3852 KHM
Ins Kunsthistorische Museum bin ich aufgebrochen wie zu einer Expedition, inklusive mehrerer Startverzögerungen, zum Beispiel weil ich ein paar Mal aufs Klo mußte oder etwas vergessen hatte. Jetzt jedoch sitze ich vor den Rembrandtschen Frauenporträts, sehe schlecht im düsteren Saal und bekomme auch aus der Nähe weder mit noch ohne Brille einen guten Blick. Ich sollte ergriffen sein, aber ich bin noch irritiert und durcheinander, weil man für diese Ausstellung ein Time-Slot-Ticket braucht – das ganz einfach zu bekommen war – aber allein schon das Wort „Time-Slot“ schreckt mich und schüchtert mich ein.
Allmählich sinkt meine Aufregung und ich komme ein wenig an. Massen sind unterwegs (und ich bin ein Teil davon), mindestens so viel wie auf den सगरमाथा - Sagarmatha („Stirn des Himmels“) oder ཇོ་མོ་གླང་མ - Jo mo glang ma oder Qomolangma („Mutter des Universums“) (laut Wikipedia die Namen des Mount Everest in den Landessprachen Nepali und Tibetisch). Mit mir ist wirklich nichts anzufangen – ich bin viel zu popverseucht. Außerdem stehen die vielen Betrachter immer vor den Bildern, sodass ich von der Bank aus mehr die Hinterköpfe, Rücken und die besser oder schlechter kleidungsmäßig kaschierten Hintern sehe. Ich habe beschlossen, keine Photos zu machen. Im Moment sehe gut auf drei der vier Bilder an der Wand gegenüber. Ich schaue schallgedämpft und irgendwie gleichgültig hin. Die Finsternis und das Licht. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Ich sehe keine Feinheiten und nichts fällt mir auf. Höchstens etwas in der Art, wie die menschlichen Körper aus dem Dunkel herauszutreten und deutlich zu werden versuchen, vermutlich als Individuen. Während mich eher interessiert, wie der Mensch verschwinden kann; sei es in einer Landschaft zum Beispiel oder indem er sich auflöst in seine Teile, Substanzen und Energiefelder (und so selbst zur Landschaft wird). Ich glaube nicht mehr an die Idee von der Person, die auch nur eine Maske ist, über so ein Energiekonglomerat gestülpt. Nirgends wird mir meine Ungebildetheit so bewußt wie hier.
Im nächsten Saal sehe ich, dass er ausgerechnet seinem Sohn das Gesicht ziemlich dunkel läßt. Bei manchen der anderen Bilder hat man den Eindruck, dass die Porträtierten etwas deppert in die Kamera schauen, vor allem die wichtigen Männer. Plötzlich bemerkte ich, wie bei den vier porträtierten Männern da die Nasen regelrecht herstechen. Ich bin nur ein Trottel, der in der Welt herumstolpert - so eingeschüchtert bin ich.
Ich bin jetzt in den anderen Sälen bei anderen Malern und wahrlich: ich fühle mich von den Nasen verfolgt. Die springen mir sofort ins Gesicht. Fast alle Nasen zeigen, zielen und stechen auf mich. Übrigens bin ich gegen die Ausstellungsrichtung unterwegs. Und die Seitenkammern lasse ich aus.
Nachdem ich das hergeschrieben habe, kann ich die Seitenkammern nicht mehr auslassen, dabei blicke ich auch durch die vernetzten Fenster so gut es geht und erleichtert auf die Stadt hinaus – wobei vernetzt hier nicht heißt, dass die Fenster innig miteinander verbunden sind, sondern als Lichtschutz außen Netze vor den Scheiben haben. Wieder in den großen Sälen verstärkt sich meine Nasenphobie und sehe an den Porträts nur mehr die gefährlichen, meist männlichen Nasen. Okay, ich gehe weiter.
Je älter die Bilder werden – ich wandere tiefer in die Vergangenheit – desto weniger fühle ich mich von den Nasen attackiert – wiewohl sie im ersten Anblick noch einen kleinen Schock auslösen, stechen sie nicht mehr so auf mich, den Betrachter. Nebenbei irritiert mich der ständige Glanz der Scheinwerfer auf den Bildern; ich kann nichts sehen! (Pah! Bist du ein Jammerer! - der innere Kritiker). Ein paar Landschaften locken noch meinen Blick an, aber ich bin überfordert, erst recht wenn ich sehe, dass darin noch ein paar Gestalten wie zur Rechtfertigung herumgehen, stehen, liegen, kugeln.
Ich muß schleunigst nach Hause in mein Zimmer, auf das Bett, mich ein wenig hinlegen und ausrasten.
(7.11.2024)
©Peter Alois Rumpf November 2024 peteraloisrumpf@gmail.com
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