Wenn ich meine Zeit bei der Wiener Künstlergruppe REM betrachte:
sie war für mich als Autodidakten (eines meiner T-Shirts trägt die Aufschrift:
„ich suche gerade mein Auto“) so etwas wie eine nachgeholte Akademie. REM hat
mir tatsächlich Türen und Möglichkeiten eröffnet und den fehlenden
künstlerisch-akademischen Abschluß in Öffentlichkeit und Kunstszene mehr als
ersetzt. Ich habe sehr viel davon profitiert. Profitiert habe ich auch von den
Begegnungen innerhalb und um die Gruppe herum, von den verschiedenen
Ausstellungen und Aktionen (es gab auch Vorläufer vor REM), den
Diskussionen, den Freundschaften, den Auseinandersetzungen, offeneren und
verdeckteren Kämpfen, Eifersüchteleien (wie halt das Leben so spielt. Zwar ein Affentheater, an dem wir jedoch genau so Anteil haben wie an der Berufung zur Heiligkeit. Profaner: die Ganzheit des Selbst zu erlangen. Hihihi.), von den
Ideen, die in der Gruppe herumkreisten (Sparringpartner-Programm), auch wenn
sie nicht verwirklicht wurden, von dem was im REM doch verwirklicht wurde von
KünstlerInnen in und außerhalb der Gruppe und vieles mehr. Ich habe mich – aus
jetziger Sicht und trotz aller Probleme, die ich hatte - damals als jemand am Puls der
Zeit, als Teil einer Avantgarde empfunden und diese Zeit als lebendig und
aufregend. Auch von innen her gesehen war REM für mich, der ich in die
Künstlerei mehr reingerutscht war, als daß ich sie entschieden angestrebt hätte
(nur so funktioniert das bei mir), ein Experimentierfeld in künstlerischer,
gesellschaftlicher und persönlicher Hinsicht. Nicht zu vergessen: bei allem
Frust den Spaß und den Stolz, den wir bei unseren sehr breit gestreuten
Aktivitäten hatten.
Obwohl meine Rolle in der Gruppendynamik von REM nie der
eines „dominanten Männchens“ (ich schreibe das ohne jeden Zynismus!), auch
nicht die eines ziemlich „autarken Einzelkämpfers“ oder einer „subtilen
Networkerin“ war, eher die eines „Mitläufers“ (auch das ohne Zynismus – ich
spiele lieber die zweite oder dritte Geige, als die erste), konnte ich
erstaunlich viel ausprobieren und doch eine gewisse Selbstverständlichkeit für
meine künstlerische Tätigkeit gewinnen (sodaß ich sogar meinen Vater zur
Eröffnung meiner Bilderausstellung einladen konnte und er - für mich das erste
und einzige Mal in meinem Leben – auf
meinem Terrain war und
ich
ihm „die
[meine
] Welt erklären“ konnte). Eine
Selbstverständlichkeit, die sich dann
später erst bei einem von mir
selbst herbeigeführten Zusammenstoß mit einem – wie kann ich das sagen? -
symbolisch: mit einem Panzer
- bei mir
intern nenne ich ihn den bajuwarischen Affenarsch - als zu fragil herausstellte;
aber das hat nichts mehr mit REM zu tun, sondern mit meiner Lebensgeschichte
und steht auf einem ganz anderen Blatt (zum Beispiel auf
www.dieschublade.blogspot.co.at).
Man verzeihe mir meine psychologischen Anmerkungen – sie sind für mich
unverzichtbar, weil sie diese die ganze Dynamik entscheidend mitgestaltenden
Motive benennen.)
Man und frau kann schon sehen: meine künstlerische Tätigkeit
direkt (aber auch meine Arbeit in REM) bewegte sich ganz nahe beim Verarbeiten
psychischer Vorgänge und Traumata, und ob dies meine künstlerische Arbeit
beflügelt oder letztlich verdorben hat, kann ich bis heute nicht wirklich
entscheiden (aber immerhin konnte ich damals meine Therapie direkt mit Bildern
bezahlen).
Aus der Distanz betrachtet sehe ich, wie ich, bevor ich mich
mit meinen Zeichnungen und Bildern REM-intern und an die Öffentlichkeit wagte,
einen Akt der Abgrenzung und Selbstbehauptung und Selbstvergewisserung und den
Versuch einer Selbstveränderung setzen mußte: die Aktion „Haut an Haut“ (der
Titel eine Formel aus einem homoerotisch konnotierten Pubertätserlebnis).
