1836 Das Seiringer Kriegsvolk
Wieder kaue ich die bittere, erdig schmeckende afrikanische
Traumwurzel. Gerade zerfasere ich sie und versuche, die einzelnen Fasern mit
meinem löchrigen Gebiss zu zerkleinern. Geduldig schiebe ich meine Zähne
zermalmend hin und her.
Soweit das äußere Geschehen.
Ich werfe meinen Blick auf einen Buchtitel am Stapel neben
meinem Bett und lese ihn. Ganz normal. „Die Donau“. Keine Buchstaben sind verzerrt,
komisch, fremdartig oder sinnlos angeordnet. Realitycheck. Ich träume nicht.
Ich bin in unserer realen Wirklichkeit.
Die „Seiringer-Bande“ aus meiner Kindheit fällt mir ein. Wir
wurden die „Buwog-Bande“ genannt, weil wir in der zweidrittelakademischen
Buwog-Siedlung wohnten. Und „Bande“ ist – je nachdem die andern oder wir selbst
uns so nannten – eine geradezu rührende Fremd- oder Selbstüberschätzung.
Eines Tages jedenfalls schickte die Seiringer Bande –
benannt nach ihrem Anführer – einen Gesandten zu uns, der die Mitteilung
überbrachte, dass sie, die Seiringer-Bande, ab jetzt als „Seiringer Kriegsvolk“
angesprochen werden will und dass sie erwarten, das wir uns dran halten, auch
in ihrer Abwesenheit – nicht ohne mit Sanktionen zu drohen, falls wir den
Namenswechsel ignorieren. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie wir, oder
richtiger: ich als der direkt Angesprochene auf diesen martialischen Auftritt
des Gesandten reagiert habe, vermutlich entgegenkommend bis unterwürfig. Dann
ging der Gesandte (griechisch: Angelos) den sanften Wiesenhang zum Bacherl und
zur Straße nach Trautenfels hinunter, wo damals auf den billigen Grundstücken
des Ennsbodens sie alle ihre Heimstätten hatten.
(14./15./20.5.2020)
©Peter Alois Rumpf, Mai 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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