Mittwoch, 31. Juli 2024

3737 Hinter mir

 

Mittag. Hinter mir rauscht die ansonsten stille, grünlich braune Sulm über die kleine Wehr, vor mir die verschiedenen Gebäude der Badeanstalt, dahinter die dichte Reihe der hohen Bäume, die das Areal im Halbkreis einfassen. Vor mir eine halbrote Blutbuche – wenn es denn so etwas gibt - ein halb vertrockneter Zwetschkenbaum – wenn ich die unreifen Früchte richtig erkannt habe und ich mich nicht irre – und eine junge, sicherlich standortaffine Pappel, die sich mit jugendlichem Eifer und kindlicher Unbekümmertheit schlank in den Himmel reckt. Das Bad zu dieser Uhrzeit und an diesem Werktag ist mäßig besucht; es gibt also viel Platz und der Lärmpegel ist nicht sehr hoch – das Rauschen der Sulm bleibt dominant. Selbst ein Rasenmäher irgendwo hinten wird von der Sulm übertönt und kommt mit seinem Geheule nur vereinzelt durch. Darf ich wieder einmal herschreiben, dass ein sanfter Wind über das Gelände geht? Allzu heiß ist es noch nicht; im Schatten der Laubbäume sehr angenehm. Der Himmel ist strahlend blau, kein einziges Wölkchen ist zu sehen. Ich sitze angenehm an den Zaun gelehnt.

Nach  Ćevapčići und Eiskaffee bin ich zu meinem Aussichtsplatz oben auf der kleinen Böschung zurückgekehrt. Der Wind – immer noch sanft – ist stärker geworden. Ansonsten hat sich nicht viel geändert.

Ich lege mich flach, drehe mich auf die linke Seite und die ganze Landschaft kippt nach rechts und wird zu einer senkrechten Wand, von der die Bäume unbekümmert waagrecht in den blauen Raum hineinragen. Ich lasse meinen Blick rauf und runter gleiten, dann fallen mir die Augen zu und meine Welt besteht aus diffusem Licht und erstarkten Geräuschen, ein Kosmos ganz anderer Intensitäten, bevor traumartige Bilder und Szenen vor einem dunklen inneren Hintergrund auftauchen.

Die Welt ist wieder im Lot und fade streicht mein Auge über die Wiesen. Drei Polizisten in Uniform gehen langsam durch das Schwimmbad Richtung Ausgang; was ihr Einsatz war, ist mir entgangen. Noch eine Gruppe von drei Uniformierten – zwei Männer, eine Frau – kommen daher, stehen im Schatten herum – blicken suchend und aufmerksam über das Gelände, einer telephoniert … nach  zirka 15 Minuten gehen auch sie zum Ausgang.

Das gelbe Licht der Nachmittagssonne taucht alles, was ist, in eine vertraute, aber darüber hinausweisende Erwartung. Das Leuchten strahlt einerseits aus den Körpern der Menschen,  Bäume und Dinge und andererseits von der späten Sonne. Die Wirklichkeit bekommt etwas Irreales, aber Intensives; etwas drängt aus dem Hintergrund an den Vordergrund heran und will sichtbar werden, kommt jedoch nicht wirklich durch. Ein kleiner Vogel fliegt vorbei; weiß auch er, dass bezüglich der Wirklichkeit noch nicht alles aufgedeckt ist? Die Schatten des Laubes des einen Baumes tanzen auf dem grauen Stamm eines anderen. Zunehmend isolieren sich die Sonnenlichtflecken auf den Wiesen voneinander, weil die Schatten länger geworden sind und verstärkt dazwischen greifen. Wie die Menschen in diesem Licht so leuchtend dahingehen und herumlaufen!

 

(30.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3736 Ein Storch

 

14:35.  Ich sitze sozusagen vorm ausgebreiteten Herzen Jesu in der Pfarrkirche von Leibnitz/Lipnica. Wem sie geweiht ist, habe ich noch nicht herausgefunden. Irgendwas mit dem Guten Hirten, aber wer der Patron ist, hat sich mir auch beim Altarbild nicht erschlossen (Hl. Jakobus der Ältere – der Tipper). 24 sogenannte Opferlichter habe ich bei der Opferlichtstation gezählt. Ich gehe hinüber zum Aushang der Verstorbenen. Ich komme wieder zurück. Der Stuhl, auf den ich mich gesetzt habe, ist ein bequemer Wohnzimmersessel. Der Jesus mir gegenüber breitet die Arme aus, aber hält den Blick gesenkt. Bin ich wirklich so schrecklich? Gut, das könnte auch edle, rücksichtsvolle Zurückhaltung sein (wer erträgt schon die Konfrontation mit der lauteren Wahrheit und der Transzendenz?). Wie immer im heißen Hochsommer ist die Luft in der Kirche nicht kalt, aber stickig und modrig; vermutlich die Ausdünstungen der alten Mauern, die schon viel erlebt haben, der Weihrauchrückstände und was weiß ich noch. Ich habe anständig für meine drei Kerzen bezahlt (die ständige Verteuerung dieser Opferlichter könnte vermutlich auch ein guter Indikator für die Inflation und den verstärkten Geldfluß von unten nach oben sein – oder bin ich ungerecht?), trotzdem überkommt mich eine von Zuckungen begleitete Phantasie, dass ich des Kerzendiebstahls bezichtigt werde, mit Polizeieinsatz und Pi-Pa-Po, bis dahin, von Polizeiprügel verletzt im Straßengraben gelandet zu sein. Bei allem Respekt, aber manchmal verstehe ich meine Seelenmechanismen gar nicht mehr!

Anruf meiner Frau. Das ist mir selbst in der leeren Kirche peinlich, weil ich das Handy nicht abgedreht habe. Also: der Jesus breitet seine Arme aus und hält den Blick gesenkt. Okay! Ich gehe besser wieder raus; ich schwitze schon in der heißen, schwülen, parafingeschwängerten Kirchenluft der abgetrennten Kapelle.

Beim Zurückwandern zum Hauptplatz sehe ich: auf einem alten Schlot hinter dem Eissalon sitzt ein Storch.

 

(29.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Sonntag, 28. Juli 2024

3735 Müder Sonntag

 

6:58 a.m.  Der Kühlschrank brummt und schnauft. Die Jalousien sind heruntergelassen und nur ein ganz schmaler, gelber Sonnenlichtstreifen mäandert unten am Gazevorhang. Die Kirchenglocke von Frauenberg – nehme ich an – läutet den Tag ein. Ich bin unentschlossen, was meine Pläne oder Ideen für den Tag betrifft; gestern hatten mir Sonne und Hitze im Freien im Sulmbad Zum Steinernen Wehr ziemlich zugesetzt. Ein Flugzeug fliegt hoch über das Haus hinweg und sein Rauschen kommt in Wellen verschiedener Lautstärken und Intensitäten. Näher ist der jetzt spärliche Autoverkehr an diesem Sonntagmorgen. Ja, ich bin unentschlossen, was ich an diesem Tag anfangen könnte.

