Ich lagere an einem sanften, langen Hang, der sich noch dazu
einsenkt und mir den Blick auf ein liebliches, weites Tal freigibt, auf Wiesen
und Felder, Äcker und Wälder. Die Straße ist so weit entfernt, daß ich sie
nicht hören muß. Ich höre nur den Wind, der ständig mein Notizbuch nach vor
blättern will, die Rotoren der Windräder dreht, die Gräser zuckeln und die
dürren Halme ruckeln läßt, der die Kronen der Büsche und Bäume wiegt und Wellen
durch die Getreidefelder treibt. Ab und zu ein Vogelruf, das Gebrumm und Surren
einzelner Insekten.
Der Wind läßt wieder nach. Die Sonne brennt mir in den
Nacken, Nord-Ost dürfte meine Blickrichtung sein. Ein rotbrauner Falke rüttelt
und der Bibabutzemann schüttelt sich.
Der Himmel ist wolkenlos, nur ganz dünne Schleier ziehen so
unauffällig, daß ich mich manchmal frage, ob sie nicht eine optische Täuschung
sind. Macht nichts! Die sind mir genauso recht wie optimistische Täuschungen.
Links von mir auf dem Hügel schaut es nach einem verlassenen
und verwilderten Obstgarten von eindrucksvoller Schönheit aus, ein Hase hoppelt
die Böschung hinauf.
Der Wind, der wieder stärker wird, mischt die Gesellschaft
da munter auf, fast alle tanzen, nur ein toter Baum steht still und starr.
Die Häuser der Dörfer und verstreuten Siedlungen – Gottlob
weit genug weg, sodaß sie nicht bedrohlich sind, nur Flecken in einem Gemälde,
nicht häßlich, sogar beruhigen, die mit den Wiesen und Äckern das Tal kultiviert
und lieblich erscheinen lassen. Weit genug weg, daß ich die verstörten Kinder
und geschlagenen Frauen, die verdrängten Männer, die Generationenkonflikte und
Erbstreitigkeiten, die Korruption und Bandenkriege, die Firmen- und
Familientragödien, die Verlogen- und Blindheiten, den unterschwelligen Hass und
das alles nicht wahrnehmen muß.
Der Wind fährt mir fast zornig ins Gesicht. Bin ich ihm zu
überheblich? Zu frech? Zu unbescheiden? Steht es mir nicht zu, vor den Menschen
und den Dörfern Angst zu haben? Lüge ich mit diesen Behauptungen? Habe ich hier
in der Einsamkeit meinen Kopf nicht tief genug eingezogen? Egal! Ich weide
meine Augen.
Der Wind legt sich, ich höre nun eine Straße, aber die muß
hinter dem linken Hügel sein.
Der Falke stürzt sich auf die Beute, der Wind, wieder
erstarkt, reißt mir die Kappe vom Kopf.
Flatterndes Rauschen, die Böe kommt auf mich zugerast, ich
sehe sie im Gras heranjagen.
Windräder gibt es hier so viele, daß sie nicht mehr stören.
Sie haben sich das Recht ihrer Anwesenheit erobert und bilden bereits eine
eigene Szenerie. Das Drehen und Verharren ihrer Rotoren wurde schon ein
stilles, poetisches, elegisches und eindrucksvolles Schauspiel.
Der Kuckuck ruft und ich schüttle meine Geldbörse und lasse
die wenigen Münzen scheppern. Grüß dich, Sonne! Grüß dich, Uranus!
Mir kommt vor, der Wind fordert mich auf, weiterzugehen.
Nun hocke ich mitten in einer flachen Wiese, mitten unter
einer Hochspannungsleitung und ganz leise höre ich ihr Dröhnen. Grillen und
Vögel höre ich, ein Auto von der näheren Straße. Ich denke, der Wind wird mich
gleich forttreiben.
Obwohl mir so mitten in der offenen Wiese ohne Schutz im
Rücken unwohl ist, lege ich mich hin und strecke mich aus. Anfangs unsicher
bleibe ich so – den möglichen Winden und Wettern, Blicken und Angriffen
ausgesetzt - dennoch am Rücken liegen, schau zu den verhalten und beherrscht
schwankenden Kabeln der Hochspannungsleitung hinauf und lausche auf ihr
abwechselnd ab- und anschwellendes Dröhnen. Wenn es mit dem Wind ganz stark
wird, ist es zwar sehr laut, aber das Erschreckendere sind seine vibrierende
Tiefe und Fülle. Ein Dröhnen, das mir durch Mark und Bein geht, mit dem Wind
herumfährt und ein Luftbeben erzeugt.
Jetzt gehe ich weiter.
(7./9.5.2020)
©Peter Alois Rumpf, Mai 2020
peteraloisrumpf@gmail.com