3864 Ich freu mich so!
Bei Medardo Rosso und Kompagnie im Mumok. Die Zeichnungen vor allem, die ich mehrmals abgegangen bin, haben es mir abgetan (kann natürlich sein, dass diese wie zufällig wirkende und im Understatement daherkommende Art zu Zeichnen in meiner Generation – wie kann ich sagen? - massenweise wäre übertrieben – aber so ähnlich bei den Vielen angekommen ist), sie sind auf bescheidene Weise so genial! Ich sitze nämlich im Saal mit den Zeichnungen. Jetzt, von dort wo ich sitze, sind sie alle zu weit weg, aber: eine jede ist eine großartige Momentaufnahme, einfach und so dicht, so voll, so reich. Und so gekonnt!
Ich frage mich gerade, ob sich die Aufsichtsmenschen hinsetzen dürfen; ich vermute nicht. Plötzlich nehme ich die Bewegungen der Menschen im Saal als Hauptgeschehen wahr, als würde ein stark vereinfachtes und gottseidank aus den verlogenen Höhen heruntergeholtes Ballett mit ganz normalen Leuten stattfinden. Momente ganz toller Choreographie!- es muss einen allmächtigen, allwissenden, allgegenwärtigen größten Choreographen geben! Jetzt wird’s fader und mir kommen Zweifel über diese Theorie. Jetzt wieder ein kurzer, toller Moment! Die Zweifel … ha ha ha … wurscht… . Bei den frischverliebten Paaren bewegt sich – wie ich sehen kann - meist die Frau enthusiastisch (von griechisch ἔνθεος - entheos – Gott in sich habend) (genau genommen hat er keine Ahnung, ob die erste Aussage in ihrer Verallgemeinerung stimmt – der innere Kritiker). (Er glaubt hald (sic!), solche scheinbar apodiktischen Aussagen klingen gut und suggerieren Kompetenz – der innere Spötter.) Das Licht im Saale ist recht angenehm. Nun ist der Saal leer und nur die arme Aufseherin geht herum, durchaus in schönen, gleichmäßigen Bewegungen, irgendwie feierlich, gar liturgisch, wie in ritueller Funktion (der Saal ist leer: sich selbst zählt er nicht als Anwesenden; er glaubt noch immer, dass er unsichtbar bleibt, wenn er sich nicht rührt – der innere Spötter). Nun offensichtlich ein neuer Akt: vier neue Auftritte: drei Männer, eine Frau, anscheinend haben sie miteinander nichts zu tun – das muß jedoch nicht stimmen. Großer Abgang, neuer Zugang. Einer erhebt seine Stimme, was er sagt, verstehe ich in dieser Halle nicht. Manche sind Passanten, die nur durchgehen. Einige Schauspieler stehen um die Ecke, wo man sie nicht sieht, und sprechen ihre Texte ab – die ich auch nicht verstehen kann. Es ist ein schönes Theaterstück, vermutlich der klassischen Moderne. Eine Frau tritt herein, nimmt ihre Handtasche von der Schulter und kramt darin herum (was für eine aussagekräftige Szene!). Eine andere geht plötzlich flott ab. Gekrümmt und vorgebeugt wie ich dasitze, macht sich mein Holzhackerhemd zwischen zwei Knöpfen am Bauch zu einer kleinen Öffnung auf und gibt das graue Leiberl darunter der Sichtbarkeit preis. Das Gekicher von um die Ecke kommt näher und tritt dramatisch in den Saal. Sieben Personen sind nun da (ohne mich: ich gehöre nicht dazu). Einige – so scheint es – schauen etwas hilflos auf die Zeichnungen an der Wand, aber auch da kann ich mich völlig täuschen, weil die bei der Betrachtung - sei es der Bilder, oder - vor allem! - der darunter angebrachten Begleittexte – vorgebeugten Oberkörper und vorgestreckten Köpfe diesen falschen Eindruck erzeugen könnten. Mein Blick wird etwas verschwommen und unzentriert, meine Stimmung ebenso. Wie wäre es mit einem Kaffee? Ein wenig will ich die jetzige stille Stimmung im Saal genießen, die leisen, melancholischen Schritte der Aufseherin, der einzigen Person herinnen, sind zu hören (und melancholisch: möglicherweise wieder bloß eine Unterstellung – der innere Kritiker). Nein, nein, nein, ich gehe jetzt fröhlich irgendwo auf einen Kaffee!
