in den Wohngemeinschaften oder in der Mensa oder beim Kodolitsch und
dabei Kant, Hölderlin, Freud, Heidegger, Wittgenstein, Marx, Berger – Luckman
und viele andere kennengelernt – ich kann sie nicht alle aufzählen. Sie haben
dir alle geholfen, dich aus den geistigen Selbstverständlichkeiten deiner
Kindheit zu lösen und deinen Horizont entscheidend zu erweitern. Du hast von
einem betrunkenen, bekannten Universitätsprofessor und Literaten einen realen
Tritt in den Hintern bekommen.
Du hast es ausgehalten, alles hinzuschmeißen und aus der
Kirche auszutreten und ganz andere Wege zu gehen. Du hast dich unter dem
Einfluß von und in intensiven Diskussionen mit feministischen Studentinnen mit dem Thema Unterdrückung der
Frau gründlich auseinandergesetzt, anfangs ganz naiv, dann immer verständiger.
Du warst der Mitbegründer der – soweit wir wissen – ersten Männergruppe in
Österreich.
Du hast dich dem Rausch hingegeben, seine Freuden und Leiden
ausgekostet, dabei in besonderen Momenten die Hingabe des Ich an die Liebe zu
Menschen und Welt empfunden und bist doch wieder davon weggekommen.
Du hast ein paar zum Teil unbedankte kleine „Heldentaten“
vollbracht (ich erinnere mich nur an eine!) (Naja, zwei) und du hast ein paar
mutige, zum Teil richtige Aktionen durchgezogen – mit anderen und alleine.
Du hast es geschafft, dich tapfer aus dieser Szene zu lösen
und wegzugehen, als es für dich nimmer gepaßt hat – wenn auch mit ein paar
absurden Begleiterscheinungen.
Du bist trotz ursprünglicher Abwehr, aber in wacher
Aufmerksamkeit – fast könnte man sagen über ein Omen – auf die Bücher
Castanedas gestoßen, die dir endlich „deine“ Welt eröffnet haben, die für dich
immer noch die beste Erklärung des Daseins, der Welt und des Menschen darin
bieten, die du kennst, und die dich letztlich wirklich mit deiner christlichen
Kindheit neu verbunden haben.
Du hast es riskiert, etwas ganz anderes zu probieren, trotz
all deiner Angst davor. Auch wenn das gescheitert ist – es war eine Erfahrung
und du kannst seitdem bis heute gut mit einer Handsäge sägen.
Du hast dich durchs Leben geschlängelt und bist trotz aller
Widrigkeiten durchgekommen. Du hast dich in dir ganz fremden Arbeitswelten
bewegt und es ausgehalten. Du hat überhaupt viel, viel Angst ausgehalten.
Lebensangst und Existenzangst. Ich weiß, oft so starke Angst, daß du überhaupt
nicht mehr weiter wußtest und du im Bett verkrümmt seitlich eingerollt
gezittert hast. Du hattest dann beschlossen, dich auf den Rücken zu legen und
dich deiner Angst zustellen und hast das geschafft.
Du hast Armut ausgehalten und einige beinahe ungeheizte
Winter - runter bis acht Grad in der ärmlichen Wohnung – und hast trotzdem eine
Ausstrahlung gehabt, daß dich keiner als Sandler angesehen hat. Du hast nach
einem Zeckenbiß vierzig Grad Fieber
alleine und ohne Arzt durchgestanden, weil du keine Krankenversicherung
hattest.
Du hast Phasen der unfreiwilligen, aber schließlich
akzeptierten Keuschheit mit der mit ihr einhergehenden Intensität an Welt- und
Transzendenzerfahrung genießen können, aber auch Phasen intensiver sexueller
Aktivität und rauschhafter Abenteuer von größter Intensität mit allen Freuden
und Schmerzen.
Du hast die Astrologie gelernt bei einem Lehrer, der ein
„Genie ist, wie es nur alle zweitausend Jahre gibt“ und dabei ungeheuer viel an
Erkenntnis aufgenommen und hast es an einem 15.9. geschafft, astrologisch
auszurechnen, wo am 16.9. in Wien neue Baustellen aufgemacht werden werden und
es auch überprüft. Du hast dich auf diesen Lehrer ganz eingelassen und dich
schließlich im härtesten, zähesten inneren Kampf deines Lebens wieder von ihm und seinem Sog gelöst.
Du hast schon früh die Musik kennen und lieben gelernt, zum
Teil von wirklich kompetenten Begleitern, zum Teil ganz allein. Jemand hat dir
einfach so seine ganze Plattensammlung geschenkt (Danke!). Du hast Bach,
Barock, alte Musik, Klassik, Pop, ein wenig Jazz, Lieder, Volksmusik aus aller
Welt und vieles anderes mehr kennengelernt, den Bela Bartok schon in deiner Kindheit und hast das Revolutionary Ensemble
live erlebt – du bist erfüllt und komplett ergriffen dagestanden, von einer
Intensität erfüllt, wie man sie nur selten erlebt. Oder das Art Ensemble of
Chicago, die ihre Konzerte mit einer Minute absoluter Stille und konzentrierter
Versenkung begonnen haben. Und viele, viele andere! Du bist da immer wieder auf
die tollsten Sachen gestoßen und ich möchte schon sagen – du hast dir einen
erlesenen Musikgeschmack geschaffen.