Ausgehend von einem Traum – Träume waren für mich immer eine
wichtige Quelle der Inspiration – in welchem ich im Dickicht eines Waldes, der
voller „alternativer“ Bewohner war, die alle ins Dickicht mit der Motorsäge
Quader ausgeschnitten hatten – ob herunten am Erdboden oder höher oben in den
Bäumen – und diese ausgeschnittenen Quader als ihre Wohnräume benutzten. Ich war
begeistert von dieser Möglichkeit und wollte auch hier wohnen, aber ich
versuchte vergeblich, mir ein solches Zimmer auszuschneiden. Nicht, weil es mir
verboten gewesen wäre, nein, das nicht, aber wenn ich die Kettensäge in die
Hand nahm, hatte ich große Angst vor Verletzungen – bei mir oder bei anderen. Angst, daß die Kettensäge außer Kontrolle gerät. Ich war total gelähmt. Soweit der
Traum.
So kam ich auf die Idee, mir in unserer Galerie im Keller
unten ein Gehege zu bauen, darinnen zehn Tage zu leben (vierzehn Tage wären
besser gewesen - „Zur Befreiung der zwölf Apostel“ - danke REM Andy Ch.!) und mich
die letzten fünf Tage selbst auszustellen. In einer Kritik dann in einer
Zeitschrift (wenn ich mich recht erinnere: im Wiener) wurde dies als
„selbstquälerische Aktion“ mißverstanden, aber ich wurde nicht
eingesperrt, sondern ich selber habe mich eingesperrt – der Schlüssel
war bei mir innen – und damit „die anderen“ (alle anderen, die ganze
nahe und ferne Welt) ausgesperrt. Es hat mir überhaupt keine Mühe gemacht, die
zehn Tage da unten im Keller zu verbringen, mir war mit mir selber überhaupt
nicht fad (ich habe ein reiches Innenleben – behaupte ich mal).
Also habe ich mich um die benötigten Materialien umgeschaut
– den Wildzaun habe ich von meiner damaligen Therapeutin, der auf ihrem
Landsitz einige Meter Drahtzaun übriggeblieben waren, geschenkt bekommen – habe um Subventionen
angesucht, alles Logistische überlegt (vor allem: wie löse ich das Kloproblem?)
und Lösungen gefunden.
Also habe ich quer durch die zwei großen Kellerräume Steher aus Holz aufgestellt und gut eingekeilt, den Drahtzaun an die Steher montiert, ein
Holzpodest gebaut um nicht auf dem kalten Steinboden schlafen zu müssen – alles
Arbeiten, die ich mir heute gar nicht mehr zutraue! Und zwar nicht aus
arbeitstechnischen, sondern rein aus psychischen Gründen nicht mehr zutrauen
kann – habe Schlafsack, einige Decken etcetera ins Gehege gegeben. Dann eine
große Plastikplane ausgelegt, darauf einen großen Haufen Blumenerde geschüttet,
einen roten Plastikkübel mit Deckel gekauft und dazugestellt und eine Rolle
schwarzer Baumüllsäcke daneben gelegt und Klopapier. Einen Müllsack abgerissen,
in den Eimer gestopft, so, daß nur der untere Teil des Sackes im Kübel, der
obere außen über den Kübel gestülpt war, ein paar Schaufel (ahja! Eine kleine
Handschaufel war auch da) Blumenerde in den Eimer geworfen, Deckel drauf und
mein Klo war fertig (diese Klovariante habe ich mutatis mutandis im wirklich
nördlichsten Haus Österreichs in der Vatiante mit Walderde kennen gelernt und festgestellt, daß
es so überhaupt nicht stinkt).
Kein Radio, kein Walkman, keine Bücher, keine Zeitschriften
– nein, nichts zu lesen und nichts zu hören. Zum genau festgelegten Zeitpunkt
bin ich eingestiegen und habe den Drahtgitterdurchschlupf von innen mit einem
Vorhängeschloß zugesperrt.
Unsere bedauernswerte (trotzdem! Allein schon der Gedanke!)