16:26.  Inzwischen ist ein kurzes Gewitter durchgezogen und hat die Luft abgekühlt. Und nun setzt neuerlich Regen ein.

 

(27.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Samstag, 27. Juli 2024

3734 Am Frauenberg

 

7:28 a.m.  Ich sitze am Frauenberg Richtung 11° N. Die Turmuhr der verschlossenen Kirche schlägt halb. Ich wollte der lokalen Göttin ein paar Kerzen spenden, aber – wie gesagt – die Kirche ist geschlossen. Nun sitz ich ganz heroben bei den keltischen und römischen Ausgrabungen, hinter mir gackern die  Hühner. Rosen und Königskerze blühen prächtig und der Feigenbaum schaut auch nicht schlecht aus. Der Ausblick in die Ebene des Ostens sowie in die Hügel des Südens ist schon sehr zugewachsen; die Vegetation hat kein Erbarmen mit Touristen, Romantikern und Pilgern. Beim Museumsbau flattert die Steirische Fahne im Wind und ist mit einer Querstange fixiert, damit sie sich nicht drehen kann. In welchem Wind sie flackert, weiß ich nicht. Dieser Ort hier – momentan ein wenig baustellenverschandelt – ich will auf  keinen Fall Romantiker sein, aber modernes Baugerät stört mich auch in seinem  Ruhestand optisch und mental, selbst in seinen harmloseren und handlichen Exponaten – dieser Ort hier also ist etwas Besonderes. Aus einiger Entfernung und im Umkreis höre ich auch Hähne krähen und Tauben gurren, während die Spatzen ganz in der Nähe lautstark tschilpen. Jetzt aber gackert ein nahes Huhn laut, aufgeregt und scharf und deutlich; ich würde sagen: Stimmlage Alt. Sehr markant schneidet das kontinuierliche Rufen des Huhns in den Sommermorgen.

Die Luft ist noch angenehm frisch und feucht vom Tau. Ach, ich liebe diesen  Platz! Ich denke immer: hier könnte ich stundenlang sitzen; aber das mache ich nie. Wie ich mich aus Erfahrung kenne, hielte ich es niemals so lange aus.

Über der Ebene unten liegt noch ein sonnenbeschienener Morgendunst; irgendwelche fernen, undeutlichen Bauwerke glitzern daraus hervor und die Turmuhr schlägt Dreiviertel. Auch die  Amseln legen eifrig los, überwölbt von einem hohen Flugzeugrauschen, das aus dieser Ferne beinah schon elegisch klingt. Eine Ameise erforscht  meinen rechten Unterarm. Ich höre nun einen Specht klopfen. Und ich, der ich hier angeblich stundenlang sitzen will, denkt jetzt: es ist langsam Zeit hinunterzugehen und das Frühstück einzunehmen.

Ich sehe beim Hinuntergehen, dass die Kirche nun offen ist, gehe rein, bekreuzige mich mit Weihwasser, werfe die Münzen für die Kerzen ein, zünde sie mit einem bereit liegendem Streichholz an, bitte die lokale Hauptgöttin und ihre Entourage um Segen für A, B, C, sowie D, E, F, G, H, I, J, K, meinetwegen auch L, M, N, und O, P, Q – ich weiß  ja auch nicht, wieviel Leut‘ man an drei Kerzen anhängen kann – verweile anstandshalber und ungeduldig noch ein wenig, hänge halt noch ein Vaterunser und ein GegrüßetseistduMaria an, steige dann den steilen Waldweg ab, an dem noch eine wunderschöne, in dunklerem, intensiven Blau aufblühende Wegwarte mein Herz erfreut.

 

(27.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

 

3733 Station 4

 

Der Mannshohe Jesus schaut drein, als tät er sich denken: „Mein Gott! Jetzt wird mir die Alte …“ – Maria ringt in grotesker Manier die Hände – „… hysterisch. Ich schleppe eh schon das depperte Kreuz und jetzt das noch! Kann ich überhaupt nicht brauchen!“ oder : mit einem fragenden Blick zur Seite: „Sind die Trotteln mit dem Photographieren immer noch nicht fertig?! Ich steh mit dem depperten Holz da und die tun nicht weiter!“ Diese Figurenkunst wirkt wie Karikatur. Ernst nehmen kann ich das nicht, und ich bezweifle, dass die Macher und Auftraggeber dieser Plastiken einen echten – nennen wir es: religiösen - Sinn dafür haben konnten und über ein schlechtes Theater hinausgekommen sind. In Lebensgröße finde ich sie aus falschem Pseudorealismus – die Transzendenz ist längst verdampft – falls sie jemals da war – maßlos übertrieben und dekadent. Kein Geist, nur Show.

Ich bin in den von Abendsonne beschienenen Stadel geflüchtet. Mir gefällt dieses Licht-Schatten-Spiel durch die Spalten der einfachen Bretterwand.


(26.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Freitag, 26. Juli 2024

3732 Sulm

 

Hinter mir rauscht die Sulm. Ich hocke im Schwimmbad von Lipnica und blicke um mich. Die hohen Bäume rundherum beeindrucken mich; immer wieder beeindrucken sie mich. Der sanfte Wind beruhigt mich; immer wieder beruhigt er mich. Das akustische  Ambiente wie in allen Schwimmbädern in Mitteleuropa. Kleidungsstücke, Bücher, Kopfbedeckungen liegen verlassen, fast einsam im Gras. Ebenso Handtücher und Liegedecken. Ein trockenes Lindenblatt hat es direkt auf  mein Herz geweht. Da werde ich verwundbar bleiben. Die Menschen machen viel Bewegung und viele gehen und eilen hin und her. Manche sitzen und liegen unauffällig. Meine neue Badehose hat eine Plakette aus Weichgummi-ähnlichem Material aufgeklebt. Sie war viel zu teuer. Wie auch die kurze Hose, die ich erstanden habe. In meiner Einkaufspanik heute konnte ich nicht mehr rechtzeitig reagieren, aber schön sind die zwei Hosen schon. Ich schaue wieder auf die erhabenen  Bäume rund herum. Manche Leute essen, manche Leute schlafen, manche Leute spielen Karten, lesen … und einige schwimmen und rutschen. Spatzen suchen die unbeaufsichtigten Lagerplätze und Liegedecken nach Eßbarem ab. Ich denke: ich könnte wieder schwimmen gehen. Ich werde mich vorher noch eine Zeit lang in die Sonne stellen.

