Mittwoch, 27. November 2024

3882 Aida

 



12:45. Ich wollte mich im Aida auf einen anderen Platz setzen, aber ein anderer Mann war schneller. Wo ich jetzt sitze, kann ich mich ein wenig im Spiegel sehen; aber ich kann nichts dafür! (Übrigens schreibe ich mit rosa Pilotstift.) Nebenan reden deutsche Touristen von den Zeiten, Fußball und Chagall. Die Passanten draußen vor den Fenstern bewegen sich wie auf vorgegeben Bahnen, auch wenn sie schlendern. Mir kommt das ballettartig vor, aber meine Wahrnehmung scheint alles unter dem Gesichtspunkt Starre und Bewegung aufzunehmen und zusammenzufassen: ich sehe vor einer unbewegten Welt lauter sich bewegende Objekte, die einer vorgegebenen Choreographie folgen und es gefällt mir, diese Szenerie als Theaterstück zu lesen. Dass sie hier nur Scheißzeitungen haben, stört mich, habe ich aber gewußt. Um mich im Spiegel zu sehen, muß ich mich etwas vorbeugen: ein alter Mann gafft heraus (das ist die reine Koketterie! Er bildet sich nämlich ein, jünger auszusehen, als es sein Alter nahelegt, und beim zweiten Mal hinschauen gelingt es ihm auch, sich so wahrzunehmen. Nicht so wie beim ersten Blick, wo er alt ausgesehen hat - der innere Spötter). Zwei der Balletteusen draußen vom Straßentheater stehen nebeneinander mit gesenkten Häuptern da und schauen in ihre Handys. Was für eine dichte, aussagekräftige Szene! Sie wissen nichts, stehen in der Welt und sehen nichts! (Jetzt bläst er sich wieder auf: und er? Sieht er was? - der innere Spötter.) In meinem Inneren rede ich mit den älteren Franzosen zwei Tische weiter und sage ihnen Maitre Corbeau, sur un abre perché … auf (soweit er es überhaupt noch hinbekommt – der innere Spötter). Überhaupt eher ältere Damen und Herren hier. Ich spiele doch diese Kaffeehaussitzerei bloß nach! Das ist doch alles nur Camouflage! Ich verkleide mich als Kaffeehausliterat (im Aida! - der innere Spötter). Egal in welchem Kaffeehaus. Und hier könnte ich doch auch in ernsthafter Arbeit die vorhandenen Krawallmedien lesen und kommentieren.

Ich bin zu nervös. Es sind einige hier, die auch bei nur einem Kaffee sitzen und sogar in Büchern lesen. Aber mir hilft das nichts: ich fühle mich überall schuldig.


(27.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3881 Vindobona

 



14:10. Vindobona. Kaum schreib ich das hin, schüttelt schon der Wind die Äste der Bäume direkt vorm Café am Wallensteinplatz; und nur die. Ich komme mir cafémäßig hier fast wie am Land vor, jedenfalls vorstädtisch, keinesfalls urban: überdekoriert, übereifriger, unglücklicher Mischmasch. Die Musik aus den Boxen – ich vermute relativ aktuelle aktuelle Hits. Eh nicht unangenehm. Ein Einzelplatz in einer Fensternische ist natürlich genial, wenn auch der Blick hinaus durch zu viel Zeugs am Fensterbrett etwas verstellt ist. Aber sie haben alle für mich wichtigen Tageszeitungen hier und sogar den Falter. Also doch nicht nur ländlich. Und ich habe von meinem bequemen, nicht zu großem Fauteuil einen schönen weiten Himmel im Gesichtsfeld. Gerade noch blau zieht jetzt eine helle große Wolkenfläche herein und schiebt sich immer weiter über den Himmelsausschnitt. Die Hausfassaden leuchten nicht mehr im betörendem Sonnengelb, aber völlig stumpf sind sie noch nicht. Nebenbei gesagt: Mein Auftritt beim Eintritt ins Lokal war nicht unsouverän, obwohl – oder weil – ich gleich gefragt habe, ob es okay ist, wenn ich nur einen Kaffee trinke. Die große Wolkenfläche ist wieder dabei, meinen Himmelsausschnitt zu verlassen und hinter ihr das Blau wieder freizugeben. Die Fassaden leuchten wieder hellgelb auf. Ein bißchen ist das wie ein Ausflug in eine fremde Stadt. Ich werde bald heim zu meiner Fischsuppe gehen.


(26.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3880 Am Himmel strahlt Jupiter

 



19:05. Am Himmel strahlt Jupiter. Die anderen Sterne sind wahrscheinlich Capella und Aldebaran. So gut kann ich das bei dem vielen Lichtsmog nicht sehen. Viele Fenster gegenüber sind erleuchtet. Mir ist wie fast immer kalt. Ich habe am Morgen die Medizin vergessen! Sogleich nehme ich die Tablette. Nun sitze ich wieder da am Schreibtisch im Musikzimmer. Mir fällt ein, dass mir im Lauf der letzten Monate einige Geräte eingegangen sind und ich sie nicht reparieren oder ersetzen konnte. Das war’s dann schon. Den Tee, den ich mit herüber nehmen wollte, habe ich auch vergessen. Capella und Aldebaran stimmt: ich habe über letzterem die Plejaden ganz schwach funkeln gesehen und die zwei weiter oben könnten von der Kassiopeia sein, aber wie gesagt: zu viel Licht in der Stadt.


(25.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3879 Flucht

 



1:30 a.m. Es ist ja nicht so, dass mich die gesellschaftliche und politische Entwicklung in unserem Land und anderswo kalt läßt. Ich fürchte mich sehr davor, was da auf uns zukommt. Seit der Bundespräsidentenwahl Hofer – Van der Bellen bin ich pessimistisch (ich habe damals den noch ganz schaumgebremsten, aber schon in den Löchern scharrenden Mob in der Mariazellerbahn erlebt, der bereit und gierig ist, sofort loszuschlagen, wenn es ihnen von oben erlaubt wird). Nein, das Ganze macht mich depressiv (als wäre ich das nicht sowieso schon).

Jetzt habe ich mich so in meiner Verzweiflung verrannt, dass ich nichts mehr artikulieren und schreiben kann. Ich flüchte in den Schlaf.


(25.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 22. November 2024

3878 Das Bröselchen in der Luftröhre

 



Kein aufgetautes Brot zu Hause! Also ab ins Lieblingscafé zum Frühstücken. Jetzt (11:44 a.m.) habe ich das Frühstück d’anglais schon einverleibt, Zeitungen gelesen … und ich werde noch ein wenig weiter blättern.

Jetzt aber! Los! An den Pilotstift! Auf zum Text! … Der will aber nicht. Noch ein Schluck Kaffee. Das linke über das rechte Bein geschlagen, das Notizbuch auf Oberschenkel und Tischkante gelegt, den Stift gezückt und angeklickt lasse ich die Augen erwartungsvoll kreisen, aber mein Bewußtsein scheint in irgendwas versunken. Die vielen herumschwirrenden Gesprächsfetzen scheinen mich einzulullen, obwohl es hier plötzlich stiller und leerer geworden ist. 12:31 ist es jetzt. Warum auf einmal Tränen in den Augen? Ist es das verdammte Selbstmitleid? Oder Rührung darüber, dass ich hier geduldet bin? (Ist das zweite etwas anderes als das erste? - der innere Spötter.) Die Nase rinnt, ohne dass beim Schneuzen wirklich etwas herunterkommt. Wir sind bei den Mainstreamhits meiner Jugendzeit (nicht zu unterschätzen, was die an verschütteten Gefühlen auslösen, obwohl es auch damals nicht meine Hits waren). Die Schnittenstückzeremonie, bei der ich mich verkutze, weil mein Gehirn beim Schluck Kaffee nicht verstanden hat, dass ich bloß innerlich rede. Aus den Boxen jetzt: Fever. Schon vorbei. Ich sollte auch gehen, obwohl mir noch ein Bröselchen in der Luftröhre steckt.


(22.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3877 Unter die Decke

 



7:29 a.m.  Schon einige Zeit hocke ich aufrecht im Bett – das Rollo habe ich schon hochgezogen – und schaue der Dämmerung bei ihrem Verschwinden zu. Was ist es, was mich zu dieser ungewöhnlichen Zeit so wach gemacht hat? Meine Augen weiden sich am Anblick meines Zimmers und heute muß ich besonders viel staunen. Schönheit atme ich ein, Klarheit atme ich aus. Das Licht staut sich am Fenster. Irgendwie ist es gut so. Meine Hände liegen andächtig auf dem Notizbuch. Aber jetzt wird mir in den Armen kalt und ich gebe sie unter die Decke.


(22.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3876 Ich muß niesen

 



20:28. Die vier Bilder oben unter dem Plafond leuchten vor dem Licht der Deckenlampe, und auch die Bücher im Regal strahlen ihre Farben ab. Nur weiter unten wird es dünkler. Ich selbst gähne mich in den Abend hinein. Aber an irgendetwas weit Vergangenes erinnert mich die helle Wand, als hätte ich das schon irgendwann und wo erlebt, diese hell erleuchtete Wand. Aus meiner Herkunft kann das nicht sein. Mir wird etwas kalt und ich muß niesen; angeblich ist Schnupfen mit der Pest verwandt.


(21.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3875 Herrlich im Licht

 



12:35.  Der Himmel ist blau, und wenn ich nicht aufpasse, wird er grau. Die Wolken sind schlau: erst kommen nur wenige und in weiß, und dann erst viele und grau. Wie bereits auf der Atelierfensterseite. Hier, im Musikzimmer, ist der Himmel noch blau.

Ich habe den Kaffee vergessen. Ich gehe ihn holen. Oder soll ich lieber den Kräutertee nehmen? Die ersten Wolken aus dem Westen ziehen in mein Gesichtsfeld herein. Es ist der Kaffee, den ich aus meiner Kammer mitgebracht habe. Ich schaue so lange auf die Häuser, bis ein Stadtgefühl aufkommt. Dann schaue ich so lange den Wolken zu, bis ein Landgefühl möglich ist. Und dann starre ich richtig in die Wolken, bis mein Blick verrinnt. Jetzt bewegen sich die himmelblauen Flecken und lösen sich dann auf. Dann sind es wieder die Wolken, die ziehen und ganz dramatische …………………………………………………………
…………………………………………………………
…………………………………………………………
…………………………………………………………
…………………………………………………………………………… fast eine Stunde habe ich in die Wolken gegafft und jetzt ist der Himmel grau. Ein schönes Grau, so abwechslungsreich und lichtdurchflutet. Mein Körper schaukelt in unwillkürlichen Vibrationen. …………………………………………………………
…………………………………………………………
…………… .

Jetzt ist der Himmel wieder blau, aber am Horizont hat sich eine dichte Wolkenbank aufgebaut. Nun beginnt sich diese Wolkenbank wieder aufzulösen. Eine kleine, unscheinbare Rauchfahne tänzelt aus einem Rauchfangrohr. Ganz hinten an Horizont, wo ich gerade noch über den Einschnitt zwischen den Häusern hindurch hinsehe, wölbt sich eine grandiose Wolkenwelle, sonnenbeschienen und kompakt. Und die große, weiße, lichte Wolke, die sich nun hereingeschoben hat, strahlt jetzt im Vordergrund herrlich im Licht.


