Mittwoch, 20. Mai 2020

1836 Das Seiringer Kriegsvolk


Wieder kaue ich die bittere, erdig schmeckende afrikanische Traumwurzel. Gerade zerfasere ich sie und versuche, die einzelnen Fasern mit meinem löchrigen Gebiss zu zerkleinern. Geduldig schiebe ich meine Zähne zermalmend hin und her.
Soweit das äußere Geschehen.

Ich werfe meinen Blick auf einen Buchtitel am Stapel neben meinem Bett und lese ihn. Ganz normal. „Die Donau“. Keine Buchstaben sind verzerrt, komisch, fremdartig oder sinnlos angeordnet. Realitycheck. Ich träume nicht. Ich bin in unserer realen Wirklichkeit.

Die „Seiringer-Bande“ aus meiner Kindheit fällt mir ein. Wir wurden die „Buwog-Bande“ genannt, weil wir in der zweidrittelakademischen Buwog-Siedlung wohnten. Und „Bande“ ist – je nachdem die andern oder wir selbst uns so nannten – eine geradezu rührende Fremd- oder Selbstüberschätzung.
Eines Tages jedenfalls schickte die Seiringer Bande – benannt nach ihrem Anführer – einen Gesandten zu uns, der die Mitteilung überbrachte, dass sie, die Seiringer-Bande, ab jetzt als „Seiringer Kriegsvolk“ angesprochen werden will und dass sie erwarten, das wir uns dran halten, auch in ihrer Abwesenheit – nicht ohne mit Sanktionen zu drohen, falls wir den Namenswechsel ignorieren. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie wir, oder richtiger: ich als der direkt Angesprochene auf diesen martialischen Auftritt des Gesandten reagiert habe, vermutlich entgegenkommend bis unterwürfig. Dann ging der Gesandte (griechisch: Angelos) den sanften Wiesenhang zum Bacherl und zur Straße nach Trautenfels hinunter, wo damals auf den billigen Grundstücken des Ennsbodens sie alle ihre Heimstätten hatten.











(14./15./20.5.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Mai 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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