 

(26.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3731 Der Kühlschrank

 

7:08 a.m.  Der Kühlschrank röchelt schon die ganze Zeit vor sich hin, die Sonne gleißt durch die Spalten der Jalousien, aus dem Bad höre ich das Gepritschel der Dusche, von draußen kommen die Stimmen der spielenden Kinder, meine Frau summt und tanzt beim elektrischen Zähneputzen: ein vielversprechender Sommermorgen. Ein schöner Tag kündigt sich an. Ich will mir heute eine kurze Hose kaufen.

(26.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3730 Windhauch

 

15:44.  Die Burg ist vor mir. Der Toskana-ähnliche Weinberg liegt links von mir. Hinter mir geht’s rauf zum Frauenberg, der jahrtausendealten Kultstätte namensverschiedener weiblicher Gottheiten.  Rechts von mir ist der mit  Weinranken überwucherte Stadel. Die Straße vom Seggaubberg herunter teilt sich am fast zu einem Spitz zulaufenden schmalen Ende des höher gelegenen Wiesengrundstücks, auf dem ich unter einem großen Sonnenschirm auf der Bank sitze. Wespen suchen nach Speiseresten auf dem Tisch. Ja und das meiste in meinem schönen Blickfeld ist grün, von feierlichem Windhauch sanft bewegt. Der Wind sucht sich tatsächlich einzelne Stellen aus, die er intensiver besucht, und diese verdichtete Kraft wandert für mich völlig unberechenbar durch die Landschaft. Kirchturmuhren schlagen im Umkreis. Ein Hahn kräht mehrmals.  Möglicherweise sind es zwei Hähne, die sich gegenseitig anspornen. Ein bassgedröhntes und massiv percussiertes Auto fährt vorbei. Es fahren viele bunte Autos vorbei. Es gibt auch Geräusche, die ich nicht zuordnen kann: zum Beispiel das eine da, das vom Tal unten heraufkommt und wie lautsprecherverstärkte Furze klingt (vielleicht die ersten Versuche auf einer Tuba? – der innere Besserwisser). Geklingel und Geklopfe irgendwelcher Computer- oder Handyspiele höre ich auch. Eine Mutter liest ihrem Sohn vor. Mein Handy düdelt ebenso. Ich  werde jetzt die Gläser vom Tisch abräumen.

 

(25.7.2024)

©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 24. Juli 2024

3729 Im Grünen

 



14:05. Ich sitze im Grünen; unter einem hellen, sanft wolkengrauen weißen Himmel. Die Vegetation wartet auf etwas. Die Pflanzen harren der Erlösung? Ich schaff das nicht mehr. Die Bäume und Sträucher nehmen die fast unmerkliche Brise gern an, bei den Wiesenpflanzen ist das nicht so deutlich. Es ist so eine Sommernachmittagsstille, sogar der Autoverkehr hält für ein paar Sekunden still. Siesta. Das Grün der Bäume kommt vor dem weißlichen Grau der Wolken sehr gut und die kleinen, tänzelnden, zurückhaltenden Bewegungen der Blätter und Zweige erhöhen diese Schönheit. So viel verschiedenes Grün! Die eine Stelle dort drüben im Zentrum führt in eine unsagbare Tiefe; kommt mir vor. Auch in den großen, fernen Bäumen geht ein Vibrieren. Das wird jetzt stärker und kommt näher und verebbt dann wieder. Flugzeuge und Krähen. Alles aus der Hand zu geben wird mir schwerfallen; gerade weil ich nur sehr wenige meiner Lebensfäden in der Hand gehalten hatte.


(20.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3728 Am Freitag

 



7:41 a.m. Es surren die Klimaanlage und meine Ohren erwartungsvoll in diesen Morgen. Die Lautstärke jedoch ist erschreckend. Die Geschichten schreiben sich nicht von allein. Drei- oder viermal stelle ich beim Öffnen der Augen fest, dass ich die weitergelaufene Geschichte nicht aufgeschrieben habe, und im Kopf ist alles weg. „Ich werde sowieso gehen!“ sage ich als er. Was? Ich störe meinen Vater?! Ich werde ihm gleich entgegenfliegen. Ich habe eine mühsame Artikulationsphase. (Diese geträumten Sätze von drüben kannst auf den Mist werfen – der innere Kritiker.) Zur Klimaanlage und dem Ohrensurren kommt noch ein leises Radio dazu, das Englisch redet, und im Moment ziemlich hysterisch. Klimaanlage und Radio verstummen in dieser Reihenfolge. Analoge Stimmen aus dem Lichtschacht. Der Menüplan der Woche drüben wird mir als Empfehlung vors innere Auge gepostet, aber was soll ich am Freitag damit? Wäre es nicht Zeit, aufzustehen und das Frühstück zu machen?


(19.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Mittwoch, 17. Juli 2024

3727 Vom Unteren Belvedere in die Lucy-Bar

 



12:36. Ein braunes, trockenes Blatt fällt ganz hart direkt vor mir kopfüber auf den Asphalt des Gehweges zwischen Unterem und Oberem Belvedere, springt nochmal auf, dreht eine Pirouette und stürzt dann endgültig hochkant zu Boden, wo es umkippt und liegen bleibt, um ein paar Sekunden später von einer leichten Brise herumgeschoben zu werden. Was will mir das Blatt sagen? Dass ich in meinem Leben wie ein Blatt im Wind bin?

Das barocke Treppenwassergefälle rauscht und fließendes Wasser ist erst recht bei dieser Hitze angenehm anzuschauen und anzuhören.

Die Fußwanderung vom Unteren Belvedere hinauf zur Lucy-Bar ist länger als die Fußwanderung von Irdning nach Raumberg.

Werde ich die Ausstellungen hier anschauen? Oder werde ich außer das Untere Belvedere vorhin nur die Lucy-Bar besucht haben? Jetzt löschen wir mal den Durst. Ribiselspritzer, nicht schlecht! (heißt jetzt auch bei uns offiziell Johannisbeere, leider. Aber „Johannis“ gefällt mir optisch und akustisch eh auch, weil es wegen des alten Namengenitivs alt, antiquiert und aus einer anderen Zeit klingt.) Jetzt kommt die Droge: Kaffee. Gefolgt von einem Hustenanfall. Der Husten macht mich tendenziell lebensmüde. Der Kaffee ist verdammt dünn; so dünn muß auch ein Cappuccino nicht sein, aber gut, ich nehme es hin.