(21.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3874 Braun, golden

 



2:16 a.m. Was mache ich hier eigentlich? Die Farbe meines roten Pilotstiftes kommt mir einmal braun, dann wieder golden vor, nur nicht rot. Meine beiden Hände halte ich in lockerer Verkrampftheit zu unvollendeten Fäusten gekrümmt, in denen ich ein Ziehen spüre. Wind kommt auf und jammert im Kamin. Auch ich habe heute schon fast aus Selbstmitleid geweint (wenn es denn wirklich Selbstmitleid war – der innere Kritiker). Gerne schaue ich mir mein Kratzelbild am Kasten an. Die Luft in meiner kalten Kemenate ist heute so klar, die Farben der Bilder und Bücher kommen so gut. Etwas sehr Waches ist in meiner Müdigkeit. In meiner rechten Schläfe pocht es. In meinen Ohren surrt es.


(21.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 20. November 2024

3873 Überraschung!

 



10:25 a.m. Noch ohne Frühstück mache ich mich auf und fahre mit dem Lift zur U-Bahnstation hinunter. Die Halle ist leer und still und das ist schon befremdend. Plötzlich eine Lautsprecherdurchsage, ganz laut ist sie und richtig entrisch hallt sie in die Leere.

12:24. Auf der Suche nach einem Thema, zumindest nach einem Anfangssatz. Na gut: Ich bin sicher nicht der einzige Egozentriker, der es nicht merkt. Ach was! Nein! Nicht das schon wieder! Gut: Linkshänder und Rechtshänder und umgemodelte Linkshänder. Ein Thema? Jetzt nicht. Schaut nicht gut aus für diesen Text, dabei habe ich alles gut bereitet: Frühstück im Lieblingscafé, lange Zeitungslektüre, relativ ruhige Stimmung, genug Platz im Lokal (Musik: im Moment Percy Sledge), die Platane draußen hat noch gelb-braune, manchmal noch grüne Blätter. Ich glaub, ich bin gerade eher demütig (wenn das nur keine Selbsttäuschung ist! - der innere Spötter). Etwas stinkt. Bin ich das oder der Nachbar? Könnte auch sein betont männliches Parfüm sein – da hätten wir fast ein Thema! Aber nein, heute keine Lust dazu. Alle Kräfte im Universum heben sich auf. (Mit Blödsinn kannst auch keine Literatur generieren. Und was soll das überhaupt heißen? Aufheben in des Wortes dreifacher Bedeutung – du erinnerst dich? - der innere Spötter). Trinität? Fühle mich jetzt diesem brisanten Thema nicht gewachsen (Und sonst? - der innere Spötter). Ich sollte das Ganze eher als Pattstellung sowohl der inneren als auch der äußeren Impulse beschreiben (dann tu’s doch einfach! - der innere Kritiker) (Eine Überschrift ist keine Beschreibung – der innere Spötter.) Der Schmäh mit den verschiedenen Protagonisten des inneren Monologs war auch schon witziger und lustiger – der innere Spötter.

Überraschung! Zufällig kommt meine ältere Tochter ins Café. Ich lege das Schreibzeug weg.


(20.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3872 Entscheidungsexperiment

 



1:48 a.m. …… . Okay, dann nicht.

12:14. Manchmal gehe ich auf der Straße, diesmal aus einem Baumarkt, im Rucksack ist nur Kleinzeug, nicht schwer (kein Goldklumpen), und schreite fröhlich dahin und freue mich, und als ich an Hänschen klein denke, muß ich innerlich lachen. Ja, es macht mir nichts aus: Hänschen klein oder auch Hans im Glück, der Dolm: ich bin nichts und Wanderer durch die große, weite Welt (jetzt steigert er sich hinein: Wien, eine der sichersten Millionenstädte der Welt ist nicht die Welt; sein Kreuz grummelt nur so leicht vor sich (also hinter ihm) hin und gibt ziemlich Ruh, und er glaubt immer noch, das Leben vor sich zu haben! - der innere Spötter). Das, was der Spötter sagt, ist mir egal; ich genieße jetzt die Bewegung, die Schritte, das Vorankommen und das Dasein auf dieser Erde, die frische Luft, die Kälte – ich bin nicht sehr, aber warm genug angezogen – auch die graue Monotonie des nebelüberzogenen Herbsttages.

Nun aber bin ich in einem Café mit Ausblick auf belebte Gassen, Durchblick gar bis zum Karmelitermarkt. Der Linienbus plagt sich durch die enge, verparkte Gasse. Aber er schafft das. Schulkinder mit ihren schweren, bunten Schultaschen. Ich habe sogar eine Lampe auf dem Tisch bekommen und bin etwas unentschlossen, ob ich sie aufdrehen soll oder nicht; wie es geht habe ich schon herausgefunden, obwohl ich einige Zeit gebraucht habe, das Ding als Lampe zu erkennen. Ich habe sie jetzt aufgedreht (dieses Experiment, wo der/die ProbantIn entscheiden soll, ob er/sie zum Beispiel einen Gegenstand, der am Tisch liegt, so lassen will oder verschieben – die meisten verschieben, denn solange eines es läßt, ist immer noch die Möglichkeit, es zu verschieben, gegeben. Durchs Verschieben ist die Sache endgültig entschieden). Italienische Popmusik. Ich amüsiere mich wirklich an meinem inneren Monolog, den ich oft als Dialog ausgestalte: ich erkläre jemandem Ausgedachten oder jemand draußen Realen und hier herinnen dafür Okkupierten zum Beispiel die Etymologie und weite Reise von Tschüss vom spanischen Adios (soweit er die überhaupt korrekt wiedergeben kann; er kann sich ja in irgendwelche Theorien verlieben und ist dann nicht mehr bereit, sie aufzugeben – der innere Spötter) oder die dogmatisierten zwei Naturen Christi als Beschreibungsversuch des Verhältnisses des physischen Körpers zum Energiekörper, oder ist streite innen tapfer mit dem bajuwarischen Affenarsch (immer noch! - das ist doch schon 35 Jahre her! - der innere Kritiker). Manchmal artet es zu inneren Vorlesungen aus, allerdings sehr bruchstückhafte und nicht sehr stringente und konsequente und so weiter (und seine Zuhörer und Gegner kann er sich auch zurechtmachen – der innere Spötter). Oft bin ich dabei witzig und manchmal lustig und meine ZuhörerInnen lachen und freuen sich. Und ich mich auch.

Über die zwei großen Fenster übertragen bewegen sich Autos und PassantInnen durch mein neues Gesichtsfeld (ich sitze zum ersten Mal hier herinnen).

Ich betrachte noch das eine und das andere und werde wohl bald gehen.


(19.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 18. November 2024

3871 Das Krawattenstück

 



11:11 a.m. Im letzten Traum heute hatte ich in einer eher farbschwachen, grau-braunen Welt in einer Schublade eines Kleiderkastens herumgesucht. Offensichtlich ein verlassenes Haus, alles war ausgeräumt, nur mehr so Reste wie Teile von Kleiderbügel und Ähnliches lag am Boden herum und in den Kästen. Aber in dieser tiefen, großen Schublade lag die abgetrennte Spitze einer Krawatte - schon ein paar Zentimeter groß - und die war so bunt und farbig und glänzend, dass es sich völlig von seiner faden Umgebung abhob, wie ein Schmuckstück aus verschiedenen Edelsteinen – aber eben aus Stoff, aus wertvollem Stoff. Ich staune und staune und habe die Idee, dieses Stück aus der Lade zu nehmen und in meinem Zimmer zu den Kunstkarten und Kultgegenständen zu hängen, aber es kommt nicht mehr dazu. Jedenfalls ist nach dem Aufwachen das schöne Stück nicht da (er schwankt in seiner Deutung zwischen der Theorie, dass dieses Krawattenstück ein Scout der anorganischen Wesen war, der sich in seinem Traum bemerkbar machen wollte, worüber er sich absurderweise geehrt fühlen würde, und der Theorie, dass mit dieser tiefen, großen Schublade dieser sein Blog gemeint ist und das wertvolle Stück darin seine literarische Produktion – der innere Spötter). (Es könnten – so viel ich weiß – beide Theorien zutreffend sein: der anorganische Scout taucht auf und der Rest des Alltagbewußtsein, das beim Träumen noch wach ist, versucht den Scout, ein Klumpen fremdartiger Energie, so gut es geht in die vertraute Alltagswelt, zu der der Scout nicht gehört, einzukleiden und einzufügen und in das gerade traumaktive Psychodrama des Träumenden einzubauen – was jedoch wegen der fremden Energie nie ganz gelingen kann; darum strahlt er auch so heraus. Aber ich bin hier kein Wissender, sondern bloß eine Vermutender – der innere Kritiker.)

Jetzt jedoch schaue ich aus dem Musikzimmer auf den wolkigen Himmel (beim Aufstehen war er noch hoffnungsvoll blau mit einem grandiosen, scharfen, deutlichen und ganz weißen Kondensstreifen darin) und irgendwo unten von der Straße kommt Baulärm, der das stille Bild vorm Fenster Lügen straft. Ein dickes Insekt fliegt am Fenster vorbei. Die Wolken ziehen – ich würde sagen: nach Osten. Die Tageskinder singen fröhlich ihre eigenen Gesänge und Rufe.


(18.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3870 Tatz!

 



7:21 a.m. Der Morgen so grau wie meine Angst und mein elendes Gefühl. Gefahr besteht nicht; ich habe nur schlecht geträumt: von meiner elenden Substandard-Kellerwohnung und muß mich erst erholen. Mein Surren in den Ohren klingt noch ganz jenseitig. Mein Zimmer wirkt noch nicht so freundlich und bergend, weil es zu kalt ist. Ein wenig hilflos sucht mein Blick seine gewohnten Stationen auf, gleitet jedoch überall ab. Es bleibt mir nur die Bettdecke und … ich will jetzt nicht den Augen erlauben zuzufallen. Mein Geist wandert ins Wochenende zurück auf der Suche nach Wärme und Vertrautheit; oder nach einem Anknüpfungspunkt an meine Lebensgeschichte. Allmählich verliere ich den Kampf um die offenen Augen und den um meine Lebenserzählung habe ich noch nicht gewonnen. Ich weiß jedoch: die Zeit arbeitet für mich (ha, ha, ha! Tut sie das? - der innere Spötter). Ja, vielleicht schätze ich die Lage falsch ein. „Tatz!“ - das Wort höre ich drüben. Die Heizung springt an.


(18.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3869 Die Heizung

 



8:11 a.m.  Ist das die Heizung, die gerade angesprungen sein müßte, was ich da höre? Ist es überhaupt möglich, die aus dieser Entfernung zu hören? Bilde ich mir das Geräusch nur ein? Das frage ich mich heute nach dem Aufwachen. Nein, das ist etwas anderes, was ich da höre. Aber heizt die Heizung wirklich, wie ich sie programmiert habe? In letzter Zeit spinnt die auch (oder ich, weil ich die Programmierung nicht hinbekomme).

Es hat mir keine Ruhe gelassen: also bin ich aufgestanden und habe nachgeschaut: die Heizung heizt und das Geräusch kommt von ihr und klingt anders in der Nähe als weiter weg. Da ich schon aus dem Bett war, habe ich in beiden Stockwerken die Pflanzen gegossen, die täglich am Morgen einzunehmende Tablette eingenommen und zwei Rollen Klopapier hinuntergetragen und beim Klo abgelegt. Dann bin ich wieder ins Bett um – Wochenende! - daselbst zu frühstücken.




12:35.  Manchmal rede ich soviel, dass es nur so aus mir heraussprudelt. Innen ist gleich ein Alarm ausgelöst, aber es hilft nichts: ich kann mich nicht mehr einbremsen. Kaffee wird auch eine Rolle spielen, aber gar nicht die entscheidende; die Stimmung ist umfassender. So werde ich stehenden Auges (oder heißt das sehenden Auges?) zum Quasselkasper aus Wasserburg, anstatt ein tiefsinniger, schweigsamer Philosoph zu bleiben (bleiben ist gut! - der innere Spötter). Tiefsinniger, ernsthafter und schweigsamer Philosoph – das wäre ich gerne, denn das ist so ein Selbstbild, dass ich vor mir hertrage – innen – aber sowieso hint’ und vorn nicht stimmt. Was ich weiß, aber nicht wahrhaben will. Als Quasselkasper jedoch kann ich mir den Philosophen nicht mehr vormachen. So weit so, wie es ist.