übers Akademikertraining bei uns angestellte Galeristin hatte die Aufgabe, nicht nur
mich mit Essen zu versorgen (zu viel Obst! Viel zu viel Obst! - Zitat
inspiriert vom Film „Amadeus“), sondern auch meine gut zugebundenen und wegen
der Blumenerde geruchsneutralen Müllsäcke zu entsorgen. (An und für sich ganz
problemlos, aber trotzdem: Danke Christine Pellikan!)
Für die ersten fünf Tage, an denen die Galerie für die
Öffentlichkeit geschlossen war, hatte ich mir vorgestellt, daß ich in der
Einsamkeit im Keller ohne Ausblick – es war nur das durch die mit geripptem
Glas ausgestattenen Kellerfenster der Wechsel der Tageszeiten zu erahnen – ein
wenig weichgekocht werde, um dann an den fünf öffentlichen Tagen etwas „anders“
zu sein (ein wenig wie so ein kurzzeitiger Wüstenmönch).
Es ist anders gekommen. Die deutschen Künstler der vorigen
Ausstellung haben ihre großen und komplexen Objekte (mit eingebautem
„Wasserfall“) abgebaut und ich war gar nicht so allein. Wir haben durch den
Wildzaun hindurch geplaudert und interessante Gespräche geführt. Überhaupt: ich
hatte im Vorfeld der Aktion lange überlegt, ob ich mir ein Rede- und
Kommunikationsverbot, anders gesagt: ein Schweigegelübde auferlegen sollte. Ich
dachte, das wäre nicht notwendig und entschied, dies der Intuition des
Augenblicks zu überlassen. Was ich hinsichtlich meiner Abgrenzung, die ich mir
radikal vorgestellt hatte, unterschätzt habe, war die Ansprechbarkeit durch den
Zaun hindurch und meine zwangsläufigen Reaktionen darauf. Da ich schwer Nein-Sagen oder die
Reaktion verweigern konnte (und kann), hat damit die Abgrenzung, wie ich sie
mir ausdachte, nicht funktioniert und ich plauderte mit den Leuten ganz normal,
als wäre das nichts besonderes, was ich gut kann, trotz absurdem Setting. (der
Gedanke: es war ja auch nichts besonderes.) Wie gesagt: ich hatte mir erhofft, ich
könnte „anders“ sein (wenn schon nicht erleuchtet, so doch wenigstens eine
wenig verrückter) (Ein mögliches Resümee für alle: achtet auch auf eure
akustische Abgrenzung, wenn euch das wichtig ist!) (Ich selber werd eh langsam
schwerhörig, ansonsten verwende ich heutzutage MP3-Player.)
Dann kam der Tag der Vernissage, will sagen: der erste Tag,
wo für Besucher geöffnet wird, näher und ich fragte mich: mache ich so weiter,
als wäre nichts besonderes (und es war ja nichts besonderes) oder inszeniere
ich etwas? Meine darstellerische Ader setzte sich durch und ich dachte mir eine
kleine Eröffnungsshow aus – eher ein lebendiges Standbild, sehr zur Enttäuschung
und zum Ärger des REM-Kollegen Werner K., der meinte, ich zerstöre damit Aura
und Charakter der ganzen Sache, was er mir auch deutlich durch die Löcher des
Gitterzauns kundtat.
Aber ich schaffte es, meine gute oder schlechte Idee
trotzdem durchzuziehen: aus dem Podest machte ich mir so eine Art Thron (beachte: „Art“
= englisch: Kunst!), auf dem ich saß in eine wunderschöne, blaue, ein wenig
schäbige Patchworkdecke als eine Art (!) Königsmantel eingehüllt, einen echten
Apfel als Reichsapfel in der einen und in der anderen Hand irgendwas als Zepter, am Kopf als Krone – meinetwegen bloß als Herzogshut - meine
in den fünf geschlossenen Tagen benutzte und so lange nicht gewechselte Unterhose. An
der Wand hinter mir hatte ich mittels Spagat eine Decke aufgespannt, wie hinter
der Braut bei der Bauernhochzeit von Brueghel – Spagat: in der Tat eines der
wichtigsten Hilfsmittel bei dieser Aktion – mit Obst und Gemüse dekoriert,
wobei die Dekoration ein wenig ins Obszöne gehen sollte – Feigen, Bananen,
Äpfel etc. - weiß aber nicht, wieweit das wahrgenommen wurde. An den Vier Ecken
des Schlafpodestes habe ich Klopapierrollen geschoben – sie sollten die Räder
des damit zur Königskutsche umfunktionierten Podestes darstellen. Ein leeres
Halbliter-Milchpackerl habe ich vor den "Wagen" gestellt und an der Stelle des zum Ausguß auf-, aber nicht
ganz abgerissenen, dreieckigen Stückchens Falz als Kutschenpferdchen mit Spagat (seht ihr!) angeschirrt und ich selber habe diesen
Spagat als Zügel in der Hand gehalten. Da ich in den Tagen vorher in den
Stunden, da ich allein ward, viel auf und ab gegangen und dabei gesungen habe –
und da mir fast nur Kirchenlieder eingefallen waren – so habe ich bei der
Eröffnung, als sich das Publikum – wegen Langeweile? bloß ein lebendiges Standbild? - zu
zerstreuen drohte, angefangen „Großer Gott wir loben dich“ zu singen, wie jedoch das in den Räumen der Galerie verstreute Publikum zurück an das Gitter
geströmt ist, hatte ich einen leichten Schock – wenn ich mich recht erinnere,
und ich erinnere mich schlecht oder ausgezeichnet – und brach die Singerei
schnell wieder ab und verstummte.