Heute ist Mittwoch: mein Waschtag; das darf ich nicht vergessen, sonst gibt es für die Tageskinder nicht genug Abwischtüchlein für den Rest der Woche. Die Temperatur ist hier in der Lucy-Bar genau richtig. Musik geht (oder ist das schon Endomorphinmusik? Vermutlich: ja). Der Wind draußen schüttelt die Bäumelein. Fällt herab ein Träumelein? Meine Lebensträumelein sind schon längst verdorrt, aber fallen nicht und nicht ab. Langsam nimmt das Koffein von mir Besitz und alles wird etwas heller und schärfer und klarer (kann bald wieder kippen – der innere Wächter). Der Wind rüttelt weiter herum – ich sehe es durch die große, moderne, schöne Fensterfront – irgendetwas passt ihm nicht – die Bäume können doch nichts dafür!

Ich blicke in den „Burggraben“ - oder wie soll ich die souterrain gelegene Fläche dort unten, direkt vorm Zwanzgerhaus nennen? - wo der Wind auf der gepflasterten Fläche unten trockene Blätter herumtreibt. Ob „gepflastert“ der richtige Ausdruck ist, weiß ich nicht, denn es handelt sich dabei nicht um Straßenpflaster aus quadratischen Steinwürfel, sondern um Bodenplatten, geschätzt 50 x 50 cm im Quadrat. Eine junge Frau rollt oben am Gehsteig – der sich hinter dem „Burggraben“ auf gleicher Höhe wie die Lucy-Bar befindet – ohne sich selbst zu bewegen statuenhaft in einer beinahen Aphroditehaltung vorbei, nur um den Lenker zu halten leicht verdreht. Auf diese Baumgruppe da drüben zwischen den Hochhäusern hat es der Wind besonders abgesehen. Vielleicht stört es die jungen Bäume gar nicht, sondern sie lassen ihre Äste und Zweige gerne tanzen und hüpfen. Der Kaffee ist ausgetrunken, das Beiwasser auch; ich gehe doch die Ausstellungen anschauen, mit neuer kaffeegeputschter Kraft.

Nun blicke ich auf die „Green Wall“ von Tamuna Sirbiladze und schreibe farblich völlig unpassend mit einem violetten Pilotstift. Aber die Wall gefällt, während neben mir in einem “Fernseher“ eine Art verkehrter Ballettfilm läuft (wo ich mich weigere, richtig hinzuschauen), mit typischer Ballettmusik, die ich nicht mögen mag, aber das hier ist die einzige Sitzgelegenheit, von der ich in angenehmer Entfernung (zirka 18 Meter) die Greenwall betrachten kann. Richtiger gesagt: optisch hineinfallen kann. Ganz gekrümmt sitze ich da, als müßte ich mich vor was-weiß-ich-was ducken; als würde mein Rückgrat die Last der Welt nicht tragen können, wollen, dürfen, aber müssen; ich komme mir wie ein Qualle vor, die sich in die Kunstwelt eingeschlichen hat. Gut, das Zwanzgerhaus könnte zur Not als Aquarium durchgehen. Ach, die Scheißmusik nervt! (Ich schreibe den Komponisten nicht her, weil ich irgendeine Passage aus einem seiner Werke im Ohr habe, die mir vor fünfzig Jahren gefallen hat und die – obwohl ich sie seit damals nicht mehr gehört habe, aber wenn ich sie in meinem Inneren abrufe (wer weiß wie werkgetreu – der innere Spötter), mir immer noch gefällt. Aber das da nervt, wenn ich konzentriert auf die Greenwall schauen will. Aber wer weiß: würde der Film abgedreht werden, wer weiß, vielleicht wäre mir die Grennwall fad und ich brauche die nervende Musik als Angelhaken für meine Aufmerksamkeit, die ich – indem ich sie forciert und fest gegen die Musik auf die Greenwall lenken muß – in ihrer Selbstbehauptung stärke. Aber es muß nicht so sein; es könnte auch sein, dass ich dann die Greenwall besser, konzentrierter, inniger genießen könnte.

Jetzt stehe ich auf und gehe näher zur Greenwall. Ich stehe nun zirka neun Meter davor. Ich trete näher ran (was für eine unangebrachte gewalttätige Rhetorik! Der innere Kritiker).

Jetzt bin ich weiter gegangen und habe mich auf eine reguläre Sitzbank gesetzt, von der aus man und weib eigentlich nichts so richtig gut betrachten kann, aber einen guten Rundblick hat und einen Stock tiefer in die andere Ausstellung gaffen kann. Das Faszinierendste von hier aus sind die Lichtsäulen zwischen den einzelnen heruntergezogenen Rollos am verhangenen Fenster genau gegenüber; sie wirken, als wären sie echte, leuchtende Lampen und passeten zu den Deckenlampen aus Leuchtstoffröhren.

Ich verlasse jetzt die Ausstellung, weil ein Securitymann aufgetaucht ist (Securitymann! Nicht die normale Museumsaufsicht!) und ich die Befürchtung habe, dass ich ihn mit meinem zweimaligen Ausmessen meiner jeweiligen Entfernung zur Greenwall mittels physischen Abschreitens der Abstände, weil verdächtig, angelockt habe. Ich habe das Bedürfnis, mich jemandem Zuständigem zu erklären: dass ich bloß für einen hoffentlich literarischen Text den ungefähren Abstand herausfinden wollte und nichts Böses hege. (Mein innerer Spötter will unbedingt sagen „so viel er weiß!“, aber ich verbiete es ihm. Er darf mich nicht schlechter machen, als ich bin, und mir mit dem Schmäh von der „unbewußten Absicht“ Dinge unterstellen, die hier einfach nicht stimmen! Ich weiß schon: dein Bewußtsein über die destruktiven Taten meine Nazi Vor- und Beifahren (Onkeln!) macht dich mir gegenüber mißtrauisch bis zum Geht-nicht-mehr. Aber das da geht wirklich nicht mehr! So bin ich nicht!)


(17.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 15. Juli 2024

3726 Copa Cagrana

 



12:06. Ich sitze (wieder einmal – der innere Spötter), ich sitze also am Südufer der Neuen Donau und blicke auf die postmoderne Skyline des Uno-City-Viertels, auf das Wasser, in dem Leute schwimmen (unter anderen auf meine liebe Frau, die mich hierher gelotst hat) und Boote treiben, auf die Radfahrer und Passanten auf der asphaltierten Uferpromenade. Ich huste im Schatten – in der Sonne wäre mir viel zu heiß – ich habe extra meinen Klappstuhl mitgenommen, weil ich – so hat sich das meine liebe Frau vorgestellt – dasitzen und schreiben soll. (Seit einigen Tagen ist der Schreibfaden gerissen: immer das gleiche Geschreibe: Wind von dort nach da; Himmel, Wolken und Verkehrslärm, unfreundliche Beschreibungsversuche über Passanten.) Der Wind kommt von links und beugt die offensichtlich frisch gepflanzten und noch unterentwickelten Sträucher im steinbegrenzten, ins Wasser geschobenen Wiesenstücklein nach rechts. Ein Stadtgefühl kommt auf. In dieser Skyline wirkt der Donauturm mickrig, aus der Zeit gefallen und jedenfalls beiseite geschoben. Ich kann nicht verhindern, dass ich die meist recht festen Weiber in ihren Bikinis mit unentschiedenen Gefühlen und nicht unbedingt mit Vergnügen anschaue. Das ist nur heute so, dass ich das alles gar nicht wissen will. Ich meine – egal wie sie ausschauen: es ist mir unangenehm, als Angezogener so ungeschützt und sichtbar auf die Badenden und Sonnenden zu schauen. Ich bin überfordert.