Das Blau des Himmels ist wunderschön.


(17.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3868 Haltestellen

 



12:30. Hinter der Bushaltestelle liegen Blätter am Asphalt und ihre Schatten sind so betörend.

15:15. Und in Oberdöbling steht die Sonne so tief, und still, und die Autos fahr’n so lästig vorbei. Und die Hausfassaden leuchten oben so schön und die Schwermut schleicht schon herbei.

17:02. Die Schwermut soll ruhig kommen; ich fürchte mich nicht. Ich grüße sie freundlich und lächle sie an, wir kennen uns schon so lang; sie würde mir fehlen, erschiene sie gar nicht mehr.


(16.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 15. November 2024

3867 Die Dinge der Welt

 



12:04. Im Musikzimmer am Schreibtisch vorm Fenster - mein neuer, zusätzlicher Arbeitsplatz - blicke ich auf die Spinnweben zwischen Heizkörper und Unterseite des überragenden Fensterbretts. Es gefällt mir hier im hellen, großen Raum und am leeren Schreibtisch - nur eine Lampe und eine Sternenkarte befinden sich darauf – und wenn ich durchs Fenster schaue, sehe ich die Wolken dahinziehen und höre nicht allzu laut und nicht allzu nah die Geräusche der Stadt. Ich überlege, ob ich demnächst die Kraft aufbringen werde, das Fenster zu putzen und ob das überhaupt notwendig ist (er glaubt, nur eine ordentliche finanzielle Besserstellung könnte seine Not wenden, der Dolm! - der innere Spötter). Ein Staubwutzel rutscht auf meinem Pilotstift den Schaft hinunter und bleibt bei meiner Schreibhand hängen. Ich aber zupfe ihn weg und schmeiße ihn zu Boden. Ich bin nicht immer so grausam mit den Dingen der Welt, mit denen ich ja auch zu sprechen pflege. Und wirklich: noch ein Staubwutzerl, deutlich kleiner, fällt vom Pilotstift aufs Papier; wieder wische ich es weg; und ebenso verfahre ich mit dem noch kleineren, das ich auf der aufgeschlagenen Notizbuchseite entdecke. Die Wolken am Himmel verdichten sich und wie ich sie anstarre, habe ich die Wahrnehmung, sie würden sich ruckartig weiterbewegen, nicht im Flow – sozusagen der Film in die einzelnen Bilder aufgelöst. Ein wenig kann ich diesen Effekt steuern, aber dennoch erhebt sich die Frage (Phrasenalarm! - der innere Spötter), ob meine Bildverarbeitung im Gehirn noch richtig funktioniert. Das Spinnennetz schwingt in der Aufwärme des jetzt stärker aufgedrehten Heizkörpers in eleganten Bewegungen. In den Fenstern der gegenüber stehenden Häuser sind die Dinge nur schemenhaft zu sehen. Die Wolkenschicht wird heller und es reißt sogar zu einzelnen kleinen blauen Stellen auf. Eine Taube gleitet schön, schnell und wahrlich elegant am Rande durch mein Gesichtsfeld. Ich will meine Gedanken sortieren um endlich zum Thema zu kommen, das ich zu bearbeiten vorhatte, aber es ist weg. Ich bekomme es nicht zu fassen. Ich schneuze mich, weil meine Nase rinnt, und wie immer in solchen Situationen, hilft das Schneuzen nicht viel, nur kurzfristig, weil die Nase weiterhin rinnt. Was wollte ich schreiben? Von den Künstlern um 1913? Den Dingen der Welt? Ja, aber was? Ich probiere wieder den Wolken-Ruck-Effekt aus und ja, nach ein bißchen Übung funktioniert er noch, während gleichzeitig Trübungen an meiner Netzhaut hinunter laufen. Am Haus dort drüben flattert die stoffliche Zierleiste an der eingezogenen Markise am Balkon hoch oben im Wind, während sich im Fenster daneben ein schwankender Zweig eines Bäumchens spiegelt. Es wird noch heller. Ja die Dinge, mit denen ich spreche: ich habe mich heute Morgen wirklich gefreut, als ich eine saubere, nicht zerschlissene, lange Unterhose in meinem chaotischen Wäschefach gefunden habe – ich hatte nur eine vage Idee im Hinterkopf, dass ich schon eine gekauft habe und also noch da sein sollte („Ah, da bist du ja! Entschuldige, dass ich dich fast vergessen und bisher vernachlässigt habe! Und danke Universum!“ - der innere Spötter). Mir ist nämlich ständig kalt, auch in der Wohnung. Ich erhebe mich vom Sessel (österreichischer Sprachgebrauch!) und strecke mich und kann auf den kleinen Platz hinunter schauen. Die geschmack- und gedankenlosen Ornamente auf den Häusern aus dem 19. Jahrhundert können einem schon auf die Nerven gehen (diesen Satz habe ich erdacht und hingeschrieben, nachdem ich mich wieder gesetzt hatte).


(15.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3866 Die Rollo (sic!)

 



9:08 a.m. Die Rollo (sic! Ja, manchmal beharre ich auf meine umgangssprachlichen Gewohnheiten und pfeife auf die - von wem und nach welchen Kriterien eigentlich? - aufgestellten Sprachregeln. Ja, ich weiß: rouleaux ist nicht weiblich, sondern männlich, warum aber neutrum? Ist auch nicht logisch), die Rollo also wird hochgezogen und das Zimmer ist hell. Nona, könnte man einwenden, aber das ist ein deutlicher Wendepunkt des Tag-Nacht-Verhältnisses und emotional bedeutsam beim Aufstehen und am Beginn des persönlichen Tages. Und eben aus Gründen der Wiedergabe der emotionalen Färbung beharre ich auch auf die Rollo, wie ich immer innerlich formuliere, weil ich noch im privaten, intimeren Bereich bin und noch nicht draußen und noch nicht bereit und noch nicht in der Lage, mich fraglos den auch fragwürdigen Gesetze der offiziellen Welt zu unterwerfen - nicht aus Protest, sondern aus Verschlafenheit. Vor ein paar Minuten war ich überhaupt noch ganz woanders in irgendwelchen Traumwelten. Ich bin gerade erst aufgewacht! Laßt mir Zeit! Tin Soldier von den Small Faces summe ich still in meinem Inneren und das – warum weiß ich nicht – bestärkt mich in meiner Haltung, meine Herkunft nicht verleugnen zu wollen. Es war nämlich für mich als Kind anstrengend, dauernd zwischen meiner – durchaus fragwürdigen – Herkunft und ihren sprachlichen, ideologischen, emotionalen und alltagspraktischen Gewohnheiten und Vorgaben und der offiziellen Welt der Lehrer, Ärzte, Richter, Sparkassendirektoren, Akademiker und deren sprachlichen, ideologischen, emotionalen, und alltagspraktischen Gesetzen und Regeln hin und her switchen zu müssen. Darum bin ich auch nicht aus einem Guss, kein gestandener Mann, sondern immer schon vorsichtig, lauernd, taktierend, unsicher, zurückhaltend.

Das alles kann mich jetzt nicht davon abhalten, diesen Morgen zu genießen, noch ein wenig im Bett zu verbleiben und ein wenig zu lesen (mit dem Lesen nähere ich mich gemütlich, aber eh der offiziellen Welt an).


(15.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3865 Ich lese

 



1:29 a.m. Ich schicke meinen Blick auf die verbesserte rechte Bilderwand direkt neben meinem Bett und bin zufrieden. (Ehrlich gesagt: ich war schon zufrieden, bevor ich die Wand angeschaut habe.) Drei Bilder von Medardo Rosso und drei von Max Weiler sind neu erworben und neu angetackert – als Kunstkarten natürlich; ich bin ja kein Krösus! Das bringt mich auf die Frage: was ist dir lieber: Krösus oder Jesus? Für eine Antwort muß ich morgen erst nachlesen, was mit Krösus war (gelogen! Er mit seiner kindlichen christkatholischen Vergangenheit würde blind den Jesus wählen – zumindest theoretisch - der innere Verräter).

Mit den Personen aus 1913 von Florian Illies – des buach des i grod lies – komme ich völlig durcheinander und morgen muß ich unbedingt baden (warum mischt sich da der innere Spötter nicht ein? So billige Schmähs wie Illies – i lies läßt er doch sonst nicht durchgehen!) (auch ich kann einmal müde und erschöpft von meiner Arbeit sein; ich habe ja so viel zu tun! - der innere Spötter). Weil ich nichts weiter zu schreiben weiß, betrachte ich meine altersgefalteten Hände und erschrecke, und kann den Blick doch nicht abwenden.

Jetzt aber wende ich ihn ab und lege mich hin.


(15.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 14. November 2024

3864 Ich freu mich so!

 



Bei Medardo Rosso und Kompagnie im Mumok. Die Zeichnungen vor allem, die ich mehrmals abgegangen bin, haben es mir abgetan (kann natürlich sein, dass diese wie zufällig wirkende und im Understatement daherkommende Art zu Zeichnen in meiner Generation – wie kann ich sagen? - massenweise wäre übertrieben – aber so ähnlich bei den Vielen angekommen ist), sie sind auf bescheidene Weise so genial! Ich sitze nämlich im Saal mit den Zeichnungen. Jetzt, von dort wo ich sitze, sind sie alle zu weit weg, aber: eine jede ist eine großartige Momentaufnahme, einfach und so dicht, so voll, so reich. Und so gekonnt!

Ich frage mich gerade, ob sich die Aufsichtsmenschen hinsetzen dürfen; ich vermute nicht. Plötzlich nehme ich die Bewegungen der Menschen im Saal als Hauptgeschehen wahr, als würde ein stark vereinfachtes und gottseidank aus den verlogenen Höhen heruntergeholtes Ballett mit ganz normalen Leuten stattfinden. Momente ganz toller Choreographie!- es muss einen allmächtigen, allwissenden, allgegenwärtigen größten Choreographen geben! Jetzt wird’s fader und mir kommen Zweifel über diese Theorie. Jetzt wieder ein kurzer, toller Moment! Die Zweifel … ha ha ha … wurscht… . Bei den frischverliebten Paaren bewegt sich – wie ich sehen kann - meist die Frau enthusiastisch (von griechisch ἔνθεος - entheos – Gott in sich habend) (genau genommen hat er keine Ahnung, ob die erste Aussage in ihrer Verallgemeinerung stimmt – der innere Kritiker). (Er glaubt hald (sic!), solche scheinbar apodiktischen Aussagen klingen gut und suggerieren Kompetenz – der innere Spötter.) Das Licht im Saale ist recht angenehm. Nun ist der Saal leer und nur die arme Aufseherin geht herum, durchaus in schönen, gleichmäßigen Bewegungen, irgendwie feierlich, gar liturgisch, wie in ritueller Funktion (der Saal ist leer: sich selbst zählt er nicht als Anwesenden; er glaubt noch immer, dass er unsichtbar bleibt, wenn er sich nicht rührt – der innere Spötter). Nun offensichtlich ein neuer Akt: vier neue Auftritte: drei Männer, eine Frau, anscheinend haben sie miteinander nichts zu tun – das muß jedoch nicht stimmen. Großer Abgang, neuer Zugang. Einer erhebt seine Stimme, was er sagt, verstehe ich in dieser Halle nicht. Manche sind Passanten, die nur durchgehen. Einige Schauspieler stehen um die Ecke, wo man sie nicht sieht, und sprechen ihre Texte ab – die ich auch nicht verstehen kann. Es ist ein schönes Theaterstück, vermutlich der klassischen Moderne. Eine Frau tritt herein, nimmt ihre Handtasche von der Schulter und kramt darin herum (was für eine aussagekräftige Szene!). Eine andere geht plötzlich flott ab. Gekrümmt und vorgebeugt wie ich dasitze, macht sich mein Holzhackerhemd zwischen zwei Knöpfen am Bauch zu einer kleinen Öffnung auf und gibt das graue Leiberl darunter der Sichtbarkeit preis. Das Gekicher von um die Ecke kommt näher und tritt dramatisch in den Saal. Sieben Personen sind nun da (ohne mich: ich gehöre nicht dazu). Einige – so scheint es – schauen etwas hilflos auf die Zeichnungen an der Wand, aber auch da kann ich mich völlig täuschen, weil die bei der Betrachtung - sei es der Bilder, oder - vor allem! - der darunter angebrachten Begleittexte – vorgebeugten Oberkörper und vorgestreckten Köpfe diesen falschen Eindruck erzeugen könnten. Mein Blick wird etwas verschwommen und unzentriert, meine Stimmung ebenso. Wie wäre es mit einem Kaffee? Ein wenig will ich die jetzige stille Stimmung im Saal genießen, die leisen, melancholischen Schritte der Aufseherin, der einzigen Person herinnen, sind zu hören (und melancholisch: möglicherweise wieder bloß eine Unterstellung – der innere Kritiker). Nein, nein, nein, ich gehe jetzt fröhlich irgendwo auf einen Kaffee!

