Mittwoch, 6. November 2024

3848 Die Pullmanmütze

 



13:08. In Hof 9. Die Absperrungen sind größtenteils weg, der Blick geradeaus verfängt sich nicht mehr in den Gittern vor der Nase. Die Sonne kommt im Sinken gerade noch über den Dachfirst. Viele StudentInnen sind unterwegs, und ein paar andere. Ich überprüfe die Tabletten, die ich in der Apotheke gekauft habe, ob sie wirklich die richtigen sind. Sind sind es – scheint so. Noch habe ich Sonne. Ich finde auf der Bank nicht gleich die gewohnte Schreibposition; irgendetwas stimmt nicht. Baustellenlärm aus den Höfen daneben, und auch sonst viel Unruhe von der Straße her. Ich werde tiefer in die Anlage gehen. Der Wind wirbelt die Blätter am Boden auf und reibt sie über den Asphalt. Das Geplauder, Gekicher und Geschnurre nebenan macht mich heut nervös. Vielleicht ist mir einfach zu kalt. Ich suche einen anderen, abgelegeneren Hof.

13:28. Ich wollte den Hof 4, den ich noch nie betreten habe, aufsuchen, aber der aufgegrabene Weg, ein massiver Baustellenelkawe gleich am Eingang haben mich abgeschreckt. So sitze ich jetzt in Hof 2 in einem locker und metallen eingezäunten Rosenbereich. Etwas eigenartig das Ganze und ich mitten drin (Rosen und so: das sind nicht die Orte, wo ich mich sehe), aber immerhin in der – windigen – Sonne. Zehn Meter weiter strickt eine Frau auf ihrem mitgebrachten Klappsessel, manche StudentInnen sitzen an die sonnenbeschienene Hauswand gelehnt am Asphaltboden: eine mit angezogenen Knien, einer mit ausgestreckten Beinen, eine im Schneidersitz. Der Hof 2 ist relativ groß und mit seinen Bäumen, Wiese und dem blättertreibenden Wind fast schon eine kleine Landschaft. Der Himmel ist blau, mit dünnen weißen Schlieren aus alten Kondensstreifen durchzogen (ja, die altern schnell!). Ein Blick auf die Uhr – Zeit habe ich noch genug. Ein Mann geht seit Minuten allein auf der Wiese im Kreis, er macht ständig ähnliche Gesten und wirkt – sagen wir: angestrengt. Jetzt schaut er auch herum, aber geht immer in seinem Kreis, der allmählich zum Oval wird. Wartet es auf wen? Beobachtet er wen? Will er eine Frau verfolgen und passt sie ab? Jetzt dreht er sich abrupt um und verläßt die Wiese. Ich verliere ihn hinter dem Gesträuch aus den Augen. Vielleicht ist er in das Gebäude gegangen und war nur wegen eines Prüfungstermins nervös. Auch ich werde weitergehen.

Mein Schatten an der Hauswand mit dieser letscherten Pullmanmütze am Kopf ist mir fremd.


(5.11.2024)


©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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