Montag, 1. Juli 2024

3717 Einheideln

 



9:17 a.m. Vor mir der tote Fernsehbildschirm. In mir sind Übermüdung und Husten. Rechts von mir und an meinem Hinterkopf angenehme Zugluft. Unter mir (geographisch; im Hof) der Handwerker, dessen Schleiferei herauf und durchs offene Fenster laut und deutlich herein dringt. Die Tür ins Stiegenhaus ist offen, der Wind schaukelt im Hof den Weidenbaum und die Götterbäume (die ich bisher für Essigbäume gehalten habe) und im Atelier die zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Ich bin so unausgeschlafen. Ich denke an den jungen Vogelbeerbaum vorm Schlafzimmerfenster meiner Kindheit und wie er den Sommer, dessen Höhepunkt und seinen leisen Abgang angekündigt hat. Am leeren, stummen, blinden Bildschirm bewegt sich etwas. Eine Taube ruft. Die Augen fallen mir zu. Ich bin ein Schriftsteller, dem ständig die Augen zufallen. Die Unterscheidungsmerkmale von Schwalben und Mauerseglern habe ich schon wieder vergessen, obwohl ich sie mir schon oft einzuprägen versucht habe. Jedenfalls sausen einige über den Himmel. Der Lärm der Schleifarbeit aus dem Hof scheint mir erträglicher zu sein als üblich, vermutlich weil es um unsere Fenster geht. Mein Blick ins Leere bringt eigentlich auch nichts und mich nicht weiter. Ich bin so müde. Selbst das Folgetonhorn, das jetzt irgendwo da draußen dahinzieht, kommt mir kleinlich und lächerlich vor. Ich bin so müde.


11.57 a.m. Ich blicke auf die Götterbäume (die vielleicht doch Essigbäume sind), die sich im Wind hin und her drehen wie unsereins bei der Tensegrityübung „Survival Breath“. Nun geht es auf und ab, als würden sich die Baumkronen verneigen. Vor mir wird das nicht sein. Es läutet Mittag. Die Lichtverhältnisse sind sommerlich, aber ich bin immer noch sehr müde. Die Bewegungen der Bäume im Wind sind wirklich schön anzuschauen; ihr Wogen ist so elegant, so majestätisch, so gekonnt.

Nun hat der Wind nachgelassen und die Bewegungen der Zweige und Äste erinnern an Babyeinheideln (heude, mou paidi – schlafe, mein Kind). Bis der Wind wieder stärker wird. Dünne Wolkenschwaden ziehen auf.


(28.6.2024)


©Peter Alois Rumpf Juni 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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