Zu später Stunde des Eröffnungstages, als alle anderen schon
gegangen waren, bat mich eine Dame, die letzte Besucherin, vermutlich in einer
Art (!) Zooassoziation, mich für ein Photo für sie nackt auszuziehen, was ich
auch getan habe. Ich bekam einen Abzug, aber habe das Photo viel später, in den Zeiten
meiner döbranitischen Gefangenschaft, mit meinen Bildern vernichtet. (Wäre
jedoch auch gar nicht so interessant gewesen, sooo toll bin ich
beziehungsweise mein Dings da dann auch wieder nicht.)
Nach der Eröffnung kamen nicht mehr so viele Besucher, aber
dennoch gab es interessante und intensive Begegnungen. Manchmal haben mir
Besucher aus ihrem Leben erzählt – wie bei einem Gespräch mit einem spinnerten
Höhlenheiligen in der Wüste (übrigens: das Sakrament der Beichte leitet sich u.a. davon
ab) – da habe ich mich durchaus geehrt gefühlt. Bei manchen sensiblen Menschen
habe ich eine große Erschütterung wahrgenommen, wie sie mich da im Gehege
sitzen gesehen haben. Bei vielen wird es irgendwie normal gewesen sein, wie es
ja letztlich auch für mich war.
Ich erinnere mich noch, daß es mir am Ende der Aktion schwer
gefallen ist, das Gehege, das ja recht geräumig war, zu verlassen. Daran kann
ich erkennen, daß mein eigentliches Thema dieser „Performance“ - trotz des
dieses Thema sehr wohl ansprechenden Begleittextes und der ausführlichen
Reflexion in der Vorbereitung nicht ganz bewußt – das eigene Schutzbedürfnis
war.
Was ist mir von REM geblieben? In den Jahren meiner
döbranitischen Gefangenschaft (ich rede vom bajuwarischen Affenarsch; auf
www.dieschublade.blogspot.co.at
dokumentiert) – und es waren lange, lange Jahre – wo ich einmal in Panik alle meine
Zeichnungen, Bilder, Dokumentationen meiner Ausstellungen und Aktionen,
inklusive der Kataloge und Photos, Texte, Kritiken (u.a. im Kunstforum, in
vielen Tageszeitungen), alle meine bis dahin geschriebenen literarischen Texte,
viele Schallplatten und Musikkassetten, von Freunden, auch von REM, für mich
überspielt, meine liebsten Bücher und so weiter vernichtet hatte, muß es jedoch
eine Art (!) „Bezirksbeauftragte für die Freiheit“ (Begriff aus einem Traum) für mich gegeben haben, denn ich habe mich wieder herausgearbeitet und so etwas wie ein unzerstörter Kern, wie eine „glühende
Kugel“ (Salut an Genossen REM Hannes P. und Trigon 81), wenn auch eine ganz kleine,
muß in meinem Innersten überlebt haben, denn jetzt kann ich mich wieder
an REM und meiner Geschichte damit freuen und auch
- das ist mir
ganz wichtig - darüber, aber vor allem über mich darin lachen.
(Wien, im April 2019)
©Peter Alois Rumpf April 2019 peteraloisrumpf@gmail.com