3854 Ich bin kein Spion!
12:19. Hoffentlich ausnahmsweise sitze ich im hinteren Raum des Cafés. Der Raum ist schon in Ordnung und gemütlich – ein Holzofen, vor dem es sogar eine Sitzbank mit kleinem Tischchen gibt, an dem eines auch ins Internet kann (Steckdose!), ein Ofen also mit Sichtfenster auf die Flammen, die Architektur ist interessant und das hauptsächlich Fünfziger-Jahre-Dekor schön witzig, aber ich habe keinen Ausblick nach draußen auf die Straße. Ein zugiges, kleines Fenster in den unattraktiven Hof gibt es. Nur in einem der Spiegel kann ich das oberste Fünftel der Eingangstüre auf- und zugehen sehen und ein paar Zweige der Platane – oder sind es die der Sträucher der Schanigartenbepflanzung? Im Übrigen hängen die Spiegel zu hoch, als dass ich mich Sitzenden darin seitenverkehrt betrachten könnte, dafür sehe ich irgendwelche Wein-Flaschen. Angeregte Gespräche von Menschen einer für mich unerreichbaren Welt diffundieren durch die Musik aus den Boxen. Ich komme mir wie in einer ideologisch erneuerten, irgendwie, aber nicht zu sehr, upgegradeten, auf die Mittagszeit verlegte Blue-Box vor – was in meinem Fall ein Lob, nein, eine Liebeserklärung ans Lokal ist! Zur Augustinverkäuferin jetzt bin ich allerdings hart – warum, und wieso ich mich mit dieser Straßenzeitung nicht und nicht anfreunden kann, weiß ich nicht.
Und jetzt? Jetzt habe ich das kleine zum Kaffee servierte Schnittchen gegessen und ein Stücklein im Hals stecken, weshalb ich gleich, wenn ich diesen Satz beendet und den Griffel abgelegt haben werde, mit einem Schluck – noch offen ob Wasser oder Kaffee – nachspülen werde. Der Vollständigkeit halber: zuerst ein Schluck Wasser zur Befreiung der Speiseröhre vom Fremdkörper und dann ein Schluck Kaffee zur Verbesserung des Aromas.
Auch der nicht unangenehme Lärm der lebhaften Gespräche rundum folgt einer – vermutlich unbewußten Regie und Choreographie, wahrscheinlich hinter dem Rücken der Akteure konzipiert, Melodie, Lautstärke, Sound und Tonhöhe ändern sich in rhythmischer Manier.
Das Lokal ist voll und die meisten essen zu Mittag; gleich werde ich unruhig und nervös, dass ich vielleicht sogar sinnlos Herumsitzender den Geschäftserfolg störe und Platz beanspruche, für den ich nicht genug bezahle mit meinen ein oder zwei Kaffees. Ich versuche, mein aufgescheuchtes Gemüt rational zu beruhigen und die Dimensionen richtig einzuordnen, aber spricht nicht der rationelle Verwertungszwang und der optimierungswütige Geschäftssinn gegen mich? (das unterstelle ich dem Lokal nicht! Das sind nur die früher faschistoiden und jetzt neoliberalen Verurteilungen, die ich internalisiert habe und nie richtig los geworden bin). Auf jeden Fall werde ich allmählich heimgehen; vielleicht zu Fuß, wie es einem armen Pilger hier auf Erden zusteht.
Auf der demütigen Wanderung dann war ich durchaus empfänglich für die Schönheit der Stadt im fast schon winterlich schwächelnden Sonnenlicht, besonders als ich die Burggasse herabgekommen und ins offene Blickfeld beim Volkstheater getreten bin, auch wenn mir dann weiter unten ein robuster Jugendlicher aus einer überdreht kommunizierenden Clique im Vorbeigehen – wohl ohne es zu merken – überlaut und rücksichtslos und mit seelischem Überdruck sein grässliches, pseudomännliches Gelächter direkt ins linke Ohr geplärrt hat.
Bei Maria, am Gestade, stoppe ich kurz und halte ein wenig inne, schaue wie immer, wenn ich vorbeikomme, die schönen frühneuzeitlichen Häuser an, die schöne, weite, großzügige Stiege zur Kirche hinauf, streife mit einem kurzen Blick diese selbst, und finde sogar am modernen Fünfziger-Jahre-Bau gegenüber Gefallen. Weil der polnisch telephonierende Mann und die ungarisch telephonierende Frau vorm polnischen Institut sofort verschwinden, als ich auftauche und mich eine halbe Minute auf die Bank dort setze: ich bin kein Spion der PIS und auch nicht der Antipiss und habe mit irgendwelchen urb- oder orbanen Seilschaften nichts zu tun! (Oder führe ich wie Jekill und Hyde ein Doppelleben, wovon der eine nichts weiß?!)
Und dann: ich gehe diesen Weg oft und er führt zur U-Bahnstation Schottenring, aber diesmal komme ich völlig überrascht beim Morzinplatz heraus! Wie ich merke, wo ich bin, bin ich komplett irritiert! Wie gibt’s das? Ich habe keine Ahnung! Hat ein kleiner, aber magischer Ortswechsel, eine Translokation der dritten Art, eine kleine, unscheinbare Hexenreise stattgefunden? Meine pingelige und kleinkarierte Ratio hält das für unglaubwürdig und denkt mehr in Richtung wandernde Scheinanwesenheit und vermutet eine möglicherweise endorphinverstärkte Desorientiertheit und in meinem Kopf ein tranceartiges Gedankenspiel (ich habe nur die Drogen Kaffee und Schwarztee zu mir genommen!) Und Oida! Was immer passiert ist: ich muß wirklich verdammt abwesend gewesen sein! (Oder doch kurz von Hyde auf Jekill gewechselt?)
(8.11.2024)
©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com
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