Drüben am anderen Ufer wird immer noch gebaut. Vier Kräne sehe ich vor, hinter und zwischen den Bauwerken aufragen. Mir geht meine Schreiberei schon gehörig auf die Nerven – habe ich keine anderen Themen? Mein überschlagenes rechtes Bein schläft ein. Also wechsle ich von rechts auf links. Eine Frau ruft mehrmals „Georg!“. Der angebliche Drachentöter, der die Erde bearbeitet. Ein Bauer also. Am interessantesten finde ich diese schwindliche kleine Wiese, die man offensichtlich vor nicht allzu langer Zeit am Ufer ins Wasser geschoben angelegt hat – daraus kann noch etwas werden. Ich huste und huste und huste. Wie lange huste ich schon? Sechs Wochen? Acht Wochen? Ich bin zu faul um nachzuschauen. Meine liebe Frau bringt mir Wasser zum Trinken. Meine Kehle ist wirklich schon ausgetrocknet. Ich könnte auch gelähmt sein, so wie ich im mitgebrachten Sessel dasitze. Viele vorbeiflanierende Männer schauen auf meine ein paar Meter entfernt sich sonnende Frau. Die weißen Wolken am Horizont sind sehr schön: eher kleine geballte Häufchen mit beinah ins Silbrige changierenden grauen Rändern oder Flecken, eine Wolkenansammlung, die als Herde am Horizont aufgetaucht ist und langsam weiterwandert. Ein Schwan taucht seinen Kopf unter Wasser auf der Suche nach Nahrung. Wieder ist mein überschlagener rechter Fuß eingeschlafen; ich habe gar nicht bemerkt, wie ich von links auf rechts gewechselt bin. Der Schwan ist ganz ans Ufer zu den Lagernden geschwommen und hat anscheinend zu betteln versucht; als ihm niemand etwas zuwirft, schwimmt er wieder aufs Wasser hinaus, kehrt aber bald wieder um. Diese kleine Wiese vor mir mit den mickrigen Sträuchern hat es mir angetan: die hat noch Entwicklungspotential! - hoffe ich. Den obligatorischen Verkehrslärm hatte ich bis jetzt gut weggesteckt, aber nun beginnt er mich zu nerven. Die Herde der weißen Wolken zieht weiter nur am Horizont entlang. Übrigens: ich blicke Richtung 333° NW.

Ah! Jetzt kommen zwei Stehpaddler vorbei! Ich bin davon immer wieder fasziniert; es schaut so elegant aus!

Klos soll es hier auch geben, höre ich gerade. Meine Frau geht schwimmen. Ich nicht; mich verunsichert mein Husten. Die kleinen jungen Sträucher wiegen sich wieder im Wind, vor allem nach rechts. Die interessanten, aus Holzlatten gezimmerten Liegeflächen über dem Wasser, wo auch offene Flächen eingelassen sind, nur mit einem groben Netz aus Seilen als Liegefläche ausgestattet, probiere ich erst in einem nächsten Leben. Der junge, dürre Mann, der seine zeitübliche, schlappe Riesenbadehose vermutlich zur besseren Bräunung der Oberschenkel zusammengeschoben hochgezogen hat, sodass sie aufgeplustert wie eine frühneuzeitliche Prinzenhose oder eher noch wie eine Windelhose ausschaut, geht mir auf die Nerven. Er muß bemerkt haben, was ich über ihn schreibe, denn jetzt hat sie wieder „normal“ auseinadergeschoben und nun geht sie ihm bis unter die Knie. Es könnte schon sein, dass auch Gedanken Energiestrahlung in die Welt abgeben und sie damit beeinflussen. Ach! Jetzt kapiere ist es erst: wir sind hier in der Copa cagrana!


(14.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3725 Ozongeruch

 



12:41. Ein heißer Tag und ich mag nicht hinausgehen. Ein Ozongeruch liegt in der Luft. Die Hausfassade gegenüber ist gnadenlos angestrahlt von heißem, leicht trübem Licht. Der Weg in ein Bad ist mir zu weit und anstrengend und dort wäre mir fad. Ein Mann mit nacktem, tätowiertem Oberkörper reinigt sein Motorrad auf der Straße. Ein anderer, jüngerer schiebt ein Kind im Buggy vorbei. Die drei Säulengleditschien spenden dem gepflasterten Platz lockeren, leichten Schatten. Eine Frau bleibt stehen, schaut auf ihr Handy, blickt dann um sich, um dann wieder auf ihr Handy zu schauen und alsdann setzt sie sich so langsam wieder in Bewegung. Ein Muldenlastwagen schleicht um die Kurve. Kein Mensch ist mehr auf der Straße zu sehen, aber die Baustellengeräusche bleiben. In den verhangenen Fenstern gegenüber sehe ich ein gespiegeltes Auto vorbeigleiten. Eine Frau mit Kinderwagen gleitet auf der Schattseite lautlos aus meinem Gesichtsfeld. Ein müder, älterer Mann mit ungeschützter Glatze trägt eine Plastiktasche vermutlich mit Einkäufen auf der Sonnseiten vorbei. Ein noch älterer Mann schleppt sich an der beschatteten Hauswand entlang. Noch ein Muldenlastkraftwagen (derselbe wie vorhin? Ich glaube: ja). Eine Brise kommt jetzt auch zum Fenster herein und bringt die drei Bäume unten etwas in Bewegung.


(9.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3724 Auf dem Weg

 



13:36. Unter einem Kastanienbaum blicke ich auf eine Wiese mit Bäumen und Gebüsch. Hof 3. Vögel zwitschern laut, ein Flugzeug dröhnt aus der Ferne, die Gartenarbeiter reden laut, die lagernden Frauen leise. Eine Brise kreiselt im Hof (naja, er hat Verlauf und Intensität der Luftströmungen nicht gemessen! - der innere Korrektor). Was such ich da eigentlich? Aventure? Händel? Oder Ruhe vor dem Sturm? Erholung? Begegnungen der ersten, der zweiten, der dritten Art? Dieses typische, leisere Geheule der modernen schallgedämpften Maschinen? Sagen wir einmal so: das schon sommerlich leicht angetrocknete Grün tut meinen müden Augen trotzdem gut. Ich bin ja auf dem Weg in die Psychotherapie.


