507 Ich bin in der Realität angekommen
Die Katzen kratzen an der Zimmertür. Sie wollen herein.
Mühsam stehe ich auf und öffne die Tür.
Die Augen fallen mir immer wieder zu. Schaue ich herum, ist
mein Blick verschwommen und die Welt, die ich sehe, von Vibrieren und Flimmern
unterlegt. Und am Rand wird mein Gesichtsfeld dunkel.
Halte ich die Augen geschlossen, sehe ich Muster und
Lichtfelder im Dunkel, die aussehen wie die neuesten Darstellungen des
Weltalls. Kurzfristig. Dann werden die Muster unbeschreibbar, mit schwachen
Lichtbalken, geometrischen Formen, die ich nicht benennen kann. Jetzt kommen
mir die Muster dunkel vor vor einem helleren Hintergrund – das Ganze ist
gekippt. Und nun wieder zurückgekippt.
Jetzt ist mir der Kugelschreiber aus der Hand gefallen,
meine Hand hat die Kraft verlassen. (Wer verläßt wen? Die Kraft die Hand, oder
die Hand die Kraft?)
Jetzt fällt mit etwas Beschämendes ein und ich werde rot,
ganz für mich allein rot. Wie konnte ich nur so unsensibel sein! Damals. Ich
war der Rolle und der Verantwortung, die sie mit sich brachte, überhaupt nicht
gewachsen. Ein kindischer Blindgänger war ich!
Die geschlossenen Augen sehen jetzt eine ruhige,
undramatische Fläche. Ich strecke die Beine aus und lege Notizbuch und Stift
auf meinen Schoß. Genauer gesagt: auf meinen ehemaligen Schoß, den der ist - wie gerade noch vorhin - die „die beim
Sitzen durch Unterleib und Oberschenkel gebildete Körperzone“ (Wikipedia).
Mir fällt ein, daß es viele solche Blindgänger gibt.
Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich am Rande des
Gesichtsfeldes sich etwas bewegen, aber nur für einen kurzen Moment. Kurz
leuchtet das Blatt des Notizbuches auf, als hätte es eine eigene Strahlung.
Das Heulen und Burren irgendwelcher Geräte alarmiert mich
sehr. Ich fürchte es sind Motorsägen, die über die Bäume im Hof gehen. Ich
beruhige mich mit dem Gedanken, daß es eher nach Laubgebläse klingt und die
Bäume nicht beschnitten werden. Ich erinnere mich, wie gerne ich bei einem
früheren Job das Laub gerecht habe. So eine schöne, ruhige, meditative Arbeit.
Aber das hat in unserer optimierten Welt keinen Platz mehr.
Ich stelle fest: ich bin in der Realität angekommen.
Aufstehen.
©Peter Alois Rumpf November
2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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