So fröhlich war das nicht, denn durch das lange Sitzen auf der Bank war mein Kreuz steif geworden und das Aufstehen nicht mehr schmerzfrei. Beim Aussteigen aus dem Lift habe ich nicht gleich gewußt, ob ich im richtigen Stockwerk bin und als ich bei der zentralen Einscännerin gefragt habe, ob es hier irgendwo ein Café gibt, habe ich direkt auf das Café, eine rauminterne Terrasse sozusagen, einen Stock höher offen über der Kassa und dem Shop, wie eine innere Pawlatsche, geblickt, ohne es als Café zu erkennen. Das Ambiente hat mir gefallen, aber ich habe nicht mitbekommen, das hier Selbstbedienung ist, obwohl groß auf der Tafel Selfservice steht; so nach einigem Hin und Her jedoch hat es geklappt, dass ich jetzt vor einem Cappuccino, einem - njaaa – schönen Wandbild und einer Reihe von Glasvitrinen mit kunstvollen Vasen, Gefäßen und Tellern sitze. Die kleine fetthennenartige Pflanze am Tisch mit ihrem sechseckigen Töpfchen habe ich verschoben, um das Tablett mit dem Kaffee und dem Wasserglas in die gewünschte, gut erreichbare Position bringen zu können. Viel los ist hier nicht, aber so sehr ich die ruhigen Atmosphären mag – ich würde ihnen mehr Umsatz gönnen. An der Wandmalerei gegenüber gefällt mir vor allem das Gelb über dem Rot – nicht, dass es etwas Besonderes wäre, aber mir gefällt es hald (sic!). Ich schiebe das Tablett jetzt doch noch einen Zentimeter weiter weg, nehme die Rechnung am Tablett zur Hand, schaue sie an, als müßte ich sie überprüfen und als hätte die für irgendetwas Relevanz. Hat sie aber nicht. Ganz rechts am Wandgemälde das Weiß über Rot – das natürlich ins Rosa changiert – und Rosa ist für mich meist eine fragwürdige und gefährliche Farbe – gefällt mir hic et nunc auch. Naja, so schlecht ist dieses Leben für mich nicht! Ich beschließe – so in einer Art innerräumlich-geographischem Selfservice – den Raum bis nach hinten abzugehen, weil ich dort eine besondere Sitzecke sogar mit eingeschalteter Stehlampe entdeckt zu haben glaube. Ich lese auch die Namens- und Titelschilder unter den Bilder auf der Wand hinter mir - wenn ich am Platz säße – und sogar bei den Garderobenhaken, die eine Arbeit der Dertnig sein könnten, suche ich so einen Zettel. Da ist aber keiner und meine Anmerkung ist natürlich eine Frechheit – viel zu bürgerlich und spießig dieses gedrehte und leicht spiralisierte Garderobenhakengestell. Mir kommt vor, dass ich aufpassen muß, nicht zu übermütig zu werden! Gezahlt haben wir – und wer zahlt, schafft an – also können wir gehen.

Und beim Heimgehen: so herrlich zeigt sich in der Sonne dieses dünne Winterblau über den roten Dächern des barocken Hofstallgebäudes und ich bin fröhlich! Als mich, als ich bei blinkendem Grün noch auf den Zebrastreifen gerannt bin, dann, als die Ampel schon auf rot geschaltet hatte, ein Autofahrer angehupt hat, habe ich ihm noch „Arschloch!“ zugerufen (was der in seinem Blech-Plastik-Container sicherlich nicht hören konnte – der innere Spötter).

Und sogar einem Touristen habe ich den Weg zum Spittelberg umständlich erklärt, als er mich, der ich im Freien am Gehsteig hinter dem Naturhistorischen Museum bei einer der Balustraden stehend das Notizbuch aufgelegt habe, um die Arschloch-Sache zu notieren, angesprochen hat, und dabei habe ich sogar in mein Notizbuch eine Skizze des Weges zu seinem Ziel gekratzelt! (Mit der er vermutlich nichts anfangen konnte – der innere Spötter.) Ja gut, aber ich freu mich so!

Und die alte Dame mit Mundschutz dann, der ich in der Straßenbahn meinen Sitzplatz überlassen habe, könnte das nicht die Ex-Pathologin der Soko Stuttgart gewesen sein?

Und bei der Hinfahrt schon, als ich an der Haltestelle vorm Palais Epstein gewartet habe, habe ich Herrn Babler gesehen und quer über die Straße grüßend zugenickt und ihm innerlich, nur innerlich alles Gute für die Verhandlungen gewünscht und er hat zurückgenickt!

Ja und diese Verlegenheit, mit der die zufällig zusammengewürfelten Personen in den öffentlichen Liften (Herminengasse z.B.) zusammenstehen; vor allem dann, wenn es nur Einzelne, keine Gruppen und wenige sind.


(14.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3863 Kapitel nicht fertig

 



1:10 a.m. Wir sind mit dem Kapitel noch nicht fertig, aber ich mag nicht mehr lesen; können wir das Buch beiseite legen, my friend? (damit meint er sich selbst, der pummelige Angeber! Dabei ist er weder so feinfühlig, noch so schizophren – der innere Spötter.) Wir haben das Buch beiseite gelegt, das Notizbuch hergenommen und aufgeschlagen. Kalt ist mir vor allem in den Armen, aber auch sonst, unter der Decke. Im Kreuz sticht es, aber das sind noch keine Schmerzen. Wärmflasche habe ich bis jetzt aus Stolz verweigert. Meine Lesebrillen sind so verdreckt, dass ich die Bilder an der Wand, selbst die im Licht nicht richtig sehe. Erst als ich die Brille mit Spucke und einem Zipfel des Bettüberzugs reinige, geht es wieder halbwegs. Halbwegs könnte das Stichwort, das heimliche Motto für mein Leben sein: auf halbem Wege abgekommen, steckengeblieben, verirrt zu sein (was heißt auf halbem Wege! Das ist doch schon bei den ersten Schritten oder überhaupt ganz am Anfang passiert! - der innere Spötter). Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend? Momentan lausche ich in die stille Nacht hinaus, weil ich einen fernen Maschinenlärm zu hören vermeine, aber sicher bin ich mir nicht. Ahja, und was sehe ich an der Wand? Eh die üblichen Bilder und das übliche Menetekel (mene mene tekel upharsim – gewogen und zu leicht befunden).


(14.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 13. November 2024

3862 Mumok

 



Im Mumok. Und jetzt im Café Leopold. Ich war in der Medardo-Rosso-Ausstellung und bin hingerissen. Klimt und Schiele schau ich mir nicht an. Niemals! Aber jetzt im Café Leopold. Der Kaffee ist recht gut und ich habe von meinem Sitzplatz aus einen schönen Überblick im Lokal – und das habe ich gern – und einen Ausblick in alle Räume und sogar hinaus ins Freie – das habe ich auch gern. Die Zeichnungen vom Rosso haben mir so gefallen und so große Lust gemacht, wieder zu zeichnen, „nach der Natur“ sozusagen, Landschaften, Körper – so eine unglaubliche, schmerzhafte Sehnsucht steigt auf, aber ich fürchte, dieser Impuls wird nicht anhalten. Er wird nicht ausreichen, wieder einen Bleistift zum Beispiel in die Hand zu nehmen. (Immer wenn im Hintergrund die Eingangstür zufällt, läuft eine Stoßwelle durch die Rückwand der Bank, auf der ich sitze, und auch – wie ich gerade feststelle: wenn sich wer auf die lange Bank setzt oder auf ihr ruckelt.) Es reicht niemals aus, ich verstehe es selbst nicht, dass ich es einfach nicht kann; ich meine nicht tun kann. Die Hemmung ist zu groß. Nach ein paar Zeichnungen würde meine Hand schon lockerer und geschmeidiger werden. Dass das döbranitische Urteil vor 35 Jahren immer noch so stark ist, kann ich nicht so recht glauben, noch dazu, wo ich inzwischen sehr wohl zwei Phasen der Wiederbetätigung hatte, die aber immer verlaufen sind. Sie haben nicht lange angehalten. Oder kann es sein, dass die Verurteilung des bajuwarischen Affenarsches selbst nachdem ich mit ihm gebrochen habe, untergründig wie ein versteckter Virus, oder ein geheimes Krebsgeschwür weitergearbeitet hat und dann erst recht – da ich geglaubt habe, der Tumor sei schon entfernt – weitergefressen und noch mehr Gewebe zerstört hat? Ich mein: es schaut so aus, als wäre meine Hemmung zu zeichnen stärker denn je.

Nebenbei gesagt: ich habe es richtig genossen, hier im Mumok herumzugehen; schon vom Volkstheater die Stufen, die ja weit und großzügig angelegt sind, hinunter zum Eingang zu gehen, hat meinen Blick geweitet, mein Herz geöffnet und meine Seele erhoben. Allein der großzügige Boulevard, die Weite der „Landschaft“ und das schöne Ambiente. Das haben sie gut gemacht.

Die Musik aus den Boxen hier geht auch, jedenfalls hat sie die richtige, leise Lautstärke. Übrigens: beim Betreten des Lokals habe ich auch gezögert, ob ich hier hereinkommen darf und einfach nur langsam meinen Kaffee trinken ohne zu speisen (das Café im Namen reicht mir heutzutage nicht mehr für das Sicherheitsgefühl, hier zur Mittagszeit bloß Kaffeetrinken zu dürfen). Ich habe daher gleich vorher den Kellner gefragt, ob es okay ist, wenn ich nur einen Kaffee trinke – obwohl offensichtlich genug Platz im Lokal war und ist. Mir ist zum Heulen. Ich will doch auch nur leben und dasein dürfen. So! Satis est! Jetzt halte ich meine Emotionen zusammen und lasse sie nicht ausrinnen.


(13.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3861 Macht Sinn

 



1:21 a.m. Es macht Sinn – ach! Was soll die Phraserei! - es ist wirklich sinnvoll, wenn ich zu den Texten die Uhrzeit notiere, denn der Morgen ist etwas anderes als der Vormittag, ist etwas völlig anderes als der Mittag, als der Nachmittag, als der Abend, als die Nacht. Ich beschreibe ja immer was ist, draußen, drinnen und innen, und da ist die Tageszeit eine wertvolle Info, nicht wahr?