(8.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 4. Juli 2024

3723 Das Baguette

 



Vormittag. Ohne Uhrzeit (ich habe das Handy zu Hause beim Aufladen). Der Wind bläst immer wieder ins Lokal herein und in meinem Kopf läuft „Never Marry a Railroad Man“ von Shocking Blue, allmählich und leise überlagert von der dezenten Lokalmusik - funky, jazzig könnte man sagen – um dann überhaupt abgelöst zu werden von „Sitting on the Dock of the Bay“ von Otis Redding, das nun aus den Boxen kommt und sich in meinem Kopf festsetzt. Jetzt aber wird es schon fast sentimental, aber gerade noch eine schöne und herzerwärmende Musik, keine Ahnung von wem.

Die Stadt-Wien-Fahnen – sanftfarbig und nicht schreiend machen sie auf irgendetwas aufmerksam, das ich nicht entziffern kann – reißt es heftig hin und her, sie umwickeln vermutlich unfreiwillig ihre Fahnenstangen, verheddern sich, befreien sich wieder, bemerken, dass sie trotz allem festhängen und blähen sich im Wind auf „korrekte“ Weise auf. Der Wind bläst durchs Lokal, weil die beiden gegenüber liegenden Türen (seit wann liegen Türen? - der innere Spötter) offen sind und den angenehmen Luftzug durchlassen, was so eine sommerliche, ferienhafte Atmosphäre schafft, obwohl es gar nicht heiß ist. Nun gibt es coolen Jazz im Lokal, keine Ahnung wer, welche Richtung und aus welcher Zeit. Die bunten Bilder und Elemente hier haben schon was; meine Fremdspracheninkompetenz ist beschämend. Mein Gott! Was ich in meiner Jugend alles versäumt habe! Ich sollte auf solche Gedanken nicht einsteigen, aber wie ich heute auf meinem T-Shirt stehen habe: „Ich kann nicht grüßen“. Was für eine Sehnsucht nach … wonach eigentlich? Nach Kontakt? Zugehörigkeit? Jaaa … (zögerlicher Tonfall!) … am ehesten nach Selbstverständlichkeit. Aber wieso? Scheiß drauf! Grenzwertig fröhliche Musik, die mir schnell auf die Nerven gehen kann. Es gibt so viele Menschen und ich habe keine Ahnung. Ich blicke herum und sehe nichts. Na und?! Du mußt deine Mission nicht verstehen (vielleicht gibt es keine, oder keine spezielle – der Tipper).

11:42 a.m. (Mir ist erst jetzt die Würfeluhr am Marktplatz eingefallen.) Ich bleibe einfach noch sitzen. Ich mag mich nicht weiterbewegen. Ich habe viel Zeit (ha! ha! ha! - Bruder Hain). Ich betrachte wieder die Fahnen im Wind, die offensichtlich nicht klirren (es ist ja auch Sommer – auch wenn mein Lebenssommer vorbei ist und vom döbranitischen Vulkanausbruch seine Jahrzehnte lang verdüstert und winterlich war). Der Wind, der Wind, das himmlische Kind, treibt meine Gedanken geschwind.

Schöne melancholische Musik, ohne sich in unangebrachte Sentimentalität gehen zu lassen. Die eine Fahne ist grotesk verdreht; die Chefin wischt die Kreidetafel ab. Ich betrachte ein wenig die Blumen am Tisch. Die Chefin schreibt jetzt die Tafel mit dem Menüplan voll. Ich lächle angesichts der Szenen um mich still vor mich hin. „Grüße aus der alten Heimat“ sagt jemand im Scherz. Was ist meine alte Heimat, im Ernst? In dieser Welt finde ich sie nicht. Oder bin ich arrogant? (viel zuviel „ich, ich, ich“ – der innere Kritiker.) Ich bestelle meinen dritten Cappuccino, diesmal koffeinfrei (die aktuelle Koffeindosis scheint zu passen – wir wollen es nicht übertreiben). Genauer gesagt: ich habe vor zu bestellen, aber gehe ein bisschen dabei unter, auf mich und meine beabsichtigte Bestellung aufmerksam zu machen. Der Wind hat sich gedreht, die Fahnen zeigen es an. Bestellung geschafft. Langsam beruhigt sich mein Puls wieder. Aber jetzt merke ich, es beginnt hier das Mittagsgeschäft und ich werde wieder nervös, weil ich bloß mit meiner Tasse Cappuccino den Tisch besetze und versitze, wo zwei oder drei Mittagsessenesser Platz hätten. Ich bin doch ein Dalit, der sich in einem solchen Lokal – weil ohne gesellschaftlich anerkannte Initiation - gar nicht aufhalten dürfte! Der Wind wird stärker und meine Unruhe. Ich will mich zwingen, den Kaffee zu Ende zu genießen; dass ich dann gehen muß, ist klar. Ganz in der Weiten, auf der anderen Seite der Leopoldsgasse, setzt sich eine Frau im kleinen Gastgarten einer Bäckerei hin und beginnt zu essen. (Netter Versuch! Dich an Frauen und an deine furchtbaren Bäckervorfahren zu klammern, hilft nichts. Du bist nicht gerechtfertigt! - der innere Großinquisitor.) Ich werde zunehmend nervöser. Ich glaube, ich habe meine Anwesenheit hier überzogen (gilt das nur für hier, nicht überhaupt?). Die bald mittagsessenden Arbeiter – ich kann ihre Sprache nicht zuordnen: türkisch ist es nicht; eine slawische Sprache scheint es auch nicht zu sein, griechisch nicht, vielleicht rumänisch? - sie schauen aber nicht rumänisch aus – was nichts heißen muß – also: keine Ahnung! - die Arbeiter am Nebentisch sind von ihrer Arbeit gezeichnet - aufgeschundene Knie – und sehr freundlich. Ich benutze die Chance – ich dachte, das wäre eine gute Idee und super Gelegenheit, mich wichtig, „normal“ und menschenfreundlich zu machen und meine Dalitexistenz zu überspielen – und wünsche den beiden „Mahlzeit!“, aber erstens ist mir der servierende Kellner zuvorgekommen und ich habe dann entgegen meine Absicht, aber ohne mich noch rechtzeitig abbremsen zu können, das „Mahlzeit!“ nur nachgeplappert, und zweitens ist mein Zuruf - zu leise? Zu laut im Lokal? - irgendwie untergegangen. Ich will das jetzt nicht untersuchen, wieweit diese kleine Szene für mich lebenstypisch ist. Ich will trotz meiner Angst und des deswegen etwas unterwürfigen Kontaktierens und meinem etwas verlogenheitsgefährdetem Einbringen sitzen bleiben, auch wenn mein Versuch – vermutlich zu Recht – von der Schicksalsituation und/oder den Angesprochenen nicht angenommen werden kann und ins Leere stürzt.