Und was du alles gelesen hast! Literatur,
Wissenschaftliches, Philosophisches, Psychologisches, - ach, alles kann ich gar
nicht aufzählen – Verstandenes und Unverstandenes. In deiner ärmsten
Lebensphase hast du trotzdem ein Buch über den Nominalismusstreit an der
Pariser Universität im 14. und 15. Jahrhundert, weil es da um die Entwicklung
des modernen Realitätsbegriffs geht und dir das wichtig war, gekauft, obwohl es
siebenhundert Schilling gekostet hat; wirklich vom Mund abgespart.
Du hast dich auf die Kunst eingelassen, tolle Filme gesehen,
die wirklich den Geist einer Epoche einfangen, ausdrücken und transzendieren.
Tanz, Performance. Die bildende Kunst, hast Max Weiler persönlich gesehen. Du
hast dich regelrecht verführen lassen, selber zu malen und zu zeichnen, warst
bei der interessantesten Künstlergruppe deiner Stadt zu dieser Zeit dabei und
hast dort einiges gemacht, riskiert; hast da deine Bilder und Zeichnungen
ausgestellt, ein Konzert veranstaltet, dich dort selber zehn Tage in ein Gehege
gesperrt und bist auch wieder rechtzeitig von der Gruppe weggegangen. Du bist
in drei, vier Jahren vom Anfänger zum in der Szene doch nicht ganz unbekannten
Künstler avanciert, mit einigen Ausstellungen im In- und Ausland, Kritiken in
Zeitungen und einer kleinen, kurzen Besprechung im Kunstforum und einem
nachgeworfenen Parisstipendium. Du warst auf mehreren Malerwochen eingeladen, und auf einer hast du solch herrliche Performances hingelegt, daß die Teilnehmer und Innen drei Wochen durchgelacht haben und sich der Kulturreferent des Landes gewundert hat, wie du in seiner Anwesenheit in einen Mistkübel geköpfelt bist.
Es gab interessante Aktionen, an denen du aktiv
mitgearbeitet hast und eine hast du selber initiiert.
Du hast es geschafft – durch einen Impuls von außen angestoßen
– dein abgebrochenes Studium in einem schwierigen Alter und unter schwierigen
Bedingungen abzuschließen und dabei wieder in die katholische Kirche
einzutreten. Du hast es ertragen können, daß dir dein Studienabschluß in
irdischer Hinsicht nichts gebracht hat – du hast schon kurz vorm Abschluß
gewußt, daß er dir nichts bringen wird (außer, daß du jetzt mit Mag. Josef
Wundertäter unterschreiben kannst) – und bist an der Enttäuschung darüber nicht
zerbrochen. Du hast „tapfer gegen das eigene Empfinden“ (W.D.) ankämpfend
versucht, in der Kirche wieder heimisch zu werden, du hast nicht gleich
aufgegeben und die Unmöglichkeit dann doch demütig akzeptiert.
Du hast in deinen späteren Lebensjahren noch ein treues Weib
gefunden, das dich liebt, und durftest - trotz allem vorher - nach den Freuden der Zeugung deiner
Kinder auch ihre Geburten mit bis zur Trance gesteigerter Intensität als
wahrhaft magische Momente erleben. Du konntest deinen Kindern beim Aufwachsen
zuschauen, sie dabei begleiten und genießen und die Freuden und Herausforderungen der Vaterschaft
erfahren. Du konntest die Schwierigkeiten und Freuden einer im Alltag sich
bewährenden Ehe erleben, ihre Herausforderungen, Krisen, Glücksmomente und hast
ihre Weiterentwicklung und das Vertiefen und Wachsen eurer Liebe erfahren
dürfen, bis dahin, daß sie sich als Basislager für eure Lebensreise bewährt und
den beiden Wandernden und Gefährten sowohl Schutz als auch Anregung zur
Weiterentwicklung der Persönlichkeit und Ermutigung und zahlreiche glückliche,
erfüllte Momente schenkt.
Du hast bei „denen drüben“ schon einmal reingeschaut und
hast dem immensen Druck dort in deren Welt standgehalten und dich nicht
aufgelöst und bist wieder heil - wenn auch an zwei – zugegeben, nicht weit
auseinanderliegenden - Orten zugleich -
zurückgekommen und hast instinktiv gewußt, wie du das wieder hinkriegen kannst.
Du hast mit weit über Fünfzig noch eine bescheidene, aber
doch eine Anstellung gefunden, womit du überhaupt nicht mehr rechnen konntest
und hast dann noch – auch das hast du dir überhaupt nicht vorstellen können –
das Schreiben für dich entdeckt.
Was noch? Was habe ich vergessen? Du hast einem dichtenden
„Bauer“ (oder einem bäurischen Dichter) in deiner Jugend auf seiner Party die
einzige zu diesem Zeitpunkt anwesende Frau entführt.
Du bist vor Jahren auf die magischen Bewegungen gestoßen und
hast heute entdeckt, daß man die auch barfuß am groben Atelierboden üben kann.
Du hast in deinem Leben gelernt, herzhaft über dich zu
lachen, wenn schon nicht immer gleich, so doch in einem gewissen Abstand.
Du hast dich trotz eher schwacher Stimme – eine freundliche
Anregung aufnehmend - getraut, in einem kleinen russisch-orthodoxen Kirchenchor zu singen, und
dabei wunderschöne Momente von beinah mystischer Dimension erlebt.
Alter! Dein Leben ist randvoll und reich! Und du weißt, da fehlt noch
viel in meiner Aufzählung. Freund! Hör auf mit dem Jammern, du Wundertäter ohne
Wunder!“
Wundertäter: „Hör auf, so einseitig zu reden. Sonst werden
die Götter noch eifersüchtig!“
(23./24.11.2016)
©Peter Alois Rumpf November 2016
peteraloisrumpf@gmail.com