Dienstag, 22. November 2016

512 Rudimentäre Literaturkritik

Ach! Mein Leben kommt mir so sinnlos vor
was hab' ich schon Wildes getrieben
die meiste Zeit über war ich verschreckt
da ist nicht viel über geblieben

(J. Fischamend; Mein Leben)


Au weh! Sehr „riskant“ vom Herrn Fischamend, die Strophe mit „Ach!“ zu beginnen. Ist das dichterische Impotenz oder Chuzpe? Beides wahrscheinlich.

Egal! Es paßt mir nur der Gedanke, daß ein nicht gelebtes Leben als sinnlos empfunden wird. Ansonsten geht mich das Ganze nichts an.

Wie großartig das jedoch Dylan Thomas ausdrückt:

Ich sehne mich fortzugehen
vom Geklapper verbrauchter Lügen,
vom Geschrei alter Ängste,
das schrecklicher wird, wenn der Tag
über die Berge schwindet ins Meer …

Ich sehne mich fortzugehen, aber ich fürchte,
etwas vom unverbrauchten Leben wird bersten
aus alten, am Boden brennenden Lügen,
die in der Luft explodieren und mich fast blenden.

(Dylan Thomas; zitiert nach Carlos Castaneda; Die Kunst des Träumens, S 206)


Wie ich überhaupt den bei Castaneda zitierten Gedichten und Dichtern immer nachgegangen bin. So habe ich auch Juan Ramon Jimenez für mich entdeckt – jetzt ganz oben auf der Liste meiner Lieblingsdichter -  so wunderbare Gedichte! Zum Beispiel:

Bin ich es, der nachts
durch mein Zimmer wandert, oder der Bettler,
der durch meinen Garten schlich
in der Abenddämmerung?

Ich sehe mich um
und finde, daß alles noch
gleich ist, und ist doch nicht gleich …
War das Fenster offen?
War ich nicht eben eingeschlafen?

War der Garten nicht blaß-grün? …
Der Himmel war klar und blau …
Und da sind Wolken
und es ist windig
und der Garten ist dunkel und traurig.

Ich glaube, mein Haar war schwarz …
Ich war gekleidet in Grau …
Und mein Haar ist grau
und ich bin gekleidet in Schwarz …
Ist dies mein Gang?
Hat diese Stimme, die nun in mir hallt,
noch den Rhythmus der Stimme, die ich einmal hatte?
Und bin ich ich selbst, oder bin ich der Bettler,
der durch meinen Garten schlich
in der Abenddämmerung?

Ich sehe mich um …
Da sind Wolken, und es ist windig …
Der Garten ist dunkel und traurig …

Ich komme und gehe … Ist es nicht wahr,
daß ich bereits eingeschlafen war?
Mein Haar ist grau … Und alles ist
gleich und doch nicht mehr gleich ...


(Juan Ramon Jimenez; zitiert nach Carlos Castaneda; Die Kraft der Stille, S 61f)

Und sein wunderbarer „Platero“ ist der sicherlich keine Kindergeschichte.

Das sind wirkliche Dichter!

Gut. Das genügt als heutige Abendbetrachtung. Die Bibel könnte ich noch zitieren, das Gleichnis von den Talenten. Der sie vor Angst vergräbt wird hinausgeworfen, wo „Heulen und Zähneknirschen herrscht“.


Ich komme aus einer kleinen Welt
Ihr könnt mich gerne verlachen
Ich habe mich nicht dagegen gestellt
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(J. Fischamend)


Das ist erbärmlich! Außerdem viel zu viel „ich“!





(21./22.11.2016)














©Peter Alois Rumpf    November 2016    peteraloisrumpf@gmail.com

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