Ich fühle mich schon sehr unwohl hier und schreibe um mein Leben. Mit meine Schreiberei versuche ich mich wenigstens am Rande des Lebens festzukrallen. Sei locker Freund! Scheiß drauf und geh deines Weges! Laß dich verjagen! - ob es wirklich die Leute sind oder deine Dämonen. Du darfst verlieren. Ich trinke nun ganz schnell den Kaffee aus und will, soll, werde zahlen. Mit einem reichlichen Trinkgeld kann ich mich vielleicht ein wenig in eine weitere Anwesenheit einkaufen. Vielleicht! Denn eigentlich ist das so einfach zu durchschauen und mein Pariastatus wird erst recht deutlich und ich selbst aufgeplattelt (ich schreibe es mit hartem p, weil ich es nicht von „Blatt“, sondern von „platt“ ableite – der innere Besserwisser).

Letzter Versuch: beim Weggehen grüße ich die vermutlich von meiner fragwürdigen Schicksalsaufgeladenheit überforderten Nachbartischnachbarn und der Gruß wird fast schüchtern erwidert.

Am Rückweg nach Hause spiele ich noch in der Hoffnung auf Rettung Lotto und kauf mir einen Falter und ein Baguette, und diese beiden unter meinen linken Arm geklemmt dahingehend kann ich mich doch noch in ein – sicherlich pubertär-lycéehaftes – hoffnungslos veraltetes frankophiles, pseudopoetisches Existentialistengefühl hineinsteigern.


(4.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3722 Cool Turkey

 



1:09 a.m.  Au weh! Cool Turkey! (so viel zum Thema Ausscheiden der österreichischen Männer-Fußballmannschaft bei der Europameisterschaft in Deutschland 2024 am 2.7. gegen die Türkei).

Im Bücherregal sitzt eine Art Lebewesen und ruckt und zuckt hinter, vor und auf den Büchern. Wenn ich meinen Blick darauf fokussieren will, rührt es sich nicht mehr. Jetzt geht stellenweise ein Flattern und Zittern durch die Bücher.

8:21 a.m.  Auch Rettenschoess schaut heute traurig drein. Ich analysiere „Groß-Glockner“ (grrroooß, glockckner, glocke …). Komme ich dabei zu einem Ergebnis? Nein, ich komme dabei nicht zu einem Ergebnis (Danke, Eleonora Berger). Nicht wirklich also und jetzt veranstalte ich einen inneren Heimatkundequiz (Großglockner: welche Bundesländer teilen den Gipfel?), ich widerstehe der Versuchung, am Handy nachzuschauen und verordne mir, die Wissensunsicherheit aushalten zu müssen). (Ah! Kärnten und Tirol! Meine Vermutung war richtig! - der Tipper.)

Rettenschoess ist ein schönes Bild, das da über meinem Bücherregal an meiner Zimmerwand hängt. Draußen die alltägliche Hubschrauberattacke. Manchmal arbeitet und reagiert meine Psyche erstaunlich simpel, und ich meine das nicht positiv. „Simpel“ ist eigentlich (oder uneigentlich – der innere Spötter) ein mysteriöses Wort. Sim-pel. Klingt so strange! Woher kommt es? (übers Französische vom Lateinischen – der Tipper.)

Rettenschoess schaut gar nicht traurig drein; es ist frisch und gsund wie immer. Naja, „gsund“! Etwas Verkrümmtes hat es schon und an einer Stelle etwas Verschleiertes. Aber auch etwas Verklärtes.


(3.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Montag, 1. Juli 2024

3721 Schöllkraut

 



13:20. Es ist wieder schwül und heiß. 24°C. Ich schaue 131° SO. Meine Wanderung hierher hat eine gute halbe Stunde gedauert, eher mehr. Ich sitze im Hof 5. Fünf: Zahl der Venus. Das halbe Dezimalsystem sozusagen. (Beide schwarzen Pilotstifte gehen aus; beide werden immer schwächer.) Eine Krähe grummelt leise und verhalten vor sich hin. Viele Lindensamen säumen die Wege; tatsächlich verdichten sie sich an den Wegrändern. Das obligatorische Auto fährt herein. Ich würde auch Arbeiter zu Fußwegen verdonnern; warum müssen sie alle Wege mit dem Auto erledigen? Das Werkzeug und das Material auf ein Handwagerl und fertig. Die wenigen Ausnahmen, wo es wirklich nicht anders geht, kann man ja zulassen. Mich stört nur diese überhebliche Selbstverständlichkeit und unverschämte Selbstüberschätzung von Autoverkehr, Arbeit und „Wirtschaft“, selbst hier in den restheiligen universitären Ruhe- und Wissenszonen.

Der Wind wird stärker und ist angenehm. Ich blicke unter drei, vier hohe Bäume hindurch. Zeit habe ich genug, aber ich werde unruhig. Der Gedanke, dass ich mein Leben schon gelebt haben soll, ist unerträglich. Dass alles zu spät ist, ist kaum auszuhalten. So viele Träume für den Mistkübel. Wieder dieses Scheißfirmenauto! - ein Kastenwagen, nur der Fahrer, eine Leiter am Gepäckträger. Ich weiß schon, dass meine Aversion abseitig ist und kaum wirklich zu begründen (obwohl: Text Nummer 15 hier in der Schublade: „Warum Autofahren eine Sünde ist“).

Dachte ich mir’s doch! Jetzt fährt derselbe zum zweiten Mal den gleichen Weg zurück! Ich bezweifle, dass er überhaupt irgendwo ausgestiegen ist und etwas gemacht hat. Ich unterstelle, er will nur seine Arbeitszeit abfahren. „Natürlich“ kommen meine Unterstellungen aus Bitterkeit; vielleicht geht es darum, dass ich nie eine richtige Arbeit gefunden und nie Autofahren gelernt habe, obwohl es mir liegen könnte. Ich vermute, ich drivete gern.

Jetzt kommt derselbe wieder vorbeigefahren, das dritte Mal in dieselbe Richtung, zweimal schon retour. Es ist immer dasselbe Auto und derselbe Fahrer. Ich gehe lieber weiter.

13:56. Jetzt blicke ich hauptsächlich auf Schöllkraut.