7:29 a.m. Mindestens seit einer Viertelstunde hocke ich im Bett und lausche den heute eigenartigen Geräuschen, die mich aufgeweckt haben. Es sind dies die ganz normalen Morgengeräusche – das Radio aus der Küche, von dort auch die Arbeitsgeräusche, die Lüftung oder Klimaanlage – ich weiß immer noch nicht, was das für ein Gerät ist - aus dem Lichtschacht - und das klingt heute anders. Pulsierend. Ganz intensiv bis in den Schlaf hinein.


(13.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 12. November 2024

3860 Dann wartest hald!

 



9:16 a.m. Kalt und grau ist die Welt. Selbst im Bett fröstelt mich ein wenig. Der von der auf und wieder zu geworfenen Bettdecke aufgescheuchte Staub schwebt noch immer durch den Lichtkegel der Leselampe. Ein Staubkörnchen hat bei seiner Durchreise nicht nur das Licht mitgenommen, sondern auch Glut, denn es leuchtet plötzlich am Rande meines Gesichtsfeldes auf wie ein aus dem Weltraum in die Erdatmosphäre eingetretenes Objekt. Dabei war seine Bewegungsrichtung rechts hinaus aus dem Gesichtsfeld. Ich entdecke unter dem kurzgeschnittenen Fingernagel meines linken Zeigefingers einen kleinen Schmutz, den ich ohne Werkzeug nicht herausbringe. Ich verschiebe diese Arbeit auf später im Bad. Denn probiere ich es dennoch nochmals, diesmal mit der Ecke eines der Notizbuchblätter und es gelingt sogar halb: der schmutzige Punkt ist jetzt kleiner. Mein Handy düdelt immer wieder, dass es Nachrichten empfangen hat, aber ich bin noch nicht bereit. Eine Botschaft wie „Fürchte dich nicht!“ wäre nicht schlecht (wenn nicht, wartest hald auf Weihnachten – der innere Spötter). Jetzt, wo ich das hergeschrieben habe, habe ich meine Neugier angestachelt und am Handy nachgeschaut: die Backsaison wurde eröffnet. Privat. Unten arbeiten die Tageskinder schon recht fleißig. Oh, meine frankophone Schweizerin im Regal ist endlich wieder runder geworden! Zufällig habe ich das entdeckt. Okay, ganz so zufällig ist das nicht, denn diese Kunstkarte lehnt an der Stelle im Regal, wohin aus meiner Hockposition im Bett der Blick ganz leicht und selbstverständlich hinfallen will. Nach Mali Lošinj, Rettenschoess, auf die Riesneralm und nach Veli Lošinj hinauf muß ich, wenn ich sie anschauen will, den Blick bewußt und mit Absicht anheben und hinlenken.

Durch meine Atemzüge aus dem Bauch – mein Blick ist wieder ganz heruntergesunken – bewegt sich mein auf den aufgestellten Oberschenkel ruhende und an seiner Unterkante an meinem Bauch anliegende Notizbuch rauf und runter und bewegt so sein nach oben auf der über die angezogenen Beine liegende Bettdecke ausgelegte rote Lesezeichenbändchen an genau einer schon ziemlich zerschlissenen Stelle – halb hebt es sich ein wenig, halb verbiegt es sich nach rechts – sodass der Eindruck entsteht, auch das Bändchen würde atmen. Diese Bewegung als Herzschlag auszulegen ginge auch noch.

Ich glaube, heute habe ich fürs erste genug gespielt; ich kann jetzt aufstehen.

(Anmerkung des Autors: Via Facebook angeregt vom Schriftsteller Hermann Schindler, der das propagiert, habe ich mich entschlossen, ab sofort auch in der Schreibweise das umgangssprachlich so ausgesprochene hoid – wie in: es is hoid z’spaat in Schriftsprache mit weichem d zu schreiben, also hald, um es von allen Wörtern, die sich von halten ableiten, klar zu unterscheiden. Nach Peter Wehle kommt dieses hald von gotisch haldis = vielmehr. Und in der Aussprache hat es im Unterschied zu halten eindeutig ein weiches d. Es ist jetzt hald so!)


(12.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3859 Mea culpa

 



2:55 a.m. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. Ich schreibe viel zu viel über mich selbst. Und ich verwende ich viel, gar viel zu viel. Mein, meine, mir, mich kommt unerträglich oft vor. Ich gebe das zu. Ich bekenne, dass mein Eigendünkel zum Himmel stinkt (und wo sonst noch? - der innere Spötter). (Und damit es kein Mißverständnis gibt: sich für einen schlechten Menschen, einen großen Sünder, den letzten Schwächling zu halten ist Eigendünkel par excellence – der innere … is ja wurscht!) Nun bin ich um diese Zeit vom Lesen und auch so schon recht müde und werde den Griffel bald weg- und mich hinlegen. Bis dahin jedoch erwähne ich noch das laute Surren in meinen Ohren bei fast perfekter Stille rundherum, die dunkle Nacht, meine Leselampe und die angestrahlte Bettdecke, auf der – bei angezogenen Beinen – einer meiner am häufigsten genannten Gegenstände liegt: mein Notizbuch. Und das in meiner Kemenate, wobei jedoch die Heizung seit 20 Uhr 30 ausgeschaltet ist. Darum ist mir auch ein wenig kalt. Weil ich schon recht müde bin, werde ich mich jetzt hinlegen. Zähneputzen war schon, aber ich muß jetzt noch pinkeln gehen. Aber dann!


(12.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 11. November 2024

3858 Neuer Arbeitsplatz

 



14:56. Nun sitze ich zu Hause am freigeräumten Schreibtisch im Musikzimmer, das ich mir mit meinem neuen Bücherregal für meine Bücher, die in meinem Zimmer keinen Platz mehr haben (die endlich abgebaute Büchermauer neben meinem Bett), wenn schon nicht einverleibt, aber doch ein wenig anverdaut habe, und blicke links auf den durchs Beiseiteschieben so schön zufällig gefalteten und geknitterten weißen Vorhang und aus dem Fenster hinaus in den wirklich nebelgrauen Tag – auf diesen gerade noch hellgrauen Himmel und auf die unerleuchteten Hausfassaden. Vielleicht wird das wirklich ein neuer, zusätzlicher Arbeitsplatz für meine Schreiberei, einer mit wieder anderer Aura und anderem Output (für mich Input), nur sollte ich dann den Heizkörper etwas stärker aufdrehen, denn in dem großen Raum ist es recht kalt. Es sitzt sich gut an diesem Schreibtisch, auch mit diesem einfachen Klappstuhl (du mußt dich einmal entscheiden, ob du Stuhl und Sessel deutsch oder österreichisch verwenden willst, das ständige hin und her geht nicht! - der innere Kritiker). Schön ist bei diesem Ausblick, dass zwei Drittel der Fensterfläche vom Himmel eingenommen wird und nur ein Drittel von den Gebäuden gegenüber. Das ergibt ein Gefühl, dass noch genug Luft nach oben ist – was ich jedoch als entspannend empfinde und gerade nicht als Aufforderung, noch höher hinaus zu wollen, streben, kämpfen, müssen. Nein, ich habe es gern mit großem Himmel über mir (und dem Sittengesetz in dir? - der innere Spötter). Ich gaffe in das Nebelgrau hinein, das nicht ganz so monoton ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, und obwohl ich mir bei manchen Verdichtungen und Verdünnungen im Grau nicht sicher bin, ob die im Nebel stattfinden, oder von Flecken auf den Fensterscheiben oder Augentrübungen kommen, so kann ich doch Stellen, wo Licht durchzubrechen scheint, ausmachen, sowie ein verstecktes, dem Grau unterlegtes Blau. Und das ist schon was!


(11.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3857 Blue Box

 



12:06 Nervös und unruhig sitze ich im Lieblingscafé in der Burggasse, denn ich habe es nicht geschafft, zu stilleren Zeiten einzukehren (weil er verschlafen hat – der innere Verräter) und jetzt geht schon die Mittagstime los und ich sitze bloß bei einem Kaffee. Am Morgen schon war ich durcheinander und motorisch limitiert – Dinge sind mir aus der Hand gefallen – und das scheppernde Surren des altersschwachen Rasierapparats ist mir wie eine grausame Lärmattacke nah bei meinem überforderten Ohr vorgekommen. Auch hier und jetzt habe ich das Umblättern der Zeitungsseiten nur mühsam und mit großem Aufwand an Geduld hinbekommen. Nein, das wird heute kein gemütliches Herumsitzen, -schauen, -lesen, -schreiben. Ich sitze schon auf Nadeln. Schnell trinke ich den Kaffee und schnell schlinge ich die kleine Schnitte hinunter (beim Öffnen der Verpackung halte ich die Schnitte über den Kaffee, auf dass die Brösel nicht auf den Tisch, sondern ins Getränk fallen – sorgsam wie der Priester mit seinen Hostienbröseln – auf dass nichts vom Leib Christi verloren gehe und gar in den Mistkübel gelange. Ich gebe zu: ich bin voller klerikaler Gesten). Meine Nerven sind so angespannt; nur mit Müh und Not kann ich mich davon zurückhalten, aufzuspringen und aus dem Lokal zu stürzen – so schlecht ist mein Gewissen. Nur wegen dieser unterbezahlten Herumsitzerei. Aber nun ist es ernst: erst zahle ich, dann gehe ich.

12:35. Jaaa, ich bin gegangen und – man staune – in der Blue Box gelandet. Bei koffeinfreiem Kaffee (ich trau mich nicht mehr). Ich sitze auf meinem alten Stammplatz am Fenster. Zugig ist es hier von der Eingangstür her und heute sicherlich nicht der beste Platz, aber ich feiere meine Vergangenheit und bin den Tränen nahe. Der Cappuccino ist okay; das ist schon mal gut. Mir läuft ein Schauder über den Rücken, als müßte ich heute die Blue Box zan letztenmoi sehgn und mich endgültig verabschieden. Ich drehe den Kopf nach links hinten, ob ich meinen Tod, der hinter mir geduldig lauert, wahrnehme und etwas von seinen zeitnahen Plänen. Mei Blue Box geht man nit ausn Sinn, wo ich oftmois so glickli und trauri gwest bin. Tränen in meinen Augen, tatsächlich! Ich muß hier ungeheuer viel von meinen Emotionen, Hoffnungen, Erwartungen, Träumen, Enttäuschungen und Schmerzen hinterlassen haben. Vielleicht kann ich sie aus dem Lokal herausnehmen und wieder bei mir hochladen. Vermutlich jedoch – so wie es ausschaut – geht es in die andere Richtung.

Allzuviel hat sich hier, was die Raumausstattung betrifft, seit knapp vierzig Jahren nicht geändert, und das ist gut so. Langsam kriege ich mich ein (was immer das heißt! - ihm gefällt bloß diese deutsche Redewendung – der innere Spötter). Ist es überhaupt gut, die alten Orte aufzusuchen? Kommt da nur Sentimentalität heraus? Was weiß ich, vielleicht habe ich da etwas verloren, was ich dringend brauche (die Ganzheit des Selbst erreichst du so nicht – der innere Korrektor). Kunst an der Wand. Ich blicke mich im Lokal um, ob irgendwer da sein könnte, der altersmäßig zur gleichen Zeit wie ich in der Blue Box gewesen sein könnte. Nein, schaut nicht so aus; alle scheinen jünger zu sein. Puh! Ein Hauch von Einsamkeit umstreicht mich. Schon vorbei. Aber es stimmt: mit wem kann ich meine Welt – angefangen mit der katholischen Frömmigkeit meiner Kindheit, dann meiner Musicbox-Anbetung, später meinen linken Illusionen, meinen Blue-Box-Performances etcetera noch teilen? So ist das, wenn man alt wird. Ach, die Musik aus den Boxen ist immer noch gut – kennen tu ich sie nicht. Ich halte meine – ich gebe es ungern zu: nostalgischen Gefühlsaufwallungen schwer aus und werde gehen. Ich fürchte mich vor diesen Gefühlen. Die Klos scheinen vergrößert und ausgebaut. Jetzt klingt die nostalgische Überlagerung ab und es wird zu einem normalen Lokal. Fast, denn ich mußte noch den Kellner von den alten Zeiten vollquasseln. (Wer hat wen ausgeräumt?). Zeit zu gehen.


