Freitag, 22. Mai 2020

1840 Wundertäterfragment 27


  Zögernd öffnete er die Wundertüte. Unter erheblicher seelischer Anstrengung zog er das rosa Ding heraus, betrachtete es zuerst lachend, wie es so schlaff in seiner Hand lag, aber je länger er hinsah und es so vor sich hinmeditierte, umso trauriger wurde er. Schließlich wandte er sich weinend ab, ging die Treppe hinunter, zog den Mantel an, setzte seine Mütze auf und verließ den Palast.

  In immer größerer Angst stürzte er in die stürmische Nacht hinaus, rannte die Allee hinab, bis er dann endlich in den schmalen Weg zum Wald einbog. Es lief so gut es ging durch den finsteren Wald, über die Wurzel der Bäume stolpernd versuchte er sein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Und wirklich: er fiel nicht.

  Beim Abgrund hinter dem Wald angekommen nahm er Anlauf und sprang in die Tiefe. Da er jedoch ein Wundertäter war und obwohl er noch nie ein Wunder vollbracht hatte, gelang es ihm, seine bislang ungenutzten Flügel aufzufalten und auszubreiten. Und zum ersten Mal legte er diese seine prächtigen Flügel auf die herrliche Luft und begann ganz sanft und wunderbar dahinzugleiten. Mit jubelndem Herzen und jauchzender Seele flog er mit neuer Kraft der aufgehenden Sonne zu.





(Für Daniela, die sich eine Wundertätergeschichte wünschte und mir dafür zehn Wörter zur Verwendung vorgab)








(21./22.5.2020)















©Peter Alois Rumpf,  Mai 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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