So fröhlich war das nicht, denn durch das lange Sitzen auf der Bank war mein Kreuz steif geworden und das Aufstehen nicht mehr schmerzfrei. Beim Aussteigen aus dem Lift habe ich nicht gleich gewußt, ob ich im richtigen Stockwerk bin und als ich bei der zentralen Einscännerin gefragt habe, ob es hier irgendwo ein Café gibt, habe ich direkt auf das Café, eine rauminterne Terrasse sozusagen, einen Stock höher offen über der Kassa und dem Shop, wie eine innere Pawlatsche, geblickt, ohne es als Café zu erkennen. Das Ambiente hat mir gefallen, aber ich habe nicht mitbekommen, das hier Selbstbedienung ist, obwohl groß auf der Tafel Selfservice steht; so nach einigem Hin und Her jedoch hat es geklappt, dass ich jetzt vor einem Cappuccino, einem - njaaa – schönen Wandbild und einer Reihe von Glasvitrinen mit kunstvollen Vasen, Gefäßen und Tellern sitze. Die kleine fetthennenartige Pflanze am Tisch mit ihrem sechseckigen Töpfchen habe ich verschoben, um das Tablett mit dem Kaffee und dem Wasserglas in die gewünschte, gut erreichbare Position bringen zu können. Viel los ist hier nicht, aber so sehr ich die ruhigen Atmosphären mag – ich würde ihnen mehr Umsatz gönnen. An der Wandmalerei gegenüber gefällt mir vor allem das Gelb über dem Rot – nicht, dass es etwas Besonderes wäre, aber mir gefällt es hald (sic!). Ich schiebe das Tablett jetzt doch noch einen Zentimeter weiter weg, nehme die Rechnung am Tablett zur Hand, schaue sie an, als müßte ich sie überprüfen und als hätte die für irgendetwas Relevanz. Hat sie aber nicht. Ganz rechts am Wandgemälde das Weiß über Rot – das natürlich ins Rosa changiert – und Rosa ist für mich meist eine fragwürdige und gefährliche Farbe – gefällt mir hic et nunc auch. Naja, so schlecht ist dieses Leben für mich nicht! Ich beschließe – so in einer Art innerräumlich-geographischem Selfservice – den Raum bis nach hinten abzugehen, weil ich dort eine besondere Sitzecke sogar mit eingeschalteter Stehlampe entdeckt zu haben glaube. Ich lese auch die Namens- und Titelschilder unter den Bilder auf der Wand hinter mir - wenn ich am Platz säße – und sogar bei den Garderobenhaken, die eine Arbeit der Dertnig sein könnten, suche ich so einen Zettel. Da ist aber keiner und meine Anmerkung ist natürlich eine Frechheit – viel zu bürgerlich und spießig dieses gedrehte und leicht spiralisierte Garderobenhakengestell. Mir kommt vor, dass ich aufpassen muß, nicht zu übermütig zu werden! Gezahlt haben wir – und wer zahlt, schafft an – also können wir gehen.
Und beim Heimgehen: so herrlich zeigt sich in der Sonne dieses dünne Winterblau über den roten Dächern des barocken Hofstallgebäudes und ich bin fröhlich! Als mich, als ich bei blinkendem Grün noch auf den Zebrastreifen gerannt bin, dann, als die Ampel schon auf rot geschaltet hatte, ein Autofahrer angehupt hat, habe ich ihm noch „Arschloch!“ zugerufen (was der in seinem Blech-Plastik-Container sicherlich nicht hören konnte – der innere Spötter).
Und sogar einem Touristen habe ich den Weg zum Spittelberg umständlich erklärt, als er mich, der ich im Freien am Gehsteig hinter dem Naturhistorischen Museum bei einer der Balustraden stehend das Notizbuch aufgelegt habe, um die Arschloch-Sache zu notieren, angesprochen hat, und dabei habe ich sogar in mein Notizbuch eine Skizze des Weges zu seinem Ziel gekratzelt! (Mit der er vermutlich nichts anfangen konnte – der innere Spötter.) Ja gut, aber ich freu mich so!
Und die alte Dame mit Mundschutz dann, der ich in der Straßenbahn meinen Sitzplatz überlassen habe, könnte das nicht die Ex-Pathologin der Soko Stuttgart gewesen sein?
Und bei der Hinfahrt schon, als ich an der Haltestelle vorm Palais Epstein gewartet habe, habe ich Herrn Babler gesehen und quer über die Straße grüßend zugenickt und ihm innerlich, nur innerlich alles Gute für die Verhandlungen gewünscht und er hat zurückgenickt!
Ja und diese Verlegenheit, mit der die zufällig zusammengewürfelten Personen in den öffentlichen Liften (Herminengasse z.B.) zusammenstehen; vor allem dann, wenn es nur Einzelne, keine Gruppen und wenige sind.
(14.11.2024)
©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com
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