(11.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3856 Botschaft

 



5:50 a.m. Ich bin noch aufgewühlt und völlig irritiert von einem halbvergessenen Traum, wo es um eine Abreise gegangen ist, die zuerst problemlos, dann gefährdet erschienen ist. Ich habe ihn aufzuschreiben versucht, aber er war mir großteils schon entglitten. Die Entlüftung röhrt im Lichtschacht, ansonsten ist es ganz still, aber nur in meinen Ohren surrt es spitz und scharf. Ein tiefer Seufzer versucht alles zu beruhigen, aber diese fremdartigen, angstmachenden Energien aus den Träumen sind noch da. Unten ist D. zu ihrem Tagewerk aufgestanden; ich höre es. Ich werde noch länger schlafen müssen. Was wollte mir der Traum erzählen? Da ist eine Botschaft, aber ich kann sie nicht finden.


(11.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3855 Wurm

 



11:57 a.m. 73 ist die Nummer des Garderobenkästchens, das ich in der Albertina modern zum Ablegen des dicken Pullovers und der letscherten Pullmanmütze genommen habe. 73, „Mond-Jupiter, die erregten Schleimhäute“ (c/o Wolfgang Döbereiner, der bajuwarische Affenarsch). Was die Staubskulpturen betrifft, übertreffe ich den Wurm locker! Der soll einmal in mein Zimmer kommen! Seine ältesten Arbeiten erinnern mich an Hannes Priesch. Jetzt sitze ich vor so einem roten Blähcabrio, aber nur weil dort eine der wenigen Sitzbänke ist, wo ich ein wenig rasten und schreiben kann. Mein Blick ist am Auto vorbei auf eine dieser technischen Museumssicherheitstüren gerichtet – auch nicht so interessant, aber ich wehre mich gegen den Wurm.

Und wieder sitze ich auf einer Bank, die wieder zu einer technischen Sicherheitstüre schaut. Manches hier ist schon witzig; auch, dass ich jetzt bei den Neurosen sitze. Und nun weiß ich nichts damit anzufangen. Alsdann stecke ich das Notizbuch in mein liebes Albertinatäschchen. Ich haben fertig.
(11:57 wäre wohl Uranus-Venus-Mond, oder? - der Tipper)


(10.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 8. November 2024

3854 Ich bin kein Spion!

 



12:19. Hoffentlich ausnahmsweise sitze ich im hinteren Raum des Cafés. Der Raum ist schon in Ordnung und gemütlich – ein Holzofen, vor dem es sogar eine Sitzbank mit kleinem Tischchen gibt, an dem eines auch ins Internet kann (Steckdose!), ein Ofen also mit Sichtfenster auf die Flammen, die Architektur ist interessant und das hauptsächlich Fünfziger-Jahre-Dekor schön witzig, aber ich habe keinen Ausblick nach draußen auf die Straße. Ein zugiges, kleines Fenster in den unattraktiven Hof gibt es. Nur in einem der Spiegel kann ich das oberste Fünftel der Eingangstüre auf- und zugehen sehen und ein paar Zweige der Platane – oder sind es die der Sträucher der Schanigartenbepflanzung? Im Übrigen hängen die Spiegel zu hoch, als dass ich mich Sitzenden darin seitenverkehrt betrachten könnte, dafür sehe ich irgendwelche Wein-Flaschen. Angeregte Gespräche von Menschen einer für mich unerreichbaren Welt diffundieren durch die Musik aus den Boxen. Ich komme mir wie in einer ideologisch erneuerten, irgendwie, aber nicht zu sehr, upgegradeten, auf die Mittagszeit verlegte Blue-Box vor – was in meinem Fall ein Lob, nein, eine Liebeserklärung ans Lokal ist! Zur Augustinverkäuferin jetzt bin ich allerdings hart – warum, und wieso ich mich mit dieser Straßenzeitung nicht und nicht anfreunden kann, weiß ich nicht.

Und jetzt? Jetzt habe ich das kleine zum Kaffee servierte Schnittchen gegessen und ein Stücklein im Hals stecken, weshalb ich gleich, wenn ich diesen Satz beendet und den Griffel abgelegt haben werde, mit einem Schluck – noch offen ob Wasser oder Kaffee – nachspülen werde. Der Vollständigkeit halber: zuerst ein Schluck Wasser zur Befreiung der Speiseröhre vom Fremdkörper und dann ein Schluck Kaffee zur Verbesserung des Aromas.

Auch der nicht unangenehme Lärm der lebhaften Gespräche rundum folgt einer – vermutlich unbewußten Regie und Choreographie, wahrscheinlich hinter dem Rücken der Akteure konzipiert, Melodie, Lautstärke, Sound und Tonhöhe ändern sich in rhythmischer Manier.

Das Lokal ist voll und die meisten essen zu Mittag; gleich werde ich unruhig und nervös, dass ich vielleicht sogar sinnlos Herumsitzender den Geschäftserfolg störe und Platz beanspruche, für den ich nicht genug bezahle mit meinen ein oder zwei Kaffees. Ich versuche, mein aufgescheuchtes Gemüt rational zu beruhigen und die Dimensionen richtig einzuordnen, aber spricht nicht der rationelle Verwertungszwang und der optimierungswütige Geschäftssinn gegen mich? (das unterstelle ich dem Lokal nicht! Das sind nur die früher faschistoiden und jetzt neoliberalen Verurteilungen, die ich internalisiert habe und nie richtig los geworden bin). Auf jeden Fall werde ich allmählich heimgehen; vielleicht zu Fuß, wie es einem armen Pilger hier auf Erden zusteht.

Auf der demütigen Wanderung dann war ich durchaus empfänglich für die Schönheit der Stadt im fast schon winterlich schwächelnden Sonnenlicht, besonders als ich die Burggasse herabgekommen und ins offene Blickfeld beim Volkstheater getreten bin, auch wenn mir dann weiter unten ein robuster Jugendlicher aus einer überdreht kommunizierenden Clique im Vorbeigehen – wohl ohne es zu merken – überlaut und rücksichtslos und mit seelischem Überdruck sein grässliches, pseudomännliches Gelächter direkt ins linke Ohr geplärrt hat.

Bei Maria, am Gestade, stoppe ich kurz und halte ein wenig inne, schaue wie immer, wenn ich vorbeikomme, die schönen frühneuzeitlichen Häuser an, die schöne, weite, großzügige Stiege zur Kirche hinauf, streife mit einem kurzen Blick diese selbst, und finde sogar am modernen Fünfziger-Jahre-Bau gegenüber Gefallen. Weil der polnisch telephonierende Mann und die ungarisch telephonierende Frau vorm polnischen Institut sofort verschwinden, als ich auftauche und mich eine halbe Minute auf die Bank dort setze: ich bin kein Spion der PIS und auch nicht der Antipiss und habe mit irgendwelchen urb- oder orbanen Seilschaften nichts zu tun! (Oder führe ich wie Jekill und Hyde ein Doppelleben, wovon der eine nichts weiß?!)

Und dann: ich gehe diesen Weg oft und er führt zur U-Bahnstation Schottenring, aber diesmal komme ich völlig überrascht beim Morzinplatz heraus! Wie ich merke, wo ich bin, bin ich komplett irritiert! Wie gibt’s das? Ich habe keine Ahnung! Hat ein kleiner, aber magischer Ortswechsel, eine Translokation der dritten Art, eine kleine, unscheinbare Hexenreise stattgefunden? Meine pingelige und kleinkarierte Ratio hält das für unglaubwürdig und denkt mehr in Richtung wandernde Scheinanwesenheit und vermutet eine möglicherweise endorphinverstärkte Desorientiertheit und in meinem Kopf ein tranceartiges Gedankenspiel (ich habe nur die Drogen Kaffee und Schwarztee zu mir genommen!) Und Oida! Was immer passiert ist: ich muß wirklich verdammt abwesend gewesen sein! (Oder doch kurz von Hyde auf Jekill gewechselt?)


(8.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3853 Uff!

 



2:20 a.m. Ich hocke wieder im Bett unter der warmen Decke und bereite mich auf das Schlafen vor. Die Geräusche haben sich choreographisch einer Schwingung angepasst und heben und senken kontinuierlich und minimal Tonhöhe und Intensität. Im Zimmer scheint leichter Nebel zu sein: entweder ist das eine optische Täuschung auf Grund spezifischer Lichtverhältnisse oder dunkles Licht ist in mein Zimmer und meine Wahrnehmung eingesickert (er übertreibt halt immer – der innere Kritiker). Aber ich seh jetzt doch die verdunkelte Aura des Holzraben am Fenster! Recht deutlich!

9:51 a.m. Ein sonniger Morgen. Sogar in meiner abgelegenen Kemenate – der Holzrabe schaukelt schon in der Wärme – habe ich das mitbekommen. Habe ich meinen außerordentlichen Therapietermin schon im Tischkalender eingetragen? Erinnere ich mich richtig an den ausgemachten Tag und die Uhrzeit? - das fällt mir plötzlich ein und löst einen kleinen Schock aus, der in der Leibesmitte körperlich spürbar wird (so leicht bin ich zu fällen!). Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben und das Ganze besonnen einzuordnen. Aber ich werde aufstehen und im Kalender nachschauen und gegebenenfalls den vermuteten Termin eintragen.

(Uff! Manche Texte sind mühsam einzutippen, weil sie so lang sind und das kaum leserliche Gekritzel im Notizbuch eine echte Herausforderung ist, mit all den eingefügten und an den Rand oder auf der nächsten Seite notierten Bemerkungen und Ergänzungen. Manche Texte jedoch sind mühsam, obwohl sie kurz sind – wie der da – weil sie … ja was? … nicht aufgehen? zerfallen? wegschlüpfen? … ich weiß nicht …)


(8.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 7. November 2024

3852 KHM

 



Ins Kunsthistorische Museum bin ich aufgebrochen wie zu einer Expedition, inklusive mehrerer Startverzögerungen, zum Beispiel weil ich ein paar Mal aufs Klo mußte oder etwas vergessen hatte. Jetzt jedoch sitze ich vor den Rembrandtschen Frauenporträts, sehe schlecht im düsteren Saal und bekomme auch aus der Nähe weder mit noch ohne Brille einen guten Blick. Ich sollte ergriffen sein, aber ich bin noch irritiert und durcheinander, weil man für diese Ausstellung ein Time-Slot-Ticket braucht – das ganz einfach zu bekommen war – aber allein schon das Wort „Time-Slot“ schreckt mich und schüchtert mich ein.

