Samstag, 9. Mai 2020

1827 Der Ausflug


Ich lagere an einem sanften, langen Hang, der sich noch dazu einsenkt und mir den Blick auf ein liebliches, weites Tal freigibt, auf Wiesen und Felder, Äcker und Wälder. Die Straße ist so weit entfernt, daß ich sie nicht hören muß. Ich höre nur den Wind, der ständig mein Notizbuch nach vor blättern will, die Rotoren der Windräder dreht, die Gräser zuckeln und die dürren Halme ruckeln läßt, der die Kronen der Büsche und Bäume wiegt und Wellen durch die Getreidefelder treibt. Ab und zu ein Vogelruf, das Gebrumm und Surren einzelner Insekten.

Der Wind läßt wieder nach. Die Sonne brennt mir in den Nacken, Nord-Ost dürfte meine Blickrichtung sein. Ein rotbrauner Falke rüttelt und der Bibabutzemann schüttelt sich.

Der Himmel ist wolkenlos, nur ganz dünne Schleier ziehen so unauffällig, daß ich mich manchmal frage, ob sie nicht eine optische Täuschung sind. Macht nichts! Die sind mir genauso recht wie optimistische Täuschungen.

Links von mir auf dem Hügel schaut es nach einem verlassenen und verwilderten Obstgarten von eindrucksvoller Schönheit aus, ein Hase hoppelt die Böschung hinauf.
Der Wind, der wieder stärker wird, mischt die Gesellschaft da munter auf, fast alle tanzen, nur ein toter Baum steht still und starr.

Die Häuser der Dörfer und verstreuten Siedlungen – Gottlob weit genug weg, sodaß sie nicht bedrohlich sind, nur Flecken in einem Gemälde, nicht häßlich, sogar beruhigen, die mit den Wiesen und Äckern das Tal kultiviert und lieblich erscheinen lassen. Weit genug weg, daß ich die verstörten Kinder und geschlagenen Frauen, die verdrängten Männer, die Generationenkonflikte und Erbstreitigkeiten, die Korruption und Bandenkriege, die Firmen- und Familientragödien, die Verlogen- und Blindheiten, den unterschwelligen Hass und das alles nicht wahrnehmen muß.

Der Wind fährt mir fast zornig ins Gesicht. Bin ich ihm zu überheblich? Zu frech? Zu unbescheiden? Steht es mir nicht zu, vor den Menschen und den Dörfern Angst zu haben? Lüge ich mit diesen Behauptungen? Habe ich hier in der Einsamkeit meinen Kopf nicht tief genug eingezogen? Egal! Ich weide meine Augen.

Der Wind legt sich, ich höre nun eine Straße, aber die muß hinter dem linken Hügel sein.
Der Falke stürzt sich auf die Beute, der Wind, wieder erstarkt, reißt mir die Kappe vom Kopf.
Flatterndes Rauschen, die Böe kommt auf mich zugerast, ich sehe sie im Gras heranjagen.

Windräder gibt es hier so viele, daß sie nicht mehr stören. Sie haben sich das Recht ihrer Anwesenheit erobert und bilden bereits eine eigene Szenerie. Das Drehen und Verharren ihrer Rotoren wurde schon ein stilles, poetisches, elegisches und eindrucksvolles Schauspiel.

Der Kuckuck ruft und ich schüttle meine Geldbörse und lasse die wenigen Münzen scheppern. Grüß dich, Sonne! Grüß dich, Uranus!

Mir kommt vor, der Wind fordert mich auf, weiterzugehen.

Nun hocke ich mitten in einer flachen Wiese, mitten unter einer Hochspannungsleitung und ganz leise höre ich ihr Dröhnen. Grillen und Vögel höre ich, ein Auto von der näheren Straße. Ich denke, der Wind wird mich gleich forttreiben.

Obwohl mir so mitten in der offenen Wiese ohne Schutz im Rücken unwohl ist, lege ich mich hin und strecke mich aus. Anfangs unsicher bleibe ich so – den möglichen Winden und Wettern, Blicken und Angriffen ausgesetzt - dennoch am Rücken liegen, schau zu den verhalten und beherrscht schwankenden Kabeln der Hochspannungsleitung hinauf und lausche auf ihr abwechselnd ab- und anschwellendes Dröhnen. Wenn es mit dem Wind ganz stark wird, ist es zwar sehr laut, aber das Erschreckendere sind seine vibrierende Tiefe und Fülle. Ein Dröhnen, das mir durch Mark und Bein geht, mit dem Wind herumfährt und ein Luftbeben erzeugt.

Jetzt gehe ich weiter.











(7./9.5.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Mai 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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