(1.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3720 Danke Herr Sieber

 



12:03. Ich liebe das Espresso Burggasse: das Ambiente, das Essen und den Kaffee, das Service, die Zeitungen (nämlich die richtigen für mich), den Ventilator an der Decke, der sich dreht, meistens die Musik, und heute, dass es nicht so voll ist (danke, Herr Sieber, dass Sie mich mit diesem Café bekannt gemacht haben!). Auch an der schönen hellblauen Wand (hat nichts mit Hölle zu tun) sieht eines manchmal Licht- und Schattenflecken wandern, die von der Straße draußen und den Platanen und Sträucher des kleinen Gastgartens neben der stadteinwärtigen Verkehrsader kommen.

Das Frühstück hier war übrigens eine köstliche Gönnung, die ich mir – ohne einen rechten Grund dafür zu finden – erlaubt und auf das ich mich schon seit gestern gefreut habe. Die Musik jetzt – nicht zu laut, genau richtig – ist so schön melancholisch, aber auf gekonnte, elegante, intelligente Art, die sich nicht blöder stellt, als sie ist, und doch so unschuldig und naiv, wie es die Musikgeschichte rechtmäßig hergibt; so schön, dass mir das Herz aufgeht.

Ich versuche dem Kellner, der etwas dreingeschaut hatte, als ich gleich nach dem Frühstück mein Notizbuch aus meinem Kindergartentascherl gezogen und zu schreiben begonnen hatte, zu erklären – ah! The Smiths! - dass ich kein Lokalkritiker bin. Er hat gelächelt, aber vermutlich beherrscht er zu wenig Deutsch, um mein schlampiges Genuschel zu verstehen und mein Englisch (Englisch ist sicherlich seine Muttersprache – ob aus Irland oder woher auch immer) reicht bei weitem nicht aus, das zu erklären. Reicht überhaupt nicht aus. Ich bin tatsächlich ein grauslicher Modernitätsverlierer; es ist eine Schande, wie ich abgehängt und nicht nachgekommen bin! Aber ich genieße das hier trotzdem – was bleibt mir anderes über? Das Lebenssteuer werde ich nicht mehr herumderreißen, und das rechne ich mir hoch an, dass ich trotz schamvoller Lebensbilanz und äußerst fragwürdiger Lebenssituation solche Augenblicke dennoch – immer mit mindestens einem Hauch Schwermut – genießen kann. Jetzt mach ich mich auf den Weg zur Therapie; ich werde zu Fuß wandern.

Schade, dass alle meine drei MP3-Player kaputt sind.


(1.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3719 Andenecke

 



8:06 a.m. Leise Rufe kommen beim offenen Fenster herein, sonst ist es ruhig. Bei geschlossenen Augen sitze ich in der Andenecke und schäme mich. „Tanzen, Schwimmen – alles gut!“ wird mir zugeflüstert. Gottseidank sind meine Kriminellen nur Schauspieler. „Wir können aufhören!“ sagt mir ein interner Riese. Oh! Jetzt kommen die erotischen Kurzfilme! (richtungsmäßig; drüben ist ja fast alles absurdes Kino.) Ich reiße die Augen wieder auf. Zum Aufstehen bin ich noch zu müde. Ach, und irgendwann rennen wir vergeblich zum Zug nach Tirol – interessanterweise ein enges, hölzernes Stiegenhaus hinauf, ähnlich wie Fußgängerumleitungen bei Baustellen. Das urbane Rauschen ist deutlicher geworden. Ich werde langsam hungrig und bin allmählich bereit für die „normale“ Welt.


(1.7.2024)


©Peter Alois Rumpf Juli 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3718 Hu-hu-huu-hu

 



8:23 a.m. Endlich ausgeschlafen! Eine post-Traum-atische Bangigkeit innen, die nicht zu meinem erholten Zustand passt. Der Wind zieht durch die Wohnung, bringt frische Luft und da ihm alles preisgegeben ist, ein wenig Unruhe. Ich habe – so scheint es - heute alle Zeit der Welt und nichts vor. Eine Taube ruft ihren abgedroschenen Ruf: hu-hu-huu-hu, hu-hu-huu-hu. Auch eine Krähe meldet sich kurz und scharf (dreimal „krah!“). Und mein Magen knurrt. Da ich heute keine Verpflichtungen habe, werde ich gerne bald aufstehen und mir das Frühstück machen. Nein, gleich jetzt.


(30.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3717 Einheideln

 



9:17 a.m. Vor mir der tote Fernsehbildschirm. In mir sind Übermüdung und Husten. Rechts von mir und an meinem Hinterkopf angenehme Zugluft. Unter mir (geographisch; im Hof) der Handwerker, dessen Schleiferei herauf und durchs offene Fenster laut und deutlich herein dringt. Die Tür ins Stiegenhaus ist offen, der Wind schaukelt im Hof den Weidenbaum und die Götterbäume (die ich bisher für Essigbäume gehalten habe) und im Atelier die zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Ich bin so unausgeschlafen. Ich denke an den jungen Vogelbeerbaum vorm Schlafzimmerfenster meiner Kindheit und wie er den Sommer, dessen Höhepunkt und seinen leisen Abgang angekündigt hat. Am leeren, stummen, blinden Bildschirm bewegt sich etwas. Eine Taube ruft. Die Augen fallen mir zu. Ich bin ein Schriftsteller, dem ständig die Augen zufallen. Die Unterscheidungsmerkmale von Schwalben und Mauerseglern habe ich schon wieder vergessen, obwohl ich sie mir schon oft einzuprägen versucht habe. Jedenfalls sausen einige über den Himmel. Der Lärm der Schleifarbeit aus dem Hof scheint mir erträglicher zu sein als üblich, vermutlich weil es um unsere Fenster geht. Mein Blick ins Leere bringt eigentlich auch nichts und mich nicht weiter. Ich bin so müde. Selbst das Folgetonhorn, das jetzt irgendwo da draußen dahinzieht, kommt mir kleinlich und lächerlich vor. Ich bin so müde.


11.57 a.m. Ich blicke auf die Götterbäume (die vielleicht doch Essigbäume sind), die sich im Wind hin und her drehen wie unsereins bei der Tensegrityübung „Survival Breath“. Nun geht es auf und ab, als würden sich die Baumkronen verneigen. Vor mir wird das nicht sein. Es läutet Mittag. Die Lichtverhältnisse sind sommerlich, aber ich bin immer noch sehr müde. Die Bewegungen der Bäume im Wind sind wirklich schön anzuschauen; ihr Wogen ist so elegant, so majestätisch, so gekonnt.

Nun hat der Wind nachgelassen und die Bewegungen der Zweige und Äste erinnern an Babyeinheideln (heude, mou paidi – schlafe, mein Kind). Bis der Wind wieder stärker wird. Dünne Wolkenschwaden ziehen auf.


(28.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com