Allmählich sinkt meine Aufregung und ich komme ein wenig an. Massen sind unterwegs (und ich bin ein Teil davon), mindestens so viel wie auf den सगरमाथा - Sagarmatha („Stirn des Himmels“) oder ཇོ་མོ་གླང་མ - Jo mo glang ma oder Qomolangma („Mutter des Universums“) (laut Wikipedia die Namen des Mount Everest in den Landessprachen Nepali und Tibetisch). Mit mir ist wirklich nichts anzufangen – ich bin viel zu popverseucht. Außerdem stehen die vielen Betrachter immer vor den Bildern, sodass ich von der Bank aus mehr die Hinterköpfe, Rücken und die besser oder schlechter kleidungsmäßig kaschierten Hintern sehe. Ich habe beschlossen, keine Photos zu machen. Im Moment sehe gut auf drei der vier Bilder an der Wand gegenüber. Ich schaue schallgedämpft und irgendwie gleichgültig hin. Die Finsternis und das Licht. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Ich sehe keine Feinheiten und nichts fällt mir auf. Höchstens etwas in der Art, wie die menschlichen Körper aus dem Dunkel herauszutreten und deutlich zu werden versuchen, vermutlich als Individuen. Während mich eher interessiert, wie der Mensch verschwinden kann; sei es in einer Landschaft zum Beispiel oder indem er sich auflöst in seine Teile, Substanzen und Energiefelder (und so selbst zur Landschaft wird). Ich glaube nicht mehr an die Idee von der Person, die auch nur eine Maske ist, über so ein Energiekonglomerat gestülpt. Nirgends wird mir meine Ungebildetheit so bewußt wie hier.

Im nächsten Saal sehe ich, dass er ausgerechnet seinem Sohn das Gesicht ziemlich dunkel läßt. Bei manchen der anderen Bilder hat man den Eindruck, dass die Porträtierten etwas deppert in die Kamera schauen, vor allem die wichtigen Männer. Plötzlich bemerkte ich, wie bei den vier porträtierten Männern da die Nasen regelrecht herstechen. Ich bin nur ein Trottel, der in der Welt herumstolpert - so eingeschüchtert bin ich.

Ich bin jetzt in den anderen Sälen bei anderen Malern und wahrlich: ich fühle mich von den Nasen verfolgt. Die springen mir sofort ins Gesicht. Fast alle Nasen zeigen, zielen und stechen auf mich. Übrigens bin ich gegen die Ausstellungsrichtung unterwegs. Und die Seitenkammern lasse ich aus.

Nachdem ich das hergeschrieben habe, kann ich die Seitenkammern nicht mehr auslassen, dabei blicke ich auch durch die vernetzten Fenster so gut es geht und erleichtert auf die Stadt hinaus – wobei vernetzt hier nicht heißt, dass die Fenster innig miteinander verbunden sind, sondern als Lichtschutz außen Netze vor den Scheiben haben. Wieder in den großen Sälen verstärkt sich meine Nasenphobie und sehe an den Porträts nur mehr die gefährlichen, meist männlichen Nasen. Okay, ich gehe weiter.

Je älter die Bilder werden – ich wandere tiefer in die Vergangenheit – desto weniger fühle ich mich von den Nasen attackiert – wiewohl sie im ersten Anblick noch einen kleinen Schock auslösen, stechen sie nicht mehr so auf mich, den Betrachter. Nebenbei irritiert mich der ständige Glanz der Scheinwerfer auf den Bildern; ich kann nichts sehen! (Pah! Bist du ein Jammerer! - der innere Kritiker). Ein paar Landschaften locken noch meinen Blick an, aber ich bin überfordert, erst recht wenn ich sehe, dass darin noch ein paar Gestalten wie zur Rechtfertigung herumgehen, stehen, liegen, kugeln.

Ich muß schleunigst nach Hause in mein Zimmer, auf das Bett, mich ein wenig hinlegen und ausrasten.


(7.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3851 Bumm!

 



2:24 a.m. Bumm! So spät! (oder soll ich etwas zu Trump sagen?). Ich blicke auf meinen „Hausaltar“ an der linken Wand. Der ist natürlich witzig mit dem ganzen Mischmasch, den vielen verschiedenen Bildchen, den angelehnten Walkingstecken, den Verspannungen aus dunkelblauen Bändern, den drei unterschiedlichen Weihrauchfässern, die ich schon lange nicht mehr angeworfen habe, dem ausgetrockneten Weihbrunn, dem Grimming aus und im Karton – ein kindliches Geschenk meiner jüngeren Tochter – den Steinen, und noch diverses Zeugs, das aufzuzählen mir um diese Stunde zu blöd ist. Ja, sogar eine volle Weihwasserflasche aus einem Kloster steht auf dem Bord, die ich auch noch nie geöffnet habe. Aber ich habe schon einen Hang zu solchen Gesamtkunstwerken; wie ernst ich es damit meine, weiß ich selber nicht.

Also geht es schon auf drei zu, aber ich habe noch keine Lust auf schlafen. Ich drehe wiedereinmal die neben dem Bett installierte Leselampe hinauf, auf dass sie den hinteren Teil des Zimmers mit dem Regal und den vielen Büchern und Bildern – so gut es geht – ausleuchten möge, aber es ist kein Wunder geschehen: wie bei allen meinen Versuchen vorher kann oder will die Lampe diese Position nicht halten und dreht sich von der Schwerkraft verlockt wieder herab und ihren Lichtschein auf meine Bettdecke. Auf der lehnt mein Notizbuch, hell erleuchtet, auf der von meinen unter der Decke angezogenen Beinen aufgestellten Schräge, und wartet auf meine niedergeschriebenen Worte. Oder Wörter. Deren Quelle scheint jedoch versiegt.


(7.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 6. November 2024

3850 Streetfighting Männele

 



12:30. Während aus den Boxen meines Lieblingscafés vorwiegend Hits aus meiner Jugend spielen – und diesmal vorwiegend die, die ich wirklich mochte - bin ich aufgewühlt von Berichten geflüchteter afghanischer Frauen, die ich gerade im Falter gelesen habe. Ich weiß, es ist sehr fragwürdig, eigentlich obszön und blasphemisch, diese Geschichten in meinem elendigen Selbstbeschreibungen und die meiner pseudautistischen Beobachtungen überhaupt zu erwähnen – weil ja auch die Tränen in meinen Augen zu narzisstischer Selbstbeweihräucherung und Überhöhung geraten können/werden/sind.

Ich bin nicht der einzige Schreibende hier – und ich meine die, die händisch auf Papier schreiben. Eigentlich wollte ich – seit neuestem ausgestattet mit der Bundesmuseumscard – ins Kunsthistorische Museum, aber überraschenderweise zögere ich immer, wenn ich das vorhabe, scheue regelrecht und gehe dann nicht hin. Warum das so ist, weiß ich nicht und ich habe noch keine Idee dazu (vielleicht weil das Kahaem seit Jahren aus Sparsamkeits- und Revierunsicherheitsgründen nicht mehr in dein Repertoire gehört und du es dir neu erobern mußt – der Tipper). Ich drehe mich mit meinen überschlagenen Beinen – auch dort findet ein Wechsel statt – von meiner bevorzugten linken Seite auf die rechte und schaue beim großen Fenster hinaus: auf den Schanigarten, die Platane und die vorbeifahrenden Autos der Burggasse, weniger allerdings auf die Hausfassaden, denn heute werden sie nicht durch strahlendes, gelbes Sonnenlicht hervorgehoben. Ich muß beim Herumschauen - vornehmlich herinnen im Café – etwas aufpassen – ich bin kein unsichtbarer Beobachter, sondern sitze mitten im – meinetwegen: am Rande des Geschehens und bin sichtbar und greifbar – das vergesse ich manchmal in meiner Scheinanwesenheit. Ich bin ja kein freischwebender Geist oder unberührbarer Traumkörper, sondern in einem irdischen Körper inkarniert, der zweifellos und vollständig dieser Welt der Dualität angehört und in ihren physikalischen, chemischen und sonstigen Prozessen involviert ist (also sag’s deutlich: man könnte dich wegen deiner Herumgafferei zur Rede stellen oder dir eine reinhauen - der innere Korrektor). Ich drehe mich wieder nach links und schlage das rechte Bein über das linke. Momentan habe ich das Gefühl, ich könnte hier bis an mein Lebensende sitzen bleiben, aber ich werde mich prognostisch nicht allzuweit aus dem Fenster lehnen, wenn ich behaupte, dass das nicht der Fall sein wird. Sicherheitshalber drehe ich meinen Kopf links über meine Schulter nach hinten, um zu schauen, ob ich etwas von den Plänen meines Todes erahnen kann – nicht dass er meine Behauptung Lügen straft und mich bloßstellt, indem er heute noch hier im Lokal zuschlägt. Street Fighting Man tönt es aus den Boxen. Ich bin nicht so ein Stones-Fan, wie es jetzt erscheinen könnte, aber damals waren sie schon vorne dabei, wiewohl ich die Cream - vorhin gespielt – auch damals höher gestellt haben würde (zumindest nach ein, zwei Jahren der Popleidenschaft) (oder Rock- das ist mir wurscht). Weil ich gerade eine sehe: ich könnte mir buntere, interessantere Jeans zulegen. Und Afghanistan? Das ist weit weg. Und die Reise des Bewußtseins ...darf überall … wie kann ich das vertretbar und glaubwürdig ausdrücken? … zu ihrem Recht kommen, ohne die grausamen Unterschiede zu verwischen. Oder?

Mein Englisch ist zu schlecht, um englischsprachige Zeitungen lesen, oder Songtexte verstehen, oder jemandem den Weg erklären zu können. Anders gesagt: ich kann gar nicht Englisch. Warum ich das herschreibe, weiß ich auch nicht. Im Lokal wird viel Englisch gesprochen, von Gästen und den KellnerInnen.

Jetzt langsam sagt mir meine innere Uhr, dass es Zeit zu gehen ist, aber nicht sosehr wegen irgendeines Termins, sondern einfach wegen des inneren Geschehens und Gleichgewichts.

Männele, es ist Zeit!


(6.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3849 Wau! Lavendelblau!

 



0:50 a.m. Im dunkleren Bereich des Zimmers tanzen und schweben schon ein wenig die Gegenstände. Die Dunkelheitsteilchen dort im Raum bringen die Luft zum Moussieren. Der lebenslang eingespeicherte Lärm in meinem Kopf entlädt sich in die Ohren. Ein paar rote Punkte steigen den CD-Ständer hinauf und verlieren sich dann. Ich ziehe einen tiefen Atemzug durch. Nun legt sich ein Blauschleier über das Bücherregal dort im Halbdunkel hinten; ein schönes Blau, das ich früher gerne zum Malen verwendet habe, dessen Bezeichnung jedoch mir nicht einfallen will (es ist dunkler als Lavendelblau). Ich lege mich gleich zum Schlafen; ich fürchte, dass ich sonst eine Depression herbeischreibe.


9:31 a.m. Wau! Habe ich heute lang geschlafen! Und ich tu mir ein bisschen schwer, damit zurechtzukommen und mich neu zu organisieren. Der graue Tag verstärkt die seelische Orientierungslosigkeit, dabei sind meine Tagespläne schon recht klar. Nun gut, dann schäle ich mich heraus!


(6.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3848 Die Pullmanmütze

 



13:08. In Hof 9. Die Absperrungen sind größtenteils weg, der Blick geradeaus verfängt sich nicht mehr in den Gittern vor der Nase. Die Sonne kommt im Sinken gerade noch über den Dachfirst. Viele StudentInnen sind unterwegs, und ein paar andere. Ich überprüfe die Tabletten, die ich in der Apotheke gekauft habe, ob sie wirklich die richtigen sind. Sind sind es – scheint so. Noch habe ich Sonne. Ich finde auf der Bank nicht gleich die gewohnte Schreibposition; irgendetwas stimmt nicht. Baustellenlärm aus den Höfen daneben, und auch sonst viel Unruhe von der Straße her. Ich werde tiefer in die Anlage gehen. Der Wind wirbelt die Blätter am Boden auf und reibt sie über den Asphalt. Das Geplauder, Gekicher und Geschnurre nebenan macht mich heut nervös. Vielleicht ist mir einfach zu kalt. Ich suche einen anderen, abgelegeneren Hof.

13:28. Ich wollte den Hof 4, den ich noch nie betreten habe, aufsuchen, aber der aufgegrabene Weg, ein massiver Baustellenelkawe gleich am Eingang haben mich abgeschreckt. So sitze ich jetzt in Hof 2 in einem locker und metallen eingezäunten Rosenbereich. Etwas eigenartig das Ganze und ich mitten drin (Rosen und so: das sind nicht die Orte, wo ich mich sehe), aber immerhin in der – windigen – Sonne. Zehn Meter weiter strickt eine Frau auf ihrem mitgebrachten Klappsessel, manche StudentInnen sitzen an die sonnenbeschienene Hauswand gelehnt am Asphaltboden: eine mit angezogenen Knien, einer mit ausgestreckten Beinen, eine im Schneidersitz. Der Hof 2 ist relativ groß und mit seinen Bäumen, Wiese und dem blättertreibenden Wind fast schon eine kleine Landschaft. Der Himmel ist blau, mit dünnen weißen Schlieren aus alten Kondensstreifen durchzogen (ja, die altern schnell!). Ein Blick auf die Uhr – Zeit habe ich noch genug. Ein Mann geht seit Minuten allein auf der Wiese im Kreis, er macht ständig ähnliche Gesten und wirkt – sagen wir: angestrengt. Jetzt schaut er auch herum, aber geht immer in seinem Kreis, der allmählich zum Oval wird. Wartet es auf wen? Beobachtet er wen? Will er eine Frau verfolgen und passt sie ab? Jetzt dreht er sich abrupt um und verläßt die Wiese. Ich verliere ihn hinter dem Gesträuch aus den Augen. Vielleicht ist er in das Gebäude gegangen und war nur wegen eines Prüfungstermins nervös. Auch ich werde weitergehen.

Mein Schatten an der Hauswand mit dieser letscherten Pullmanmütze am Kopf ist mir fremd.


(5.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3847 Pirker, Steiner, Brunner

 



8:30 a.m. Das ferne Flugzeug pfeift über den städtischen Morgen. Mein Kopf ist vom inneren Dröhnen eingehüllt. In Mali Lošinj erhebt sich im rechten Bildvordergrund eine tendenziell menschliche Gestalt aus Straßen- und Lichtsubstanz; noch ist sie krumm und recht undeutlich und sie hat sich noch nicht aufgerichtet und gestreckt. Oder ist es umgekehrt? Ein Mensch alt und gebeugt sinkt nieder und beginnt sich in Straßenstaub und Licht aufzulösen? Auch heute zieht mich die Rettenschoesser Landschaft – verlässlich menschenleer – ungemein an. Ich lasse meinen Blick über das Riesneralm-Lichtloch drübergleiten und erreiche so Veli Lošinj, das heute auf den ersten Blick nichts offenbart, obwohl es den Eindruck macht, als würde die Stadt schweben. Wie heißt nur der Bungalow oben über der Teufelsgrube? Mir fällt der Name des Besitzers nicht und nicht ein. Es ist auch ganz unwichtig. Ich weiß sowieso nicht, wieso mir das Haus aus der Kindheit und sein Eigentümer einfallen sollen. Pirker! Ich hab’s: Pirker! Eigentlich ein schöner Name. Was war er? Rechtsanwalt? Ich habe nie mit ihm etwas zu tun gehabt; wir sind nur in die Nähe des Hauses gekommen, wenn wir über die Spalt-Wiese zur Teufelsgrube sind. Die kleine Holzfigur im Regal will sich unbedingt verdoppeln und ihre Art von Schildkröte auf Spatzen wechseln. Die frankophone Schweizerin ist heute nicht dicker als in echt, eher wirkt sie etwas ausgemergelt und krank dort im düsteren Bereich, aber sie bewegt sich leicht, schaukelt und dreht sich ein wenig. Mein kleiner Heuwagen fällt mir in die Augen; den habe ich jahrelang nicht mehr beachtet. Steiner ist auch ein schöner Name. Wie auch Brunner.


(5.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 4. November 2024

3846 Anblick

 



10:16 a.m. Die Bäume im Hof haben fast alle ihre Blätter abgeworfen und halten ihre nackten Äste über die Häuser hinaus in den herbstblauen Himmel. Das Sonnenlicht gleißt von der Dachrinne abwärts zwei, drei Meter nach unten und erzeugt ein von Schattenstrichen durchzogenes Leuchten an der Hauswand, dass meine Seele betört und so berührt, dass ich den Blick nicht mehr abwenden will. Nur leise schaukelt eine leichte Brise die restlichen Blätter an den Bäumen, dreht sie vorsichtig, nur am Weidenbaum sind noch viele, sodass Zweige und Äste in Melancholie versunken im zarten Wind tanzen. Ein Anblick für die Ewigkeit. Eine unsägliche Sehnsucht ergreift mich, als ich diese Mauern und Dächer und Bäume im Herbstlich betrachte. Etwas Zeitloses, Überwältigendes drängt in meinem Inneren nach außen. Meine disziplinierten Augen staunen und staunen über die Fülle im Belanglosen, Alltäglichen, bis sie dann allmählich müde werden. Die Stöße eines Seufzers schütteln mich durch und ich löse mich vom Anblick. Was verspricht dieser Anblick? Was will er verheißen?


(4.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3845 Kopfstoß

 



9:03 a. m. In meiner Vernetzung aus Schlaf, Schmerzen und Ungelenkigkeit habe ich das Rollo hochgezogen, um Licht in mein Zimmer zu lassen, und oben unter dem Plafond, in Mali Lošinj ist ein weißer Fleck erschienen und hat sich dann wieder aufgelöst. Ist wieder erschienen und hat sich unmerklich bewegt. Ich wechsle auf Rettenschoess. In Rettenschoess scheint sich eine grüne, dichte Waldmasse ins Bild zu fressen – eine betörende Landschaft entsteht, ich möchte hineingehen (ein wenig ängstlich wäre ich schon). Veli Lošinj ist trotz weicher Konturen heute schärfer, vermutlich weil es fast ein Schwarzweißbild ist, aber als ich lange hinschaue, öffnet es sich ein wenig und man kommt ein wenig in die Stadt hinein. Die Sonne am Photo der winterlichen Riesneralm-Waldabfahrt brennt heute wieder ein Loch in die Zimmerwand, ein gleißendes weißes Loch wohlgemerkt, nicht aus Verbranntem, sondern aus Licht. Auch die Rettenschoesser Berge, die im Hintergrund, fangen an ihren Rändern zu leuchten an, dann auch an ihren Flanken. Ich bin in einen Kopfstoß abgeglitten, den ich drüben irgendwem verpasse, oder war das gar nicht ich? Reichlich Bilder und Szenen stürzen auf mich ein, so viele, dass meine Aufnahme nicht nachkommt. Ach, und meine ewig verkrampfte linke Hand! Die kann ich auch nicht mehr umgewöhnen. „Du hast …“ sagt eine weibliche Stimme, aber mehr bleibt beim Überwechseln nicht über. Oder war da etwas mit Kinder verdrängen? Ich schlage die Augen auf und alles ist ruhig, still, unbewegt - steht einfach so da und gibt sein Licht ab.


(4.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3844 Bücherregal?

 



1:01 a.m. Morgen das neue Bücherregal? Ich weiß nicht. Bei mir dauert so etwas immer etwas länger. Bis es in meinem Inneren zurechtgerückt ist und zu einem eindeutigen und sicheren Impuls geworden ist. Vielleicht ein paar vorbereitende Arbeiten heute, wie Nachschauen, was alles an Schrauben, Nägel, Dübeln und Eisenwinkel da ist, ein bisschen ausmessen und die Ergebnisse auf ein Zettelchen notieren? Ich weiß nicht. Vielleicht brauche ich nach dem verlängerten Wochenende ein paar Tage Einsamkeit und Tagträumerei.

Meine Augen und mein Gehirn spielen mir Streiche und setzen die angeschauten Bilder ganz anders zusammen. Meine Kratzelzeichnung fängt zu moussieren an und wird ein ganz klares, tolles Bild. Die Platane meiner Tochter bewegt ihre Zweige; zugegeben: etwas steifer und verhaltener als in einem irdischen Wind. Der auferstandene Christus wird zu einem schwebenden Amboss. Der Lehrende wird zu einer langhaarigen Frau, die während ihres unhörbaren Vortrags den Kopf hin und her dreht. Die kleinere der frankophonen Schweizerinnen hat ihren Oberkörper schon entkleidet. Auch die Prostituierte von Modigliani bewegt sich, wenn auch fast unmerklich. Die Hörer des oder der Lehrenden sind ganz lebhaft und stellen sich in Grüppchen zusammen. Aber ich, ich werde immer müder. Die Augen fallen mir zu und meine Abenteuer haben sich nach drüben verlagert. Die rechte Hand zuckt unwillkürlich aus.


(4.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 1. November 2024

3843 D’anglais

 



10:43 a.m. Nach dem englischen Frühstück mit Blunzn, Bohnen, Speck, Spiegelei, Pilzen und Taostbrot und dann noch drei Stücke ebendieses mit herrlich bitterer Orangenmarmelade auf reichlich Butter, wobei die dreieckigen Brotstücke noch in der fetten Restsauce gelagert gewesen sind und somit etwas vor deren Aromen und Substanzen aufgesogen hatten – ja, da bin ich rechtschaffen satt und situationszufrieden, und genieße mein Lieblingslokal. Mit den ersten Schlucken Kaffee hatte sich meine Stimmung, die vorher schwankend und unsicher war, begleitet von leichtem Schwindel, sofort und deutlich verbessert. Ich stelle mir vor, dass dies mein letzter Tag auf Erden ist – und das hat zumindest vordergründig nichts mit Allerheiligen/Allerseelen zu tun – und blicke so noch zum Fenster hinaus, auf die Burggasse und die Platanen, auf das Sonnenlicht auf den Hausfassaden und ich denke mir: das geht, mit diesem Anblick als letztem könnte ich gehen. Aber ich glaube mir das nicht recht und hege den Verdacht, dass das doch nur eine Gedankenspielerei ohne Auswirkung ist. Zwar überläuft mich ein kleiner Schauder, als ich meinen Kopf kurz nach links drehe, um meinen Tod, der immer hinter der linken Schulter lauert, wenn schon nicht zu sehen, so doch zu spüren, aber das ist schnell wieder vorbei und von den Alltagsillusionen aufgesaugt.

Bei Cappuccino Nummer drei bin ich jetzt, den ich jedoch koffeinfrei bestellt habe, nachdem ich schon nach dem ersten blasphemisch über das spanische Hochwasser doziert hatte, was meine liebe Frau, die mir gegenüber sitzt, mir zu Liebe ohne Protest ausgehalten hat. Wobei die Blasphemie darin besteht, bei einem wirklich üppigen Frühstück - noch dazu nach einer Anreise im Taxi – wir hatten verschlafen – abgehoben über die Katastrophe sich aufzublasen.

„Findest du nicht, dass ich seit ein paar Tagen erheblich älter ausschaue“ will ich zu meiner Frau sagen, nachdem ich mich beim Händewaschen in Spiegel gesehen habe; aber ich überlege noch, ob ich das mitten im Lokal laut aussprechen soll.

Jetzt habe ich mich verzettelt – das heißt vor lauter Zeitungslesen auf meine wichtigen Beschreibungsarbeit vergessen – und jetzt geht’s in die Albertina zum Chagall und zum Kauf der 99-Euro-Bundesmuseen-Card (Weihnachtsgeld am Konto!).


(1.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com